Mittwoch, 29. August 2012

Untertassen über Oberhof

Die Herren vom CIA-Außenposten in Athen schauten genau hin an diesem 9. Juli 1952, als die griechische Zeitung "Kathimerini" die Landung von Ufos in der DDR öffentlich machte. Unter der Report-Nummer 00-W-23682 kabelte der Geheimdienst sofort nach Washington: Der aus der sowjetischen Besatzungszone geflüchtete Ex-Bürgermeister des kleinen Örtchens Gleimershausen 50 Kilometer vor Oberhof sei gemeinsam mit seiner Tochter Augenzeuge gewesen, wie ein Flugobjekt unbekannter Herkunft in einem Wald landete.
 Es ist der erste Augenzeuge, der von Vorgängen hinter dem Eisernen Vorhang berichtet, die an die Beobachtungen erinnern, die Amerika seit Jahren im Bann halten. Ausgelöst hatte das Ufo-Fieber der Hobbypilot Kenneth Arnold fünf Jahre zuvor mit einem aufsehenerregenden Bericht von einer angeblichen Begegnung mit untertassenförmigen Flugobjekten in der Nähe des Mount Rainier bei Seattle. Der samt seiner zwölfköpfigen Familie aus Ostdeutschland geflohene Oskar Linke ist der Kenneth Arnold der DDR. Er weiß erstaunliche Einzelheiten zu berichten, wie das jetzt von der CIA veröffentlichte Protokoll aus dem Jahre 1952 belegt.

Während die Medien in der DDR die "fliegenden Untertassen" zum Problem der imperialistischen Länder erklären, notiert die CIA genau, was der 48-Jährige erzählt. Nach einer Reifenpanne mitten im Wald habe seine Tochter Gabriella erst eine Bewegung bemerkt. Beim Näherkommen erkannte er selbst dann zwei Männer in glänzenden Metallanzügen. "Ich war nur zehn Meter entfernt", versichert Linke, "und ich sah dann ein großes Objekt mit einem Durchmesser von etwa 15 Metern, das geformt war wie eine Bratpfanne."

Das Fluggerät habe Reihen von Löchern von 30 Zentimetern Größe besessen, auf der Oberseite habe sich "ein schwarzer und ungefähr drei Meter hoher Turm" befunden. Ein Ufo wie aus dem Bilderbuch, und nach Recherchen der US-Geheimdienste das erste, das die Arbeiter- und Bauernrepublik beehrte. Zwar war der Geheimdienst der US Air Force schon 1948 durch einen norwegischen Besucher der Leipziger Messe über Ufo-Flüge in der Nähe von Leipzig informiert worden. Doch die Ufos konnten schnell als Modelle des von Arthur Sack für Hitler entworfenen Nurflügler-Modells AS-6 identifiziert werden, die Anfang der 40er Jahre auf dem Flugplatz Brandis-Waldpolenz getestet worden waren. Linkes Bericht dagegen wird auch von der elfjährigen Tochter Gabrielle bestätigt. 1,20 Meter groß seien die silbernen Männer gewesen, sie hätten glasartige Helme und bläulich blinkende Lichter getragen.

 "Als sich einer plötzlich in unsere Richtung drehte, entfuhr meiner Tochter ein unterdrückter Seufzer", erinnert sich Oskar Linke. Die Fremden seien daraufhin schnell zu ihrem Fahrzeug gelaufen. "Der viereckige Turm verschwand langsam in dem Aufbau", schildert der Zeuge. Das Fluggerät habe sich anschließend vom Boden erhoben und wie ein Kreisel zu rotieren begonnen. "Es stieg 30 Meter hoch und schoss davon." Oskar Linke, nicht nur ein Mensch mit Fantasie, sondern auch ein mutiger Mann, untersucht den Vorfall näher. "Ich ging zu der Stelle und fand eine Bodenvertiefung, die ganz frisch war."

Mehr ist nicht geblieben. Linke und seine Tochter scheinen die Außerirdischen schwer erschreckt zu haben: Weder ergeben Nachforschungen der CIA Hinweise auf weitere Landungen in der DDR, noch finden sich weitere Augenzeugen. Die Welt ist irgendwie zweigeteilt in diesen Tagen. Während aus Schweden, Belgien, Westdeutschland und Brasilien beinahe täglich Berichte über neue Ufo-Sichtungen eingehen, überfliegen die Außerirdischen den Osten nicht einmal. Die CIA ist alarmiert. In einem Memo, das im CIA-Archiv nachgelesen werden kann, wird die USA-Regierung auf die doppelte Gefahr aus dem All hingewiesen.

