Samstag, 30. Juni 2018

Defa-Filmlegenden: Trompeterlied im Schweinsgalopp

Es beginnt, wie solche Filme immer beginnen. Nur ein bisschen schneller. Der Trompeter hat wohl Jagdwurst gefressen, würde der Hallenser sagen, denn am Anfang des Defa-Filmes „Das Lied vom Trompeter“ eilt das bekannte Trompeterlied im Schweinsgalopp vorüber.

Das ist dennoch der echte, der völlig unverfälschte Konrad-Petzold-Klassiker aus dem Jahr 1964: Im Garten hinter dem Volkspark steht Günther Simon als Ernst „Teddy“ Thälmann, und schickt seinem Freund Fritz Weineck mit bebender Stimme ein paar rührende Worte hinterher. Dann reißen sich alle die Mützen vom Kopf. Fred Delmare als Kleckchen. Jürgen Frohriep. Und Rolf Römer.

Die Trompete weint aus dem Off herein. Der größte hallesche Lokalmythos der Neuzeit, er war jahrzehntelang vergessen, obwohl nicht nur die Trompetergeschichte selbst, sondern auch ihre Übersetzung in Propaganda-Kunst ein ganz und gar hallesches Thema war. Otto Gotsche, Sohn eines Eisleber Bergmannes, Widerstandskämpfer, Künstler und später SED-Funktionär, schrieb die ebenso rührende wie klassenkampftaugliche Tragödie des jungen Fritz Weineck auf, der die Musik liebt, aber im Kugelhagel einer arbeiterfeindlichen Soldateska stirbt, weil er seine Klasse nicht verrät. Vor dem Mauerbau geschrieben, wurde das Buch drei Jahre später zum Drehbuch.

 Die Defa-Gruppe „Konkret“ drehte an den Originalschauplätzen, so dass die 81 Minuten zu einer Zeitreise in ein Halle werden, dessen Hinterhöfe, Straßen und Plätze, Backsteinmauern und Ladeninschriften die 20er Jahre auch in den 60ern noch gut nachzustellen wussten. Horst Jonischkan spielt den Fritz Weineck als Träumer, der durch Glaucha läuft oder am Saaleufer sitzt und Mundharmonika spielt. „Ich möchte so gern Musik machen“, sagt er und schaut verloren über den Fluss.Es wird anders kommen, denn die Zeiten sind so.

 In satten Schwarz-weiß-Tönen mit Hilfe des Totalvision-verfahrens sparsam auf 35-Millimeter-Film, dennoch aber im Kino-Breitbildforma gedreht, benutzt der spätere Indianerfilm-Spezialist Petzold die Biografie des Bürstenbinders, der im Roten Frontkämpferbund seine Klassenwurzeln entdeckt, als Leinwand, auf der ein Zeitpanorama nach SED-Lehre abläuft: Reiche tragen Pelze, horten Würste und sprechen mit keifender stimme. Arme teilen gern, reden nachdenklich und tragen ihr Schicksal mit kämpferischem Mut. „Die Brigade Halle schlägt Dich kurz und klein, Du Arbeiterschwein“, singt die Konterrevolution im Keller, während Fritz Weineck sich schon entschlossen hat. „Ich lenk´ sie auf mich, ihr nehmt die Gewehre“, sagt er.

 Diesmal kriegen sie ihn noch nicht, doch der Kampf geht weiter und am Ende ist Fritz tot. Die Szenen im Volkspark, der viel kleiner scheint als in Wirklichkeit, sind beeindruckend dicht komponiert, doch die Dramaturgie folgt keiner Logik, sondern den Erfordernissen des politischen Kampfes: Der Saalschutz der Arbeiter formiert sich vor Teddy, dem Führer und KPD-Präsidentschaftskandidat. Ein heute nur noch als „Leutnant Pietzger“ bekannter Schutzpolizist schießt dennoch, während Fritz warnend seine Trompete bläst. Frauen schreien. Die Kamera wackelt. Ein Geländer bricht. Panik. Tod. Fritz springt Helga Göring bei, die seine Mutter spielt. Von hinten naht ein Schupomann und schießt ihm in den Rücken.

Eine Legende ist geboren, die auf DVD weitergeht.  Der Agitprop-Film von einst ist der Kultfilm von heute.


