Samstag, 28. April 2018

Tod eines Hoffnungsträgers: Werner Lamberz und die Jagd auf Schwarzer Adler

Eigentlich war an jenem 6. März 1978 im Städtchen Beni Walid für den dreimotorigen Großraum-Hubschrauber "Super Frelon SA 321" ein striktes Nachtflug-Verbot verhängt worden. Doch dann steigt die Luftwaffen-Maschine, die erst am Morgen aus dem rund 160 Kilometer entfernten Tripolis gekommen war, abends gegen 21.30 Uhr doch noch zum Rückflug in die libysche Hauptstadt auf. Wenig später schon muss der Helikopter notlanden. Die beiden Piloten melden per Funk, dass sich eine Verkleidung am Motor geöffnet habe. Nach 20 Minuten ist eine Ersatzmaschine eingetroffen, der Flug kann fortgesetzt werden.

Unmittelbar nach dem erneuten Start aber kommt es zur Katastrophe: Der "Super Frelon" gerät ins Trudeln und fällt wie ein Stein vom Himmel. 13 Menschen sterben in der Wüstennacht, unter ihnen auch das DDR-Politbüromitglied Werner Lamberz, SED-ZK-Mitglied Paul Markowski, der Fotograf Hans-Joachim Spremberg und der Dolmetscher Armin Ernst.


Genosse mit exotischer Biografie


Werner Lamberz, 48 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Kinder, galt in der DDR als Hoffnungsträger. Der Sohn des Bauarbeiters Peter Lamberz, der wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD im KZ Buchenwald landete, verkörperte einen neuen Funktionärstyp. Werner Lamberz' Biografie mutet exotisch an: Um nach der Verhaftung des Vaters weitere Repressionen von der Familie fern zu halten, schickt seine Mutter ihn zuerst zur Hitler-Jugend, mit zwölf Jahren dann sogar ins Ordensburg-Internat der Adolf-Hitler-Schule. Nach dem Krieg absolviert Lamberz eine Installateurslehre im Rheinland. Als seine Mutter stirbt, wechselt er in die Ost-Zone, wo sein Vater als Landrat arbeitet. Hier beginnt der rasante Aufstieg des Werner Lamberz zum Kronprinzen von Erich Honecker. 1947 SED-Eintritt, 1950 Parteisekretär, dann Hochschule in Moskau, 1963 Kandidat des Zentralkomitees und Chef der Abteilung Agitation, die die DDR-Massenmedien kontrolliert.

Schnell rückt er in die Volkskammer und das Politbüro auf - Hinweise darauf, dass Lamberz, ein eloquenter Plauderer, der zehn Fremdsprachen beherrscht, der kommende Mann an der Staatsspitze sein könnte. 1978 ist Lamberz bereits Honeckers Eingreiftruppe für besonders heikle Missionen: Die Affäre um die Ausreise von Manfred Krug hat er ebenso abgewickelt wie die Biermann-Krise. In Libyen nun ist er als Sonderbotschafter von Honecker unterwegs, um Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi Militärhilfe anzubieten und Dollarkredite für die DDR zu besorgen.

Werner und der frische Wind


"Werner Lamberz war jemand, der frischen Wind mitbrachte", erinnert sich auch Ex-DDR-Planungschef Gerhard Schürer, "und er hat seine Meinung auch gegenüber Honecker vertreten." Als die DDR-Führung per Blitz-Telegramm aus Libyen vom "bv" genannten "besonderen Vorkommnis" in der Wüste erfährt, kursieren denn auch sofort Verschwörungstheorien selbst unter den Funktionären. "Angeblich habe es einen Anschlag gegeben", sagt Schürer. So munkelte man, das Attentat habe eigentlich Gaddafi gegolten, der sich nur durch Zufall nicht in der Maschine befunden hätte. Andere sahen Stasi-Chef Mielke als Drahtzieher. Im Auftrag von Honecker, der sich vor einem erstarkenden Lamberz gefürchtet habe, sei der Auftrag für den Absturz ergangen. "Es kursierten sogar Witze darüber, dass die härteste Parteistrafe jetzt ein Rundflug über Libyen ist."

