Mittwoch, 1. November 2017

Der kleine King: Brennender Zorn


Stephen Kings Sohn Joe Hill tritt im zehnten Jahr als Schriftsteller mit seinem neuen Endzeit-Thriller "Fireman" aus dem mächtigen Schatten seines Vaters.

 Die große Seuche frisst sich durch die Gesellschaft. Hartnäckig und in einer Geschwindigkeit, die immer noch ein wenig Hoffnung lässt, erobert die Spore Dragonscale Amerika: Menschen bekommen zuerst einen schwarz-goldenen Ausschlag, dann beginnen sie zu qualmen und zu rauchen. Und schließlich gehen sie mir nichts, dir nichts in Flammen auf. Was für ein Quatsch!

Und wie fesselnd Joe Hill ihn in seinem neuen Thriller "Fireman" aufschreibt! Aus der bisher vielleicht hanebüchenensten Variante der ewig jungen Weltuntergangsgeschichte macht der 44-jährige Amerikaner ein abenteuerliches Fantasy-Spektakel, das Fans der Altmeister Stephen King, Peter Straub und Richard Laymon begeistern wird. Ein Wunder ist das nicht, denn hinter dem Pseudonym Joe Hill verbirgt sich niemand anders als Joseph Hillstrom King , der älteste der zwei Söhne des Schriftstellerehepaares Tabitha und Stephen King. Joseph King hat vor 20 Jahren seine erste Kurzgeschichte veröffentlicht, damals gleich unter falschem Namen, um nur an den eigenen Leistungen gemessen zu werden. Vor zehn Jahren dann legte King jr. mit "Blind" seinen ersten Roman vor, eine irre Horrorfantasie um einen vom Ruhm und der Welt angeödeten Rockstar, der aus lauter Langeweile im Internet einen Geist kauft und sich damit eine Menge Ärger einhandelt.



Hill, der es auch danach noch vermied, öffentlich als des Horrorkönigs Sohn für sein Buch zu trommeln, schaffte es, den miesen, unsympathischen Schmock im Verlauf der Handlung zum Sympathieträger werden zu lassen. "Blind" war kein billiger Trash-Horror aus Pappmaché, sondern intelligente Unterhaltung. Das Buch heimste Preise ein und wurde zu einem Bestseller, der nach Ansicht von Kritikern keinen Vergleich mit den Klassikern des Vaters scheuen muss. Der Unterschied ist: Joe Hill schreibt zwar nicht kürzer, aber langsamer. Wo Daddy in den letzten zehn Jahren elf Romane vorgelegt hat, kommt der Sohn nur auf vier, unter denen das aktuelle "Fireman" die deutlichsten Anleihen beim großen Erbe des Vaters nimmt. Dessen "The Stand", zu deutsch "Das letzte Gefecht", Ende der 70er Jahre mitten hinein in die allgegenwärtige Atomkriegsangst geschrieben, steht bei der Geschichte um eine Gruppe Überlebender der geheimnisvollen Sporeninfektion Pate, die Joe Hill anfangs im Breitwandformat, später aber immer mehr auf Kammerspielbesetzung zusammenschnurrend erzählt.

Im Mittelpunkt steht einerseits der "Fireman" John Rookwood, eine wunderliche Figur, die in friedlicher Symbiose mit ihrer Sporeninfektion lebt. Andererseits ist da die schwangere Krankenschwester Harper Grayson, die mehr und mehr zur wahren Heldin der Geschichte wird. Joe Hills Trick in Zeiten, in denen Zombie-Storys in Buch und Film boomen: Bei ihm sind die Infizierten die Normalen, Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation hinter dem Ende der gewohnten Welt plötzlich nicht nur mit der Frage konfrontiert sehen, wie sie am es schaffen können, zu überleben. Sondern sich auch noch mit denselben Problemen auseinandersetzen müssen wie vorher im zivilisierten Alltag der USA von heute. Wo beginnt freiwillige Einsicht in eine Notwendigkeit? Wo endet die Freiheit? Wann wird Machtgier pathologisch und ab wann führt Gruppenzwang in den kollektiven Untergang?

Die rätselhafte Seuche, der Joe Hill im Verlauf der Handlung sogar eine recht nachvollziehbare wissenschaftliche Begründung verpasst, ist hier einerseits Anlass für eine zumindest streckenweise actionreiche Handlung. Andererseits verweist sie wie eine Chiffre auf aktuelle Auseinandersetzungen in der amerikanischen Gesellschaft, in denen sich die gesamte King-Sippe mehrfach deutlich gegen den neuen Präsidenten Donald Trump positioniert hat. Wo der Zorn erst einmal brennt, gibt es kein Vergeben. Einlullende Glückseligkeit hingegen, die sich weigert, offenkundige Probleme wahrzunehmen und zu diskutieren, führt am Ende immer zur Herrschaft derjenigen, die keine Skrupel haben, sich die Situation zu nutze zu machen. Klingt, als sei der "Fireman" ein Wanderprediger des Guten. Aber das täuscht natürlich.

Joe Hill ist kein Autor nachdenklicher Betrachtungen über Rolle und Bedeutung von Toleranz und Mitmenschlichkeit in Zeiten des Untergangs, sondern ein rasanter Erzähler. Zwar mutet seine postapokalyptische Welt verglichen mit Cormac McCarthy's "Die Straße" oder Justin Cronins "Der Übergang" an wie das niedliche Sommerferienlager, in dem sich Harper Crayson, der Fireman, die Familie Storey und die übrigen Überlebenden verstecken. Doch wie sein Vater verfügt Hill über einen untrüglichen Sinn für erzählerischen Rhythmus. Er schreibt schnell und langsam und erzeugt so einen Sog, der seine Leser im Handumdrehen in den Bann schlägt.

Joe Hill, Fireman, Heyne, 960 Seiten, 17,99 Euro

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