Filme aus Halle: „Fritz Weineck“ Horst Jonischkan spielt auch in der Konrad-Wolf-Verfilmung „Der geteilte Himmel“ mit, die auf Basis des gleichnamigen Buches von Christa Wolf entstand, das die Autorin während ihrer Jahre in Halle geschrieben hatte. Deshalb wurde auch in Halle gedreht, unter anderen im Waggonbau Ammendorf. Wolf hatte zuvor schon „Professor Mamlock" in Halle gedreht, vor allem eine Villa zwischen Kirchtor und Neuwerk spielt in dem Film eine große Rolle.

Drehort für den 2005 vom New Yorker Museum of Modern Art in New York gefeierten Film „Das zweite Gleis“ war dagegen der Güterbahnhof in Halle, "Rabenvater" mit Uwe Kickisch entstand im Jahr 1986 dann hauptsächlich in Halle-Neustadt. Die unweit von Halle gelegenen Muschelkalkhänge von Köllme wiederum dienten beim Indianerfilm "Die Söhne der großen Bärin" als Kulisse, während "Das Fahrrad“ Heidemarie Schneider in der Rolle einer alleinerziehenden Mutter Anfang der 80er Jahre zeigt, die in Halles Altstadt mit DDR-typischen Problemen fertigwerden muss.


Donnerstag, 21. Juni 2018

Gundermann: Vernunft verlangt Verzicht


Rocksänger, Baggerfahrer, Samurai: Der Cottbusser Sänger und Dichter Gerhard Gundermann war in seinen besten Jahren nichts weniger als die Stimme Ostdeutschlands in der westdeutsch dominierten Rockmusik. Gundermann starb heute vor 20 Jahren, seine Lieder aber bleiben gültig. Ebenso dieses Interview, das fünf Jahre vor seinem Tod entstand.


Frage: Du hast ganze vier Jahre geschwiegen, ehe Deiner Debütplatte "Männer, Frauen und Maschinen" das Album "Einsame Spitze" folgte, den "Siebten Samurai" zu produzieren hat dagegen nur ein Jahr gedauert.

Gundermann: Auch vor "Einsame Spitze" hatte ich immer genug Material, eine Platte zu machen. Und gewollt habe ich auch, klar. Aber ich bin ja auch doof. Gleich nach der Wende bin ich zur Ariola gegangen und habe denen mein Zeug gegeben. Da denkste dann: Wenn ich jetzt bei denen war, darf ich erstmal mit keinem anderen reden, bis die ja oder nee gesagt haben. Die haben aber nicht mal nee gesagt bis heute. So nach einem Jahr habe ich das endlich mitbekommen und mich dann doch mal anderswo umgehört. Und so sind wir dann bei Buschfunk untergekommen.

Frage: Als einer der letzten deutschen Sänger läßt Du Dir die Bezeichnung "Liedermacher" gefallen...

Gundermann: Ja, ich weiß, vor einem Jahr oder so da stand immer in der Zeitung: Ha, Liedermacher sind jetzt out, weil man kann ja jetzt alles in die Zeitung schreiben. Aber ich habe mich ja nie als Zeitungsersatz verstanden, auch in der DDR nicht. Erstens habe ich immer Lieder gesungen, das hat die Zeitung auch damals nicht gemacht (lacht). Und zweitens, auch wenn damals Erich Honecker auf dem Thron saß und heute sitzt da Helmut Kohl - die meisten Dinge auf der Welt funktionieren doch unabhängig davon. Und über die denke ich eigentlich nach, über die mache ich auch Lieder. Nicht darüber, ob der Honecker nun vor Gericht gekommen ist oder was. Mich interessieren ganz andere Themen.

Frage: Und welche?

Gundermann: Menschen, Arbeit, Umwelt. Nimm mal die Arbeit. Da habe ich vor Jahren schonmal ein Programm drüber gemacht, jetzt mach' ich wieder eins, weil ich denke, daß ich einen neuen Erkenntnisstand dazu habe, daß ich zu Antworten gelangt bin, die auch andere interessieren könnten.

Frage: Die Antworten, die Du auf Umweltfragen gibst, haben aber viele Leute schwer verstört. Für Deine Forderung, eine "grüne Armee" zu gründen, hat sich Gundermann, der Pazifist, gar den Vorwurf eingehandelt, ein "Ökofaschist" zu sein. Meinst Du denn solche Vorschläge ernst?