Indizien gab es dafür: So hatte Lamberz' Leibwächter Rolf Heidemann den Flug nach Beni Walid aus unerfindlichen Gründen nicht mit angetreten. Nach dem Absturz verbaten sich die Libyer jede Mitarbeit der DDR bei der Untersuchung des Unglücks.


Die DDR-Führung behandelte den Absturz als "tragischen Unglücksfall". Noch in der Nacht wird der 2. Sekretär Wolfgang Pohl nach Libyen geschickt, um die Toten zu identifizieren. Nicht einmal zwölf Stunden später landet eine Maschine mit vier versiegelten Zinksärgen auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Noch am selben Abend liegen die sterblichen Überreste auf den Obduktionstischen im Institut für Gerichtliche Medizin der Humboldt-Uni. Bereits bei der Öffnung der Särge stellt Professor Otto Prokop fest, "dass es sich um hochgradig verkohlte" Torsi handelt. So steht es im Obduktionsbericht, der jetzt in den Archiven der Gauck-Behörde gefunden wurde. Trotz der "äußerst erschwerten Befundserhebungen" habe bei allen als Todesursache eine "Verbrennung durch massive Hitzeeinwirkung" festgestellt werden können. "Fernerhin", schreibt Stasi-Oberst Pyka an seinen Chef Erich Mielke, "fanden sich sichere Zeichen für eine Verbrennung zu Lebzeiten."

Die Stasi sucht einen Mörder


Die Untersuchungen stützen die These vom Unglücksfall. Auch Röntgenuntersuchungen, schreibt Prokop, hätten keine Anhaltspunkte für "Einsprengungen von Fremdkörpern" ergeben, was "eine gewaltsame Todesart in Form von Sprengkörpern oder Geschossen ausschließt". Da die Skelette keinerlei Brüche aufwiesen, könne eine Explosion in großer Höhe ausgeschlossen werden. "Daraus ergibt sich als Unfallursache ein plötzlicher Absturz aus niedriger Höhe mit Brandfolge."

Während in der misstrauischen DDR-Bevölkerung immer neue Gerüchte über ein Attentat auf den beliebten Politiker die Runde machen, stellt die Stasi-Hauptabteilung IX die Ermittlungen in der "Leichensache L." (MfS) überraschend schnell ein. Die Theorie vom Unglücksfall, die Lamberz' Witwe Ingrid schon in der Todesnacht präsentiert bekam, gilt nun als amtlich. Die Libyer sind in ihrem Untersuchungsbericht zu dem Schluss gekommen, dass sich ein Rotorblatt gelöst hat und die Piloten dadurch die Kontrolle über die Maschine verloren.

Doch schon zwei Wochen später gerät diese Version ins Wanken, wie neu aufgetauchte Stasi-Dokumente jetzt belegen. Anlass ist eine Postkarte an das SED-Politbüro, die am 17. März in Halle in den Briefkasten geworfen worden war. Der Absender Mohammed Ben Yussuf, angeblich wohnhaft in der Leipziger Liebknecht-Straße 46, teilt darin mit, dass "die Verantwortung für den Abschuss des Hubschraubers die Organisation Black Eagle übernommen hat". Dabei handele es sich um eine Gruppe der Palästinensischen Befreiungsorganisation, die gegen Gaddafi kämpfe.


Organisation Schwarzer Adler


Sofort ordnet Erich Mielke republikweite Fahndungsmaßnahmen nach dem Absender an. Schnell stellte sich allerdings heraus, dass ein Ben Yussuf "unter der Adresse in Leipzig nicht wohnhaft ist". Auch die Jagd auf die ominöse "Organisation Schwarzer Adler" bringt keinen Erfolg. Bleibt nur die Postkarte, die nun durch Schriftsachverständige begutachtet wird. Von in der DDR lebenden Ausländern werden Schriftproben besorgt, und in den Bezirken Halle, Leipzig und Berlin beginnt eine flächendeckende Post-Überwachung. Ohne Ergebnis.

Schon drei Monate nach dem Absturz über der Wüste wird das komplette Material der "Leichensache L." ins Archiv gebracht. Die Gerüchte um den Tod des Honecker-Kronprinzen aber verstummten bis zum Ende der DDR nicht.

