Freitag, 14. Oktober 2016

Bob Dylan in der DDR: Muffliger Gott mit Gießkannenstimme

Ein warmer Tag. Und die ganze Republik ist auf den Beinen. Keiner, der nicht gut drauf zu sein scheint. Wochenlang war das Ereignis ausgiebig diskutiert und minutiös vorbereitet worden. Abfahrt dann, dort und dort, Fahrt, Halt zum Bierholen an dieser und jener Stelle, Weiterfahrt und Treff mit den anderen, wer immer das im Einzelfall war. Irgendwie bedeutete Dylan ja plötzlich selbst denen was, die sonst nur Van Halen und Genesis hörten.

Hätte es, was damals nicht der Fall war, die verunglückten Spätwerke des Meisters in den "Plattenläden" genannten staatlichen Verteilstationen gegeben und wären, was bis zuallerletzt nicht erlaubt wurde, außerdem richtige Hitparaden zugelassen gewesen, niemand hätte dem altgewordenen zornigen jungen Zimmermann die Nummer eins streitig machen können. Dylan war, wenigstens, bevor er dann wirklich auf die Bühne kam und grußlos ein Lied namens "When The Night Comes Falling Down" zu nölen begann, mehr als irgendein Sänger sonst in irgendeinem Konzert. Mit ihm zog die neue Zeit, er kündete unübersehbar vom Ende der ostdeutschen Popprovinz.

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So wenigstens hatten es sich die Hunderttausend auf der Wiese vor der Parkbühne in Treptow ausgedacht, die ihm wie auf einer verfrühten Republiksgeburtstags-Kundgebung seltsame Losungen wie "Fürstenwalde grüßt Bob Dylan" entgegenreckten. Ein bißchen Anbiederung, ein paar warme Worte und ein klein wenig "Sing-with-me" und Dylan hätte als Erlöser enden können. Das wurde dann allerdings doch nichts.

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Nachmittags hatten noch alle Nachwuchs-Bobs der Republik an allen Straßenecken Berlins ein "Like A Rolling Stone" genäselt. Abends dann war Gott nur ein fusselbärtiger Mann im Bauernhemd, der mit Gieskannenstimme uninspiriert vor sich hinmummelte. Dazu konnte man weder besonders gut tanzen noch im Takt klatschen. Das zweifellos Bemerkenswerteste an seinem Konzert war die ratlose Begeisterung der Massen, das grußlose Ende nach kaum mehr als neunzig Minuten und der anschließende Versuch der Heimfahrt, bei dem sich zehntausend Menschen in die sieben Waggons des einzigen Reichsbahn-Nachtzuges Richtung Süden zu zwängen versuchten. Es klappte nicht. Das war die DDR.

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So groß die Enttäuschung am Tag danach - geträumt wurde weiter unverdrossen. Was hat er wohl sagen wollen, indem er gar nichts sagte? Geübt im Lesen zwischen den Zeilen, versuchten sich Stammtischrunden an der Dechiffrierung der Dylan`schen Botschaft. Es gab Bier, 56 Pfennige das Glas, und es gab "Goldbrand" dazu und die Kneipen machten Schluß, wenn es am Schönsten war. Das war mitten in der Nacht und die Lösung von "how does it feel" stand in den trüben Sternen über Halle-Neustadt.

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