Einerseits könnten Berichte über Ufos, nehme man sie ernst, die Bevölkerung verunsichern. Andererseits müsse man alle Berichte ernst nehmen, denn wenn Ufos real seien, drohten möglicherweise wirklich Angriffe aus dem Weltall. Eine Zwickmühle, aus der die DDR durch sture Nichtbeachtung entkommt. Erst neun Jahre nach Oskar Linkes Erlebnis kümmert sich die Staatssicherheit das erste Mal um einen Fall von Alien-Entführung. Der damals 18-jährige Norbert Haase wird nach eigenen Angaben zuerst beim Schlittschuhlaufen auf einem See bei Stendal von einem "großen, grellen Licht" erschreckt. Dass die Lichtquelle fünf Meter über den Bäumen schwebt, sieht er gerade noch. Dann wird er besinnungslos.

Als Haase erwacht, liegt er etwa 150 Meter entfernt, er hat starke Kopfschmerzen und seine Armbanduhr zeigt immer noch 18.40 Uhr, obwohl es Mitternacht geworden ist. Die Stasi vernimmt das außerirdische Entführungsopfer mehrmals, kommt aber zu keinem Ergebnis. Öffentlich berichtet wird nicht, dennoch steigt die Zahl der Sichtungen über dem Territorium der DDR nun ständig weiter an. 1976 sind drei Ufos zu Gast, 1983 schon vier. Mit der Mauer fällt auch das letzte Hindernis: 1990, im letzten Jahr der DDR, werden 25 Ufos über Ostdeutschland gesichtet. Habe ich geschrieben. Frei-Denker hats geklaut

Das beste Jahr


12 Uhr. Es ist ein gutes Jahr bis dahin, dieses 1979. Im Oktober steht der HFC Chemie auf Tabellenplatz 3. Es wächst Großes im Kurt-Wabbel-Stadion, in das die Leute strömen wie schon lange nicht mehr. 12.30 Uhr Die Fans aus Halle-Neustadt kommen zu Fuß. Es geht vorbei an dem Punkthochhaus, in dem HFC-Spieler Jürgen Schliebe wohnt. Wie stets steht Hausmeister Werner Lohs auf dem Balkon und ätzt sein "na, geht ihr wieder verlieren" herunter.. Unterwegs wird der Zug länger, Flaschen und Spekulationen machen die Runde. Es geht heute gegen Erzfeind Magdeburg. Wieviel Polizei wird da sein? Im Stadion läuft der Vergleich der Nachwuchs-Teams. Auf dem Schwarzmarkt vor dem Stadion wird mit Programmen und Westzeitungen gehandelt.

 13 Uhr. Willkommen auf dem Ersatzschlachtfeld! Stadien wie das Wabbel sind in den 70ern exterritoriales Gebiet. Hier darf gerufen werden, was sonst nicht einmal gedacht werden soll. "Bullen raus", schallt es eine aus der Fankurve, die die Gegengerade ist. Im Block regieren Typen wie Hörle, ein Schläger, eigentlich aber nett. Zwar nehmen sich ältere wie er gern ungefragt eine Zigarette von Jüngeren. Aber im Ernstfall sind sie auch die, die das Schlachtfeld erst verlassen, wenn der letzte rot-weiße Schal zurückerobert ist.

 13.30 Uhr Heute ist Magdeburg ist schwach vertreten unter den 25.000 im Stadion. Schiedsrichter Prokop, dem der Ruf eines Betrügers vorauseilt, pfeift an. "Wir wollen den Heimvorteil nutzen", hat HFC-Trainer Kohl vorher angekündigt. Zwar dominiert der FCM die erste Viertelstunde. Doch nach zwei ausgelassenen Torchancen schlägt der HFC zurück.

 13.45 Uhr. Holger Krostitz bereitet das erste Tor vor, Werner Peter erzielt es. Nun dreht der Gastgeber richtig auf,. Die Fangerade singt den "Chemiewalzer", bei dem die Schals über den Köpfen tanzen. Magdeburg ist müde, Halle steigert sich in einen Rausch.

 14.15 Uhr Der macht die 2. Halbzeit zur vielleicht besten, die jemals eine HFC-Elf gespielt hat. Nach zehn Minuten fällt Pastor im Strafraum. Foul.. Krostitz trifft zum 2:0. Zehn Minuten später macht der „Blitz aus Hohenmölsen“ auch das 3:0. Und nochmal zehn Minuten danach schießt er das 4:0. Magdeburg ist k.o., tot und begraben. Gipfel der Demütigung: Der kleine Peter trifft zum 5:0. Mit dem Kopf.

