Dienstag, 13. August 2013

Paddeln auf der Drawa

Viel schöner geht es nicht. Das Flüsschen liegt flüsternd im Sonnenlicht, die Kanus sind pünktlich, das Schilf wiegt sich in einem Hauch von Wind. Nicht zu heiß und nicht zu kalt, also ab ins Abenteuer, rauf auf die Drawa, im Gegensatz zur Krutynia, die ein paar hundert Kilometer östlich durch die Masuren fließt, ein ebenso nahe liegendes wie vielen Deutschen noch unbekanntes polnisches Paddelgewässer. Nur rund 90 Kilometer hinter der Grenze liegt der zumeist schmale Fluss, der an der Pommerschen Seenplatte entspringt, 186 Kilometer nach Süden fließt und dann bei Krzyz Wielkopolski in die Netze mündet. Papst Johannes Paul II. war ein großer Liebhaber des Wassersportgebietes - als junger Mann unternahm Karol Wojtyla mehrere ausgedehnte Touren, an die heute überall Hinweisschilder und Kreuze erinnern. In flotter Strömung Das eigentlich Sehenswerte auf der Drawa aber ist die Natur. Wird das Landschaftsbild hinter der Brücke von Prostynia, die viele Paddelgruppen zum Einsetzen nutzen, noch von weiten Schilfflächen bestimmt, verengt sich der Horizont später immer mehr. Es wird waldiger, grüner und feuchter. Dank der flotten Strömung, die der auf deutsch Drage genannte Wasserlauf seinem sportlichen Gefälle verdankt, treiben die Boote fast wie von selbst flussabwärts. In Schweiß gerät niemand, dennoch geht es flott voran. Zumindest bis nach Drawno, ehemals Dramburg, das am Großen Lübbesee dem Zugang zum Drawienski-Nationalpark liegt. Der schützt den letzten großen Urwald Mitteleuropas - und wie. Was bis hierhin Urlaubspaddeln war, nicht schwerer als am Strand zu liegen, wird hinter dem Eingangstor, das eine alte Brückenkonstruktion markiert, binnen Minuten zu Schwerstarbeit. Denn die Drawa will nicht befahren werden, schon gar nicht mit schweren Dreier-Kanus. Die Behauptung des Reiseführers, "immer wieder" lägen "einige Bäume im Wasser", stellt sich binnen kürzester Zeit als leeres Versprechen heraus. Richtig muss es natürlich heißen "immer liegen Bäume nicht nur im Wasser, sondern auch im Weg". So schnell wie möglich gilt es deshalb herauszufinden, wie das jeweilige Hindernis zu überwinden sein könnte. Manchmal geht es gerade noch unten drunter durch. Manchmal gelingt es, mit Anlauf oben darüber hinweg zu rutschen. Oft aber hilft alles nichts: Die nun zeitweise beinahe an einen Wildwasserkanal erinnernde Strömung drückt das Boot so energisch gegen einen querliegenden Stamm, dass Besatzung samt Ladung im Wasser landen. Jeder Meter ist ein Kampf Was für ein Spaß. Und es gibt kein Zurück. Die Drawa fließt in den Grenzen des Nationalparkes zumeist durch ein tiefeingeschnittenes Tal, selbst das Herausheben und Umtragen der Boote ist unmöglich. Allerdings wäre die Frage, wo am besten wieder einzusetzen ist, ohnehin nicht zu beantworten. Weil im Nationalparkgebiet jeder Baum liegenbleibt, wo er hinfällt, sieht der Paddler gelegentlich den Fluss vor lauter Bäumen nicht. Jeder Meter ist ein Kampf, zu Fuß im Fluss watend, auf Bäumen balancierend oder flach im Boot unter natürlichen Sperren durchtreibend. Karol Wojtyla wusste schon, warum er dem Oberlauf der Drawa bei seinen Touren den Vorzug gab. Denn wer Abenteuer sucht, findet hier am Unterlauf mehr davon, als er einpacken kann. Sieben Kilometer dauern fünf Stunden und kosten viel Hängen und Würgen und nasse Klamotten. Dann endlich taucht die Anlegestelle des idyllischen Biwakplatzes Barnimie auf. Erst ab Bogdanka wird der Weg einfacher, die Drawa liegt flüsternd im Sonnenlicht, als sei sie der netteste Fluss der Welt. Im Wald verstecken sich nun Teile des Pommernwalls, mit dem Hitler einst die Sowjetarmee aufhalten wollte. Hin und wieder gibt es auch wieder Einkaufsgelegenheiten am Wasser. Höchste Zeit, die fortgeschwommenen Vorräte aufzufrischen.

