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Freitag, 19. Januar 2018

Janis Joplin wird 75: Gottes Reibeisen

Am Tag vor ihrem Tod sang sie noch schnell das Lied ein, das das auch fast ein halbes Jahrhundert später jeder sofort im Ohr hat, der ihren Namen hört. „Oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz?“m, raspelte Janis Joplin ganz ohne instrumentale Begleitung, „my friends all drive Porsches, I must make amends“. Ein musikalischer Moment für die Unendlichkeit, keine zwei Minuten lang. 24 Stunden später war Janis Lyn Joplin, als Tochter eines Ölarbeiters im texanischen Port Arthur geboren, tot und das Popgeschäft um eines seiner größten Talente ärmer.

Debüt in der Entziehungsklinik


Janis Joplin war erst ganze vier Jahre dabei, wirklich professionell zu singen. Als Teenager hatte sie lieber gezeichnet, war von ihrer Mutter Dorothy, die einst selbst hatte Sängerin werden wollen, aber immer wieder motiviert worden, weiterzumachen. Mit 15 stand Janis zum ersten Mal auf der Bühne, fast ein wenig zynisch scheint mit Blick auf ihre spätere Laufbahn die Wahl des Auftrittsortes - einer Anstalt zur Reintegration von Alkohol- und Drogensüchtigen. Das Mädchen mit dem zupackenden Wesen, das den gängigen Schönheitsidealen der ätherischen Fee so gar nicht entsprechen wollte, ging nach dem Highschool-Abschluss nach Kalifornien, in die Stadt der Blumenkinder.

Hier in San Francisco schlug sie sich an der Seite Jorma Kaukonen, dem späteren Gitarrist von Jefferson Airplane, al Kneipensängerin durch, ohne großen Erfolg zu haben. Janis Joplin flüchtete nach Louisiana, wo sie kellnerte, und daheim in Texas nahm sie Anlauf, doch noch einen Collegeabschluss zu erwerben.

Gerade im rechten Moment aber meldete sich Chet Helms, ein früher Strippenzieher im Hippie-Universum. Dessen Band Big Brother and the Holding Company suchte eine Sängerin - der Beginn von Joplins Weltkarriere.

In den folgenden 36 Monaten veröffentlichte Janis Joplin drei Alben mit drei Bands, sie trat beim Monterey-Festival und in Woodstock auf, machte eine Europa-Tournee und flüchtete mittenfrin für eine Zeit nach Nepal. Ein Leben auf der Überholspur, gegossen in Songs wie „Piece of My Heart“ oder „Ball and Chain“, die Janis Joplin mit ihrer unverwechselbaren Stimme auf eine Weise interpretierte, dass das Struppige, Unkommerzielle ihres rüden Bluesrock ihrem Erfolg nicht im Wege stand, sondern ihn erst begründete.

Tragödie mit Drogen


Für die Künstlerin, gerade erst Mitte der 20, eine Tragödie. Ungeschützt einer Öffentlichkeit ausgesetzt, berauscht sich Janis Joplin an allem, was greifbar ist. Sie nimmt Heroin, raucht Marihuana und trinkt exzessiv. Auf der Bühne geht ihr zuweilen jede Kontrolle verloren - so wird sie wegen obszöner Sprache auf der Bühne zu einer Geldstrafe verurteilt und in einem anderen Prozess , angestrengt wegen der Beleidigung eines Polizisten, rettet sie nur das weite amerikanische Verständnis von Redefreiheit vor einer Verurteilung.

Nach dem gescheiterten Ausflug nach Nepal soll Südamerika helfen, Schluss zu machen mit den Drogen. Doch vorher muss noch das neue Album eingespielt werden, wieder mit einer neuen Band, die nun nicht mehr „Kozmic Blue“, sondern „Full Tilt Boogie“ hieß. Einen Monat lang dauerten die Aufnahmen im Sunset Sound Studios in Los Angeles, Janis Joplin wohnte derweil im nur fünf Minuten entfernten Landmark-Motel.