Im Februar 1990, als Lamberz' ehemaliger Leibwächter Rolf Heidemann das Material sichten will, sind Großteile der Akte verschwunden.

Donnerstag, 26. April 2018

Wandern auf der Rota Vicentina: Meer geht nicht


Im Südwesten führt ein 350 Kilometer langer Weg am Atlantik bis zum äußersten Ende Europas. Warum die malerische Rota Vicentina auch für unerfahrene Wanderer ein toller Tipp ist.

Es ging nicht mehr weiter, keinen Schritt. Die junge Frau hat sich in ihre Jacke gewickelt, den Rucksack unter den Kopf geschoben und sich am Wegesrand langgestreckt. Keine 50 Meter entfernt peitscht der Atlantik die Steilküste, weißer Schaum schwimmt auf den Wellen, über denen Störche kreisen. Kein Mensch ist zu sehen, nicht vorn und nicht hinten, kein Schiff, kein Boot und ein Auto sowieso nicht. Wer hier schläft, der findet seine Ruhe.

Und wer hier wandert, tut es auch. Die Rota Vicentina, die von Santiago do Cacém im Norden über 350 Kilometer bis zum Cabo de São Vicente am äußersten südlichen Zipfel Portugals führt, ist ein einsamer Pfad. Verglichen mit großen Pilger- und Wanderrouten wie dem Jakobsweg in Frankreich und Spanien oder der Annapurnarunde in Nepal ist die Strecke, die zumeist direkt am Atlantik entlangführt, nahezu unbekannt. Völlig zu Unrecht, denn abgesehen von hohen Bergen bietet die Rota alles, was ein Wanderer sich wünscht: Abwechslungsreiche Landschaft, wilde Natur, weite Aussichten, einsame Dörfer und idyllische Badebuchten.

Das „Schlandern“ entspannt


Die locken in der Vorsaison allerdings nicht wirklich zum Baden. Ein Nieselregen treibt vom offenen Meer herein, die Sonne versteckt sich kurz hinter einer Wattewolke. Gelb und orange leuchtet das Land hinter Almograve, wo die Rota als breite Wanderautobahn Richtung Zambujeira do Mar führt. Links Hügel, rechts steile Felsen, die zum Meer abfallen. Wer auf der Rota wandert und unterwegs nicht zelten will, der bucht Hotels auf der Strecke. Von dort aus lässt sich der Rota-Gänger dann von einem Taxi an den Start der jeweiligen Tagestour fahren oder aber am Ende der Etappe abholen und zum Hotel zurückbringen.

Genusswandern ist das, hier „Schlandern“ genannt, wie eine Mischung aus Schlendern und Wandern. Gepäck muss niemand tragen, ein kleiner Tagesrucksack für Wasserflasche, Müsliriegel und Regenjacke reicht. Dazu ein paar Karten über den Streckenverlauf, der von ein paar wenigen missverständlichen Stellen abgesehen, hervorragend markiert ist.


Die Erfinder der erst 2012 offiziell eröffneten Rota Vicentina haben die Tagesetappen auch für ungeübte Wanderer überschaubar gehalten. Die gesamte Strecke ist in Abschnitte eingeteilt, die nicht länger sind als 20 Kilometer. Da es abgesehen von Teilstrecken an der Steilküste, die sich kilometerlang über kleinere Anstiege und Abstiege erstrecken, nur Höhenunterschiede von höchstens 200 Metern zu überwinden gibt, ist das in jeweils fünf bis höchstens sieben Stunden Gehzeit gut zu schaffen.

Unterwegs geht es an zerklüfteten Klippen und Felsbögen vorbei. Winzige, menschenleere Küstenorte finden sich ab und zu am Wegesrand. Wegen der reichen Fauna und Flora ist die Costa Vicentina zum Naturschutzgebiet erklärt worden, sie heißt jetzt „Parque Natural do Sudoeste“.