Donnerstag, 8. August 2013

Von Sommermythen und Hitzemärchen

Glaube versetzt bekanntlich Berge, aber im Hochsommer ist er seit einigen tausend Jahren sogar noch zu viel mehr in der Lage. Glaube versetzt ganze Sternenhaufen, gestaltet das All nach dem eigenen Maß und verändert den Lauf der Welten! Nur darum bezeichnen Deutsche, Italiener und Russen die heißesten Tage des Jahres - nach allen meteorologischen Erfahrungen zwischen dem 23. Juli und 23. August gelegen - traditionell als "Hundstage". Sie beziehen sich damit auf das Sternbild Großer Hund, dessen zentraler Stern der Sirius ist. Stehen der leuchtende Sirius, früher auch "Der Sengende" genannt, und der Rest der Hundeversammlung am Himmel, ist nämlich Hochsommer. So zumindest ein fester Volksglaube, der allerdings faktisch schon ein paar hundert Jahre lang nicht mehr zu halten ist. Denn seit der Antike, in der die Hundstage erfunden wurden, haben sich Erde und das lateinisch "Canis Major" genannte Hunde-Sternbild doch ein wenig auseinandergelebt. Statt am 23. Juli gehen Sirius und Co. heute erst am 30. August auf - wenn die einst nach ihnen benannten Hundstage längst vorüber sind und mit ihnen auch die Urlaubszeit. Gut, dass unsere Vorväter wenigstens das vorhergesehen haben. In Russland waren sie nicht ganz so schlau. Dort heißen die Sommerferien bis heute nach dem Großen Hund "Kanikuly". Der erscheint dann, sobald sie vorbei sind. Was man trinken soll - und was nicht
Warum es keine Hitzerekorde mehr gibt
Warum der Kopf auch nicht anders schwitzt
Warum Trockengewitter ein Mythos sind
Warum Eier nicht auf Straßen braten
Warum Urlauber am Strand niemals allein sein können Warum Butter nicht gegen Sonnenbrand hilft Warum die Hundstage immer zu spät kommen Warum Autofahren bei Hitze viel sicherer ist

Mittwoch, 26. Juni 2013

Generation Gummistiefel: Wie geht es nun weiter?

Juliane Gringer hat einen schönen Text dazu geschrieben, den ich auf diesem Weg mal nachreiche: Sandsäcke schleppen, für Verpflegung sorgen oder Menschen unterstützen, die durch das Hochwasser ihr Zuhause vorübergehend verloren haben: Tausende freiwillige Helfer sind in den vergangenen Tagen spontan aktiv geworden, um die Schäden durch die Flut in Sachsen-Anhalt einzudämmen. Unter ihnen waren auffällig viele junge Leute.

Braucht es erst so eine Katastrophe, damit diese "Generation Gummistiefel" Engagement zeigt und sich selbstlos für ihre Mitmenschen einsetzt? Und wie geht es nach der Flut weiter? Sind diese Helfer jetzt "auf den Geschmack gekommen" und wollen vielleicht regelmäßig aktiv werden? "Wenn um mich herum die Stadt unter Wasser steht, kann ich ja nicht einfach nur zugucken", erklärt Linda Löbig. Aus diesem Grund hat die 24-Jährige vergangene Woche in Halle und Bitterfeld-Wolfen Sandsäcke befüllt, geschleppt und gestapelt. Mehrere Tage und eine ganze Nacht lang. Sie hat ganz kurzfristig mit angepackt - als sei das selbstverständlich.

"Für mich war es das auch", sagt sie. Linda hatte vorher so gut wie keine Erfahrung mit ehrenamtlicher Arbeit, sie ist in keinem Verein Mitglied oder bei anderen Organisationen engagiert. "Das wäre nichts für mich, da extra Mitglied zu werden. Ich helfe lieber dann, wenn irgendwo konkret Unterstützung gebraucht wird", so die Lehramtsstudentin, die die Fächer Sozialkunde und Geschichte belegt. So hat sie beispielsweise vor kurzem eine Freundin unterstützt, die ein Konzert organisiert hat. Für Christopher Stimpel von der Freiwilligenagentur Halle ist sie damit eine ganz typische Vertreterin ihrer Generation: "Jugendliche haben eine hohe Bereitschaft sich zu engagieren - aber nicht in klassischen Formen wie bei Vereinen", erklärt er.