Am Tag, nachdem sie „Mercedes Benz“ eingesungen hatte, erschien Joplin nicht im Studio. Nach offiziellen Angaben starb Janis Joplin am 4. Oktober 1970 an einer Überdosis Heroin. Als ihr Manager John Cooke sie holen wollte, fand er Joplin tot in ihrem Zimmer. Beim Titel „Buried Alive in the Blues“ auf dem posthum veröffentlichten Album „Pearl“ fehlt der Gesang. Janis Joplin hätte das Stück erst am 5. Oktober 1970 einsingen sollen.

Freitag, 2. Dezember 2016

Conny Ochs: Ein Reisender in Sachen großes Gefühl



Mit seiner Band Baby Universal ist der Hallenser Cornelius Ochs seit mehr als einem Jahrzehnt eine der wichtigsten, bekanntesten und erfolgreichsten Figuren der Rockmusik in der Region. Zuletzt legte die Lieblingsband von Kult-Regisseur Quentin Tarantino mit "Slow Shelter" ein Meisterwerk vor, das den Mix aus Brit-Pop und Hard-Rock um Folkelemente erweiterte. Seitdem hält sich die Band bedeckt, Ochs selbst tourt hingegen europaweit mit seinem neuen Solo-Album "Future Fables".

Zwölf Songs hat der Hallenser mit der unverwechselbaren Stimme im Kabumm-Studio in Golzow eingespielt, alle zwölf orientieren sich mehr an seinen gemeinsamen akustischen Alben mit der US-Doom-Legende Scott "Wino" Weinrich (St. Vitus) als am treibenden elektrischen Sound seiner Band.

Lieder mit Herz, Lieder mit Seele sind das, vom Auftakt mit dem auf zwei Gitarren hereinschleichenden "Hole" bis zum Finale mit der dunklen Klavierballade "Make some room". Conny Ochs singt flehentlich, er flüstert, zeigt aber bei "Killer" auch, dass er Nirvana ebensogut kann.

Fantastische Songkunst, der Sachsen-Anhalt, der Osten und ganz Deutschland spätestens seit den gemeinsamen Tourneen mit Scott Weinreich zu klein geworden ist. Seine zwischen Mark Lanegan, Lou Reed und Nick Drake pendelnde Musik, mit dem Debüt "Raw Love Songs" entworfen, mit "Black Happy" vervollkommnet und mit "Future Fables" nun für erste vollendet, wird überall verstanden.

Wie ein moderner Troubadour zieht Ochs durch Europa, um die Welt, er spielt in Quedlinburg und Venedig, in der Schweiz und Tschechien. Und erstmals seit Jahren trat er jetzt auch wieder in seiner Heimatstadt auf, in der kleinen Kneipe "Fliese", die der frühere Baby-Schlagzeiger Carsten Rottweiler betreibt, sang Ochs Lieder aus dem neuen Album, aus seinen früheren Werken und auch einige Stücke von den Babys. Schlecht beleuchtet, gut aufgelegt und am Ende völlig erschöpft. Ein Heimspiel, locker gewonnen.

Direkt zum Künstler:
www.connyochs.com

Samstag, 20. August 2016

Das letzte Konzert des Rio Reiser: Ein König dankt ab

Rio Reiser im Jahr 1990 in der Schorre in Halle. Damals waren die Hallen noch ausverkauft.

Er weiß es an diesem Tag im Mai 1996 noch nicht, aber der Mann, der sich Rio Reiser nennt, wird heute sein letztes richtiges Konzert spielen. Einmal noch all die Lieder, wobei er seine größten Hits weglässt. Einmal noch alles geben, auch wenn die Halle längst nicht mehr ausverkauft ist. Ein paar Tage später wird er ein Konzert nicht mehr zu Ende spielen können. Alle anderen sagt er ab. Drei Monate später wird Reiser tot sein. Aber das Konzert war gut, und zwar so gut:


Erstmal zieht er immer die Schuhe aus. Kann kommen, was will – Rio Reiser setzt sich, schlüpft aus den Slippern und zerrt die blauen Frotteesocken von den Füßen. Ein Ritual. Ralf Möbius, wie Rio eigentlich heißt, tritt barfuß auf, egal, ob Mitte der 70er im Hinterhof eines besetzten Hauses, Mitte der 80er in der ausverkauften Seelenbinderhalle in Berlin oder Mitte der 90er in der kaum halb gefüllten Schorre in Halle. Danach geht er zum Mikro und singt: "Alles was ich sagen kann / ist schon längst gesagt".

