Dienstag, 23. Dezember 2014

Königreich Deutschland: Der König der Diebe


Es war einer seiner bizarren Auftritt vor Gericht. Peter Fitzek, selbsternannter Imperator des Kleinstaates "Königreich Deutschland", ließ die Welt vor der Fortsetzung eines Prozesses vor dem Amtsgericht in Dessau wissen, dass er gegen die staatlichen Maßnahmen der Bundesrepublik, die seine junge Nation bedrohen, bald "noch viel krasser" zurückschlagen werde. Er sagte nicht genau, wie. Aber er sagte es geradeheraus in die Kamera.

Den dabei entstandenen Dokumentarkurzfilm (oben) schnappte sich das stets auf digitaler Höhe spielende monarchische Multimediateam, es wurde heruntergeladen in die königlichen Digitalwerkstätten, ein paar Filter fielen drüber und die Tonspur wurde gesäubert.

Anschließend erstand der Film neu, nun unter dem aufrüttelnden Titel "Sei die Veränderung, die Du in der Welt sehen willst!". Fitzek hält immer noch seine Rede, die Fischaugenverzeichnung der Original-Aufnahmeoptik ist unverkennbar.

Als Bildquelle hat die herausgebende "AG Dezentral" des Königs der Urheberrechtsdiebe im Stil der "Tagesschau" ein nettes "Youtube" angegeben.

Sonntag, 21. Dezember 2014

Baumprotest am Steintor

Eine interessante Galerie ist derzeit im kleinen Park vor dem Steintor zu sehen. Aus Protest gegen die geplante Flächenabholzung haben Gegner des Umbaus Schilder an die Bäume gehängt, auf denen mit verständlichen und unverständlichen Slogans teilweise unter Pseudonym, teilweise aber auch mit Klarnamen und Berufsbezeichnung Front gegen den Kahlschlag gemacht wird.

Die ganze Ausstellung ist hier zu sehen.

Samstag, 13. Dezember 2014

Billy Corgan: Klatschen mit einer Hand



Im 20. Jahr nach seinem größten Triumph hat der Amerikaner Billy Corgan seine Band Smashing Pumpkins neugegründet - sie klingt wie damals.

Mit 33 Jahren hatte William Patrick Corgan seinen Abschied eingereicht. Ein neues Jahrtausend brach gerade an, da passte das. Ein letztes Album noch und einmal noch auf Tour, das sollte es gewesen sein für den Mann aus Chicago, der Mitte der 90er Jahre in einem Doppelschlag die komplette Rockgeschichte auf einen Punkt gebracht hatte. „Mellon Collie and the Infinite Sadness“ hieß das Mammutwerk, das aus Corgans kleiner Grunge-Band Smashing Pumpkins eine Kapelle machte, die auf Augenhöhe mit den Beatles, Led Zeppelin und The Who musizierte. 28 Stücke, laut und leise, sanft und wild, hochjauchzend und zu Tode betrübt, melodiös, ekstatisch, barock und weltweit 16 Millionen Mal verkauft.

Höher als auf den Everest der Hitparaden vermag ein Musiker nicht zu steigen, für immer bleiben aber kann er auch nicht. Corgan, der sich nur Billy nennen lässt, brach vom Gipfel des frühen Ruhmes zu einem langen Abstieg auf, der zeitweise einer heillosen Flucht glich. Die Mitmusiker gingen nach und nach. Der Bandname verschwand. Corgan nannte sich nun „Zwan“ und „Starchildren“, er machte Filmmusik für Rupert Wainwright und anstelle des wegen fortgesetzter Drogenprobleme suspendierten Langzeit-Schlagzeugers Jimmy Chamberlin klopfte ein Drum-Computer den Beat.

Das schnelle Ende einer jungen Legende. Wenn Billy Corgan noch Konzerte spielte, dann erinnerte das größte Songschreiber-Talent der Generation Grunge an einen bockigen Teenager. Er schor sich eine Glatze, zerstörte seine Melodien, persiflierte das Pathos seiner größten Hits und aus hübschen Liedern wie „Zero“ oder „Disharm“ wurden Ausbrüche an kakophonischem Lärm. Zwar kehrte Corgan nur fünf Jahre nach der Beerdigung der Smashing Pumpkins zu seinem Markennamen zurück. Außer dem nun drogenfreien Jimmy Chamberlin war kein anderes Originalmitglied mehr mit von der Partie. Aber das mit großem Aplomb veröffentlichte Album „Zeitgeist“, hergestellt mit Queen-Hofproduzent Roy Thomas Baker, brachte nur noch mehr krachendes Getöse mit noch weniger Inhaltsstoffen.

Corgan, Sohn eines Blues-Gitarristen und erklärter Wrestling-Fan, musste noch einmal ganz aus dem Musikgeschäft verschwinden, um nun mit seinem achten regulären Album an die Großtaten der Blütezeit anknüpfen zu können. Ursprünglich nämlich hatte „Monuments to an Elegy“ überhaupt nicht als CD erscheinen sollen. Corgan plante stattdessen, sein Konzeptwerk „Mellon Collie“ digital zu überholen: Eine noch gigantischere Songsammlung namens „Teargarden by Kaleidyscope“ mit 44 Songs sollte nur im Internet veröffentlicht werden, kostenlos für alle zudem. „Als ich das Projekt begonnen habe, wollte ich wieder zum Narren werden, indem ich mich nicht um Verkäufe, mein Image oder die Besetzung der Band kümmerte und einfach nur Musik machte“, beschreibt er.

Für den inzwischen 47-Jährigen, geboren in Elk Grove, Illinois, die Rückkehr zur reinen Kunst ohne kommerzielle Absicht. Für den Musikmarkt ein einziger Humbug. „Die Leute haben die Musik nicht heruntergeladen, obwohl sie kostenlos war“, klagt Corgan heute.

Viele hätten einfach nicht mitbekommen, dass es die Songs gab, weil nirgendwo Werbung dafür gemacht wurde. „Und ich wollte nicht weiter Musik wegwerfen, die sich keiner anhört.“
Also sind die neun Stücke von „Monuments to an Elegy“ doch wieder als herkömmliche CD und als Download bei iTunes und den anderen Musikshops erschienen. Zum Glück, denn was Corgan gemeinsam mit seinen derzeitigen Gehilfen Jeff Schroeder an der Gitarre, Nicole Fiorentino am Bass und Mötley-Crüe-Drummer Tommy Lee an den Drums angefertigt hat, ist endlich wieder echter Kürbis-Stoff: Hymnen auf die Traurigkeit, Elegien der Sehnsucht.

Ja, der große Eigensinnige klatscht allein und er klatscht auch nur noch mit einer Hand. Aber es ist alles da, was Lieder wie „Cherub Rock“ zu Klassikern hat werden lassen. Corgans nöliger Gesang der aus straff gespannten Stimmritze. Die orchestralen Gitarren. Die hochfliegenden Melodien, durch die sich rätselhafte Texte schlängeln. „Tiberius“, benannt nach dem römischen Kaiser, ist ein Liebeslied, die Single „Beige Beige“ die Beschwörung eines Weltbrandes. „I will bang this drum to my dying day“, singt er, denn kleiner hat er es nicht, der Mann, der von sich sagt, er lebe nicht in der Realität, hasse aber Sentimentalitäten. Da lächeln alle Fans, die die 90er Jahre mit seinem größten Hit „Today“ im Ohr verbracht haben.

Zur Webseite der Band: smashingpumpkinsnexus.com

Freitag, 12. Dezember 2014

John Travolta mimt in Dessau falschen Polizisten

Eine Öffentlichkeitsfahndung nach einer Amtsanmaßung in der Lutherstadt Wittenberg führt offenbar auf die Spur eines bekannten Hollywood-Schauspielers: Das Phantombild (oben rechts), das die Polizei veröffentlicht hat, deutet darauf hin, dass der Mime John Travolta (oben links) hinter den rätselhaften Ereignissen von Anfang Oktober stecken könnte.

Damals hatte die auf dem Phantombild abgebildete Person gegen 14.09 Uhr unter dem Vorwand, ein angeblicher Polizist von der Dessauer Kripo zu sein, versucht, in einen Wohnblock in der Lutherstadt Wittenberg zu gelangen. Gegenüber den Bewohnern äußerte der Mann, dass sich im Wohnhaus ein vermeintlicher Täter aufhalten würde.

Gemeinsam mit dem falschen Polizisten, der sich auf Befragen nicht ausweisen konnte, gehörte ein angeblicher Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes, nach dem aber nicht gefahndet wird, weil Schlüsseldienstmitarbeiter kein geschütztes Amt ist.

Sowohl Travolta als auch sein Begleiter scheiterten mit ihrem Vorhaben, das Treppenhaus zu betreten. Bewohner wiesen sie kurzerhand ab. Die Polizei bittet um Hinweise zur Identität der Person unter der Telefonnummer des Polizeireviers Wittenberg 03491 / 469-290 oder per E-Mail an

prev-wittenberg@polizei.sachsen-anhalt.de

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Haushaltsplanung: Kommentar aus dem Taschenrechner


Hier mal eine kleine Taschenrechneranalyse der Trendentwicklung des Landeshaushaltes Sachsen-Anhalt, weil man bei Prozentzahlen ja eher die politische Schwerpunktsetzung erkennen kann. Der Vergleich bezieht sich auf die Jahre 2014 und 2016, die angegebenen Prozentzahlen zeichnen also Ausgabenerhöhungen oder geplante Sparmaßnahmen nach. Reihenfolge folgt den größten Ausgabensteigerung bis zu den drastischsten Sparhaushalten der einzelnen Ressorts.

Die Zahlen kommentieren sich selbst:


  1. Landtag:                                                  + 9 Prozent
  2. Arbeit/Soziales:                                      + 8 Prozent
  3. Staatskanzlei:                                          + 5,3 Prozent
  4. Innenministerium:                                  + 4 Prozent
  5. Finanzministerium:                                 + 3,7 Prozent
  6. Wirtschaft:                                               + 0,8 Prozent
  7. Justiz:                                                      + 0,7 Prozent
  8. Verkehr:                                                  + 1,2 Prozent
  9. Umwelt:                                                   - 1 Prozent
  10. Wissenschaft/Forschung:                         - 1,2 Prozent
  11. Kultur/Bildung:                                       - 4,8 Prozent
  12. Landwirtschaft:                                       - 43 Prozent



Dienstag, 9. Dezember 2014

Krim: Tom Clancys Albtraum wird wahr

In seinem vorletzten Roman hat der Bestseller-Autor Tom Clancy die düstere Utopie eines Krieges um die Ukraine entworfen.

Als Tom Clancy die letzten Zeilen an seinem 16. Buch schreibt, schaut die ganze Welt nach Kiew. Sommer 2012, die Fußball-EM macht die Ukraine zu einem Land, für das sich alle interessieren. Auch Clancy, seit seinem Bestseller „Jagd auf Roter Oktober“ einer der erfolgreichsten Thriller-Autoren der Welt. Doch der Mann aus Baltimore schert sich weniger um Fußballspiele, Tore und die aufsehenerregenden barbusigen Proteste einer Frauengruppe namens Femen. Nein, Clancy sieht in dem Land zwischen Russland und Europa den idealen Schauplatz für einen neuen Thriller in seiner typischen Handschrift: Uramerikanischer Patriotismus mischt sich mit handfester Action, es wird geschossen, geblutet, gestorben; es wird intrigiert, gemordet und gekämpft.