Wissenschaftliche Untersuchungen wie der Freiwilligensurvey oder die Shell-Studie bestätigen das. Muss es dann aber trotzdem erst eine Flutkatastrophe geben, damit sie aktiv werden? "Nein, auf keinen Fall", so Stimpel, "Jugendliche sind bereits sehr aktiv - in vielen kleinen Initiativen, die aber nicht so intensiv wahrgenommen werden. Die Bilder dieses Hochwassereinsatzes aber, die sieht die Öffentlichkeit ganz bewusst. Es brauchte also vielleicht so ein großes Ereignis, um das Engagement sichtbar zu machen." Aber warum war es gerade dieses Hochwasser, das so viele Helfer so schnell mobilisierte? Marc Beyer, Bereichsleiter Berufliche Qualifizierung der halleschen Jugendwerkstatt "Frohe Zukunft", glaubt: "Durch viele verschiedene Nuancen haben die Leute gemerkt, dass hier wirklich etwas Schlimmes passiert ist: Da fährt der Bus nicht mehr, zu Hause im Fernsehen sieht man schlimme Bilder aus der eigenen Stadt und es herrscht so eine gespenstische Stille in den Straßen." An diesem Punkt hätten sie beschlossen, einfach loszugehen - und sich dann völlig verausgabt. Als Linda gesehen hat, wie viele Leute nur rumstanden und den Helfern zuguckten, statt selbst aktiv zu werden, da hat sie gedacht: "So will ich nicht sein."

Das war für sie die Initialzündung. "Jetzt bin ich stolz darauf, dass ich sagen kann, ich habe etwas getan." Der Einsatz sei sehr anstrengend gewesen, aber: "Ich powere mich gern mal aus. Und die Stimmung war einfach richtig cool. Ich habe in kurzer Zeit so viele Leute kennen gelernt, das war ganz locker, man hat zusammen gearbeitet und sich dabei unterhalten." Motiviert sie dieses Erlebnis zum Weitermachen, wird sie versuchen, sich in Zukunft anderswo zu engagieren? "Ja, auf jeden Fall, aber wie bisher eher spontan und nicht in offiziellem Rahmen." Jetzt müsse sie aber "erst mal runterkommen.

Es gab die ganzen letzten Tage ja kein anderes Thema mehr." Marc Beyer ist überzeugt, dass das Hochwasser nicht nur die Stadt, sondern auch ihre Bewohner verändert hat: "Diese Helfer sind vor sich selber erschrocken, was sie leisten können. Und auch wenn das Wasser zurückgegangen sein wird, haben sie sich verändert, genau wie Halle sicher nicht mehr die Stadt ist, die es mal war." Er glaubt unter anderem, dass gerade die jungen Bewohner sorgsamer mit ihrer Umwelt umgehen werden. "Die Graffiti-Sprühereien an der Eissporthalle zum Beispiel werden bestimmt abnehmen", denkt er.

Und wird sich die "Generation Gummistiefel" weiter sozial engagieren? "Zivilcourage wird auf jeden Fall ein Thema sein", so Beyer. "Wer so etwas erlebt hat, wird sensibler für das, was in der eigenen Umgebung passiert und die Momente, in denen Mitmenschen Hilfe brauchen." Abgesehen davon müsse nun "von den Offiziellen des Landes richtig mit dem Thema umgegangen werden, um die Energie zu bewahren." Das hieße für ihn, den Helfern nicht nur zu danken und dann wieder zur Tagesordnung überzugehen, sondern einen Weg zu finden, das Gefühl zu bewahren, das die Helfer mit jedem Sandsack weitergaben: "Das war so eine heikle Situation, in der alle zusammengehalten haben. Die Erinnerung daran darf nicht verblassen, man muss die Bilder davon zeigen und die Geschichte weitererzählen."

Samstag, 15. Juni 2013

Fluttext von früher

Wenn die Helfer im Boot kommen, könnte Ralf Seilitz das Gewehr rausholen. "Preschen hier lang, volle Pulle", schimpft er, "gerade haben wir alles ein bisschen trocken gekriegt, da spülen die uns alles wieder rein." Seilitz ist sauer, aber ist das ein Wunder? Am dritten Tag der großen Flut, die das kleine Örtchen Jeßnitz überschwemmte wie noch keine Flut jemals zuvor, leben die Menschen, die trotz aller Evakuierungsaufforderungen in den Dachgeschossen ihrer Häuser ausharren, nur noch von der Hoffnung.