 14.50 Uhr Achim Streich macht das 5:1, aber das macht nichts, Halle feiert. Die meisten Magdeburger schon abgefahren. Die Schlägereien auf dem Weg zum Bahnhof, den der HFC-Anhang nach jedem Heimspiel absolviert, fallen aus. Alle wissen, sie haben Geschichte. Selbst Hausmeister Lohs, der immer noch auf dem Balkon wartet, hetzt nur leise, "na, doch mal gewonnen".

Abpfiff. In den Wochen danach schlägt der HFC den Hauptstadtklub BFC mit 3:1 und den Angstgegner Jena mit 1.0. Das Ende beginnt dann mit einer Niederlage gegen Dresden. Nun stürzt Chemie noch auf Platz 7. Die Zahl von 237.000 Zuschauern, die in der Saison nach dem 5:1 gegen den FCM ins Kurt-Wabbel-Stadion kamen, hat der Club in den 30 Jahren seitdem nie wieder erreicht.  

Montag, 14. Mai 2012

Lieber ein Verlierer sein

Fußball-Fusion in Halle: Der Kopf sagt ja, die Herzen bluten: Die Fans des HFC mögen nicht über ihren Schatten springen

Vor ein paar Wochen erst haben sie mal wieder den Kürzeren gezogen. Wie eigentlich immer in den letzten Jahren. Bei einem einigermaßen unwichtigen Hallenturnier war das, und es sah ausnahmsweise gar nicht so schlecht aus für die Mannschaft des Halleschen FC. Gegen den Stadtrivalen VfL 96 endlich mal nicht verloren, dazu ein Sieg und eine unglückliche Niederlage. Anschließend hätte es gereicht, wenn die Konkurrenz vom VfL ihr letztes Spiel nur ja recht hoch gewinnt. Beide halleschen Klubs wären ins Halbfinale eingezogen.

 Doch die Seele der HFC-Fans rechnet nicht wie ein Liga-Statistiker. Jede andere Mannschaft hätten die 500, 600 Rot-Weißen auf den Rängen vorwärtsgepeitscht, um die eigene Truppe im Turnier zu halten. Jede andere. Aber nicht den VfL, den der Anhang des Halleschen FC in Anspielung auf dessen "Stadion am Zoo" nur abfällig die "Affen" nennt. Die? Nie! Stattdessen haben sie ein neues Lied gesungen, alle Mann. "Lieber ein Verlierer sein, als ein dummes Affenschwein", ging das. Der VfL gewann nicht. Der HFC schied aus. Und der rot-weiße Block feierte seine Spieler danach wie die neuen Weltmeister.

Michael Schädlich mag das vergessen haben. Doch am Donnerstag in der knackvollen HFC-Kneipe "Bischoff" muss es dem HFC-Vizepräsidenten wieder eingefallen sein. Vier Tage nach der Mitteilung der Präsidien, dass beide Vereine eine Fusion anstreben (die MZ berichtete), war Schädlich gekommen, für den Plan "zu werben, zu kämpfen und Verständnis zu wecken". Eine Mission Impossible.

Zuviel ist geschehen in den langen, dürren Jahren seit dem Abstieg des HFC aus der 2. Bundesliga, dem der Absturz in die fünfte Liga folgte. Und Muckel und Korni, Hans, Micha, Rainer und die anderen haben keine Sekunde vergessen. Nicht die Tage, als alle Spieler fortliefen; Präsidenten vor dem himmelhohen Schuldenberg türmten und Bürgermeister im Angesicht der Katastrophe unparteiisch die Achseln zuckten. Nicht die Saison, als die HFC-Notelf aus 18-jährigen Nachwuchsspielern ganze drei Punkte holte. Und nicht die Tatsache, dass der Überlebenskampf begleitet war von den Ankündigungen des bis dato unterklassigen VfL 96, den größeren Stadtkonkurrenten in die Bedeutungslosigkeit befördern zu wollen. "Wir sind die neue Nummer eins", tönte VfL-Präsident Wilfried Klose triumphierend.

Jedes Wort traf Anhänger wie Jens Schumann, Jürgen Böhm oder Marco Hein mitten ins Herz. Die Wunden bluten noch. Im schwarzen Rolli steht Schädlich vor ihnen, von Zigarettenqualm umgeben wie von Pulverdampf, und führt Vernunftgründe an. "Keine Basis" gebe es für eine weitere sportliche Entwicklung. Das habe man in den letzten Monaten sowohl beim VfL als auch beim HFC feststellen müssen. "Für uns sind keine neuen Finanzquellen mehr erschließbar, und auch der VfL sieht für sich allein keine Perspektiven."

