Freitag, 29. Mai 2015

Minecraft: Wenn Betrüger betrogen werden

Ehrlichsein ist leicht im Computerspiel. So lange sie vorwärtskommen, können Spieler es verschmerzen, dass sie auf der Nase landen oder ganz von vorn anfangen müssen. Wie beim Mensch-ärgere-Dich-nicht liegt der Spaß ja gerade darin, es trotzdem zu schaffen, gegen alle Widerstände und weil es nicht leicht ist.

Wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht lässt sich dem Glück aber auch im Computerspiel nachhelfen. Eine ganze Industrie lebt davon, fertige Lösungen anzubieten, die Spielern beim Schummeln helfen: Statt auszuprobieren, wie sich ein Hindernis überwinden lässt, kauft der gewitzte Gamerfertige Tricks einfach ein. Zack, als würde man beim Mensch-ärgere-Dich-nicht auf einmal mit allen Männchen im Ziel stehen.

Im weltweit beliebtesten 3D-Spiel Minecraft sind nun allerdings hunderttausende solcher kleinen Schummler selbst böse betrogen worden. Helfer-Programme, die vorgaben, Ratlosen Tipps geben zu wollen, warnten stattdessen vor gefährlichen Viren auf den Handys neuer Nutzer. Die wurden damit so erschreckt, dass sie - wie von dem Programm geraten - eine SMS abschickten, die angeblich augenblicklich Abhilfe schaffen würde.

Tat sie nicht, denn in Wirklichkeit schloss der Nutzer mit der SMS nur ein Abo für fünf Euro pro Woche ab, das keinerlei Nutzen hat. Abgesehen davon natürlich, dass es Betroffene vollelektronisch an Omas Mahnung beim Mensch-ärgere-Dich-nicht erinnert: Ehrlich währt am längsten.

Dienstag, 26. Mai 2015

Schlachthof Halle: Zerbrochene Fenster, brennende Altlast

Die "Broken Windows"-Theorie von James Q. Wilson und George L. Kelling beschreibt einen Vorgang, nach dem Ansätze von Verluderung und Verslummung, eben etwa das zerbrochene Fenster in einem leer stehenden Haus, binnen kurzer Zeit dazu führen können, dass völlige Verwahrlosung und Zerstörung eintritt.

Ein Phänomen, das sich am Alten Schlachthof in Halle seit Jahren bestätigt. Seit Ende der 90er Jahre eine letzte öffentliche Veranstaltung in dem mehr als hundert Jahre alten Gemäuer stattfand, zerfallen die wunderbaren Ziegelsteingebäude auf dem ausgedehnten Gelände direkt an den Gleisanlagen der Bundesbahn ungestört. Der Schlachthof ist das Zuhause von Graffitimaler und abenteuerlustigen Kindern, Autodiebe lagern hier aussortierte Karossen, wer abzuladen hat, bringt ihn an diesen Platz, wo die Seelen gemeuchelter Schweine durch die Hallen geistern.


Es gab immer wieder ehrgeizige Pläne, das Terrain zu retten. Zuletzt wollte eine Genossenschaft um Richard Schmid, einst Mitbegründer der Grünen und des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac, hier ihre Vision einer völlig neuen Art von Zusammenleben umsetzen. Ein mitmenschliche "Wohnmaschine“ sollte gemeinschaftliches Leben gegen sechs Stunden Gratisarbeit für jeden Bewohner im Monat in Küche und Wäscherei ermöglichen, nachhaltig und energiesparend.

Der Weg aber ist weit, zu weit vielleicht angesichts des anhaltenden Desinteresses bei der Stadtverwaltung und der inzwischen wöchentlich auflodernden Mode, Brände im Alten Schlachthof zu legen. Die Facebook-Seite der Initiative ist seit einem halben Jahr verwaist, da "der Verkauf des Gelände an eine Inkassogesellschaft das weitere Nachdenken und Gestalten des Projekts schwierig oder sogar undurchführbar" macht, wie die Initiatoren in einer Art Schlusswort schreiben.