Zu Recht: Über dem Steilufer von Cabo Sardao fliegen die Sturmstörche zu ihren Nestern, die wie von einer geheimen Kraft festgenagelt auf schmalen Felsspitzen selbst peitschenden Atlantikstürmen trotzen. Wie Fischadler segeln die Riesenvögel durch die Böen, um die Horste mit neuen Zweigen in Schuss zu bringen. Am Wegesrand des Trilho dos Pescadores - zu deutsch Fischerpfad - blühen Blumen in allen Farben. Der Weg mäandert durch Pinienwälder und weiße Dünen. Das einsame Haus dort oben soll einmal Amália Rodrigues gehört haben, der „Königin des Fado“, des klassischen Klagegesangs der Portugiesen, die es lieben, Liebe, Ungerechtigkeit und Alter in Liedern voller Herzblut und wilden Tonsprüngen zu besingen.

Die letzte Thüringer Bratwurst


Das Ende der Welt - an der Costa Vicentina ist es nie allzuweit weg. Dabei scheint alles hier zugleich unendlich: Der Weg, der Himmel, die bizarren Felsen, die drei Meter hohen Wellen, die Wände aus Schiefer, Sandstein und Granit, die spritzende Gischt und die Schaumflocken, die bis 30 Meter hoch fliegen. Weil sich an der Rota die afrikanische Platte unter die europäische schiebt, stehen ganze Küstenabschnitte schief. Sie wirken, als würden sie gleich umfallen - oder seien es schon. Es wäre genug Platz da. Die Rota Vicentina verläuft ja entlang des äußersten Westens Europas. Gegenüber, 5 700 Kilometer entfernt, hinter ein paar winzigen Azoren-Inseln, liegt Atlantic City im US-Bundesstaat New Jersey.

Nach Süden zu, immer den Weg lang, ist am Leuchtturm am Cabo de São Vicente Schluss. Ein Kiosk bietet Thüringer Bratwurst, die letzte vor Amerika, wie Wirt Wolfgang Bald wirbt. Ringsum ist Wasser. Meer geht nicht.

Dienstag, 24. April 2018

Digitalisierung Deutschland: Die Mauer ist zurück

Deutschland bleibt im Rennen um die Zukunft immer weiter zurück. Und immer mehr Bürger beschließen, nicht groß rumzujammern, sondern einfach abgehängt zu bleiben.


Nur noch ganz, ganz langsam wächst die Zahl der Internetnutzer in Deutschland. Nach den Ergebnissen der aktuellen Studie zum Digital-Index der Initiative D21 stieg der Anteil der sogenannten Onliner im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2016 mit zwei Prozent etwas stärker als in den Vorjahren. Doch zugleich verfestigt sich am unteren und älteren Rand der Gesellschaft eine Schicht aus Bürgerinnen und Bürgern, die erklärtermaßen beschlossen haben, ohne Internet zu leben.


Eine digitale Spaltung, an der auch das erneut von der Gruppe der über 50-Jährigen getragene Wachstum der letzten zwölf Monate nichts ändert. Etwa ein Fünftel aller Menschen, die im Lande leben, sieht bis heute keinen Sinn darin, sich einen Computer, ein Tablet oder auch nur ein Smartphone anzuschaffen.

 
Nur noch ein Prozent der derzeit 19 Prozent Totalverweigerer plant, ins Netz zu gehen. Die meisten Mitglieder dieser abgehängten Gruppe sind nach Angaben der Studienverfasser im Rentenalter, viele von ihnen verfügten nur über eine geringe Bildung. Alltagstechniken wie Online-Banking, Messaging-Apps oder digitale Fotografie seien ihnen unbekannt, sie fehlten ihnen allerdings auch nicht. "Für das eigene Leben sehen sie ohne das Internet daher auch keinen Nachteil."

 
Verglichen mit den führenden Online-Nationen bleibt Deutschland damit weiter zurück. In Südkorea etwa haben 94 Prozent der Einwohner mindestens ein Smartphone, auch Australien (93) und Kanada (90) liegen hier über oder bei 90 Prozent Nutzung. In Deutschland hingegen hat sich das Wachstum seit 2010 dauerhaft geschwächt: Dauerte es von 40 auf 50 Prozent Nutzung noch zwei Jahre, waren es von 50 auf 60 Prozent vier und von 70 auf 80 dann schon acht.

