Dienstag, 18. März 2014

Roger Willemsen über den Bundestag: Im hohlen Haus

Ein Experiment mit ungewissem Ausgang, ein Wagnis ohne Wiederkehr und ein Risiko für den eigenen Ruf - das etwa ist es, was den Schriftsteller, Fernsehmoderator und Grimme-Preisträger Roger Willemsen gereizt haben muss. Gereizt an einer Idee, die spannend klingt wie das Geräusch, das die Seiten einer eingestaubten Akte beim Umblättern machen. Wie wäre es denn, fragte sich der 59-jährige Germanist und Philosoph, würde man sich einfach mal für ein Jahr, ein ganzes Jahr, auf die Besuchertribüne des Reichstages setzen und aufschreiben, was so zu sehen und zu hören ist während der Parlamentsdebatten.

Einfacher gedacht als gemacht. Er habe unglaubliche bürokratische Hürden überwinden müssen, um die Genehmigung zu bekommen, wirklich an jedem Sitzungstag im Hohen Haus durchweg zugegen sein zu dürfen, beschreibt Willemsen, der sich in seinen Büchern zuletzt eher mit außenpolitischen Fragen wie die Lage in Afghanistan beschäftigt hatte. Komisch. "Es ist mein Parlament, dachte ich, es verhandelt meine Sache, wird von mir bezahlt", sinniert er, "warum sollte ich es nicht besuchen können, so oft und so lange ich möchte?"

Vielleicht, weil die Dinge anders sind als sie aussehen. Vielleicht, weil auch Institutionen es nicht mögen, wenn ihnen jemand permanent hinterherspitzelt wie die NSA der Kanzlerin. Nicht, dass der Bundestag etwas zu verbergen hätte. Als Roger Willemsen pünktlich zum ersten Beratungstag bereit steht, versehen mit einem Zugangsausweis, den er nun jede Woche wird erneuern müssen, breitet sich vor ihm der Alltag eines Parlamentsbetriebes aus, vor dem ein weniger begnadeter Schreiber hätte kapitulieren müssen. Das Herz der deutschen Demokratie, auf das Willemsen von der Tribüne herabschaut, entpuppt sich als ein allzuoft hohl dröhnender Baukörper, in dem sich die "Organe von Monologikern und der Chor der Jasager" auf eine Art überlagern, dass "man immer gleich weiß, wie die Erregungskurve im Saal ist".

Lau zumeist, wie der Autor bemerkt. "Ich hatte mich darauf eingestellt, eine Institution im Verblassen ihrer Bedeutung zu erleben", gesteht er. Im Krisenmodus sitzt die Exekutive am längeren Hebel: Wo Alternativlosigkeit regiert, braucht es keinen Meinungsstreit mehr, nur Handeln. Und im Erfolgsfall ist die nachträgliche Zustimmung reine Formsache.

Doch was dann im Plenarsaal auf den wortgewaltigen Protokollanten wartet, ist eine Mischung aus Rederoutine, Improvisationstheater und einigen großen wie seltenen Momenten, in denen die Parlamentarier ohne Masken voreinanderstehen und ohne Kalkül debattieren wie einst, als, so Willemsen, das Parlament noch der Raum war, in dem "Handeln durch Sprechen simuliert oder vollzogen wurde".

Lange her. Heute diene das Parlament nicht mehr dem Meinungsstreit, sondern der "Veröffentlichung von Politik", befindet er. Positionen werden gegeneinandergestellt, doch oft hört ein Redner dem nächsten nicht mal mehr zu. Doch nein, faul seien sie nicht, die Abgeordneten, denen das mit Blick auf den meist mehr leeren als vollen Sitzungssaal gern vorgeworfen wird. "Sie sind mit Verpflichtungen so befrachtet, dass sie oft bis an die Grenze der Belastbarkeit arbeiten." 1 000 Seiten zu diesem, 1 000 zu jenem. Abstimmen, Themenwechsel. Lesen. 1 000 Seiten. Abstimmen. Alles und immer aus einer Position nahe der Überforderung. Willemsen verurteilt nicht, er ordnet ein. Die Baugeschichte in die des Grundgesetzes, den Tagesschaubericht in das erlebte Plattitüdenbombardement einer Mammutsitzung. Und die eigenen, dezidiert linken Ansichten zu Armut und Rüstungsexporten in einen weiteren Blickwinkel, der nicht der eines emotionslosen Beobachters, sondern der eines Beurteilers ist.