Jedes Buch um Clancy wechselnde Helden Jack Ryan und John Clark ist ein Albtraum aus grausamen Konflikten und Clancys strikt konservativen Lösungsansätzen. Draufhauen! Wer schießt, wird erschossen und wer sich nicht beugt, wird gebrochen, so sah der Mann, der hatte Militär werden wollen, die Welt. „Command Authority“ aber, dieses eben auf Deutsch erschienene 13. Jack-Ryan-Buch, ist mehr als das. Wie schon bei „Ehrenschuld“, einem 1994 veröffentlichten Werk, das die Anschläge vom 11. September 2001 vorab beschrieb, ist es Tom Clancy erneut gelungen, die Zukunft vorherzusagen. Seine Fiction einer Ukraine, die zwischen russischen Machtansprüchen und westlichem Befreiungsversprechen aufgerieben wird, ist nach Fertigstellung des Buches böse Realität geworden.

Es ist dies das, was Clancys Arbeiten in ihren besten Momenten immer ausgezeichnet haben. Der ehemalige Versicherungsagent dichtet nie im luftleeren Raum. Genauso penibel, wie er Waffensysteme, Kalibergrößen und Abhörtechniken schildert, analysiert er vor dem Schreiben auch die Weltlage samt aller Interessenkonflikte der beteiligten Nationen.

Tom Clancy hat Zbigniew Brzezinskis „Die einzige Weltmacht“ gelesen und den Rest extrapoliert. Verpackt in eine von Feuergefechten, Kommandoaktionen und Frontgefechten aufgelockerte Handlung, beschreibt der gute Bekannte von US-Außenminister Colin Powell hier nun den Automatismus einer Entwicklung, den offenbar über Jahre hinweg kein westlicher Geheimdienst zu erkennen vermochte. Sein Präsident Wolodin ist ein Abbild von Wladimir Putin bis hin zur Geheimdienstkarriere, der Ablauf der Geschehnisse reicht auch im Buch von öffentlichen Protesten bis hin zur Übernahme der Krim durch Russland.

Nichts von alldem war schon geschehen oder kündigte sich auch nur an, als Tom Clancy es aufschrieb. Und es kam doch genauso, wenige Tage, nachdem der Schriftsteller am 1. Oktober des vergangenen Jahres an den Folgen eines jahrelangen Herzleidens gestorben war. Der Aufstand auf dem Maidan, der Regierungswechsel, ein Krieg an der Grenze, in dem Geheimdienstler im Hintergrund auf beiden Seiten die Fäden ziehen.

Moralische Zweifel angesichts eines Kräftemessens auf Augenhöhe, bei dem seine meist außergesetzlich operierenden amerikanischen Helden genau dieselben Methoden anwenden wie ihre russischen Gegenspieler, hat Tom Clancy nie gehabt. Für den Sohn eines Postboten, der sich sein enzyklopädisches Wissen über militärische Strategien, Weltmacht-Schach und Waffenwirkung selbst beibrachte, gab es keinen falschen Weg zum richtigen Ziel. „Ich glaube an Gut und Böse, an Recht und Unrecht“, sagte er, „und ich glaube auch, dass es sehr viel weniger moralische Unklarheiten gibt, als uns so mancher Intellektuelle glauben machen will.“ Wenn, wovon Clancy überzeugt war, die USA für das Gute stehen, dann wird alles gut, wenn deren Truppen, Geheimagenten und Seals nur kräftig siegen.

Das tun sie in „Command Authority“ zuverlässig wie stets, angeführt nicht mehr vom Dauerhelden Jack Ryan, denn der ist zum US-Präsidenten aufgerückt. Sein Sohn aber, aus Markenschutzgründen Jack Ryan jr. genannt, ficht nicht schlechter als der Vater, der die außerlegalen Morde der kleinen Vorhut der Freiheit im revolutionären Kiew aus der Ferne mit guten Ratschlägen begleitet. „Wenn mein Kram Realität wird, ist das schon ein bisschen gruselig“, hat Clancy einmal zugegeben.

Zum Glück hat Barack Obama nur Töchter.

Mittwoch, 26. November 2014

Das späte Glück der Queen of Rock

In ihren ganz großen Jahren, als sie Stadien füllte und die Hitparaden anführte, bestand Anna Mae Bullock vor allem aus Haar. Viel Haar, langes Haar, wallendes Haar, kombiniert mit kurzen, engen Röcken und einer Stimme, für die der Begriff „Rockröhre“ erfunden worden war, so fegte die Frau aus Nutbush, Tennessee, über die Bühnen. Tina Turner, der Name, unter dem Anna Mae unterwegs war, unterschied vor allem eins von ihren Konkurrentinnen: Die Tochter eines Baptisten-Predigers und einer indianischstämmigen Mutter war bereits Mitte 40 und sie hatte bereits eine Karriere hinter sich, die anderen Künstlern für zwei Leben gereicht hätte.

Begonnen hatte alles Anfang der 60er Jahre, als die bei dem Bandleader Ike Turner angestellte Background-Sängerin für den Song „A Fool in Love“ kurzfristig am Hauptmikrophon einsprang. Das Lied wurde ein Hit, aus Anna wurde Tina und aus Tina und Ike ein Paar.

Doch kein glückliches. Ike trank und misshandelte seine Frau, beruflichen Erfolgen folgten private Fehden, in denen der drogensüchtige Pianist und Gitarrist seine Frau schlug. 1976 hatte Tina Turner genug: Noch blutend von einer Auseinandersetzung mit ihrem Mann verließ sie das gemeinsame Haus, um nie zurückzukehren. Acht Jahre lang schlug sie sich dann durch, mit mittelprächtigen Bands und nachgesungenen Hits. Erst mit dem Album „Private Dancer“ gelang ihr 1984 der ganz große Durchbruch. Mark Knopfler von den Dire Straits hatte ihr den Titelsong geschrieben, Terry Britten lieferte „What’s Love Got to Do with It“ und mit Mel Gibson stand sie im Hollywood-Reißer „Mad Max“ vor der Kamera - das Mädchen aus Nutbush war nun die „Queen of Rock“.

Ihre Erfolge hat Tina Turner danach klug verwaltet, eine neue Liebe fand sie im deutschen Musikmanager Erwin Bach, eine neue Heimat in der Schweiz. 2010 war sie sogar noch einmal Platz 1: Mit „The Best“ schaffte sie es in Schottland an die Spitze der Charts, 44 Jahre nach ihrem Hit-Debüt. Heute wird Tina Turner 75 Jahre alt.

Freitag, 7. November 2014

Wolf Biermann: An der Rampe der Weltgeschichte

Wallraff dreht das Autoradio lauter. Biermann schiebt den Kopf nach vorn. Lauscht. Die Stimme des Nachrichtensprechers verkündet gerade das Todesurteil, mitten auf der Autobahn Köln - Bochum: Die Regierung der DDR habe beschlossen, dem Sänger Wolf Biermann die Wiedereinreise nicht zu gestatten. "Mir war", das Erschrecken ist dem Liedermacher eingebrannt ins Hirn, "als würde ich meiner eigenen Hinrichtung zuhören." Gewundert habe ihn nur, "dass mein Kopf weiter dachte."

Wolf Biermann hat nichts vergessen in den 25 Jahren seitdem. Entspannt sitzt er auf der Ledercouch im großen, hellen Wohnzimmer seines Hamburger Hauses, rezitiert plattdeutsche Verse vom kleinen Johann und der großen Welt im halleschen Dialekt seiner Oma Meume. Und rekapituliert nebenher Geschichte in winzigen Details.

Das Auto damals war zum Beispiel der 200er Mercedes irgendeines Gewerkschaftsmannes, die Reifen runderneuert. Die Besatzung unterwegs vom Kölner Konzert des DDR-Dissidenten zum zweiten Tour-Termin in Bochum. Und Biermann, Sohn einer Maschinenstrickerin und eines in Auschwitz ermordeten Hafenarbeiters, trug Steine in der Tasche, die er mit Günther Wallraff gesammelt hatte, um sie Freunden daheim in Ost-Berlin zu schenken. "Wunderbare Kiesel, schöner als jeder Diamant", sagt er, "denn es waren Steine vom Rheinufer - von einem Ort, an den ich nie zu gelangen hoffen durfte."

Und doch hatte die DDR ihren Staatsfeind Nummer eins ziehen lassen. Nach zwölf Jahren Hausarrest. Nach zwölf Jahren, in denen Biermann Auftritte nur in den eigenen vier Wänden absolvieren und Schallplatten nur im Westen veröffentlichen konnte. Biermann war glücklich. "Es waren die schönsten Tage meines Lebens", sagt er über jene Novemberwoche des Jahres 1976 nach seinem Kölner Konzert. "Schließlich hatte ich diese unglaubliche Balanciernummer wohlbehalten überstanden." Das Publikum gut unterhalten, die Freunde daheim nicht enttäuscht und die SED-Bonzen kritisiert, ohne sie zu sehr zu schmähen. "Ich war wirklich der Meinung, ich käme gut wieder nach Hause."

Welch ein Irrtum. Mit der Ausweisung ist Wolf Biermann "verwirrt, eingeschüchtert, voller Lebensangst." Die blassen Augen schauen blicklos auf den abgewetzten braunen Ledersessel in der Ecke, auf dem früher Robert Havemann und Margot Honecker saßen, wenn sie zu Besuch waren. Das T-Shirt spannt über muskulösen Oberarmen. Biermann, Sohn des von den Nazis ermordeten Dagobert Biermann, als Feind vertrieben aus dem gelobten Land des Kommunismus! In das er doch im Sommer 1953 gezogen war, um mitzuhelfen, eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Es streicht kein Lächeln um die Mundwinkel, schwingt kein verspätetes Klugsein mit. "Ich glühte ja nicht einmal für die Weltrevolution, nein, sie war für mich eine Aufgabe wie Luftholen." Ein Vermächtnis des Vaters, den er ein einziges Mal gesehen hat bei einem Besuch im Lager. Ein Auftrag der Mutter, die in der Pause in der Fabrik Marx las und in der DDR die Erfüllung eines Traums sah.

Kurz nach Stalins Tod geht Biermann in die DDR. "Zum Glück schickten sie mich dort aufs Internat in die Ackerbauernstadt Gadebusch, so dass ich von den Arbeiteraufständen nichts mitbekam." Ein Glück, denn, jetzt senkt der Sänger die Stimme, "hätte ich gesehen, wie sie in Berlin streikende Arbeiter niederwalzen, hätte ich mich damals schon auf die Seite der Ermordeten gestellt, nicht auf die Seite der Mörder."

So aber hockt er am Ende der Welt, der Heimleiter allein stellt das Radio ein, und der 17-Jährige "ist so schön dumm, dass er nicht dumm bleiben muss". Ein bloßer Zufall, aber einer, ohne den aus dem kleinen Wolf nicht der böse Biermann geworden wäre, der Sänger, Dissident und Nationalpreisträger, ganz sicher. "Ungebildet, schlecht ausgerüstet wäre ich gewesen."

Darüber lässt sich lange sinnen. Wie über all die Momente, in denen Weichen gestellt und Wege beschritten wurden, an deren Ende der Mann mit dem ergrauenden Seehundsbart steht: 1,67 Meter Formulierungslust in schwarzen Jeans, mit schmalen Hüften und kurzen, festen Fingern.