Der Hoffnung etwa, die nächste Welle möge nie kommen. Der Hoffnung auch, das Wasser möge vielleicht doch schneller verschwinden, als alle jetzt noch fürchten. Und der Hoffnung auch, die Versicherungen, die Regierung, die EU oder sonstwer mögen Geld geben, damit das schmucke Dörfchen auferstehen kann aus den Ruinen, die erst richtig zutage treten werden, wenn die Flut getrocknet ist. "Was bleibt uns denn sonst?", sagt Christel Luge, die mit ihrem Mann Frank, ihrem gehbehinderten Vater und Nachbarin Beate Gase ausharrt im Haus Anger 49. Längst ist kein Strom mehr im Haus, kein Wasser und kein Gas. Luges aber halten durch. "Sollen wir in eine Turnhalle ziehen?", fragt die resolute Frau. "Alles hier zurücklassen, ohne zu wissen, was passiert?"

Nein, schüttelt Beate Gase da den Kopf: "Verzweifelt sein können wir hier genauso gut." Draußen fahren die Männer vom Technischen Hilfswerk (THW) die Anwohner vorbei, die nach dem Dammbruch ein paar Meter entfernt vor der Mulde flüchteten und nun zum ersten Mal wieder nachschauen wollen, was aus Häusern, Haustieren und Autos geworden ist. "Ich bin nur bis zu meiner Haustür gekommen", erzählt Ria Geller, die als ortskundiger Lotse auf dem Boot sitzt. Mehr habe sie sich nicht zumuten wollen: "Warum muss ich wissen, dass alles hinüber ist, solange das Wasser steht?" Solange das Wasser steht wird Ria Geller, die eigentlich beim Ordnungsamt für Umweltfragen zuständig ist, gemeinsam mit der Unterstufenlehrerin Heike Scholz Rettungsdienst fahren. Fahren wie seit Montag, ohne viel Schlaf, ohne große Pausen. "Es gibt immer noch Leute, die einfach rauswollen", sagt sie. Und irgendwer müsse sie schließlich holen.

Es sind Schiffe voller Verzweiflung, voller Tränen und Zukunftsangst, die die beiden Frauen vorbei an versunkenen Autos und überspülten Briefkästen lotsen. Ein Ehepaar hatte sein Haus gerade renoviert. Jetzt ist alles zerstört. Ein junger Mann kommt, sich seinen Neubau anzuschauen. Wortlos fährt er zurück, rücksichtsvoll flüstern andere sich zu: "Bei dem stand das Wasser bis zum Kronleuchter." In 82 Jahren hat es so etwas nicht gegeben, da ist sich Helene Günther sehr sicher. "Wir hatten immer Hochwasser", sagt die 82-Jährige, "aber dass es uns den Damm wegschlägt, das war noch nie." Sohn Frank und die Nachbarn vom Halleschen Tor haben gekämpft bis zuletzt.

Als die Verwaltung die Helfer von THW und Feuerwehr am Mittwochnachmittag abrücken ließ, weil Jeßnitz als verloren galt, warfen sich Günther und die anderen allein in die Fluten. "Wir wollten den Damm halten, irgendwie", beschreibt Alfred Tschisgale, "denn wir wussten, wenn der bricht, ist alles vorbei." Zusätzliche Sandsäcke haben sie herangekarrt, verzweifelt geackert und die Löcher fast so schnell gestopft wie sie aufbrachen. "Aber dann war Schluss", beschreibt Frank Günther, "der Damm brach auf zwölf Metern Länge ein, und wir sind gerannt wie die Hasen, um nicht mitgerissen zu werden." Jetzt schwappt es im Garten, in der Laube, in der Werkstatt, im Keller und im Wohnzimmer, und ein Geruch nach Diesel und Moder hängt in der Luft. "Es ist alles kaputt", sagt Günther, "Heizung, Fernseher, Tiefkühltruhe, alles."

 Die Nachbarn nicken, denn allen hier geht es so, alle wissen nicht weiter und fangen deshalb einfach an, aufzuräumen, was aufzuräumen geht inmitten der Wogen. Paul Meissner hat den Grill rausgeschoben und ein paar Würste gebraten. "Wir haben auch Bier gefunden", sagt sein Sohn Michael betont fröhlich. Helene Günther birgt das Gesicht in den Händen und schüttelt den Kopf: "Nur dass die Sonne scheint, macht einem noch Hoffnung."