 
Insgesamt stehe hierzulande mit 16 Millionen Menschen "ein alarmierendes Viertel der Bevölkerung im digitalen Abseits", heißt es in der Studie. Alarmierend sei, dass Teilhabe an der Gesellschaft zunehmend an die digitale Welt gebunden sei. Menschen, die sich diese nicht erschließen könnten oder wollten, würden zunehmend "von gesellschaftlichen Entwicklungen ausgegrenzt". Aber auch viele Internetnutzer sind kaum in der Lage, mit Fachbegriffen aus der digitalen Welt umzugehen. "Cookies" und "Cloud" hatten mit 58 und 56 Prozent noch den größten Bekanntheitsgrad, "Bots" sagen nur 23 Prozent etwas, "E-Government" nur 19 Prozent. 

Samstag, 21. April 2018

Bell, Book & Candle: Auf einmal auf Deutsch


Zwei Jahrzehnte nach ihrem internationalen Riesenhit "Rescue me" sind Jana Groß, Andreas Birr und Hendrik Röder mit ganz neuen Tönen zurück. Die Band, die bisher immer englisch sang, hat plötzlich deutsche Texte.

Kommen, gesehen werden und ganz hochschießen an die Spitze, das passierte damals, als Andreas Birr und Hendrik Röder sich aufmachten, mit Sängerin Jana Groß in ihre zweite Karriere zu starten. Zu DDR-Zeiten waren Birr - schon hörbar Sohn von Puhdys-Chef Dieter "Maschine" Birr - und Röder, Sohn von Puhdys-Keyboarder Peter Meyer, als "Rosalili" erfolgreich gewesen. Doch der Ruhm hielt nicht über den Mauerfall, die Band löste sich auf.

Der Neustart gelang erst, als Hendrik Röders Freundin Jana Groß den Wunsch äußerte, ihr musikalisch beschlagener Lebensgefährte könne ihr doch mal eine Band zusammenstellen: Bell, Book & Candle. Zwei Jahre probten beide mit dem alten Rosalili-Kollegen Birr. Dann knallte "Rescue me" in die Hitparaden. Und für einen Moment sah es nicht nur für die Plattenfirma ganz so aus, als habe Deutschland wirklich eine neue Pop-Sensation mit internationalen Marktchancen.

Doch wer Jana Groß und ihre Kollegen damals erlebte, wie sie barfüßig, leicht angeschickert und bester Laune durch ein Bierzelt am Ostseestrand rockten, ahnte, dass die Ambitionen des Trios eher nicht auf die Rockarenen der Welt zielten. Verlässlich lieferte das Trio eingängige Pop-Songs auf der Höhe der Zeit. Doch ein Erfolg wie "Rescue me" gelang nie wieder.

Zusammen mit Ingo Politz, der alle Alben von Bell, Book & Candle produziert hat, haben die drei Berliner sich nun noch einmal neu erfunden. Jana Groß hatte früher schon deutsche Texte für die Band Eisblume geschrieben, die Politz ebenso wie die Kollegen von Silbermond produziert. Für das neue Album "Wie wir sind" lässt die Sängerin nun die verbalen Hüllen fallen: Erstmals verzichtet Groß, die alle BBC-Texte schreibt, auf die sichere Verkleidung und den Schutz der fremden Sprache, wenn sie über ihre Gefühle, ihr Leben und ihren Blick auf die Welt singt.

"Wie wir sind" ist eine Platte, die mit dem folklorisierten Pop-Rock der frühen Tage nichts mehr zu tun hat. Statt akustischer Gitarren gibt es hier elektronische Clubbeats, spitze E-Gitarrenriffs, U2-Bässe wie in "Woran glauben wir" und Melodien, in die sich sogar Helene-Fischer-Fans verlieben werden. "Alles ändert sich, alles ändert mich", singt Jana Groß, die nicht mehr an Dolores O'Riordan von den Cranberries erinnert, sondern eher an Stefanie Kloß von Silbermond oder Anna Loos von Silly. Erwachsen klingt sie, eine Frau, die viel erlebt hat und nun Zeit zum Zurückschauen findet. "Es gibt Menschen, die sind Lieder / und du bis ein Liebeslied / deine Worte sind Musik", reimt sie in "Liebeslied" und bei "Déjà-vu" klingt es fast, als sei das Rap, was sie da zu einem stampfenden Rhythmus vorträgt.