Gundermann: Mit dem Vorwurf kann ich leben, weil ich sie ernst meine. Grüne Armee ist keine Poesie. Das Schlüsselerlebnis ist für mich ein Fernsehbericht so vor zehn Jahren gewesen. Damals hat der Bundesgrenzschutz in Italien bei der Beseitigung von Erdbebenschäden geholfen - und genau für solche harten Sachen brauchst Du harte Leute, die richtig kämpfen können. Bloß, daß der Feind nicht die Armee von nebenan, sondern was anderes, viel Schlimmeres ist. Guck Dich doch um: Die Welt geht kaputt. Meiner Meinung nach hilft da keine Kosmetik mehr. Wenn wir es noch schaffen wollen, die Kurve zu kriegen, brauchen wir Armeen gegen die Wüste, müssen wir schleunigst sämtliche Kapazitäten, die im Militär stecken, an diese entscheidende Front werfen. Dazu braucht es natürlich den entsprechenden politischen Willen.

Frage: Da der illusorisch ist, sagt das ja zugleich, daß wir es nicht schaffen werden.

Gundermann: Das weiß ich nicht genau. Früher, da habe ich die beiden großen Weltlager immer als zwei Kämpfende am Fuße eines Berges gesehen. Und vom Berg kommt so ein Riesenbrocken runtergerollt, genau auf die zu. Nun können sie sich entscheiden: Entweder, sie hauen sich weiter und werden überrollt, oder sie tun sich zusammen und versuchen das aufzuhalten. Es ist ganz anders gekommen.

Frage: Einer der beiden Kämpfer ist abgetreten.

Gundermann: Und das ist der Punkt. Niemand hätte doch vor fünf Jahren dran geglaubt, daß der Konflikt sich so auflöst. Deshalb ist es doch nicht so, daß ich an nichts mehr glaube. Nur: Ich halte jetzt alles für möglich - da hab` ich ja eine gewisse Schule durch, wie wir alle hier im Osten. Und deshalb denke ich auch, daß da noch gewisse Möglichkeiten sind. Die westliche Welt ist doch auch im Wandel, das ist doch alles tieferschüttert, das muß man doch sehen.

Frage: Du siehst einen Wandel zum Positiven?

Gundermann: Ich bin Anhänger der Theorie von der neunten Welle. Die sagt: jede Generation hat 30 Jahre Zeit, ihre Ideale und Vorstellungen zu verwirklichen, ehe alles anders kommt. Das kannst Du in den USA ziemlich genau nachvollziehen - alle 30 Jahre steigt da ein Demokrat auf den Präsidentensessel, alle 30 Jahre kommt ein Versuch der Erneuerung. Und wir hängen da irgendwie dran.

Frage: Eine Mechanik, ein Automatismus, Zufall oder Gottvertrauen?

Gundermann: Es gibt Zusammenhänge, die ich nicht durchschauen kann, die aber doch irgendwie funktionieren. Es ist ja objektiv so: Du kannst Gesetze machen wie Du willst, wenn die Leute zu Zehntausenden über die Oder schwimmen, dann kannst Du nur damit leben oder schießen. Und dann führen wir in hundert Jahren wieder Prozesse.

Frage: Wie sieht Deine Lösung aus?

Gundermann: Wenn das Wohlstandsgefälle auf 300 Kilometer Entfernung fünf menschliche Generationen ausmacht - von der Industriegesellschaft bis in den Feudalismus - dann werden die hier herkommen, wenn wir es nicht schaffen, unseren Wohlstand da rüber zu exportieren. In der Physik gibt es die einfache Regel vom Wasser, das in verbundenen Gefäßen immer gleich hoch ist. Da kannst Du Wasser sagen oder Wohlstand. Wir, also die DDR, waren der erste Schritt, dieses Gefälle auszugleichen.

Frage: Triffst Du beim Versuch, die ganze Welt so leben zu lassen, wie wir leben, aber nicht an andere Grenzen?