Halb sechs morgens sei seine Mutter in die Fabrik gegangen. "Da saß ich kleiner Kerl allein in der Wohnung, bis meine Tante Lotte mich um sieben abholte." Der kleine Wolf sitzt nicht nur, er singt sich die Seele aus dem Leib: "Ich weiß heute nicht mehr, ob aus Angst oder Freude." Die Begabung ist entdeckt, den "kleinen Sänger" nennt ihn bald die ganze Nachbarschaft. Dass er aber später lernt, Klavier zu spielen, sagt Biermann, hatte nur mit diesen Lucky Strikes zu tun. Die Stimme, mit der Biermann seinen Geschichten zuweilen freudig krähend Pointen aufsetzt, wird dunkel und schwer, als er die Geschichte vom Onkel erzählt, der im Freihafen einen ganzen Sack Zigaretten dieser Marke stiehlt, um seinem Neffen ein Klavier kaufen zu können. "Und das in der größten Elendszeit - ich bekomme noch heute einen Glücksstich ins Herz, wenn ich irgendwo eine Packung Lucky Strikes liegen sehe."

So ist es immer gewesen, in diesem Leben "nah an der Rampe der Weltgeschichte", wie er es nennt. Eine winzige Wendung, eine andere Zeit, ein anderer Ort. Biermann, als polternder Querkopf gefürchtet, ist ein nachdenklicher Mensch, der sich über eines sehr sicher ist: Es hätte gut auch alles ganz anders kommen können. Etwa damals, als ihn die Stasi in Gadebusch als Spitzel werben will. Und er dem Führungsoffizier an die Kehle geht, weil "der mich einen Agenten genannt und mich damit schwer in meiner bolschewistischen Ritterehre gekränkt hatte." Agent! Er! Dagoberts Sohn! "Wenn der mir erzählt hätte, Genosse Wolf, die Revolution braucht dich, Mensch, da hätte ich sofort unterschrieben."

Biermann, der gern Stalin und Churchill zitiert, ist sich im Klaren, dass er häufig Glück gehabt hat. Etwa als er beginnt, Wirtschaftswissenschaften zu studieren und nicht auf die Hochschule nach Magdeburg, sondern nach Berlin geschickt wird. "Nur dort konnte ich in den Sog des Brecht-Theaters geraten." Oder als er - längst mit einem Bann belegt - immer wieder "lebende Freunde und tote Götter" findet, die ihm Kraft geben, "wenn nicht mehr ich die Angst hatte, sondern die Angst mich".

Das Bild vom harten preußischen Ikarus, der Stasi-Spitzeln ausdauernd zürnt und unbeirrt von Zweifeln einen eigensinnigen Weg geht, es klirrt auseinander vor der Realität in der freundlichen Stube ohne Gardinen, nur ein paar Straßen entfernt von dem Kanal, durch den seine Mutter ihn kurz vor Kriegsende schwimmend vor den Bomben rettete. Es komme ihm mehr denn je darauf an, lebendige Widersprüche darzustellen, "einfach das Wenige, was ich wirklich rausgekriegt habe, weiterzusagen." Die kleinen "eindimensionalen Piesel", das Parteiengezänk, die meisten schnellschäumenden Diskussionen dieser Tage, sie bewegen ihn kaum. Ebenso wenig die Typen, die ihm seine eigene Geschichte erzählen wollen, samt Affäre mit Margot und Mauscheln mit der SED.

Biermann, ein begeisterter Tischtennisspieler mit starker Rückhand, hat kurz vor seinem 65. mal eben 14 Kilo abgenommen. Mit den überflüssigen Pfunden scheint seine Figur auch von der furchterregenden Wuchtigkeit früherer Tage verloren zu haben. Keine Flügel aus Eisenguss halten ihn. Der vermeintlich ewig polternde Gerechtigkeitsfanatiker entpuppt sich als milder Denker, der ganz ohne Zorn zurückschaut, gelehnt ins abgeschabte Ledersofa. Wie es war, war es gut. Alles andere zu sagen, hieße "klüger sein zu wollen als ich bin". Oder, Biermann kann auch poltrig-proletarisch: "Ich kann nicht höher springen als der Arsch kommt."

Der Gedanke amüsiert ihn nun doch. Er lässt ein kockerndes Lachen hören. "Wenn sie mich damals nach Magdeburg geschickt hätten", bläst er die Backen auf. Keine Bekanntschaft mit Brecht, mit Helene Weigel, mit dem Berliner Ensemble und Havemann. Keine Liedermacherei. Keine Chauseestraße 65. Kein Hausarrest. "Vielleicht wäre ich ein Kombinatsdirektor geworden!" Oder ein mittlerer Wirtschaftsfunktionär mit wutgeballter Faust in der Tasche. "Ich würde heute ein bisschen Gitarre für den Hausgebrauch spielen, das war's." Mit drei Akkorden durchs ganze Leben, das Lied vom kleinen Johann und der großen Welt auf den Lippen, plattdeutsch, ein bisschen hallesch eingefärbt. Jeder Mensch ist ein Roman, an dessen Seiten viele schreiben. Wolf Biermann sächselt fröhlich: "Fehlte nicht viel", sagt er.


Sonntag, 2. November 2014

Der DDR-Planungschef war froh, nicht mehr regieren zu müssen

Sechshundert Namen. Sechshundert! Gerhard Schürer schiebt den Porzellanhumpen auf der Anrichte im Flur zurecht. "Die wusste ich alle auswendig." Anders wäre es auch gar nicht gegangen, die ganze Geschichte aufzuschreiben. "Als Planungschef", der Mann mit den schmalen Lippen muss es wissen, "hat man ja keine Zeit, ein Tagebuch zu führen."

Also hat sich Gerhard Schürer erinnert. Die Jahre durchgekramt, die er an der Spitze des DDR-Planungswesens stand, jener Behörde, die alles wissen und jedes Problem lösen können sollte. Nach seiner Arbeit als Berater beim Dienstleistungsunternehmer Dussmann hat er sich bei seiner Frau Steffy und der 13-jährigen Tochter Christina entschuldigt. Und sich zurückgezogen an den Computer im Schlafzimmer, aus dessen Fenstern man dorthin sieht, wo früher die Mauer stand.

Schürer denkt pragmatisch. "Man muss lernen, mit dem zu leben, was man kriegen kann", sagt er. Eine Einstellung, die dem 79-Jährigen geholfen hat, 25 Jahre an der Spitze des Planungsapparates der DDR zu überstehen. Ein einsamer Weltrekord: "Länger war niemand auf so einem Posten", weiß Schürer.

Dabei geriet der gelernte Schlosser eher zufällig in die DDR-Nomenklatura: "Nach dem Krieg hieß es ,Arbeiter in die Regierung', also ging ich zum Lehrgang." Drei Jahre später ist der ehemalige Fluglehrer schon Regierungsoberinspektor in Sachsen. Und als ihm die Partei ein Ökonomie-Fernstudium anträgt, weiß Gerhard Schürer, "dass ich für Höheres vorgesehen war".

An den Tag, an dem er in die oberste Etage der DDR-Führung aufrückt, entsinnt er sich noch heute genau. "Die Sekretärin vom Planungsminister Apel rief an und sagte, Gerhard, der Erich hat sich was angetan." Verbittert, weil die Parteiführung seine Wirtschaftskonzepte nicht förderte, hatte sich Erich Apel erschossen. "Das war ein Schock", sagt Schürer.

Erich Honecker ist es, der ihn bei Staats- und Parteichef Walter Ulbricht als Nachfolger durchkämpft. "Honecker sagte zu mir: Gerhard, wir brauchen einen im Politbüro, der was von Ökonomie versteht." Schürer antwortet: "Wenn du meinst, Erich." Und bezieht Apels Büro mit dem verspachtelten Einschussloch in der Wand.


Schürer ist sich sicher, in der richtigen Mannschaft zu stehen. Die Genossen sind Kumpeltypen, die Zukunft ist licht und der Sozialismus auf dem Siegeszug. Dass Honecker "ein Mann ohne Ohren" werden wird, "der nur noch auf seinen Wirtschaftssekretär Günter Mittag hört", und die Parteiführung das Land in den Untergang steuert -wer hätte das ahnen sollen?

Gerhard Schürer, geschult in der Nachkriegs-SED, ist ein loyaler Klassenkämpfer. Er sieht die falschen Entscheidungen. Und zweifelt seine richtigen Berechnungen an. "Steht die ganze Front schief, und nur ich bin gerade?" Mit den Jahren hat er dann gelernt, Dinge zu vertreten, "die ich selbst anders gemacht hätte". Schürer ist ein Gefolgsmann, kein Anführer; ein Planer, aber kein Politiker. Er verwaltet den Mangel und stopft die Löcher, jongliert mit dem stets zu kleinen Angebot, um die stets zu große Nachfrage im Zaum zu halten. Geholfen habe ihm immer, was er selbst "meine eisernen Pilotennerven" nennt: "Je aufgeregter alle sind, desto ruhiger werde ich."

Einmal nur ist der freundliche Herr mit dem dünnen Weißhaar, der sich 1981 "als alter Mann von 60 Jahren" in seine damalige Sekretärin und jetzige Frau verliebte, in all den Jahren außer sich gewesen. Das war, als der Staatsanwalt, mit dem er immer zusammen Mittag aß, ihn verhaften kam. "Der sagte zu mir, tut mir leid, Gerhard, aber ich stehe unter Druck." Fast wäre ihm da die Hand ausgerutscht: "Wenn du schon deine Genossen verhaftest, dann steh' wenigstens dazu", hat Schürer gezischt.

Es seien dies die schwersten Stunden gewesen für ihn. "Als es gegen die Familie ging." Denn zu den Selbstvorwürfen, den Untergang der DDR vorausgesehen zu haben, kommt nun die pure Existenzangst. "Als uns ein paar Stasi-Damen über Nacht aus Wandlitz verjagt haben, war ich am Ende", sagt er, und der freundliche sächsische Akzent ist sengende Salzsäure.

"Wie ein Hund" lebt der Vater von sieben Kindern und Opa von zehn Enkeln. 40 000 DDR-Mark sind auf dem Sparbuch. "Und 44 000 mussten wir bezahlen, damit wir unsere Möbel mitnehmen durften."

Mit 69 steht Gerhard Schürer, eben noch Herr über die "zehntgrößte Industrienation der Welt", vor dem Nichts. Für das Nötigste muss er bei der Schwiegermutter borgen. "Am Anfang bin ich Gardinen waschen gegangen, und ich habe mich gefreut, wenn ich zehn Mark dafür kriegte." Pilotennerven! Sich arrangieren mit dem, was man kriegen kann. Schürer hat Übung im Mangel. Ungerecht behandelt habe er sich nie gefühlt. "Ich weiß, dass ich eine Verantwortung habe, und für die stehe ich ein."

Nur die Enttäuschung über Weggefährten, die nur noch schnell vergessen wollen, sitzt tief. Krolikowski, Schabowski. Schürers Stimme ätzt die Namen in die Wohnzimmerluft. Letzterer habe neulich mal ein Bier trinken gehen wollen mit ihm. "Da habe ich gesagt, nüscht, Günther, mein Bier trinke ich lieber alleine."


Schürer furcht die Stirn und spricht schneller. Das ist es, was er auf den Tod nicht ausstehen kann: Dieselben Genossen, die ihn zu DDR-Zeiten als "Feind der Mikroelektronik" kritisierten, warfen ihn nach der Wende aus der Partei. "Weil ich nicht verhindert hätte, dass Volksvermögen für die Mikroelektronik vergeudet wurde." Schürer kichert eckig: "Da konnte ich doch nur lachen."

Immerhin hat Gerhard Schürer es versucht. Als Erich Honecker Anfang der 70er Jahre die neue Politik der Hauptaufgabe verkündet, meldete er sich als einziger Kritiker. "Das Programm ist ausgezeichnet, habe ich gesagt, aber es ist nicht zu finanzieren." Honecker ist danach "obersauer": "Ich habe mich gewundert, dass ich zurückgehen durfte in mein Büro." Von heute aus betrachtet glaubt Gerhard Schürer, schon damals sei die letzte Chance verspielt worden. "Unter Ulbricht haben wir acht Milliarden für Subventionen ausgegeben, unter Honecker am Ende 58", rekapituliert er zahlensicher.