Die 49-Jährige, eine imponierende Sängerin sowieso, entpuppt sich hier als originelle Dichterin, die es schafft, klischeefrei über die ewigen Popmusik-Themen zu schreiben. "Wir waren ein Kartenhaus / das kriegt man wieder aufgebaut", heißt es in "Ich bin wie keine", einem Abschiedsschmerzstück, in dem die Betrogene sich "farblos" findet und den Verflossenen warnt, es sich noch einmal zu überlegen: "Sieh mich an / dann wirst du sehen, was ich meine / ich bin wie keine".

Zwei Jahre haben Groß, Röder und Birr an den dreizehn Songs geschraubt, die nun eine Art Neuerfindung ihrer Band nach fast einem Vierteljahrhundert sind. Damals, als alles losging, sei die Entscheidung für englische Texte eine ganz selbstverständliche gewesen, hat Jana Groß erklärt. Musik wie die von Bell, Book & Candle schien ihren Machern selbst unmöglich mit deutschsprachigen Texten.

Als sich dann Jahre später Gruppen wie Juli, Silbermond und Wir sind Helden auf Deutsch vorwagten, schien es dem Berliner Trio nicht angeraten, auf den Zug aufzuspringen. "Aber jetzt war es einfach an der Zeit zu gucken, ob uns was einfällt." Eine richtige Entscheidung, das glaubt Jana Groß jetzt schon. Nie zuvor seien so viele Menschen auf sie zugekommen und hätten sie auf ihre Texte angesprochen. "Die Leute sagen, ich hab das genau so erlebt, wie du das gerade gesungen hast", erzählt die BBC-Sängerin über ihre ersten Erfahrungen mit einem Publikum, das sie versteht. "Da haben wir danach schon gedacht, was wir haben die ganzen Jahre verpasst?

Es war Produzent Ingo Politz, der die drei, die ihre Band einst nach einem Hitchcock-Film benannten, sanft auf die neue Sprachspur schob. Dort sucht Jana Groß nun erfolgreich nach einer gereiften Version der Leichtigkeit des Anfangs, nach Texten ohne Tabus, und Liedern, die vom Leben erzählen, wie es ist: Mit Liebe, Lachen, Tod und Leiden, Kindern und Kerlen und der Hoffnung, dass es Grund zur Hoffnung gibt.

Samstag, 14. April 2018

Trekking in Nepal: An­dert­halbmal Everest

Es ist bloß ein Bus, ein ganz unspektakulärer Bus, der Trekker zum Start bringt, die es nicht in die beiden bekannten nepalesischen Wandergebiete am Everest und rund um die Annapurna zieht, sondern in das dritte, noch recht neue Gebiet am 7 246 Meter hohen Langtang Lirung. Allerdings: Die paar Kilometer bis zum Tourstart in Sundarijal sind kaum weniger abenteuerlich als der atemberaubende Anflug aufs Everest-Gebiet. Enge Straßen, steile Abgründe, wilder Verkehr.

Umso stiller wird die Welt am ersten Berg, einem auf Flachländer monströs wirkenden Zwerg, den nur die einheimischen Führer nehmen, als existiere er gar nicht. Hari und Hari heißen die beiden Sherpas der Trekking-Gruppe, Udaya Sharma ist der erfahrene, Deutsch sprechende Reiseleiter. Hari eins, der stets lächelnde Mann in der blauen Daunenweste, wird die kommenden zwei Wochen immer vorn laufen, eine nie schwitzende Wandermaschine, die immer wieder "Pistare, Pistare" mahnt. "Langsam, langsam" übersetzt Hari Bahadur Tamang, der in Kathmandu Rechnungswesen studiert und als zweiter Sherpa am Ende der Wandererschlange geht, damit niemand den Anschluss verliert.