 Hier fehle das Geld, dort das Umfeld. Gehe man jedoch zusammen, "verschwindet der VfL von der Landkarte und Herr Klose bringt die Sponsoren mit zu uns." Eine einfache Lösung. Schädlich, seit 1976 in Halle und Vater eines Sohnes, der in der HFC-A-Jugend spielt, schiebt die Hand in die Tasche. "Wir reden nicht über eine Verschmelzung", sagt er, "hier geht es um einen Anschluss des VfL an den HFC." Wenn sie das doch nur glauben könnten, die Jungs mit den Schals, auf denen "HFC forever" und "Affen in den Zoo" steht.

Aber da ist der Preis, den die beiden Präsidien ausgehandelt haben als Prämie für den Übertritt des VfL. Und der lässt sie Verrat wittern und Unterwanderung durch den Feind, der allein Identität stiftete, als rundum alles in Scherben fiel. Ausgerechnet "Hallescher Fußballklub von 1896" soll der neue Verein heißen. "Dass das der Gründungsname der Affen ist, wissen Sie so gut wie wir", empört sich Rainer Hempel. Sind sie dafür all die Jahre nach Völpke und Borna gefahren? Haben sie dafür gelitten und sich demütigen lassen in Braunsbedra und Wolfen? "Ausgerechnet jetzt, wo wir auf dem Weg nach oben sind und der VfL auseinander bricht, sollen wir mit denen zusammengehen?"

Nein, Jens Schumann begreift es nicht: "Noch ein halbes Jahr, dann sind die sowieso tot." Über kurz oder lang werde jeder Sponsor überlegen, ob er sein Geld nicht lieber zum HFC tragen wolle. Schädlich würde sich wohl wünschen, dass es so wäre. "Auch mein Gefühl sagt nein", ruft er, "ich will diese Scheiß-96 nicht im Namen haben." Nur Klose und seine Drähte brauche man, und die seien nun mal nicht zu haben ohne die beiden Ziffern. "Doch diese Zahl ist das Einzige, was wir aufgeben."

Alle übrigen Punkte auf der Verhandlungsliste sprächen eine deutliche Sprache: "Da wird es eine klare HFC-Dominanz geben", verspricht auch Schädlichs Präsidiumskollege Bodo Sommer. Nur will ihm das kaum einer hier abnehmen. "Was wird mit Leuten, die über Jahre die Knochen hingehalten haben?", will Muckel wissen. Wird aus der unglücklichen Geliebten, die schon in der DDR-Oberliga mehr stolperte als siegte und nach der Wende tiefer stürzte als jeder andere Ost-Klub, ein Retortenverein, in dem nur noch gesichtslose Legionäre spielen wie heute schon bei Kloses VfL?

 Es schüttelt sie bei dem Gedanken, die lauten Kerle, über deren Bierbäuchen die HFC-Dresse spannen. Fan sein hier unten in Liga vier funktioniert anders als bei der Fußball-Operette im Bundesliga-Theater. Da ist Kumpelei zwischen Kurve und Kabine. HFC-Torwart Maik Völkner ist ein Typ zum Anfassen. Abwehrmann Marcel Geidel, den sie liebevoll "Marcello" nennen, kühlt seinen Hitzkopf in denselben Kneipen wie die Fans. Und wenn Nico Steffen auf Rechtsaußen nicht richtig läuft, fordert Trainer Reinhard Häfner schon mal die Hilfe der Fans an. Die rufen dann "Geh, Nico!" Bis er geht.

Fast könnte man glauben, Oberliga sei kein Geschäft. Ist sie aber doch, weiß Bodo Sommer, der die HFC-Finanzen managt. "So wie jetzt können wir auch weitermachen, aber auf niedrigerem Niveau", stellt er klar. Man müsse begreifen, dass auch der HFC dem Leistungsprinzip unterliege, sekundiert Nachwuchskoordinator Harald Kühr: "Wir leben nun mal im kapitalistischen System." So ist das. "Und ohne Fusion krepeln wir doch ewig weiter rum", fürchtet Heinz Marquardt, der vor 50 Jahren sein erstes HFC-Spiel gesehen hat. "Dann fahren wir eben wieder auf die Dörfer", schreit es von hinten, "immer noch besser, als sich an die Affen zu verkaufen!" Michael Schädlich schaut ratlos zu Bodo Sommer. Harald Kühr verstummt. "Lieber ein Verlierer sein", fangen sie zu singen an.