Nirgends war mehr Luft. "Eine neue Autobahn hätten wir nie bauen können, das Internet hätte ohne uns stattgefunden." Das konnte nicht gut gehen, und "das haben unsere Zahlen jeden Tag gesagt". Diese Zahlen aber, die die Computer der Planungskommission ausspuckten, wollte niemand sehen.

Der Pilot im Cockpit der DDR-Wirtschaft kannte sie. Doch als er das laut sagte, ist die DDR schon im Sturzflug. "Im Mai 1988 habe ich Honecker vorgeschlagen, was wir ändern können": Rüstungsausgaben kürzen, Bauarbeiter aus Berlin zurück in die Republik, Investitionen aus der Mikroelektronik umlenken. Honecker winkt ab. "Da war die Angst vor einem Aufstand viel zu groß."

Gemeinsam mit Alexander Schalck-Golodkowski diskutiert Schürer nach dieser Niederlage die Möglichkeit einer Konföderation mit der BRD, mit Egon Krenz berät er, wie ein Machtwechsel vollzogen werden könnte. "Schon der Gedanke war Hochverrat." Hochverrat an der verfehlten Politik, nicht an der Idee des Sozialismus, an die Gerhard Schürer bis heute glaubt. "Die Marktwirtschaft ist das überlegene System", sagt er, "das muss man einsehen."

Schürer ist Beobachter, nicht mehr Gestalter. Und froh darüber. Heute kocht er für die Familie, macht im Haushalt "alles außer Bügeln" und ist seiner Christina "der Vater, der ich meinen anderen Kinder nie sein konnte".

Gerhard Schürer hat seinen Frieden gefunden in der Dreiraum-Wohnung im Plattenbau, zwischen kahlem Mauerstreifen und der Pracht der neuen Regierungsbauten. Er plant nicht mehr viel. "Ich bin doch heute der glücklichste Mann."

Gerhard Schürer ist 2010 in Berlin gestorben

Freitag, 31. Oktober 2014

Die Antwortmaschine: Kuhen statt googeln

Nicht Suchmaschine, sondern „Antwortmaschine“ nennt sich eine neue Alternative zu den bisherigen Torwächtern im Internet. Swisscows.de will vor allem mit knallhartem Schutz der persönlichen Daten seiner Nutzer punkten. Alle einlaufenden Daten werden verschlüsselt, nicht aufgezeichnet und nicht gesammelt.

Die Server am anderen Ende des Verschlüsselungstunnels stehen in der Schweiz, sind im Besitz des Swisscows-Betreibers und verweigern dank der in der Schweiz geltenden strengen Datenschutzregeln Datenschnüfflern aus aller Welt jeden Einblick. Daneben aber zielt Swisscows auch auf ein neues Benutzungsgefühl: Mit einer hübschen grafischen Aufbereitung der Suchergebnisse in Kachelform können Nutzer sich von ersten Ergebnissen weiterhangeln. Besonders Benutzer von Tablets und Smartphones werden das zu schätzen wissen, denn statt per Hand weitere Suchbegriffe einzugeben, präsentiert ihnen die Antwortmaschine mögliche weiterführende Begriffe auf Kacheln, aus denen per Tipp die gewählt werden können, die die eigene Anfrage präzisieren.

Das spart Zeit und macht Swisscows im Zusammenspiel mit den sehr brauchbaren Suchergebnissen zu einer echten Google-Alternative, die wirklich sinnvolle Antworten statt Millionen von Links liefert.

Zur Antwortmaschine:
Swisscows.de


Freitag, 26. September 2014

Ein "Talismann" im Alleingang

Hagen Stoll legt mit „Talismann“ eine bluesgetränkte CD vor.

Zusammen mit seinem schwergewichtigen Kumpel Sven Gillert hat Hagen Stoll Musikgeschichte geschrieben. Der Mann, der bis 2009 versuchte, als „Joe Rilla“ Rap-Karriere zu machen, ließ sich die erste Wegstrecke der mit Gillert zusammen gegründeten Rockpop-Band Haudegen als Existenzgründung von der Agentur für Arbeit finanzieren.

Keine schlechte Investition, denn das Haudegen-Debüt „Schlicht und ergreifend“ wurde ebenso ein Hit wie die nachfolgenden Tourneen der beiden volltätowierten Riesen. Ohne die übliche Gangster-Attitüde und aggressive Kampfgesänge auf dumpfen Beats entwickelten die handfesten Dickens-Gestalten so große Glaubwürdigkeit, dass ihre zweistimmig gegrollten Schmerzengesänge zur Musik für Massen wurde, die auf der Suche nach echten, handgemachten Liedern mit glaubhafter Botschaft waren.

Dennoch ist das neue Album von Haudegen kein Album der Haudegen. Sondern eines, das Hagen Stoll allein verantwortet. „Talismann“ nennt der 39-jährige Ostberliner die Sammlung von 15 Songs zwischen Rock, Country und Blues, die noch erdiger, kerniger und unzeitgemäßer klingt als die beiden Haudegen-Werke.

Stolls großes Talent ist es auch hier, glaubwürdige Texte mit angenehmen Melodien zu kombinieren. Wo aber bei Haudegen ein Teil Spannung aus dem Wechselgesang mit Sven Gillert resultierte, ist der gelernte Stuckateur hier ganz allein. Ein Chance, die er nutzt, wie etwa die erste Single „Schieb den Blues“ zeigt. Mit Steelguitar, Barpiano und Drums, die wie Fingerschnipsten klingen, entwickelt er eine Ermutigungshymne, die jedem Geschlagenen, Getretenen oder sonstwie Unglücklichen ans Herz gehen muss: „Ich gebe, nein, ich gebe noch nicht auf, ich lebe, lebe, lebe jeden Schritt, den ich lauf“.

Dann geht es mit Polka weiter. „1, 2, 3, 4 Leben“ zeigt den oft der Bedeutungshuberei überführten früheren Hooligan als selbstironischen Spaßmacher, ehe „Was ich brauch“ direkt ins Herzen des Wilden Westens galoppiert und „Im Herzen Kind“ ein Lob der Naivität singt: „Flieg mit dem Wind, bleib wie Du bist, bleib im Herzen Kind“.

Würde Stoll Englisch singen, nähme man ihm den alten Weisen ab, wie das teilweise auf englisch gesungene „Bible or Gun“ beweist. So aber muss der Mut für ihn sprechen, Themen abzuhandeln, die leicht peinlich klingen können. Tun sie hier nicht, weil der brummelige Riese es irgendwie schafft, selbst die schwersten Thesen mit leichter Hand zu präsentieren. „Das Wort Glauben“ zum Beispiel sieht den Sänger als Zweifler, ein Kopfschütteln auf vier Akkorden: „Kann mir jemand das Wort Glauben definieren / ich kann es nicht mehr spüren“.

Ein bisschen hat das was vom ganz frühen Marius Müller-Westernhagen der „Loch in meiner Tasche“-Ära, ein bisschen erinnert Hagen Stoll auch an Tom Waits und Klaus Lage. Kein ganz junges, aber aktuell vielleicht das größte deutsche Songschreibertalent.

Hagen Stoll live:
14.10. Magdeburg, Feuerwache
15.11, Weißenfels, Kulturhaus



Dienstag, 23. September 2014

Kraftklub: Rap-Rock mit schwarzem Humor

Die Chemnitzer Aufsteigerband überzeugt auf ihrem zweiten Album mit hartem Raprock und kantigen Reimen voller Selbstironie.

Am Anfang war die Hymne auf die Provinz. „Ich will nicht nach Berlin“, schrie Felix Brummer der Trendstadt im Norden entgegen. Chemnitz, Karl-Marx-Stadt, Sachsen, Kleinstadt statt Weltstadt, der eigene Saft statt fremder Soßen! Kraftklub, von Brummer zwei Jahre zuvor zusammen mit seinem Bruder Till am Bass, Karl Schumann und Steffen Israel an den Gitarren und Max Marschk am Schlagzeug gegründet, hielten sich nicht an die Regeln, die von Künstlern verlangen, im Chor zu singen. Das Quintett feierte den Mief statt der Metropole. Und sie spielten dazu eine Musik, die von keiner Musikpolizei genehmigt worden wäre: Rap mit harten Gitarren, Hiphop samt Mitsing- refrains, Rammstein-Rock und Abzählreime.

Seit den Prinzen zwei Jahrzehnte zuvor und Silbermond zehn Jahre früher hat keine ernsthafte Band aus den ehemals neuen Bundesländern mehr so eingeschlagen. Kraftklub, stets in einheitlicher Uniform aus Baseballjacken und Poloshirts, platzierten ihr Debütalbum auf Platz 1 in den Charts, sie feierten ausverkaufte Tourneen und bekamen bei der Echo-Verleihung den „Kritikerpreis National“ verliehen.

Zwei Jahre danach sind sie wieder da, „In Schwarz“, wie das zweite Album heißt und von unbedingtem Stilwillen getrieben, wie schon das Albumcover zeigt. Das ist eine Negativ-Kopie des Debüts: Was dort weiß war, ist hier mit ein paar kleinen Variationen schwarz.

Das Gegenteil wird aber nicht verhandelt in den 13 Stücken der Standardedition, zu denen sich in der Luxusausgabe weitere drei Songs gesellen. Vielmehr haben die Söhne der Familie Brummer, die zu DDR-Zeiten die kategorisch kunstsinnige Underground-Kapelle AG Geige betrieben, ihren scharfkantigen Rap-Rock poliert, die Kanten geschliffen und den Sound weiter internationalisiert.
„In Schwarz“ ist so ist ein Spagat zwischen Oasis-Melodien und Cro-Flow geworden, Jungsmusik, die auch Mädchen gutfinden werden, weil hektischer Indierock wie bei „Schüsse in die Luft“ neben einer gelinden Halbballade wie „Meine Stadt ist zu laut“ steht.

Wichtig hier ist aber vor allem der Humor, ein Wesensmerkmal des Kraftklub-Schaffens von der ersten gemeinsam gespielten Note an. Es geht den fünf Sachsen nie um Botschaften wie noch der Generation der BAP, Grönemeyer oder Maffay, sondern um selbstironische Kommentare aus der Sicht ihrer Generation: „Wenn Alkohol keine Lösung ist habe ich auch kein Problem“ Geschont wird dabei niemand, wie gleich das Auftaktstück „Unsere Fans“ zeigt. Hier wagen sie es, all die Ausverkaufsvorwürfe herumzudrehen, die noch jede kleine Band zu hören bekommt, sobald sie nicht mehr im Schulklub, sondern in der Stadthalle spielt. Nicht die Band, sondern die Fans hätten sich verändert, nörgelt Felix Brummer zu klapperndem Schlagwerk: „Unsere Fans war’n mal dagegen, die wollten nicht gefallen, früher kleine Läden, heute nur noch volle Hallen“. Alle rennen denen hinterher, denen alle hinterherrennen!

Rockfan-Schicksal, das mit „In Schwarz“ nur noch tragischer werden dürfte, denn die Brummer-Brüder, Musikdirektor Schumann und der Rest der Truppe gestatten sich hier keinen Durchhänger. Riff marschiert neben Riff, eines prächtiger als das andere, das Tempo lässt kaum einmal nach, selbst die Fahrradhymne „Mein Rad“ klingt mehr nach gefährlicher Geschwindigkeitsübertretung als nach entspannter Landpartie. Zum Halbfinale tritt dann auch noch Kumpel Casper ans Mikro und unterstützt Felix Brummer bei „Schöner Tag“, ehe der beim finalen „Deine Gang“ alle Bremsen löst und den Bubble-Gum-Beat von T.Rex ins Heute holt.