Sechs lange Jahre hat Rio nicht mehr auf der Bühne gestanden. "Irgendwie keine Lust" habe er gehabt, und außerdem jede Menge anderes zu tun. Rio Reiser, der als Sänger der Anarcho-Polit-Combo Ton Steine Scherben ein Kapitel deutscher Rockgeschichte schrieb, komponierte die Musik zu einem Theaterstück, er spielte die Hauptrolle in einem "Tatort", machte ein Musical, verfaßte ein Buch und produzierte daheim auf seinem Bauernhof im verträumten Fresenhagen Platten von Freunden wie Lutz Kerschowski, der ihn jetzt als Gitarrist begleitet. Die Welt draußen hat ihn darüber ein bißchen vergessen, den einstigen "König von Deutschland". Vorbei die Zeiten, als ihn tausende Fans für Hits wie "Blinder Passagier" feierten, als ihn die versammelte deutsche Rockprominenz zum besten Texter kürte und Alt-68er, Popfans und Punks ihn gleichermaßen liebten. Heute ziehen die Jungen zu Green Day oder den Boyzone, die Mittleren treffen sich bei den Toten Hosen und die 68er pilgern zu Pur.

Reiser allerdings stört das nicht im mindesten. Die geschwollenen Augenlider fest zugekniffen, die Hände um die Gitarre geklammert, steht er da und singt. Für sein Comeback hat sich der 46jährige immerhin etwas ganz besonderes ausgedacht. Im Vorprogramm bietet er Deutschlands einzigen Minnesänger Nikolai von Treskow auf, im Abspann läßt er die Berliner Klamauk-Kapelle Knorkator lärmen.

Nichts paßt zusammen, und das ist beabsichtigt. Rio Reiser, immer für Überraschungen gut, tut weiterhin alles, Erwartungen nicht zu befriedigen. Jahrelang riefen sie in Konzerten nach alten Scherben-Stücken wie "Macht kaputt was Euch kaputt macht", aber Rio war das bald "zu blöd". Heute schreien sie nach seinen eigenen Hits -und er spielt sie nicht. Kein "König von Deutschland", kein "Alles Lüge", kein "Geld". Einer wie Reiser macht es sich selber schwer, bleibt so weitgehend unfaßbar für die Pop-Industrie und also integer immerdar.

Reiser hat gekokst und gespritzt, er qualmt wie ein Schlot und stürzt Alkoholika hinunter, als gäbe es kein Morgen mehr. Aber allen Verlockungen, den Pop-Clown zu machen und einmal im Leben richtig Geld zu verdienen, hat er widerstanden. "Ich will ich sein / anders will ich nicht sein", singt er, und das großartige "Laß" uns ein Wunder sein", bei dem seine nach den Griffen tastenden Finger den Kampf mit den Saiten aufgeben. Reisers neue Lieder, letztes Jahr erschienen auf einer Platte namens "Himmel & Hölle", sind zarter, zornloser, zurückgenommener denn je.

Der Mann, der einst jugendliches Revoluzzertum und Unangepaßtheit personifizierte, ist jenseits der 40 zum stillen Beobachter der Zeitläufte geworden. Rio rockt nicht mehr, er singt, als balanciere er barfuß über Glasscherben, und wenn er schon mal aufschaut zur staunenden Menge, dann zielt sein Blick weit über die Köpfe ins Dunkel, wo er "Licht, Liebe und Hoffnung" (Rio) sieht. "Wann, wenn nicht jetzt?, wo, wenn nicht hier, wie, wenn ohne Liebe, wer, wenn nicht wir?", fragt er tapfer, obwohl er die Antworten kennt. Und als einzige Zugabe gibt es das Liebeslied "Junimond": "Es ist vorbei, bye, Junimond, es ist vorbei".