Bis zu vier Millionen Euro Altschulden lasten auf dem Grundstück, die Stadt sitzt zudem auf Grundsteuernachforderungen in Höhe von einer halben Million Euro. Ein Gewicht, das alle hochfliegenden Pläne am Boden hält. Und die Feuerwehr beschäftigt.

Montag, 18. Mai 2015

John Grisham: Ein anderes Wort für Gerechtigkeit

Sie gehört zu den Gewinnern, das Konto ist voll und die Zukunft lässt auf noch mehr hoffen. Die junge Anwältin Samantha Kofer wird erst aus ihrem Traum von der Karriere in einer großen New Yorker Anwaltskanzlei gerissen, als die Finanzkrise ihre Firma zwingt, die Belegschaft auszudünnen. Auch Samantha muss gehen. Weil es leider gerade keine Jobs für Immobilienanwälte gibt, verschlägt es sie nach Süden, in die Appalachen, wo sie ohne Bezahlung helfen soll, einer Kleinstadtkanzlei bei deren wenig lukrativen Kleinstadtfällen zu helfen.

John Grisham liebt solche Konstellationen, das wissen Millionen Leser spätestens seit den Welterfolgen „Die Firma“ und „Die Akte“. Auch bei „Anklage“, dem 23. Justiz-Thriller aus der Feder des heute 60-Jährigen, funktioniert die Methode wieder: Samantha Kofer findet sich in einer fremden Welt wieder - und sie muss bald erkennen, dass hier, hinter sieben Bergen, das wahre Leben wütet.

Es ist mehr Umwelt- als Justiz-Thriller, den Grisham da geschrieben hat, denn im Mittelpunkt der Ereignisse steht diesmal nicht ein Streit vor Gericht oder das Ränkespiel im Hintergrund eines Verfahrens. Stattdessen schildert der studierte Anwalt, welch verheerende Auswirkungen die Kohleförderung in West-Virginia auf die Natur des sogenannten Mountain State hat.

Geschleifte Berge, ausradierte Flüsse, vergiftetes Grundwasser, Grubenkumpel mit Staublunge, gierige Konzerne und Mordanschläge - natürlich bettet Grisham seine Beschreibungen der Apokalypse vor der Haustür in eine packende Handlung ein. In der muss die von echter Anwaltsarbeit unbeleckte Samantha Kofer Farbe bekennen: Will sie zurück an die Futternäpfe der juristischen Großindustrie? Oder ist sie bereit, den aussichtslosen Kampf gegen mörderische Konzerninteressen aufzunehmen? John Grisham hat mit „Die Akte“ schon vor 20 Jahren einen Thriller mit Öko-Hintergrund geschrieben. Hier aber steht der Öko-Gedanke im Vordergrund.

Dienstag, 12. Mai 2015

Die Geldsammler im Internet

Mit der US-Seite Kickstarter gibt es bald noch eine Möglichkeit mehr, Ideen mit Hilfe von Investoren aus dem Internet zu verwirklichen.

Der US-Liedermacher Paul Basile hat es bei seinem letzten Album mit seiner Band Great Elk getan, die Erfinder der Smartwatch Pebble haben ihr weltweites Erfolgsmodell so finanziert, der Leipziger Filmemacher Mark Michel versucht es gerade bei einem neuen Dokumentarfilm namens „Sandmädchen“ über die autistische Schriftstellerin Veronika Raila und das vom Hallenser Wolfgang Aldag angestoßene Blumenprojekt „Millionen für Halle - Halle blüht auf“ steht noch ganz am Anfang.

Ob der Mann, der einst die große Händelwiese auf dem Markt der Saalestadt begrünte, die erträumten knapp 6 000 Euro für eine Narzissenbepflanzung zusammenbekommt, ist noch unklar. Aber sicher ist: Ideenfinanzierung aus dem Internet ist der große Trend der Zeit. Auf Plattformen wie Startnext, Visionbakery, 100fans oder Dreamojo können Menschen, die irgendein Projekt verwirklichen wollen, ihr Vorhaben darstellen. Und das Publikum bitten, mit mehr oder weniger großen Beträgen bei der Umsetzung zu helfen.