Das ist in den ersten Stunden der auf zwölf Tage aufgeteilten 160-Kilometer-Tour (Etappenbeschreibung) durch das Helambu-Tal bis ins Langtang-Gebiet mit dem Fast-5 000er-Gipfel des Tsergo-Ri noch wichtig. Doch wer zum Trekking nach Nepal fliegt wie die topfitten Mittfünfziger-Freundinnen Ewa und Rosi oder der 74-jährige Weltreisende Herbert, der weiß, dass das hier kein Wettrennen wird, sondern ein Ausdauerlauf. "Stetig gehen", empfiehlt Udaya Sharma, der ebenso stetig für Trink- und Teepausen sorgt. Noch kraxelt der Trupp auf 2 000 Metern herum, doch bei einem geplanten Anstieg bis auf 4 600 Meter allein für die Passüberschreitung ist die Höhenkrankheit eine reale Gefahr, die nur durch penibel befolgte Verhaltensregeln eingedämmt werden kann. Langsame Akklimatisierung hilft. Langsames Gehen. Viel trinken. Und immer wieder aufsteigen, um kurz vorm Übernachten in tiefere Lagen zurückzutauchen.

Eine Plage ist der Regen, mit dem sich die Monsunzeit Anfang Oktober von Nepal verabschiedet. In den dichten, mit rotem Holz bewachsenen Wäldern des Shivapuri-Nationalparks ist es subtropisch warm. Hier leben Rote Panda, aber auch Blutegel, die auf heimtückische Überfälle spezialisiert sind. Je feuchter, desto emsiger sind die Tiere zugange. Trekker stehen vor der Wahl, die Regenhosen anzuziehen und von innen schweißnass zu werden. Oder sie im Hauptgepäck zu lassen, das von acht bestaunenswerten Trägern jeden Tag im Eiltempo ans Ziel gewuchtet wird. Dann wird man nass geregnet.

Doch jede Trekking-Tour durch Nepal bringt zuerst einmal den Abschied von allem, was in der westlichen Zivilisation wichtig scheint. Auf irgendeiner Höhe ist immer die letzte Dusche erreicht. Meist ist das Toastbrot den Lodge-Küchen da lange ausgegangen. Im Langtang aber, zwischen dem bedächtigen Trott die Hänge hinauf und herunter, geht es noch schneller: Am Tag drei stellt Wolfram, der sein Regenzeug daheim vergessen hat, plötzlich fest, dass man "eigentlich sowieso nur braucht, was man hat".

Und so ist es auch. Man geht weiter und immer weiter, nass oder trocken. Die Berge werden höher, die Luft bleibt feucht, die Stimmung ist fantastisch. Am dritten Abend etwa sitzt der gesamte durchweichte Verein um den rußenden Ofen im Hauptraum einer Lodge in Thare Pati. An jedem Nagel und jeder Leine hängen ein T-Shirt, eine Jacke, eine Hose. Hier drinnen muss es riechen wie in einem brennenden Stall. Aber alle trinken Ginger-Tee und "Everest"-Bier, kauen Dal Bhaat aus Linsen, Reis und Curry und lachen über die Witze, die Udaya Sharma reißt.

Wenn einer der Haris am Morgen erst einmal "Gemma, gemma" gesagt hat, was nicht Nepali ist, sondern Bayrisch, gibt es nur noch das Gehen, die Berge, den Weg und das Tagesziel. Das heißt heute Laurebina-Pass: 4 610 Meter hoch liegt der Übergang vom subtropisch geprägten Helambu-, ins eher alpine Langtang-Gebiet. Pistare weichen die Bäume, später die Sträucher, schließlich auch das Gras. Gebetsfahnen und Mani-Steine paradieren an der Strecke, dann kommt der Suriya-Peak in Sicht und die Wandergruppe liegt sich mit den Sherpas in den Armen, glücklich über den gemeinsamen Gipfelerfolg. In den Jubel hinein beginnt es aus einem aufklarenden Himmel sanft zu schneien. Das Panorama ist imponierend: Die Annapurna-Range ist zu sehen, dazu der Manaslu und die schneebedeckten Berge, die die Grenze zu Tibet bilden. Anschließend geht es gemächlich abwärts und auf 4 300 Metern Höhe warten die strahlend blauen Gosainkund-Seen, die Hindus wie Buddhisten heilig sind.