Dienstag, 11. August 2015

Sky White Tiger: Mantras in Tennissocken



Louis Schwadron nennt sich Sky White Tiger und trägt auf der Bühne immer weiß, abgesehen von schwarzen Tennissocken, wie er bei der Songwriternacht am halleschen Peißnitzhaus zeigte. Auch sonst ist der Multiinstrumentalist, der früher mit den Chor-Rockern von The Polyphonic Spree unterwegs war, ein lupenreiner Sonderling, der aus Einflüssen von Genesis bis Radiohead eine verstiegene Musik macht, der die ganze Welt als Last auf den Schultern zu liegen scheint.

"Cars fly, Televisions are Telephone Screens and Remote Controls Rule the School", klagt er ach über die neuen Zeiten, denen das aktuelle Album "Child of Fire" gewidmet ist. Ein Großwerk wie "Tommy" von The Who, nur mehr Marillion als Hardrock und mehr Abhandlung über Leviationstheorie als Flipperkönig-Bio. Musik, die eigentlich nach großen Hallen, großen Bühnen und millionenteurer Lichtshow schreit. Sky White Tiger schaffen es, sie auch im kleinen Rahmen groß klingen zu lassen.

Doch Schwadron kann auch noch anders, wie er in "It flows" zeigt, einem halbakustischen Stück, das an die Red Hot Chili Peppers erinnert. Das Motiv aus deren Hits "Under the Bridge" wird hier nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich belehnt. "Found myself alone / can’t recall why I call this home / surely there’s a shadow on the rise", heißt es, ehe der Song am Ende zum Mantra wird: "When you find your road it goes, it grows".


Samstag, 30. August 2014

Laternenfest: Halle singt im Regen

Am letzten Wochenende im August ist in Halle Laternenfest - und es regnet. Das hat Tradition, ebenso wie das Aufgebot an zahlreichen Künstlern, die zahlreiche Bühnen bespielen. Auf ein stimmiges Programm wird dabei weniger Wert gelegt, auch Interessenskonflikte sind immer eingeplant: So muss Falkenberg am Freitag parallel zu den wiederauferstandenen Karussell spielen.

Der Hallenser überzeugt mit einer umformierten Band, die alte und neue Hits in einem schwer nach Neil Young klingenden Sound interpretiert. Nach Flakenbergs Hinweis, dass es in Halle nie regne,  regnet es prompt, aber nur ganz kurz. Danach singt Halle sein "Wetter"-Lied, ehe eine susi-sonnenscheinartige Moderatorin den Auftritt beendet, indem sie ein paar Flaschen Bier hereinträgt. Halle, stilecht. Weitergesungen wird bei Karussell, die von Bandgründer Wolf-Rüdiger Raschkes Sohn Joe wiederbelebt worden sind.

Reinhard "Oschek" Huth singt immer noch wie zu Zeiten von "Das einzige Leben", neben alten Hymnen wie "Ehrlich will ich bleiben" gibt es neue Stücke, die eher nach Blues-Rap als nach Ostrock klingen. Höhepunkt: Joe Raschke lässt das Publikum "Als ich fortging" singen. Ein Mann vor der Bühne, der aussieht wie Frank-Walter Steinmeier, zückt sein Smartphone und filmt die Ansage, in der Raschke fordert, das Volk solle seine Stimme erheben.

Anschließend dann verläuft sich das Publikum, weil der als Hauptact aufgebotene Tommie Harris mit seinen routiniert abgespulten Bluesstandards - vorgetragen mit offensiv geschwungenem Schnupftuch - nur ein Häuflein hartgesottener Soul-Fans begeistert.

Die tanzen immerhin stoisch, während sich die am Auftakttakt nie sehr gefüllte Wiese langsam leert.