Dabei geht es nicht um Spenden, sondern - hier mehr, dort weniger - um Investitionen. Wer etwa Paul Basiles Album kaufte, noch ehe es existierte, bekam zusätzlich zur Zusendung der CD vorab Zugang zu Demo- und Live-Aufnahmen. Die Kultband Einstürzende Neubauten, die das sogenannte Crowdfunding bereits seit vielen Jahren betreibt, lässt zahlende Fans sogar bei der Studioarbeit zuschauen.

Je nachdem, wer wie viel geben will, schnüren Anbieter unterschiedliche Pakete. Narzissen-Fan Aldag belohnt Geldgeber mit Narzissen-Postkarten, die Macher der 3D-Brille Wearality Sky versprechen Vorabexemplare, der Regisseur Mehrdad Taheri lockt mit einer Einladung zur Premiere seines Thrillers „Dünnes Blut“.

„Soziales Business“ nennen das die einen, „Kreativität gemeinsam finanzieren“, sagen die anderen. Seit der US-Musiker Brian Camelio vor zwölf Jahren mit der Internet-Plattform ArtistShare startete, sind ähnliche Seiten wie Pilze aus dem Boden geschossen. Indiegogo und Sciencestarter, Crowdfans und Spieleschmiede - egal, ob Musik, Kunst, Technik oder die Gründung einer Gaststätte, einer Autowerkstatt oder eines Buchverlages - es gibt unzählige Möglichkeiten für Leute mit Ideen, sich von der großen Internetgemeinschaft bei der Verwirklichung helfen zu lassen. Dabei gilt das Alles-oder-nichts-Prinzip: Wird das vom Initiator gesetzte Finanzierungsziel erreicht, zahlen die Unterstützer. Wenn nicht, dann nicht.

Längst ist das Geldsammeln für dies und das ein Riesengeschäft. Der deutsche Marktführer Startnext wurde vor fünf Jahren in Dresden gegründet, später starteten hierzulande zahlreiche weitere Plattformen. Manche zielen dabei auf Fans, die kleine Summen geben, um ihre Stars zu unterstützen. Andere haben wie innovestment.de oder companisto.de eher die Absicht, echte Investoren zu werben. Das Geld, das hier gesammelt wird, fließt in eine Firmenbeteiligung: Wird das Produkt, zur Zeit etwa das E-Bike Freygeist oder die 360-Grad-Wurfkamera Panono, wirklich ein Verkaufsrenner, zahlt sich das für die Finanziers aus.

Dabei geht es nicht um kleine Summen, wie sich bei vielen Finanzierungsbitten zeigt. So haben die Entwickler des „Freygeist“-Fahrrads bereits mehr als eine Million Euro eingesammelt, die Macher eines nachhaltigen und fairen Kondoms namens „Einhorn“ kamen auf mehr als 100 000 Euro und die Erfinder von Fahrradpedalen, die zugleich als GPS-Diebstahlsicherung dienen, warben in nur zwei Tagen fast 50 000 Dollar ein.

Dabei will Kickstarter, die größte Crowdfunding-Plattform, jetzt erst richtig durchstarten. Bisher konnten deutsche Erfinder, Macher und Künstler nur die internationale Seite des Dienstes nutzen, ab 12. Mai wird es nun eine lokalisierte Plattform für Deutschland geben. „Deutschen Gründern und Kreativen stehen dabei alle 15 Kategorien von Kickstarter zur Verfügung, um eigene Projekte zu präsentieren“, kündigt Yancey Strickler an, der die Firma 2009 in New York mitgegründet hat. Seither habe sein Unternehmen 8,4 Millionen Menschen weltweit dazu motiviert, fast 1,5 Milliarden Euro auszugeben und damit mehr als 83 000 Ideen zum Leben zu erwecken.