Gundermann: Natürlich. Deshalb ist das auch nicht möglich. Und weil nicht alle auf unser Wohlstandsniveau hochkommen können, werden wir wohl runtergehen müssen. So, daß es für alle reicht. Wir müssen abgeben, bis sich das alles auf eine Art Nullpunkt eingependelt hat. Lebensstandard wie in Polen meinetwegen, aber den für alle. Und das reicht auch zu - denn ein Pole ist ja ein Fürst gegen andere, noch Ärmere.

Frage: Wie soll sich soviel Vernunft und Verzicht durchsetzen?

Gundermann: Durch Katastrophen. Das geht nur durch Katastrophen. Wenn sich die Klimaveränderungen, die wir ja längst haben, erst auf die Nahrungsmittelversorgung auswirken, dann werden die Leute wach. Der Druck der Ereignisse wird uns keine andere Wahl als die Vernunft lassen. Ich hoffe nur, daß der Druck der Ereignisse groß genug ist, damit wir reagieren, aber nicht so groß, daß wir nicht mehr reagieren können. In diese geschichtliche Sekunde müssen wir springen, unsere Konzepte vorholen und Lösungen anbieten. Wichtig ist, daß wir dann auch welche haben!

Frage: Dein Wendetrauma?

Gundermann: Wenn Du so willst. Wir haben damals immer dran gesägt, gesägt, gesägt - aber nie gedacht, daß das Ding, also der Staat, wirklich mal umkippt. Ich hab' zum Beispiel nie für die Schublade gearbeitet. Ich habe immer nur gemacht, was machbar war. Das war falsch. Als dann die Wende kam und die alten Herren gingen, als plötzlich alles möglich war, stand ich mit leeren Händen da. Weil ich blöde war. Passiert mir beim nächsten Mal in dreißig Jahren nicht wieder. Ich arbeite jetzt vor, damit ich was zu sagen habe, wenn ich dann gefragt werde.

Frage: Was macht eigentlich Dein anderes Ich, der Baggerfahrer Gundermann?

Gundermann: Der macht ABM. Unseren ganzen Betrieb haben sie dichtgemacht und zu so `ner Sanierungsfirma umgeschmiedet. Wir reparieren jetzt das, was wir früher kaputtgemacht haben.

Samstag, 16. Juni 2018

Alter Schlachthof Halle: Aufgerissene Eingeweide



Ganz zuletzt floß nur noch Kunstblut, einen Abend lang. Die Kapelle Gwar war zu Gast im Alten Schlachthof von Halle, einem aus Backsteinen gemauerten Stück Geschichte der einstigen Industriemetropole an der Saale. Seitdem verrottet und zerfällt das mäandernde Gelände direkt an den Gleisanlagen der Bundesbahn in aller Ruhe.

Nur gelegentlich kommen Grafittimaler und Verfassungsfeinde, um sich im Hinterhof zu sonnen und verbotene Parolen an die Fliesenwände zu krakeln. Autodiebe haben hier, wo früher Tiere zu Tausenden den Weg allen Fleisches gingen, um die unersättliche Stadt zu füttern, ihre überzählige Beute abgestellt. Zuhälter parken nicht mehr benötigte Wonnewagen. Aus dem Mauerwerk aber dringt kein Blut aus, nirgends, es ist totenstill, keine verlorene Kuhseele und kein Geist eines gemeuchelten Schweins spukt durch den Hallen.

"Vendetta" hat jemand mit augenfälliger Rechtschreibschwäche auf einen Wohnanhänger geschmiert, nebenan lagern arbeitsscheue Zeitungszusteller seit Jahren günstig die Blätter, die sie eigentlich austragen sollen. Vor drei Jahren brannte der Schlachthof zum ersten Mal, seitdem haben die feuer nie wieder richtig aufgehört, obwohl der Besitzer einmal wechselte und dann gleich noch einmal und frühere Pläne vom Aufbau einer neuen Art von Nachbarschaft angesichts dessen, was die neuen Investoren hier schaffen wollen, sehr bescheiden wirken.

Allein, es tut sich nichts. Das Areal am Güterbahnhof mit weitläufigen Markthallen, Wasserturm und Verwaltungsgebäude steht leer und verfällt, Handel, Künstleratelier, Wohnungen, bisher ist alles Schall und Rauch und bröcklige Wände. Das Projekt, wenn es wird, soll groß werden, riesig, die Krönung eines neuen Boomviertels, als das das Rathaus die nebenstehende Siedlung schon vor langer Zeit ausgerufen hat.