Dienstag, 5. März 2013

Falkenberg feiert, Halle singt


Zweieinhalb Stunden voller Emotionen, zweieinhalb Stunden voll alter Hits und neuer Hymnen - der Alt-Neu-Hallenser Ralf Schmidt, als IC Falkenberg einer der großen Popstars der DDR, hat zum Auftakt zur Fortsetzung seiner "Freiheit"-Tour ein triumphales Konzert im ausverkauften halleschen Objekt 5 abgeliefert. Am Anfang steht natürlich die Halle-Hymne, die der 51-Jährige nach seiner Rückkehr aus Berlin geschrieben hatte. "Die Stadt, die keiner kennt" porträtiert die Saalestadt aus der Innensicht: Bärbeißig scheinen Hallenser Fremden manchmal, dabei, so heißt es im Lied, werde hier nur das Lächeln nicht verschenkt.

 Heute Abend aber wohl. Von ersten Stück bis zur letzten Zugabe geht der Saal begeistert mit, andächtig lauschen die Fans Falkenbergs kleinen Episoden und Erzählungen, hingebungsvoll singen sie mit, wenn er wie beim globalisierungskritischen "Wetter"-Lied dazu einlädt. Es geht um den großen Begriff Freiheit, und die findet Falkenberg an der Seite seiner halleschen Musiker Scotty Gottwald (git), James Dietze (bg) und Friedrich Hentze (dr) musikalisch. Rockiger als noch im letzten Jahr spielt das Quartett neue Songs wie "Die Leute reden" und "Wo alle sind", Gottwald veredelt das epische "Vor den Kathedralen" mit einem gänsehautfiebrigen Solo und Falkenberg selbst wechselt immer mal wieder von der Akustikgitarre zum Piano und zurück.

 Der Zorn auf die Leute, die er als Verantwortliche hinter den aktuellen Krisen sieht, ist Falkenberg in jedem Moment anzumerken. Voller Energie wirft er sich in seine Lieder, immer aber drehen deren Texte die einfache Realität eine Windung weiter. "Auf den Wiesen der Kindheit" findet der Mann, der als Junge in der Südstraße aufwuchs, die Freiheit, die heute so schwer zu haben ist, weil sie daraus besteht, nein sagen zu können.

 Aber nicht zu müssen. Als das Publikum irgendwann im nicht enden wollenden Zugabenteil den "Mann im Mond" fordert, ein Stück, das mittlerweile ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat, hat die Band das zwar nicht geprobt. Gespielt wird es dennoch unter großem Jubel - einer der Höhepunkte eines höchst emotionalen Abends, der nach dem letzten Ton von der Bühne noch lange nicht endet.

Montag, 6. Februar 2012

Lieder wie ein Hurrikan


Wer die Augen schließt, würde wohl wetten, dass da vorn auf der Bühne der Mann aus Kanada steht, der seit 45 Jahren Rockgeschichte schreibt. Die Gitarre klingt genauso. Der Gesang ist gleich. Und wer an diesem Samstagabend ganz hinten steht im ausverkauften Objekt 5 in der Seebener Straße, für den sieht der Sänger auf der kleinen Bühne sogar aus wie der echte Neil Young: Eine Armeejacke trägt er, rote Jeans und lauter Klimperketten um den Hals.

Doch der da „Ohio“ und „Hey, hey, My, my“ singt als sei ein Rockgott in die Provinz herabgestiegen, ist natürlich nicht wirklich Neil Young. Auch wenn er so klingt. Auch wenn er so Gitarre spielt. Und so aussieht. Tino Standhaft stammt aus Leipzig, gründete dort 1978 seine erste Band und war später mit Größen wie Pankow-Sänger André Herzberg unterwegs. Seit einiger Zeit hat sich der Sachse des Erbes des großen Kanadiers angenommen: Kein schales Nummernprogramm, bei dem Oldies zu Tode geritten werden, sondern eine respektvolle Annäherung an das berühmte Original, das den fünf Musikern auf der Bühne jede Menge Platz lässt, ihre eigenen Stärken auszuspielen.

