Mittwoch, 20. September 2017

Bundestagswahlkampf: Parolen am Rande der Wählerbeleidigung

Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird Karamba Diaby am Ende sein Mandat verloren haben. Der Hallenser, der vor vier Jahren als erster schwarzer Bundestagsabgeordneter deutschlandweit Schlagzeilen machte, zahlt damit die Rechnung für einen SPD-Wahlkampf, der vom ersten Tag an unter keinem guten Stern stand. Katrin Budde, die Verliererin der Landtagswahl von 2016, bekam den zweiten Platz auf der Landesliste der SPD zugewiesen, augenscheinlich aus Dankbarkeit dafür, dass sie nach dem Wahldesaster vom März relativ schnell und still Platz für einen unvorbelasteten Nachfolger gemacht hatte.

Karamba Diaby aber kämpfte nicht einmal um Platz 2, der angesichts der Wahlergebnisse auch nur halbe Sicherheit für einen Wiedereinzug ins Parlament versprach. Stattdessen Parteidisziplin, weiter so, einfach mal hoffen.

Eine Strategie, mit der alle Bundestagsparteien am kommenden Sonntag noch einmal durchs Ziel gehen zu können hoffen. Als hätten sie alle vergessen, welchen fürchterlichen Denkzettel ihnen Sachsen-Anhalts Wähler vor anderthalb Jahren ausgestellt hatten, setzen sie durchweg erneut auf eine fast schon beleidigende Arroganz, für die ihre Wahlplakate exemplarisch stehen. "Erfolgreich", "sozial", "gerecht", "links, was sonst", "Kinder", "Zukunft, Fortschritt", "Kohle oder Klima", "es ist Zeit" und "Karamba", so und ähnlich steht es überall zu lesen.

Parolen am Rande der Wählerbeleidigung, nicht nur inhaltsleer, sondern peinlich bemüht, so etwas wie Inhalte gar nicht erst anzudeuten. Die Linke etwa plakatiert "Kinder vor Armut schützen", sagt aber nicht wie. Die FDP beklagt "Nichtstun ist kein Wirtschaftskonzept", verrät ihres aber auch nicht. Die Grünen ahnen: "Integration muss man umsetzen, nicht aussitzen". Die CDU in Halle schickt einen Christoph Bernstiel "für Sie in den Bundestag". Nicht, um dort irgendeine bestimmte Politik zu machen. Bei der SPD prangt Martin Schulz auf den Plakaten, die Zeile dazu lautet einfach nur "Martin Schulz". Die MLPD behauptet "Widerstand ist links". Und bildet dazu eine rechte Faust ab.


Es wirkt, als würden alle gerade so noch das tun, was sie tun, weil sie es eben tun müssen. Es gibt keine Leidenschaft, keinen Esprit, keine Überraschungen auf den Pappträgern, die für die meisten Wähler das einzig sichtbare Vorzeichen der Bundestagswahl sind. Was sie sehen, sind zwei-, drei- oder höchstens vierfarbige Plattitüden, ganze Straßenzüge tapeziert mit erdrückender Gedankenarmut und gestalterischer Einfalt. Überall prangen Schlagworte wie "Respekt", "Nähe", "Klima",  "Frieden" und Kinder", dazu gesellen sich austauschbare Slogans wie "der Treibstoff der Zukunft ist Mut" (FDP), "die Zukunft, für die wir kämpfen" (Linke), "die Zukunft braucht Ideen und einen, der sie durchsetzt" (SPD), "die Zukunft wird aus Mut gemacht" (Bündnis 90 Grüne) und "für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben" (CDU). In der Zukunft natürlich.

Vielleicht weil es sonst keiner tut, bescheinigt sich die linke Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht einfach selbst "Glaubwürdigkeit". Der FDP-Spitzenkandidat, stylisch ins Bild gesetzt von Rammstein-Fotograf und Eagles-Videoregisseur Olaf Heine, verspricht "digital first". Die AfD zitiert den Gregor Gysi von 1994: Wähln Sie uns. Traun Sie sich. Sieht ja keiner.

Geht überhaupt mehr weniger Inhalt? Die CDU zitiert das "Respekt" von den Linken-Plakaten und plakatiert auch "Respekt". Die AfD zitiert das "Kinder" der Linken.  Die SPD hält mit "Mehr Gerechtigkeit" dagegen. Den Begriff, den die Linke nach eigenen Angaben "glaubwürdig" verkörpert. Die CDU zeigt eine kaum noch wiedererkennbare Photoshop-Bearbeitung des Gesichtes der Kanzlerin. "Erfolgreich für Deutschland" steht daneben.

Es ist wie in dem Kinderspiel mit dem Gruselgesang. "Dreh' dich nicht um, denn der Plumpsack geht um! Wer sich umdreht oder lacht, kriegt den Buckel schwarz gemacht." Nur dass hier nicht der Plumpsack umgeht, sondern der alte Elefant von der Landtagswahl, von dem immer noch nicht gesprochen und dem auf Wahlplakaten schon gar nicht widersprochen werden darf.

Ganze Straßenzüge liegen so unter dem Parolengewitter einer einzigen Partei. Die will "Grenzen schützen", "keinen Familiennachzug", "keine Eurorettung um jeden Preis", "mehr Polizei", einen Stopp von Schulschließungen, Bikinis statt Burkas und zwei Dutzend anderer Sachen. Konkret. Einfach. Unmissverständlich. Unverwechselbar.

Und niemand stellt sich den Populisten, niemand widerspricht den einfachen Botschaften und versucht wenigstens, den Plumpsack zu entzaubern. Es wird schon noch mal so gehen. Ein blaues Auge lässt sich doch ertragen. Das vom letzten Jahr ist ja schon fast verheilt.




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