Von Laurebina Yak aus sind am nächsten Morgen die schneebedeckten weißen Riesen der Langtang-Himal-Range zu sehen. "Gemma, gemma, pistare, pistare!", rufen die Guides. Los, los! Die Wolken liegen wie ein Meer aus aufgeplusterter Watte im Tal vor der "Mount Rest"-Lodge. Eine deutsche Bäckerei bietet so etwas wie Apfelkuchen an - willkommene Abwechslung nach fünf Tagen mit Fladenbrot und Nudelsuppe.

Die Route, auf der im Unterschied zu den Trekkinggebieten am Everest noch kaum Reisegruppen unterwegs sind, schlängelt sich nun entlang des Langtang-Flusses langsam Richtung Osten in die Höhe. Dichter Dschungel, in dem der in Nepal nicht verbotene Hanf wild wächst, geht dabei allmählich in sonnenüberflutete Hochebenen über. Vormittags heißt es drei, vier Stunden gehen, unterbrochen von Pausen und stets pistare, pistare! Nachmittags noch einmal, gemma, gemma, den Blick auf die langsam näherrückenden Gletscher und Gipfel am Ende des Tales gerichtet. Bis zu tausend Höhenmeter täglich fordern selbst geübte Bergwanderer, aber der Körper gewöhnt sich an das Laufen ebenso wie an die dünnere Luft. Die Strecke lenkt ab: Yaks und Dzo-Mos, eine Kreuzung aus Yak und Rind, stehen zuweilen mitten auf dem Pfad, Träger mit schwerem Gepäck hasten in halsbrecherischem Tempo vorüber, an den Füßen nur ein paar Badelatschen.

Die Langtang-Region ist unverkennbar arm. In den paar Jahren, seit die Wanderroute durch das Land der Tamang-Völker und der nepalesischen Tibeter größere Aufmerksamkeit findet, haben Trekinggruppen die Ursprünglichkeit der Gegend noch völlig unberührt gelassen. Natürlich gibt es überall Cola, Bier und gelegentlich sogar Strom und Internet. Doch auf der Strecke zwischen den winzigen Örtchen ist die Natur pur und die Zivilisation ein fernes, mit jedem Tag weiter verblassendes Gerücht.

Die Tour bleibt sportlich bis hinauf nach Kyanjin Gompa, dem Ort, der mit dem Aufstieg auf den bis auf knapp 5 000 Meter aufragenden Tsergo Ri den höchsten Aufstieg des Trails bringt. Steil und staubig ist der Pfad hinauf, steinig der Weg. Aber dann stehen alle oben, eine gefühlte Handbreit nur von einem Himmel entfernt, dessen Blau blauer ist als alles, was man je gesehen hat. Die Gipfel ringsum sind noch ein bisschen höher, jaja. Aber am Ende der zweieinhalb Wochen werden für die Wanderer sagenhafte 12 000 Meter Steigung auf dem Höhenmesser stehen. Anderthalb Mal der Weg hinauf zum Gipfel der Welt. Darauf ein "Everest"-Bier, mindestens.


Nach dem großen Beben: Eure Spendengelder bei der Arbeit

Drei Strecken führen zu den Bergriesen im Himalaya-Gebirge:

Neben den Routen um Annapurna und im Everest-Gebiet ist die Tour durch das Helambu- und Langtang-Gebiet die dritte Strecke, auf der sich Wanderer den Bergriesen des Himalaya-Gebirges nähern können.

Reise: Bestes Wanderwetter herrscht von März bis Mai und von Oktober bis November.

Anreise: Flug bis Kathmandu, dann weiter mit dem Bus zum Startpunkt rund 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt in Sundarijal.

Fitness: Ausdauer für Tagesetappen mit bis zu tausend Höhenmetern ist nötig. Durch den langsamen Anstieg von 1 300 auf 4 900 Metern ist die Gefahr für eine Höhenkrankheit aber geringer als in anderen Wandergebieten.

Währung: Ein Euro entspricht etwa 130 nepalesischen Rupien. Ein großes Bier kostet im Berg 500 Rupien, eine Cola 250.

www.hauser-exkursionen.de