Donnerstag, 19. Dezember 2013

Das schwierige Geschäft mit der Geschichte

Es ist immer wieder wunderbar und höchst beeindruckend, wie die Geschichte über Bande spielt, um augenzwinkernd darauf aufmerksam zu machen, dass Schwarz und Weiß keine Farben sind. Den jüngsten Beleg für den subtilen Humor, den die Zeitläufte zu entwickeln vermögen, lieferte die Tagesordnung des halleschen Stadtrates. Dort folgten zwei Anträge aufeinander, die schöner nicht hätten illustrieren können, wie schwierig das Geschäft mit der Bewältigung der Geschichte ist: In Antrag eins verlangte die grüne Fraktion die Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße, weil der frühere Präsident der Leopoldina zum „Establishment des Dritten Reiches“ gehört habe. Antrag zwei kam vom „Mitbürger“ Martin Bauersfeld, und er forderte die Beseitigung eines Denkmals des halleschen Bildhauers Gerhard Geyer, das vor der ehemaligen Stasi-Bezirksbehörde steht.

Er wisse nicht viel über die Plastik, so der Antragsteller, doch sie zeige seiner Ansicht "drei Rotarmisten“ und habe somit eine „kritische politische Ausrichtung“. “Was sie darstellen ist eine Aussage, die nicht für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit steht”, sagte der gescheiterte Bundestagskandidat bei der Vorstellung seines Vorhabens.

Eigentlich also zwei Anträge, die sich blind ergänzen. Bilderstürmerei als Mittel der Auseinandersetzung mit der Geschichte, der Radiergummi als Waffe im Kampf gegen unliebsame Erinnerungen. Doch ausgerechnet hier offenbart sich bei genauerer Betrachtung ein tieferer Zusammenhang, der mehr über die Verfasstheit der Gesellschaft im Jahr 2013 erzählt als auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Denn die Abderhalden-Straße soll nach dem Willen von Oberbürgermeister Bernd Wiegand demnächst Anton Wilhelm Amo benannt werden, dem ersten aus Afrika stammenden Studenten, der je eine deutsche Uni besucht hat. In der Stadt, in der er das tat, aber auch 23 Jahre nach dem Mauerfall mit keinem Straßennamen geehrt wird. Und ausgerechnet der am 9. April 1989 verstorbene Händel-Preisträger Gerhard Geyer war es, der eine Amo-Plastik schuf, die bis heute am Universitätsring der Saalestadt steht, wenn auch völlig unbeachtet und halb überwuchert.

Geyers Plastik vor der früheren MfS-Zentrale soll geschliffen werden, Geyers Amo-Bildnis nicht. Natürlich, geht es nach den Anhängern der These, dass Geschichte immer mal wieder von authentischen Zeugnissen der Vergangenheit bereinigt werden muss, ist das Amo-Denkmal zweifellos Kunst. Die Bronze mit den drei angeblichen “Rotarmisten“, von denen einer seltsamerweise unbewaffnet, mit offener Jacke und Pullover bekleidet Dienst tut, hingegen nicht. Die Kunst des Weidanz-Schülers Geyer wäre insgesamt gesehen also nur noch dann Kunst, wenn ihre Absicht bis heute auf Zustimmung trifft. Ein Gedanke, den weiterzudenken sich lohnt.

Dem Stadtrat, der vorerst beide Anträge abgelehnt hat, ist für die Anregung dazu zu danken.

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