Dienstag, 9. Dezember 2014

Krim: Tom Clancys Albtraum wird wahr

In seinem vorletzten Roman hat der Bestseller-Autor Tom Clancy die düstere Utopie eines Krieges um die Ukraine entworfen.

Als Tom Clancy die letzten Zeilen an seinem 16. Buch schreibt, schaut die ganze Welt nach Kiew. Sommer 2012, die Fußball-EM macht die Ukraine zu einem Land, für das sich alle interessieren. Auch Clancy, seit seinem Bestseller „Jagd auf Roter Oktober“ einer der erfolgreichsten Thriller-Autoren der Welt. Doch der Mann aus Baltimore schert sich weniger um Fußballspiele, Tore und die aufsehenerregenden barbusigen Proteste einer Frauengruppe namens Femen. Nein, Clancy sieht in dem Land zwischen Russland und Europa den idealen Schauplatz für einen neuen Thriller in seiner typischen Handschrift: Uramerikanischer Patriotismus mischt sich mit handfester Action, es wird geschossen, geblutet, gestorben; es wird intrigiert, gemordet und gekämpft.

Jedes Buch um Clancy wechselnde Helden Jack Ryan und John Clark ist ein Albtraum aus grausamen Konflikten und Clancys strikt konservativen Lösungsansätzen. Draufhauen! Wer schießt, wird erschossen und wer sich nicht beugt, wird gebrochen, so sah der Mann, der hatte Militär werden wollen, die Welt. „Command Authority“ aber, dieses eben auf Deutsch erschienene 13. Jack-Ryan-Buch, ist mehr als das. Wie schon bei „Ehrenschuld“, einem 1994 veröffentlichten Werk, das die Anschläge vom 11. September 2001 vorab beschrieb, ist es Tom Clancy erneut gelungen, die Zukunft vorherzusagen. Seine Fiction einer Ukraine, die zwischen russischen Machtansprüchen und westlichem Befreiungsversprechen aufgerieben wird, ist nach Fertigstellung des Buches böse Realität geworden.

Es ist dies das, was Clancys Arbeiten in ihren besten Momenten immer ausgezeichnet haben. Der ehemalige Versicherungsagent dichtet nie im luftleeren Raum. Genauso penibel, wie er Waffensysteme, Kalibergrößen und Abhörtechniken schildert, analysiert er vor dem Schreiben auch die Weltlage samt aller Interessenkonflikte der beteiligten Nationen.

Tom Clancy hat Zbigniew Brzezinskis „Die einzige Weltmacht“ gelesen und den Rest extrapoliert. Verpackt in eine von Feuergefechten, Kommandoaktionen und Frontgefechten aufgelockerte Handlung, beschreibt der gute Bekannte von US-Außenminister Colin Powell hier nun den Automatismus einer Entwicklung, den offenbar über Jahre hinweg kein westlicher Geheimdienst zu erkennen vermochte. Sein Präsident Wolodin ist ein Abbild von Wladimir Putin bis hin zur Geheimdienstkarriere, der Ablauf der Geschehnisse reicht auch im Buch von öffentlichen Protesten bis hin zur Übernahme der Krim durch Russland.

Nichts von alldem war schon geschehen oder kündigte sich auch nur an, als Tom Clancy es aufschrieb. Und es kam doch genauso, wenige Tage, nachdem der Schriftsteller am 1. Oktober des vergangenen Jahres an den Folgen eines jahrelangen Herzleidens gestorben war. Der Aufstand auf dem Maidan, der Regierungswechsel, ein Krieg an der Grenze, in dem Geheimdienstler im Hintergrund auf beiden Seiten die Fäden ziehen.

Moralische Zweifel angesichts eines Kräftemessens auf Augenhöhe, bei dem seine meist außergesetzlich operierenden amerikanischen Helden genau dieselben Methoden anwenden wie ihre russischen Gegenspieler, hat Tom Clancy nie gehabt. Für den Sohn eines Postboten, der sich sein enzyklopädisches Wissen über militärische Strategien, Weltmacht-Schach und Waffenwirkung selbst beibrachte, gab es keinen falschen Weg zum richtigen Ziel. „Ich glaube an Gut und Böse, an Recht und Unrecht“, sagte er, „und ich glaube auch, dass es sehr viel weniger moralische Unklarheiten gibt, als uns so mancher Intellektuelle glauben machen will.“ Wenn, wovon Clancy überzeugt war, die USA für das Gute stehen, dann wird alles gut, wenn deren Truppen, Geheimagenten und Seals nur kräftig siegen.

Das tun sie in „Command Authority“ zuverlässig wie stets, angeführt nicht mehr vom Dauerhelden Jack Ryan, denn der ist zum US-Präsidenten aufgerückt. Sein Sohn aber, aus Markenschutzgründen Jack Ryan jr. genannt, ficht nicht schlechter als der Vater, der die außerlegalen Morde der kleinen Vorhut der Freiheit im revolutionären Kiew aus der Ferne mit guten Ratschlägen begleitet. „Wenn mein Kram Realität wird, ist das schon ein bisschen gruselig“, hat Clancy einmal zugegeben.

Zum Glück hat Barack Obama nur Töchter.

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