Aber ohne Hilfe von Crowdfundingfirmen geht es auch, dachten sich Detlef Thürkow und Sven Ziegler vom halleschen Fußballverein Turbine, als es um die Frage ging, wie der kleine Klub Geld für einen Kunstrasenplatz auftreiben könnte. Statt eine der etablierten Plattformen anzusteuern, programmierte der studierte Geograf Thürkow zusammen mit einem Computerexperten aus dem Verein eine eigene technische Lösung, über die nun seit Anfang des Jahres symbolisch Rasenstücke am neuen Platz verkauft werden. Mit beinahe unfassbarem Erfolg: In nicht einmal vier Monaten brachte die Turbine-Aktion „Wir stauben den alten Schotter ab“, die aus einem historischen Schotterplatz aus den 50er Jahren einen modernen Kunstrasenplatz für den Vereinsnachwuchs machen soll, fast 30 000 Euro von Privatspendern, Firmen und Sponsoren ein.

Direkt zur Aktion:
Kunstrasen Turbine Halle

Freitag, 8. Mai 2015

Ein Tag mit den Nachtwölfen


Es ist ihre "Siegestour", eine Europarundfahrt, bei der Mitglieder des russischen Motorrad-Clubs Nachtwölfe die Toleranz des Westens austesten. Mit riesigem Erfolg, wie ein ausufernder Streit um Visagültigkeiten, Einreiseverbote und schließlich auch die vorletzte Etappe von Prag über Torgau nach Berlin bewiesen. Wie es Wladimir Putin wohl am allerbesten gefallen würde, zeigte sich Deutschland nicht als weltoffenes, gastfreundliches Land. Sondern als eine Art wiedergekehrte DDR, die mit Schikane und offener Feindlichkeit dort agiert, wo es ihr die eigenen Gesetze unmöglich machen, eine Rundfahrt von zweieinhalb Dutzend Motorradfahrern quer durchs Land zu verhindern.

Es sind rund achtzig Leute, die pünktlich zur Mittagsstunde am Torgauer „Denkmal der Begegnung“ stehen. Viele Torgauer sind darunter, einige Biker aus dem Erzgebirge und aus Leipzig, Berliner, die von hier aus mitfahren wollen, aber auch Russen, Ukrainer, Tschechen. Rechts hängt die russische Staatsflagge, links schwenkt ein Pärchen die ukrainische. Die Sonne scheint, die Elbe plätschert, gleich müssen die selbsternannten russischen Patrioten kommen.

Wenn da nicht die Grenze wäre. „Vielleicht lässt man sie gar nicht rein“, sagt Heiner, der in der DDR mal im Gefängnis saß. Wegen Republikflucht. Heiner bekommt heute Verfolgtenrente, dennoch ist der 62-jährige frühere Kraftfahrer gar nicht gut zu Sprechen auf das Land, in dem er lebt. Kriegstreiber bestimmten viel zu sehr, sagt er. Die ganze Ukrainepolitik, das in Arabien… „Vor 25 Jahren“, schwärmt Heiner, „haben wir da unten in der Elbaue noch alle zusammen beim Elbe Day gefeiert!“

Heute hängen gegenüber am Ufer zwar auch noch US-Flagge, russische Fahne und die deutschen Farben einträchtig nebeneinander. Aber auch zwei Stunden nach der geplanten Ankunft der Nachtwölfe ist keine Spur der Russen zu sehen. Mitfahrer schicken Whatsapps. Begleitung durch die Polizei, in Tschechien darf der Konvoi auf zwei Spuren fahren. An der Grenze keine Probleme. „Viele Sympathisanten hier und Kamerateams.“ Kein Wunder, sagt ein junger Mann mit St. Georgsband am T-Shirt: „Die Regierung hat ja mit ihren Einreiseverboten alles getan, damit das ein richtiger Propagandaerfolg für Putin wird.“

Bundesinnenministerium und Auswärtiges Amt hatten nach den ersten Ankündigungen der Fahrt erklärt, das Unternehmen fördere nicht die deutsch-russischen Beziehungen. Polen verweigerte den "Nachtwölfen" die Einreise. Am Flughafen Berlin-Schönefeld wurden Mitglieder abgewiesen und erteilte Visa erst anerkannt, nachdem zwei Gerichtsinstanzen die Behörden in die Schranken gewiesen hatten.