Montag, 22. September 2014

So fälscht man Mails im Nachhinein

Im Zusammenhang mit einem gerade laufenden Gerichtsverfahren, in dem es auch um eventuell gefälschte E-Mails geht, taucht die Frage auf, wie es möglich ist, elektronische Nachrichten im Nachhinein anzufertigen oder früher erhaltene oder gesendete Nachrichten nach späteren Bedürfnissen zu verändern. Dabei geht es nicht darum, nur Ausdrucke von Mails zu verfälschen, sondern die Frage war: Kann man Mails mit zwei, drei Monaten oder Jahren Abstand so aussehen lassen, als hätten sie einen Inhalt, den sie ursprünglich nicht gehabt haben.

Das geht, natürlich, und es bedarf dazu nicht einmal großartiger Computerkenntnisse. Das Verfahren ist im Gegenteil ganz einfach - und, vorausgesetzt, Sender und Empfänger sind sich einig - kann die Fälschung ohne Mithilfe des Providers nicht einmal nachgewiesen werden.

Das Verfahren ist denkbar einfach. Zuallererst muss das Outlook- oder Thunderbird-Postfach geöffnet werden, in dem sich alte Mails aus dem Zeitraum, aus dem eine inhaltlich anzupassende Mail gebraucht wird. Im zweiten Schritt wird das Postfach so an die Bildschirmgröße angepasst, dass der Desktop des Computers daneben oder darüber sichtbar bleibt. Der dritte Schritt ist noch einfacher: Mit der Maus wird eine zeitlich passende Mail vom Absender oder Empfänger, mit dem der anderslautende Briefverkehr hergestellt werden soll, einfach auf den Desktop gezogen.

Dort taucht nur ein einzelnes Mailsymbol auf, das mit der rechten Maustaste angeklickt wird. Aus dem Klappmenü wird nun "Öffnen mit Editor" gewählt. Daraufhin öffnet sich die Mail in der Vollansicht, in der der Inhalt bearbeitet werden kann. Statt des Originalbetreffs lässt sich nun ein neuer eintragen, statt des ursprünglichen Inhalts kann jeder andere eingetragen werden.

Ist das erledigt, wird die Mail geschlossen und gespeichert. Vorletzter Schritt: Die bearbeitete Mail wird nun mit der Maus wieder ins Postfach zurückbefördert. Dort muss nun nur noch die Originalmail gelöscht werden.

Dasselbe muss im Postfach des Partners der Kommunikation durchgeführt werden, anschließend finden sich auf beiden Computern identische Mails, die aussehen, als wären sie ausgetauscht wurden, obwohl sie das nicht sind. Ohne Hilfe des Providers, der allerdings auch nur helfen kann, wenn die betreffenden Online-Postfächer nicht gereinigt wurden, lässt sich die Veränderung nicht nachweisen - zumindest nicht, wenn der oder die Fälscher nicht vergessen habe, die auf den Desktop verschobene Arbeitskopie ordentlich zu löschen und die von ihr benutzten Speicherbereiche zu überschreiben.

Mittwoch, 17. September 2014

Schlaue Uhren: Augen am Arm

Mit Apple, LG und Samsung haben nun alle Technik-Giganten den neuen Markt der elektronischen Anziehsachen betreten - auf die Apple-Watch warten schon zahlreiche Konkurrenten.

Mit der Ankündigung von Apple, künftig auf dem noch relativ jungen Markt der sogenannten Smartwatches mitmischen zu wollen, sind die großen Namen der Hightech-Welt nun alle versammelt in dem neuen Geschäftsfeld, das noch vor zwei Jahren eine Spielwiese von ein paar mutigen Visionären war.

Männer wie Steve Tan, Gründer der Mini-Firma Kreyos, hatten sich damals vorgenommen, eine nie beendete Geschichte fortzuschreiben, deren erstes Kapitel ausgerechnet Microsoft-Chfe Bill Gates ausgedacht hatte: Die Uhr nicht nur als Zeitmesser, sondern als Lebensbegleiter, Assistent und Notizbuch.

Gates, seinerzeit noch Chef bei Microsoft, hatte 2002 das Spot-Konzept vorgestellt. Die Abkürzung stand für „Smart Personal Object Technology“ und sollte per Funktechnik Uhren in clevere Alltagshelfer verwandeln. Gates Plan, Radiofrequenzen zu nutzen, um Uhren mit Nachrichten zu versorgen, ging nicht auf. Trotz namhafter Partner wie der Uhrenhersteller Fossil und Swatch wurde das Projekt schon zwei Jahre später recht still beerdigt.

Es war dann an Leuten wie Steve Tan und Eric Micigovsky, die Idee wieder auszugraben. Micigovsky machte mit der nach einem Heiligtum der australischen Ureinwohner benannten „Pebble“ den Anfang: Mit Hilfe des Crowdfundingportals Kickstarter sammelte seine Pebble Technology Corporation binnen weniger Wochen mehr als zehn Millionen Dollar für Entwicklung und Bau der Uhr mit dem energiesparenden E-Paper-Bildschirm ein. Tan, der mit Kreyos später beim Portal Indiegogo startete, hatte wenig später auch keine Probleme, statt der angestrebten einhunderttausend mehr als 1,5 Millionen zusammenzubringen.

Die Nachfrage war ganz offenbar da, auch, weil im Unterschied zu Bill Gates Zeiten inzwischen Technik verfügbar ist, die es den Smartwatches erlaubt, wirklich schlau zu sein. Statt auf Funkwellen, die nur eine einseitige Kommunikation durch den Empfang von Nachrichten erlauben, sind die Pebble und ihre Konkurrenten über das drahtlose Bluetooth-Verfahren mit den Smartphones ihrer Besitzer verbunden. Die wiederum hängen per mobilem UMTS- oder LTE-Zugang im Funknetz oder sind in eine Wlan-Station eingeloggt.

Im Grunde können Uhren damit alles, was Smartphones können. Es ist ihnen möglich, Nachrichten zu empfangen, der Besitzer kann mit ihrer Hilfe telefonieren und - häufig sogar per Sprachbefehl - im Internet suchen. Da zugleich Funktionen der etwas simpler gedachten Fitness-Armbänder eingebaut werden, misst die Smartwatch sportliche Aktivitäten, Pulsschlag und Schlafzeiten, dazu verwaltet sie Termine, sie dient auf Wunsch als Steuerpult für die Kamera und sie misst beim Radfahren die Geschwindigkeit. Um fast 700 Prozent ist der Markt der Fitness-Helfer zuletzt gewachsen. Zumeist kleine Hersteller wie Fitbit und Jawbone konnten mehr als sechs Millionen Geräte in nur einem halben Jahr absetzen.

Ein Geschäft, das auch Giganten wie Samsung, LG und Sony interessiert. Obwohl die eher klobigen als filigranen ersten Exemplare von Samsungs Gear-Reihe wie auch die von Sony hergestellte Uhr mit dem schönen Namen „SW“ kein berauschender Verkaufserfolg waren, halten die Großkonzerne an der Absicht fest, bei den sogenannten Wearables, also den anziehbaren Hightech-Waren, mitzumischen.

Die Funktionen werden dabei umfangreicher. Samsung setzt bei der Gear S etwa auf ein Modell mit eigenem Mobilfunk-Anschluss, das gar kein Smartphone als Basisstation mehr braucht. Außerdem kann man direkt über das Gerät am Handgelenk telefonieren. Die ersten Smartwatches von LG und Motorola dagegen versuchen, wie gewöhnliche Uhren aussehen, die den Mini-Computer in sich verstecken, ohne Abstriche am Leistungsvermögen zu machen.

Noch ist das alles auf Kante genäht, noch balanciert jedes der Geräte auf einem schmalen Grat zwischen genialem Helfer und totalem Flop. Wie die Finanziers der selbsternannten besten Smartwatch aller Zeiten gerade feststellen müssen. Die „Meteor“ von Steve Tan Kreyos sollte ursprünglich alles können, was ihre Konkurrenten können, dazu aber noch eine ganze Latte zusätzlicher Funktionen bis hin zur Gestensteuerung haben.

Doch als die paar tausend Leute, die die Entwicklung und Herstellung der Uhr mit ihren Internet-Spenden finanziert hatten, jetzt mit einem Jahr Verspätung ihre Uhren bekamen, stellten sie überwiegend fest, dass wenig davon zutrifft. Kaum gelingt es, die Meteor mit dem Handy zu verbinden. In einer Facebook-Gruppe trösten sich Betroffene inzwischen gegenseitig. Wer Ideen per Internet mitfinanziere, kaufe eben kein fertiges Produkt. „Er unterstützt eine Vision.“

Freitag, 12. September 2014

Herbst 1989: Gezeichnete Geschichte

Es gibt längst auch Comics über den Holocaust und über den Zweiten Weltkrieg, an das Thema Friedliche Revolution in der DDR aber wagte sich im vergangenen Vierteljahrhundert noch niemand so recht heran. Aber alles muss irgendwann und so kommt auch die friedliche Revolution nicht darum herum, als Zeichentrickgeschichte aufzuerstehen.

PM Hoffmann, Jahrgang 1968 und als freischaffender Illustrator und Comiczeichner in Leipzig lebend, und Bernd Lindner, Jahrgang 1952 und hauptberuflich wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, stehen hinter dem Versuch, einer nachgewachsenen Generation ohne eigene Wende-Erinnerung per Comic-Bild und Sprechblase klarzumachen, wie das alles aus heutiger Sicht gewesen ist.

„Herbst der Entscheidung“ heißt das Werk, in dem der Zeichner und der Textautor die Ereignisse Revue passieren lassen, in deren Folge  vor 25 Jahren ein müdes, verbrauchtes Regime stürzte und das Gesicht Europas grundlegend verändert wurde.

Dabei geht es eher lindenstraßenmäßig als analytisch zu: Der Comic spielt in Leipzig, der Held Daniel ist 17 Jahre alt und steht kurz vor dem Abitur. Während seine Eltern natürlich staatstreu sind, zweifelt er immer mehr am politischen System, weil Vater und Mutter ihn gern als Soldaten der NVA sähen, damit er später größere Chancen auf einen Studienplatz hat. Daraus entspringt innerer Widerstand gegen Gängelung und Bevormunderei, bis der Held in der Bürgerbewegung landet und in offener Opposition zu seinen Eltern steht. Ringsum brodelnd die Revolution, innen drin brodelt die Ungewissheit der Jugend. Ein Bilderbuch, das die Weltpolitik außen vor lässt.

Die beiden Autoren beweisen auf 96 Seiten von "Herbst der Entscheidung" immerhin, dass die Übersetzung von „Comic“ mit „komisch“ schon lange nicht mehr zeitgemäß ist. Hier ist der Hintergrund durchaus ernst: Es geht um Geschichtsschreibung per simpler Geschichte, um politische Bildung und die Vermittlung einfacher Wahrheiten.

Mittwoch, 3. September 2014

Phillip Boa: Besuch aus der Zukunft


Im 30. Jahr seiner Band Voodooclub kehrt Phillip Boa mit einem Album voller neuer Lieder in die Konzerthallen zurück.

Hinter der fünf ist inzwischen eine null, hinter der drei ebenso. Phillip Boa hat letztes Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert, seine Band Voodooclub begeht dieser Tage ihren 30. Aber wie das bei Boa ist, der immer ein Sturkopf war, der eigene Wege im eigenen Tempo ging: „Bleach House“, sein gerade erschienenes 19. Album, geht weder auf das eine noch auf das andere Jubiläum ein.