Die Basis bilden natürlich die großen Hits des 66-jährigen Songschreibers, der mit Folkmusik begann und später zum Urvater der wilden, wütenden Grungemusik wurde. Standhaft hat sie alle drauf, die Klassiker. Er spielt „Tonights the night“, das ganz ohne Instrumente beginnt, aber auch „Powderfinger“, eine Rocknummer, die das Publikum im brechend vollen Saal mit dem ersten Akkord feiert.

Begleitet von einer tollen Band um den Gitarristen Norbert Daßler bringt Standhaft bekannte Stücke wie das zornige „Alabama“, das seine Kollegen von der Band Lynyrd Skynyrd zu ihrem Welthit „Sweet Home Alabama“ inspirierte. Aber auch unbekanntere Song wie „Slowpoke“ und „The Loner“. Viele Worte macht er nicht, er lässt die Musik für sich sprechen, zuletzt orkanisch mit einer ausufernden Version der Überhymne „Like a hurricane“. Wie dem Original liegen die Fans auch der genialen Kopie zu Füßen. Drei Zugaben erklatschen sie. Dann tut Standhaft, was Young seit 40 Jahren nicht mehr gemacht hat: Er hilft abbauen.

"Harvest Moon" live im Objekt
Standhafts Homepage

Hier zum Vergleich das Original

Sonntag, 16. Oktober 2011

Heimspiel vor vollem Haus

Zum Schluss landen sie bei den großen Hits. "This is not a Lovesong" singt das prallvolle Steintor gemeinsam mit Baby-Universal-Sänger Cornelius Ochs. Und "Boys & Girls" singen sie auch - das erste vor langer Zeit mal eine Chartnummer-1 einer englischen Band. Das zweite seinerzeit die erste Single der halleschen Nummer-1-Band Baby Universal.

Das sie das sind, bewiesen Sänger Ochs, Gitarrist Hannes Scheffler, Bassmann Tobias Lehmann und Drummer Carsten Rothweiler beim Release-Konzert zum neuen Live-Album, das genau so heißt: "Live". Mit "A Ghost is in the House" startet der Abend gespenstisch, Cornelius Ochs zelebriert das Stück blutrot beleuchtet mit großen Gesten. Dann "Holy Ground", eine augenzwinkernde Verbeugung vor dem ehrwürdigen Variete, und schon wippt und stampft die Masse vor der Bühne.

Ganz offensichtlich ein Heimspiel, das die vier Babys hier feiern. Liedtexte werden laut mitgesungen, Songs schon nach den ersten paar Akkorden bejubelt, Crowdsurfer wagen den Sprung vom Bühnenrand und lassen sich auf den ausgestreckten Armen der Fans über die Köpfe tragen.

Die Euphorie stoppt erst, als die Band zum akustischen Teil Platz nimmt. Jetzt verstärkt von der Sängerin Kiki Bohemia, einer singenden Säge und dem Cellisten Sickerman wirft sich Cornelius Ochs in die großen Doors-Posen. Die Hände gehen flehend zum Himmel, die Stimme mauzt und jauchzt. Dann kommt auch noch Christian "Sorje" Sorge auf die Bühne, um dem jetzt gefragten Stonerrock-Teil ein bisschen Stones-Erdigkeit einzuimpfen.

Ochs ist nun Bowie, Micheal Hutchence und, mit der auf dem Rücken schlenkernden Akustik-Gitarre, Woody Guthrie in einer Person. Zwei Stunden lang spielen sie, jagen von Höhepunkt zu Höhepunkt. Der Bass bollert, die Gitarren glühen, der Mann im weißen Brokathemdchen schlägt die Augen zu, breitet die Arme aus und lässt sich und seine Band für einen fantastischen Konzertabend bejubeln.