Aber es kostet keine große Mühe, Putin noch mehr zu geben. Obwohl zwei russische Diplomaten den Konvoi begleiten, wird der kurz hinter der deutschen Grenze auf einen Parkplatz dirigiert. Eine Routinekontrolle, natürlich, gleich an der ersten Haltemöglichkeit auf der Autobahn 17 Prag-Dresden auf deutschem Gebiet. Es beginnt ein Nervenkrieg, der fast sechs Stunden anhalten wird: Die Russen werden einzeln vernommen, Pässe kontrolliert, die Ausrüstung untersucht. Rein, raus, rein. "Die filzen alles", kommt es per Facebook-Messenger rein. Als alles erledigt ist, kommen die mitfahrenden mazedonischen „Wölfe“ dran: Einem wird die Einreise verweigert, ohne Begründung.

In Torgau wird das Denkmal der Begegnung, in dessen Nähe sich Russen und Amerikaner einander vor 70 Jahren über die Frontlinien hinweg die Hände schüttelten, derweil seinem Namen gerecht. Es gibt Diskussionen, laute und leise. Pegida-Anhänger diskutieren mit Linken, Russen mit Ukrainern, Rocker mit Familienvätern. Niemand weiß nichts Genaues, doch das Gefühl, dass etwas ganz entschieden nicht stimmt, wenn ein Land wie Deutschland Angst vor einer Handvoll Motorradfahrern in schwarzen Kutten hat, das ist überall. „Die haben uns befreit“, sagt Jens, der mit seinem Motorrad aus dem Erzgebirge gekommen ist, „und wir lassen sie nicht rein.“

Deutsche Dankbarkeit, höhnt einer der Russen, ein älterer Mann, der später noch erzählen wird, wie er beim Abzug der Sowjetarmee aus Deutschland beschloss, hierzubleiben. Er ist dankbar. Aber. Ein Mann aus Freital, der eben noch Pegida als „meine neue zweite Heimat“ bezeichnet hatte, nickt ernsthaft. „Weißt Du, so lange wir euch in der DDR lieben mussten, konnte ich euch nicht leiden“, sagt er, „aber jetzt mag ich euch wirklich.“

Noch mehr solche seltsamen Allianzen lässt die Wartezeit entstehen, die sich mit jeder bei irgendeinem der inzwischen weit über hundert Menschen am Denkmal eingehenden Kurznachricht weiter ausdehnt. Immer noch werden die Nachtwölfe in Grenznähe durchsucht, immer noch sind die Sieger von vor 70 Jahren keinen Meter weiter. Doch da gleicht der Sachse dem Russen wie der Russe dem Ukrainer: „Und wenn ihr die bis heute Abend aufhaltet, wir warten“, raunzt ein sportlich gekleideter Fernradfahrer in Richtung des Polizeiwagens, der pünktlich jede halbe Stunde vorbeikullert und die Anwesenden zählt.

„Jetzt funkten die bestimmt durch, dass die Zusammenrottung sich immer noch nicht aufgelöst hat“, sagt Heiner, der Ex-DDR-Flüchtling, der lange überlegt hat, ob er sich hier wirklich sehen lassen kann. „Ich meine, kann es nicht sein, dass die einen fotografieren und dann ist meine Opferrente weg?“ Kopfschütteln ringsum. Eher nicht, meinen die meisten. Putinversteher sein ist nicht verboten, sagt einer. "Noch nicht", höhnt ein anderer. Wobei sich niemand so sicher ist. „Die filmen uns ja alle und dann rufen die bei den Betrieben an und sagen, der und der, der war bei der und der Demo.“ Der Mann meint das ernst. Sei doch gewesen, in Dresden. Ehrlich!

Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur, allerdings ist es mit fortschreitender Zeit auch schwierig, Wahrheit und Dichtung auseinanderzuhalten. Ist man für den Frieden, wenn man dafür ist, dass die Nato sich zurückhält? Ist man für Putin, wenn man dagegen ist, dass die EU sich immer weiter ausdehnt? Und wenn es ein „üblicher Vorgang“ ist, dass Reisende fünf Stunden kontrolliert werden, wie ein Sprecher der Bundespolizei sagt, „warum schreiben sie dann nicht einfach ,Willkommen in der DDR´ über den Grenzeingang“, fragt einer.

 Alle rundherum lachen. Mehrere gehen noch mal Bier holen. Andere essen Eis. Die Russlandfahne ist von ihren Besitzern inzwischen an einen Baum geknibbert worden. Die Besitzerin der ukrainischen Flagge hält ihr Tuch tapfer in der Hand. Inzwischen kennen sich die meisten aus der Wartegemeinschaft. Inzwischen fragt man sich gegenseitig beim Rundendrehen um den Platz: „Was Neues gehört?“

Nöö, nichts. Die Kioskfrau am Elbeufer freut sich. Was für ein Tag! Kinder spielen am Denkmal, hüpfen und springen. Die Rocker aus Sachsen. Thüringen und Brandenburg, die gegenüber geparkt haben, fahren immer mal eine Runde, wenn ihnen zu langweilig wird. Ein Schiff kommt vorbei, dann noch eins. Dann rufen die Nachtwölfe nach Hilfe: Dass sie noch bis Berlin kommen an diesem Abend, der sich langsam zur Ruhe legt, glauben sie nun auch nicht mehr. Es ist nun ja schon um sieben und die Polizei schickt sich nach einer Entscheidung aus dem Bundesinnenministerium zwar an, die 25 Motorradfahrer nun doch weiterfahren zu lassen. Aber erstmal bis zur nächsten Tankstelle. „Wir brauchen Übernachtung für mindestens 20 Leute“, heißt es bei Twitter. „Ein paar könnten mit zu uns kommen“, sagt eine Frau sofort. „Ich gehe los und frage einen Kumpel, der hat eine Pension“, verabschiedet sich ein Mann.

Am Begegnungsdenkmal diskutieren sie mittlerweile die ganze Weltpolitik. Eurokrise, Griechenschulden und immer wieder die Ukraine und die NSA. Wer sagt "Schoßhündchen, wir sind Schoßhündchen", darf auf großes Nicken in der Runde hoffen.

Aber immer noch keine "Nachtwölfe", immer noch keine Harleys und Goldwings. Und immer noch geht keiner, sondern es kommen immer mehr Leute dazu. „Wäre eine schöne Geste, wenn der Bürgermeister sich herbemüht hätte“, sagt Heiner. „Da wären die auch nicht schneller hiergewesen“, entgegnet ihm der Pegida-Mann. Für ein paar Minuten ist der Pudel eines Russen ein Star, denn er trägt ein St. Georgsband am Hals, wie es die Separatisten in der Ostukraine tragen. Die Leute reden, als sei ihnen bewusst, dass das hier eine Machtprobe ist, wie Jens glaubt, der sich an den Herbst 1989 erinnert fühlt: „Es geht nur darum, ob wir eher aufgeben oder die.“ Er guckt dabei zum Streifenwagen rüber, der gerade wieder vorbeischleicht.

Ein Fernduell zwischen der Bundespolizei auf dem Parkplatz "Am Heidenholz", drei Kilometer hinter der Grenze. Und den Frauen und Männern mit den Fahnen, Fähnchen und Bändern 150 Kilometer weiter nördlich am Elbufer von Torgau. Es dauert. Die Sonne sinkt. Im Vorübergehen hört man hört Leute jetzt auf Angela Merkel schimpfen.

Kurz vor zehn treffen die Nachtwölfe schließlich in Torgau ein. Nur ein Blitzlichtgewitter und ein paar Taschenlampen erhellen noch die Kranzniederlegung. Für Friedensgesten ist Platz in der Nacht. „Drushba – Freundschaft“, rufen die Leute dann, der Rhythmus sitzt noch von damals in der DDR.