Wozu auch Vergangenheit, wenn Boa, der eigentlich Ernst Ulrich Figgen heißt, immer noch die Zukunft haben kann? „Kill the future“ fordert er gleich im Auftaktsong, der mit Stahlgeprügel anfängt, das sich aber schon nach einigen Sekunden in bestem Voodoo-Sound auflöst. Gitarren und Chöre, eiliges Getrommel und Keyboardschleifen - Phillip Boa war noch nie ein herausragender Sänger, aber er hatte stets ein Händchen für Ohrwurmmelodien und dazu passende prägnante Slogans. Die gibt es hier im Dutzend von „Kill Wiki“ über „The Fear that falls“ bis zu „Down with the Protocols“. Nach Indie, dem Etikett, das sich Boa Mitte der 80er Jahre anheften lassen musste, weil seine Art Musik einfach in keine Schublade passte, hört sich das alles nicht an.

Der Sound, gemischt von Produzent David Vella, der Mitte der 90er schon Boa-Hits wie „And The Wind Cries Mercy“ betreut hatte, ist fett und ein bisschen ungepflegt zugleich. Die Dancebeats des letzten Albums „Loyalty“ machen hier einem fast schon schwermetallenen Gitarrensolo Platz, später heult ein Saxophon los und in „Chronicles of the heartbroken“ trifft die Boa-Brummelstimme auf das helle Organ von Pris, der neuen Duettpartnerin, die die langjährige Kontrahentin Pia Lund abgelöst hat.

Nach und nach bündelt „Bleach House“ so all die Einflüsse und Ausflüge, die der „heitere Apokalyptiker“ in den letzten drei Jahrzehnten auf- und unternommen hat: Vom dilettantischen Rock auf „Philister“ über die Hits von „Boaphenia“ zum Metal mit dem Voodoocult und den Grübel-Songs auf „Faking To Blend In“.
Ein Menü, das zusammengehalten wird von den Boa-Beats, den Melodien und der eigentümlichen Stimme des Dortmunders, der auf dem Cover mit einem Kaktus posiert, der wie das pflanzliche Gegenstück zu ihm selbst wirkt.

Wurzellos, kratzbürstig, eigensinnig, so war der Mann mit der kinnlangen Rundschnittfrisur immer schon. Mit „Kill your idols“ ist er damals in die Charts aufgestiegen, dort hat er bald bemerken müssen, dass Selbstvermarktung auf „Morgenmagazin“-Niveau nicht sein größtes Talent ist. Phillip Boa, von seinen Fans wegen seiner Unerbittlichkeit liebevoll „Arschloch“ genannt, kehrte zurück in die Welt der Minifirmen, in die kleineren Konzerthallen und zu den überschaubaren Tourneen, bei denen er über sich selbst bestimmt.
Seiner Musik hat das so wenig geschadet wie seinem Erfolg. Ohne Medienkampagne, ohne Marketingetat füllt Boas Voodooclub Hallen fast wieder wie in den allerbesten Zeiten. Das letzte Album „Loyalty“ bescherte der Band den größten Hitparadenerfolg seit „Boaphenia“. „Bleach House“ verspricht, das sogar noch zu übertreffen.

In einer Zeit, in der das Album totgesagt wird und die Download-Single als Nonplusultra gilt, hätte es das Werk des Mannes verdient, der von sich selbst sagt, er sei gern uncool, wenn das bedeute, keine Songs für Werbung wegzugeben und bei Facebook nicht um Likes zu betteln. 13 Songs, drei Bonus-stücke, dazu in der „Collectors Edition“ weitere acht Songs, eine Vinyl-Platte und eine Konzert-DVD - manchmal lohnt es sich, mit einer Zukunft abgeschlossen zu haben, die schon längst Vergangenheit ist.

www.boa-digital.net
www.phillipboa.de

Sonntag, 31. August 2014

Auf frischer Tat

So sieht es aus, wenn man nachts um zwei Uhr nach Hause kommt, die Bodentür offenstehen sieht, hochgeht, einen Einbrecher auf frischer Tat erwischt, zu ihm sagt: "Was machen Sie denn hier", "Weiß nicht, bin betrunken" als Antwort bekommt, ihn fragt, "und wie heißen Sie?", er sagt "Stefan Graf", man sagt: "Mit ph oder f?", während es von unten hochruft "Soll ich lieber die Polizei rufen?", was den Einbrecher veranlasst, die sehr steile Treppe runterzurasen, dabei zweimal schwer zu stürzen und trotzdem auf das hinterhergerufene "Halt" nicht zu reagieren.

Der Typ, hager, braunes, kurzes  Haar grau-blau quergestreiftes T-Shirt mit Knöpfkragen, blaue Jeans mit Löchern, Turnschuhe, Anfang 30 und sichtlich illegalen Drogen nicht abgeneigt, hat eine Uhr mitgenommen, dazu eine Gitarre zertreten und alles, was auf dem Boden lagert, völlig sinnlos durcheinandergeworfen.

Die Polizei kam halb vier, sie haben die Tür fotografiert und den Namen notiert. Viel Hoffnung gebe es nicht, den Täter zu erwischen, sagten sie. Gäbe einfach zu viele Einbrüche im Moment. Es wurden auch keine Fingerabdrücke genommen. Die Polizei meinte, die Nummer, zu sagen, dass man nicht wisse, wie man an den Ort eines Einbruchs gekommen ist, weil man zu betrunken sei, werde von Tätern häufiger genommen.

Wer nicht weiß, wo er war, kann von der Wache gleich wieder nach Hause.

Wir erfuhren zudem, dass wir Glück gehabt haben. Es sei uns immerhin nichts passiert.

Samstag, 30. August 2014

Laternenfest: Halle singt im Regen

Am letzten Wochenende im August ist in Halle Laternenfest - und es regnet. Das hat Tradition, ebenso wie das Aufgebot an zahlreichen Künstlern, die zahlreiche Bühnen bespielen. Auf ein stimmiges Programm wird dabei weniger Wert gelegt, auch Interessenskonflikte sind immer eingeplant: So muss Falkenberg am Freitag parallel zu den wiederauferstandenen Karussell spielen.

Der Hallenser überzeugt mit einer umformierten Band, die alte und neue Hits in einem schwer nach Neil Young klingenden Sound interpretiert. Nach Flakenbergs Hinweis, dass es in Halle nie regne,  regnet es prompt, aber nur ganz kurz. Danach singt Halle sein "Wetter"-Lied, ehe eine susi-sonnenscheinartige Moderatorin den Auftritt beendet, indem sie ein paar Flaschen Bier hereinträgt. Halle, stilecht. Weitergesungen wird bei Karussell, die von Bandgründer Wolf-Rüdiger Raschkes Sohn Joe wiederbelebt worden sind.

Reinhard "Oschek" Huth singt immer noch wie zu Zeiten von "Das einzige Leben", neben alten Hymnen wie "Ehrlich will ich bleiben" gibt es neue Stücke, die eher nach Blues-Rap als nach Ostrock klingen. Höhepunkt: Joe Raschke lässt das Publikum "Als ich fortging" singen. Ein Mann vor der Bühne, der aussieht wie Frank-Walter Steinmeier, zückt sein Smartphone und filmt die Ansage, in der Raschke fordert, das Volk solle seine Stimme erheben.

Anschließend dann verläuft sich das Publikum, weil der als Hauptact aufgebotene Tommie Harris mit seinen routiniert abgespulten Bluesstandards - vorgetragen mit offensiv geschwungenem Schnupftuch - nur ein Häuflein hartgesottener Soul-Fans begeistert.

Die tanzen immerhin stoisch, während sich die am Auftakttakt nie sehr gefüllte Wiese langsam leert.

Dienstag, 19. August 2014

1989 im Rückspiegel: Heißer Sommer


Walburga Habsburg Douglas schnitt vor 20 Jahren das erste Loch in den Eisernen Vorhang. Das schnelle Ende der DDR ahnte sie nicht.


Ganz zum Schluss war es nur ein kleiner Schnitt, der das große Weltreich zusammenbrechen ließ. Walburga Habsburg Douglas weiß noch ganz genau, wie das klapprige Grenztor aufschwang und sich eine Menschenmenge an ihr vorbeidrängte. "Mit einem Mal", erinnert sie sich, "merkte ich, dass da alle deutsch sprachen und keiner ungarisch."


Es ist der 19. August 1989 und das Paneuropäische Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze hat gerade ein bisschen anders begonnen, als die Organisatoren von der Paneuropa-Union es sich ausgedacht haben. Statt am Lagerfeuer direkt auf dem Grenzstreifen Speck zu grillen und über die Zukunft eines geeinten Europa zu reden, werden ungarische und österreichische Offizielle, Grenzer und Besucher nun von ein paar hundert DDR-Bürgern beiseite gedrückt. Es ist die Vorwegnahme der Ereignisse, die Berlin zweieinhalb Monate später erleben wird: Zwei Stunden Mauerfall wie auf einer Modellbahnplatte mitten auf einer Wiese ganz in der Nähe des Fleckens Sopronpuszta.


"Natürlich war uns klar, dass es nicht nur ums Grillen geht", sagt Walburga von Habsburg, seinerzeit Generalsekretärin der Paneuropa-Union, "aber die wahnwitzige Eigendynamik, die hat keiner abschätzen können." Zwar hat es Absprachen auch mit der bundesdeutschen Botschaft in Budapest gegeben. Doch was auch deren Mitarbeiter nicht ahnen: Mehr als 600 Frauen, Männer und Kinder nutzen die einen historischen Wimpernschlag lang geöffnete Grenze, um fortzulaufen aus dem Arbeiter- und Bauernparadies DDR.
Walburga von Habsburg, gerade 31 Jahre alt und gekommen, um als Vertretung ihres Vaters Otto von Habsburg eine kurze Rede zu halten, steht im Strom der Menschen, die mit solcher Macht vorüberfluten, dass auch der befehlshabende Grenzoffizier Arpad Bella nur die Arme hebt. "Er sagte: Wir können schießen, uns den Leuten entgegenstellen oder wegschauen", beschreibt die Frau, die in Bayern aufwuchs, später nach Schweden heiratete und heute als Abgeordnete im Stockholmer Parlament sitzt. Schießen werde er nicht lassen, um die Leute ohne Gewalt aufzuhalten, habe er zu wenige Leute. "Also, sagte er, "drehen wir uns jetzt um."


So stirbt die DDR hinter dem Rücken eines ungarischen Grenztruppenoffiziers, der irrtümlich noch tagelang glaubt, für sein Nichtstun ins Gefängnis zu kommen. "Was bin ich für ein Pechvogel", kreist es in Bellas Kopf, "dass ich heute Dienst habe." Auch seine Frau, die am Fernseher zuschaut, wird ihn abends mit Vorwürfen empfangen: "Wer soll für die Familie sorgen, wenn Du verhaftet wirst?" fragt sie den Mann, der eben Weltgeschichte geschrieben hat.


Nach einem Drehbuch, das Wochen vorher in einem Weinkeller in Debrecem ausgeknobelt wurde. Hier hatte Otto von Habsburg bei einem Vortrag auf die großen Veränderungen hingewiesen, die sich überall in Europa ankündigten. Mitten im Publikum stand Ferenc Mészáros, ein Mann aus Sopron, dem Ankündigungen nicht genug waren. Trotz allen Rumorens im Bauch Europas sei die Berliner Mauer noch immer fest geschlossen und die Westgrenze der CSSR trenne, was eigentlich zusammengehöre. "Man müsste", rief er in den Saal, "unser Gespräch direkt auf der Grenze weiterführen - alle versammelt um ein Lagerfeuer, die eine Hälfte der Teilnehmer sitzt in Österreich, die andere in Ungarn."