Sonntag, 2. Oktober 2011

Grönemeyer kann doch tanzen

Dem Stachel auf der Spur

Das war damals reiner Zufall. Michael Hesse, Krankenpfleger-Azubi aus dem kleinen Örtchen Lengenfeld, stand im Leipziger Konzert seines Idols Sting und als der einen Fan suchte, der mit ihm zusammen "I'm So Happy, I Can't Stop Crying" singen wollte, reckte er seinen Arm ganz hoch in die Luft. Dann ging alles ganz schnell. Ein paar Stufen hoch, und schon stand der Amateurmusiker aus Mitteldeutschland vor Gordon Matthew Sumner und 7000 Zuschauern in der riesigen Leipziger Messehalle, die natürlich glaubten, der angebliche Sänger aus dem Publikum sei irgendein hochbezahlter Spezialeffekt der Show.

"Nice to meet you, Meikel", sagte der Weltstar zum kleinen Amateurmusiker , der schon als Kind auf jedem Familienfest gesungen hatte. Nein, kein Lampenfieber. „Ich wusste, dass ich das singen kann“, sagt Hesse, der damals mit seiner Band schon Auftritte im Vorprogramm von Karussell und City absolviert hatte. Sting sagte noch höflich "gütten Abend, wir wollen zusammen singen", und erläuterte knapp: „your part is in the middle." Kurzer Test und großes Staunen beim Superstar: Sting, solo und mit seiner Band The Police einer der stilprägenden Künstler der letzten 30 Jahre, zog anerkennend die Augenbrauen hoch. „What's that?“, dachte er wohl – denn sein Duettpartner klang haargenau wie er selbst. "A brillant voice" lobt der Meister den Schüler aus Mitteldeutschland - für die Verhältnisse eines britischen Pop-Aristokraten ein geradezu euphorischer Gefühlsausbruch.

Sowas passiert auch einer welterfahrenen Rocklegende nicht alle Tage, weshalb Sting seinen Auftritt in Leipzig bis heute in guter Erinnerung behalten haben dürfte. Einmal war er seitdem noch in Mitteldeutschland, um das kurzzeitige Comeback von The Police zu feiern. Jetzt aber kommt er wieder, diesmal mit sinfonischer Verstärkung und seinen größten Hits im Gepäck. Bei “Every Breath You Take”, “Roxanne”, “Englishman In New York” und “Desert Rose” wird Sting vom Philharmonischen Orchester und einem Quartett bestehend aus Stings langjährigem Gitarristen Dominic Miller, Multi-Percussionist Rhani Krija, Bassist Ira Coleman und Vokalist Jo Lawry begleitet.




Eigentlich ein Pflichttermin für Michael Hesse, doch den hat es inzwischen dorthin verschlagen, wo Sting herkommt. Mittelengland statt Mitteldeutschland, heißt es für ihn. "Meine Frau schreibt in Leicester ihre Doktorarbeit in Human-Genetik, ich arbeite als Krankenpfleger." Seine musikalische Karriere, nach dem gemeinsamen Auftritt mit Sting mit den Bands "Room Four" und Digital Pimp fortgesetzt, verfolgt Michael Hesse aber trotz der Doppelbelastung durch seine Arbeit und ein Studium als Texter und Konzeptionierer auch im Mutterland des Rock. „Mit der Gruppe Replica spiele ich mindestens einem Pub-Gig pro Woche und mehreren Wedding-Gigs im Monat“, erzählt er. Obwohl er musikalisch mittlerweile in einer anderen Richtung unterwegs sei und seine großen Helden heute eher Eddie Vedder oder Foo Fighters heißen, stehe Sting als Musiker immer noch hoch in seinem Ansehen. „Er ist und bleibt einer der talentiertesten Musiker unserer Zeit.“ Ihn noch einmal zu treffen, wäre ein Traum, sagt er. Aber leider wird Michael Hesse das Konzert des 59-Jährigen in Leipzig (23. Juni, Arena) knapp verpassen: Erst im Herbst kehrt der mitteldeutsche Sting nach Leipzig zurück. „Ich hoffe natürlich, dass ich nach dem Umzug dort bei einer guten Band einsteigen kann.“ Dürfte nicht schwer werden – die richtigen Referenzen bringt Hesse ja allemal mit zurück nach Hause.

Vocmaster UK
Vocmaster
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