Eine völlig verrückter Gedanke. Erst ein Jahr zuvor hatte Otto von Habsburg, das Oberhaupt der Habsburger, zum ersten Mal seit Jahrzehnten überhaupt wieder nach Ungarn einreisen dürfen. Nachdem die Sowjetarmee die ungarische Hauptstadt am Ende des II. Weltkrieges besetzt hatte, galt der Kronprinz der K&K-Monarchie, der vor den Nazis in die Schweiz geflohen war, im ungarischen Teil seines zerrissenen Vaterlandes als Staatsfeind. Auch eine Erbverzichtserklärung, die ihm ab Mitte der 60er wieder Reisen nach Österreich erlaubt, ändert daran nichts.
Doch die Welt ist im Wandel in diesen Sommertagen, es puckert und pocht im Untergrund. In Ungarn gibt es ein Demokratisches Forum, das in Opposition zur bislang herrschenden KP steht. Schon im Frühjahr haben ungarische und österreichische Politiker den Stacheldraht an der gemeinsamen Grenze demonstrativ durchgeschnitten. Eine auch wirtschaftlich begründete Entscheidung: Der alte Grenzzaun hätte erneuert werden müssen, die UdSSR aber war nicht mehr in der Lage, Stacheldraht zu liefern. Die Ungarn gaben notgedrungen rare Devisen aus, um die Systemgrenze instandzuhalten -dabei durften Ungarn doch schon längst reisen, wohin sie wollten.


Warum also nicht Grillen auf der Grenze? Warum nicht zeigen, dass Europa keine Mauern als tragende Wände braucht? Walburga Habsburg ist in den Wochen vor dem großen Tag in Budapest. "Ich habe vormittags Ungarisch gelernt", erzählt sie, "und abends auf den Brücken Flugblätter verteilt." Die gibt es auch auf Deutsch. "Baue ab und nimm mit", steht darauf, daneben gezeichneter Stacheldraht, der von einer Rose gesprengt wird.


Der Ablauf selbst ist nicht eben minutiös festgelegt. "Ich wusste, ich schneide ein Loch in die Grenze", sagt Walburga von Habsburg. Viel weiter reichen die Pläne nicht. "Es ging uns ja nur darum, ein Zeichen zu setzen." Deshalb auch ist Otto von Habsburg nicht selbst zur Grenze gekommen: "Mein Vater wollte nicht, dass seine Person vom Ereignis ablenkt."


So lenkt das Ereignis Walburga Habsburg davon ab, seine ganze Bedeutung sofort zu erkennen. Während DDR-Bürger zu hunderten an ihr vorüberlaufen, auf das kleine Holztor zu, hinüber in die Freiheit, ist die jüngste Tochter des Hauses Habsburg umlagert von Autogrammjägern. "Alle wollten eine Unterschrift auf diese rosaroten Ausreise-Formulare."


Erst am Abend, als in Sopron noch eine Pressekonferenz zu absolvieren ist, wird ihr bewusst, "welche Dimension die ganze Sache wirklich hat". Statt der erwarteten Zeitungen aus Österreich und Ungarn ist die gesamte Weltpresse versammelt. "Japanische Fernsehteams, australische Reporter", sagt Walburga von Habsburg, "irgendwie war mir da klar, was wir in Bewegung gesetzt haben".


In der DDR haben Millionen gesehen, dass da plötzlich ein Loch klafft in dem eisernen Käfig, der allein sie noch im Lande hält. 
Das Paneuropäische Picknick kam nicht unerwartet für die Sicherheitsbehörden der DDR, doch es traf die seit Monaten wie gelähmt wirkende Republik ins Herz. Staatschef Erich Honecker selbst sieht sich genötigt, zu reagieren: Über Robert Maxwell, den britischen Verleger seiner Memoiren, gibt er dem "Daily Mirror" ein Interview, in dem er die geflüchteten DDR-Bürger als ahnungslose Herde beschrieb, die gegen ihren Willen aus der DDR fortgelockt worden seien. "Habsburg verteilte Flugblätter bis weit nach Polen hinein, auf denen die ostdeutschen Urlauber zu einem Picknick eingeladen wurden. Als sie dann zu dem Picknick kamen, gab man ihnen Geschenke, zu essen und Deutsche Mark, dann hat man sie überredet, in den Westen zu kommen", lässt sich Erich Honecker zitieren.

Zwei Wochen später warten schon mehr als 100 000 DDR-Bürger in Ungarn auf eine Fluchtgelegenheit. In der Nacht zum 11. September 1989 schließlich gibt die ungarische Regierung dem Druck nach und öffnet die Grenze. Der DDR bleiben von diesem Moment an noch 59 Tage.

Freitag, 15. August 2014

Lechal: Schlauer Schuh statt Smartwatch

Erst war die Smart-Watch, dann kamen die Fitness-Armbänder, danach die vernetzten Brillen - und jetzt will eine indische Firma mit dem ersten intelligenten Turnschuh Punkte machen.

Der „Lechal“, auf Hindi so viel wie „Nimm mich mit“, wurde ursprünglich als Hilfsmittel für Blinde entwickelt. Die programmieren über eine Handy-App ihr Ziel ein - sprachgestützt natürlich - und werden dann vom Schuh über Vibrationen an der entsprechenden Schuhseite an Hindernissen vorüber dorthin gelotst. Der Hersteller Ducere Technologies hat dem Schuh im Nachhinein mit einer schlauen Sohle Fitness-Funktionen wie Schritt-, Kalorien- und Herzfrequenzzähler eingebaut, so dass er jetzt auch als richtige Sportmaschine für jedermann nutzbar ist.

Dazu verbindet sich der Schuh mit dem Smartphone, das dann als Display für die erfassten Daten dient. Weglaufen ausgeschlossen: Entfernt sich der Besitzer zu weit vom angeschlossenen Smartphone, vibriert der Lechal. Die schlaue Schuhsohle soll noch in diesem Jahr in den Handel kommen und für etwa 100 Dollar verkauft werden. Die Inder hoffen, nach bisher 25 000 Vorbestellungen 100 000 Paar Schuhe absetzen zu können. Preise sind noch nicht bekannt.

Zur Vorbestellung: Lechal.com

Dienstag, 5. August 2014

Recht auf Vergessen: Saubere Europa-Suche

Zwei Monate nach dem wegweisenden Urteil zum Recht auf Vergessenwerden hat der Internetriese begonnen, seinen Suchindex zu bereinigen - allerdings nur in Europa.

Alles neu machte der Mai. Auf Antrag des Spaniers Mario Costeja González entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor zehn Wochen, dass Suchmaschinenbetreiber verpflichtet sind, Suchergebnisse aus ihrem Index zu löschen, wenn Privatpersonen dies unter Verweise auf ihre Persönlichkeitsrechte verlangen. González hatte zuvor vergebens versucht, einen Eintrag über sich aus einem Online verfügbaren Zeitungsarchiv entfernen zu lassen. Nun bekam er zumindest grünes Licht, Google einen Hinweis auf den Archiveintrag zu verbieten.

In den acht Wochen seit der Entscheidung hat das Vorgehen des Mannes Schule gemacht. Nachdem Google ein Formular für Löschanträge ins Netz stellte, meldeten sich fast 100 000 Menschen mit dem Wunsch, den Suchindex um Links bereinigen zu lassen, die sie selbst betreffen. Insgesamt verlangten europäische Bürger eine Beseitigung von rund 328 000 Links. Darunter befindet sich nach Angaben von "Golem" auch ein erster Link zum Internet-Lexikon Wikipedia, den Google-Nutzer in Europa künftig zwar noch direkt über die Enzyklopädie finden können, nicht mehr aber über die deutsche oder französische Google-Suche.

Etwa die Hälfte der Wünsche hat Google bislang erfüllt. In einem Drittel der Fälle wurden Löschwünsche als unbegründet abgelehnt, bei etwa 15 Prozent seien die Antragsteller aufgefordert worden, zusätzliche Informationen nachzureichen. Auch nach der Entfernung der Links zu Informationen aus der Vergangenheit, die Betroffene nicht mehr im Netz sehen wollen, bleiben die kritisierten Ursprungseinträge erhalten.

Und auch Google findet sie noch - vorausgesetzt, Internetnutzer wechseln von der deutschen Suchseite google.de zur internationalen Seite google.com. Das ist jederzeit problemlos mit einem einzigen Klick möglich, was Datenschützer empört. Wird doch so aus dem funkelnagelneuen „Recht auf Vergessenwerden“ eine Farce mit umgekehrtem Ergebnis. Einerseits sind Suchergebnisse, die auf google.de gelöscht werden, über google.com immer noch auffindbar. Andererseits informiert Google Seitenbetreiber über die Entfernung bestimmter Seiten aus dem Suchindex. Was in mehreren Fällen dazu führte, dass Initiatoren von Löschanträgen in die Öffentlichkeit gerieten. Google hat die Kritik zurückgewiesen. Die Information diene dazu, ungerechtfertigte Löschwünsche herauszufiltern.

Der Forderung deutscher Datenschützer, Suchergebnisse auf Verlangen weltweit zu säubern und dies ohne Mitteilung an die jeweils andere Seite zu tun, haben sich europäische Aktivisten wie Gwendal Le Grand vom französischen Verbraucherschutzportal CNIL angeschlossen. Die nur auf einzelne Ländersuchseiten begrenzte Löschung stelle, hieß es dort, „die Effektivität der gesamten Entscheidung infrage.“

Allerdings wären die Auswirkungen einer anderen Vorgehensweise unkalkulierbar. Müsste Google weltweit sperren, was in einzelnen Ländern als löschwürdig gilt, drohte eine Art chinesisches Internet: Nicht nur Chinesen würde keine Informationen mehr zum Tian'anmen-Massaker finden, sondern auch Deutsche; die russische Liste für gesperrte Seiten würde auch in den USA gelten und das türkische Twitterverbot beträfe wie die deutschen Gema-Sperren auf Youtube Nutzer überall auf der Erde.

Montag, 4. August 2014

Songwriterfestival: Finale zu dritt

Spontane Session zum Abschluss eines schönen Musikabends: Am Ende seines Auftritts beim Songwriter-Festival am Peißnitzhaus bat der Ire Gareth Dunlop seine Kollegen Matthew James White und Hans Super zum gemeinsamen Absingen von U2s "I still haven´t found what I´m looking for" auf die Bühne.

War als Finale gedacht. Zündete aber so heftig, dass Dunlop danach weitersingen musste. Eigene Songs waren alle, also lieferte er unter anderen Coverversionen von Charly Simon und Tom Waits.

Dienstag, 29. Juli 2014

Der Tramp-Roboter

Es ist natürlich ein Experiment, das weniger wissenschaftliche Erkenntnisse als Öffentlichkeit bringen soll. Aber spannend ist es dennoch, dem von David Harris Smith, Assistenzprofessor an der McMaster-Universität in Hamilton, Ontario, und Frauke Zeller, Assistenzprofessorin an der Ryerson-Universität in Toronto, entworfenen Roboter mit dem schönen Namen Hitchbot per Netz bei der Arbeit zuzuschauen. Denn Hitchbot hat eine fast unmögliche Aufgabe: Obwohl der Roboter selbst nicht laufen kann, soll er auf eigene Faust ganz Kanada durchqueren.

Das tut das tonnenförmige Wesen mit den angeklebten Gummistiefelbeinen per Anhalter. Dazu wirbt es für sich in den sozialen Netzwerken - der Hitchbot kann Fotos schießen und selbst Einträge verfassen. Ihn mitzunehmen, kann offenbar sehr unterhaltsam sein, denn der „hitch hiking robot“ spricht in ganzen Sätzen und kann einem Gespräch mit Menschen auch inhaltlich folgen. Dazu googelt der Roboter bei Bedarf im laufenden Betrieb nach passenden Inhalten, um die Konversation am Laufen zu halten.

Ersten Reaktionen auf Facebook und Instagram zufolge müsste Hitchbot aber wohl gar nicht reden - die Leute sind auch so so begeistert von ihm, dass sie ihn gern mitnehmen.Bei Twitter und Facebook versammeln sich um das Stück Kunststoff und Draht mittlerweile je elftausend Fan, bei Instagram sind es mehr als dreitausend.
Mehr zur Reise:
hitchbot.me

Montag, 28. Juli 2014

Sportwetten in Sachsen-Anhalt: Das verbotene Spiel

"Coming soon", verspricht das Schaufenster, "laufen Sie sich schon mal warm!" Mitten in der Innenstadt von Halle soll ein Wettbüro eröffnen, gelegen neben zwei Spielcasinos, die ganz öffentlich damit werben, auch als Wettannahmestelle zu fungieren. Nicht weit entfernt arbeitet schon das nächste Wettbüro, Bet-Lounge steht metergroß über dem Eingang.

Sachsen-Anhalt mausert sich zum Glücksspielparadies - und das nur drei Jahre nach der Einigung der Ministerpräsidenten der Länder auf die Eckpunkte eines neuen Staatsvertrags für Glücksspiele, die federführend in Magdeburg erarbeitet worden waren. Schon ein Jahr später, hieß es damals, sollten bundesweite Konzessionen für Sportwetten-Anbieter vergeben werden. Anbieter, die mitmachen wollten, müssten 16,66 Prozent aller Spieleinsätze an den Staat abgeben. Dafür würden dieser die Wettunternehmer nicht mehr kriminalisieren und verfolgen.

Es schien das Ende einer Posse zu werden, die mehr als zehn Jahre lang gespielt worden war. Mit teilweise absurden Folgen: So wurde dem Fußball-Bundesligisten Werder Bremen nach einem Freundschaftsspiel in Magdeburg ein Bußgeldbescheid zugestellt, weil die Spieler auf ihren Trikots für einen Glücksspielanbieter geworben hatten. Das Innenministerium forderte die Staatsanwälte des Landes sogar auf, wegen des Verdachts der Werbung für illegales Glücksspiel zu ermitteln. Der damalige Wirtschaftsminister und heutige Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) fuhr eine harte Linie: Wer aus Sachsen-Anhalt heraus an Sportwetten teilnehme, dem drohten Ermittlungen des Landeskriminalamtes. Zudem werde das Land "technische Maßnahmen" ergreifen, "um den Zugang zu Glücksspielseiten im Internet für das Gebiet des Landes zu unterbinden", kündigte er damals an.

Ein Plan, der mangels Realisierungsmöglichkeit nicht umgesetzt wurde. Stattdessen zwang der Europäische Gerichtshof in Straßburg die Bundesländer dazu, die bestehenden Verträge an die geltende europäische Rechtslage anzupassen. Danach kann einem Wettanbieter, der in einem EU-Land eine staatliche Lizenz besitzt, von keinem anderen EU-Land verboten werden, seine Wetten europaweit anzubieten. Für die Fußball-EM vor zwei Jahren kam die Klarstellung allerdings zu spät. Es gelte "im Wesentlichen noch die alte Rechtslage", teilte das Innenministerium in Magdeburg seinerzeit mit. Kurz vor der WM in Brasilien, die Sportwettenanbietern auch in Sachsen-Anhalt wieder prächtige Geschäfte bescheren wird, gilt formal dasselbe. "In Sachsen-Anhalt ist derzeit nur das Oddset-Sportwettenangebot der hiesigen Lotto/Toto-Gesellschaft erlaubt und damit legal", erklärt Ministeriumssprecherin Anke Reppin. Der Vertrieb dürfte daher "ausschließlich über die mit der Gesellschaft verbundenen Annahmestellen erfolgen".


Dürfte, wäre die Realität nicht eine ganz andere. Längst schon dominieren Wettanbieter als Werbepartner der Bundesliga. 15 der 18 Erstliga-Vereine hatten letzte Saison einen Sponsorenvertrag mit einem Wettanbieter abgeschlossen. Zehn von ihnen - darunter Bayern München und Schalke 04 - kassieren von nicht-staatlichen Firmen, die nach der Lesart des Magdeburger Innenministerium illegal sind.

Doch auch in Magdeburg weiß man, dass "Oddset ein Übergangs- und Auslaufmodell ist", wie Anke Reppin zugibt. Mit dem geänderten Glücksspielstaatsvertrag bestehen eigentlich längst die rechtlichen Voraussetzungen, um bis zu 20 Konzessionen für Sportwettenanbieter zu vergeben.


Allerdings geht es hier seit Monaten nicht voran: "Das vom zuständigen Bundesland Hessen geführte Vergabeverfahren gestaltet sich langwierig, so dass bis heute keine vergeben wurden", erklärt Reppin. Das bedeute, dass es in Sachsen-Anhalt keine sogenannten "erlaubt tätigen Wettanbieter" neben dem staatlichen Dienst Oddset gebe. Auch wenn der Augenschein in den Städten anderes erzählt.

Für Wolfram Kessler vom Wettanbieter Tipico ist das ein andauerndes Ärgernis. Seit 2004 besitze seine Firma eine gültige Lizenz aus Malta, die es Tipico erlaube, europaweit Sportwetten anzubieten. Zudem habe man eine Lizenz aus Schleswig-Holstein, das vorübergehend ein liberaleres Glücksspielrecht hatte als die anderen Bundesländer. "Aber wir wollen dennoch eine zusätzliche Lizenz in Deutschland haben", sagt der Chef der Rechtsabteilung des Unternehmens, das in Deutschland Marktführer ist und den früheren Nationaltorhüter Oliver Kahn als Markenbotschafter verpflichtet hat. 


850 Shops bundesweit bieten derzeit Tipico-Sportwetten an, rund eine Milliarde Wettscheine verarbeitet das Unternehmen im Jahr. "Wir haben vergangenes Jahr fast 88 Millionen Euro Steuern allein in Deutschland gezahlt", rechnet Wolfram Kessler vor. Insgesamt werden mit legalen Sportwetten hierzulande rund neun Milliarden Euro umgesetzt - gerade zu Großereignissen wie der Fußballweltmeisterschaft boomt die Nachfrage. "Wir hätten es deshalb gern gesehen, wenn die Konzessionsvergabe vor der WM über die Bühne gegangen wäre", sagt Kessler. 


Ist sie aber nicht. Dadurch agieren Anbieter derzeit quasi im rechtsfreien Raum. "Wenn die Behörden Kenntnis von unerlaubt tätigen Sportwettenanbietern erhalten, wird dagegen vorgegangen", stellt das Innenministerium in Magdeburg klar. In Halle sei es so zum Beispiel gelungen, zwei Annahmestellen für Sportwetten zu schließen. Gerichtsfest, wie Anke Reppin betont. Zuletzt hatte aber das Oberlandesgericht Naumburg entschieden, dass ein britisches Unternehmen auch ohne gültige deutsche Konzession weiter in Sachsen-Anhalt Sportwetten anbieten darf. 

Für Wolfram Kessler ein Zustand, der dauerhaft unhaltbar ist. Der Tipico-Vorstand verweist darauf, dass sein Unternehmen Spieler vor Glücksspielsucht schütze und in Deutschland Steuern zahle. "Der Verfolgungsdruck, der mancherorts ausgeübt wird, ist unangebracht." Es sei besser, wenn Firmen wie seine Wetten anböten als wenn das Firmen aus der Grauzone täten, wie es im Augenblick der Fall ist, argumentiert er.
Doch während die Behörden in anderen Bundesländern die Eröffnung von Wettshops seriöser Anbieter wie Tipico mittlerweile duldeten, verschließe Sachsen-Anhalt die Augen vor der Tatsache, "dass sowieso gewettet wird - legal oder eben illegal". Hier beharrten die Behörden darauf, dass erst bundesweite Lizenzen vergeben und dann Wettshops eröffnet werden dürften - wann auch immer es soweit ist. 


So haben Wettfreunde in Thüringen, Sachsen, Bayern, Berlin, Hamburg oder Hessen nun zur WM die Möglichkeit, legal auf deutsche Siege oder Niederlagen zu wetten. In Sachsen-Anhalt können Interessierte sich dagegen nur Schilder in den Schaufenstern künftiger Wettshops anschauen, die baldige Besserung versprechen. 


Dienstag, 22. Juli 2014

MH17: Urlaub im Schatten des Krieges

Der Ferienbeginn 2014 bringt einen Sommer-Start ohne Leichtigkeit.

Er ist unsichtbar und er ist eigentlich auch gar nicht wirklich da. Aber wer heute oder morgen oder auch in der nächsten Woche ein Flugzeug besteigt, um in den Urlaub zu fliegen, der wird ihn vielleicht trotzdem sehen, den Schatten des Krieges, der sich über die diesjährigen Sommerferien gelegt hat. Gelegt im selben Moment, als über der Ostukraine eine Linienmaschine aus Malaysia offenbar gezielt zum Absturz gebracht wurde.

Es war dieser Moment, als der ferne Konflikt zwischen Maidan-Aktivisten und Pro-Russen, zwischen Anhängern einer EU-Anbindung der Ukraine und Verfechtern einer stärkeren Verflechtung mit Russland in den deutschen Alltag knallte. Was bis dahin ein akademischer Streit war, in dem jeder auf seine Weise für den Frieden sein durfte, weil ohnehin niemand zu durchschauen vermochte, wer hier welches böse Spiel spielt, ist nun ein Krieg, der jeden hätte treffen können und noch treffen können wird.

Mit den fast 300 Toten aus Flug MH17, darunter vier Deutsche, schrumpft die Entfernung zwischen Deutschland und der Ostukraine auf einen halben Hollywood-Film im Bordkino. So fern, so nah: Wie die Passagiere von MH17 nicht wussten, dass sie auf ihrer Reise nach Asien nur zehn Kilometer entfernt vom schrecklichen Morden und Töten in Donezk und Lugansk sein würden, so denkt kaum ein anderer Urlauber darüber nach, wie scharf sein Flieger nach Kenia, Dubai, Sri Lanka, Hongkong oder Australien die Kriegsgebiete im Irak, in Afghanistan, in Syrien oder auch die Region rasieren, in der sich die Terrororganisation Hamas und die israelische Armee tagtäglich Raketenduelle liefern, deren einziges Ergebnis Blut, Tod und Leid und immer nur noch mehr Hass auf beiden Seiten sind.

Unser Weltmeister-Sommer ist vorüber, er hat nur knapp eine Woche gedauert. Wo eben noch das überschäumende Gefühl war, die ganze Welt vor lauter Glück umarmen zu wollen, wächst jetzt die Angst vor einer Welt, die ihre Konflikte auch im 100. Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch auf dieselbe Art austrägt: Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein.

Unsere Insel der Seligen erbebt, die Gewissheit, auf fast 70 Jahre Frieden müsse immer nur noch mehr Frieden folgen, wackelt. Es sind Ferien, aber es sind Ferien im Schatten des Krieges, Ferien, in denen die Geschichte uns einzuholen droht, selbst wenn wir an den Strand oder in die Berge fliehen. Ein Auge zwinkert der Strandschönen zu, das andere aber bleibt am Fernsehschirm hängen. Nein, die schönste Zeit dieses Jahres wird bestimmt keine unbeschwerte sein.