Ein "Buch aus Bürger-Perspektive" nennt Willemsen seine 400 Seiten, wobei er zugesteht, dass er in seinem Jahr im Parlament Vorurteile in Sachen Arbeitsbelastung und Sachverstand gegenüber den Abgeordneten korrigieren musste. Dass "Das Hohe Haus" dennoch kein fröhliches, sondern ein überaus kritisches, in Teilen galliges Buch geworden ist, sieht er am Ende im Licht seiner Erfahrungen: "Keine Kritik kann härter sein als jene, mit der die Parlamentarier einander überziehen."

Montag, 17. März 2014

Rio Reiser: Königshof unter dem Hammer

Es war der Ort, an den der König von Deutschland flüchtete, als er genug von der Revolution und vom Aufstand gegen die Verhältnisse hatte. In Fresenhagen, einem Dorf an der dänischen Grenze, fand Rio Reiser vor 40 Jahren Exil. Zuvor hatte seine Band Ton Steine Scherben entschieden, die Nase voll davon zu haben, als Karnevalskapelle der Hausbesetzerszene immerzu "Keine Macht für Niemand" singen zu müssen.

Bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1996 hat Rio Reiser dann hier gewohnt und sich vom flachen Friesenland inspirieren lassen zu Songs wie "Junimond" und "König von Deutschland", die mal traurig waren und mal witzig, aber nie zum Lachen. Rio Reiser war zwar auch als Landmann nicht gerade ein vor Humor berstender Herrscher. Aber zu Hause fühlte er sich hier so sehr, dass er sich auf seinem Grundstück begraben ließ, auf dass sein Geist andere Musiker inspirieren könne.

Allerdings reichte das Geld bald nicht mehr, das Rio-Reiser-Haus zu betreiben. Vor drei Jahren zogen die sterblichen Überreste des Musik-Monarchen nach Berlin. Haus und Hof wurden verkauft - aber Glück brachten sie auch dem neuen Besitzer nicht. Als "18-Zimmer-Bauernhaus" sucht der Königshof nun per Zwangsversteigerung wieder einen neuen Herren. Das Haus sei renovierungsbedürftig, aber naturnah, heißt es. Thronfolger kann werden, wer 299 000 Euro für das Mindestgebot übrig hat.

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Donnerstag, 6. März 2014

Gute Gene: Wir sind Pharao

 Briten, Spanier und Franzosen sind ein bisschen mehr Pharao als die Deutschen - das ist das Ergebnis von Versuchen, bei denen Wissenschaftler vom Schweizer Genealogie-Center iGenea das DNA-Profil des Pharaos rekonstruierten, dessen Mumie 1922 in einer Grabkammer im ägyptischen Tal der Könige entdeckt worden war.

Über ganz Westeuropa gerechnet gehörten durchschnittlich mehr als 50 Prozent aller Männer zur Haplogruppe R1b1a2, was bedeutet, dass sie gemeinsame Vorfahren teilt. Unter heutigen Ägyptern dagegen ist nur einer von hundert Menschen mit Tutanchamun verwandt. Das liege wohl daran, dass sowohl die Vorfahren des Pharao, der Ägypten vor rund 3 200 Jahren regierte, als auch die von Spaniern, Franzosen, Briten und Deutschen gemeinsame Wurzeln haben, glaubt iGenea-Chef Roman Scholz. Die Angehörigen der Haplogruppe R1b1a2 seien wahrscheinlich rund 7 000 Jahre vor Beginn der Zeitrechnung aus dem Kaukasus nach Europa gekommen. Unklar sei, wie Tutanchamuns Familie vom rechten Weg abkam und statt in Westeuropa in Ägypten landete.

Die Forscher wollen jetzt mit DNA-Tests nach den nächsten lebenden Verwandten des Königs suchen. Für alle anderen, die gern wissen möchten, ob sie selbst auch ein bisschen Pharao-Gen haben, bieten die DNA-Spezialisten einen Heimtest an. Für knapp 150 Euro zeigt eine Speichelprobe, ob Pharao oder nicht.

Montag, 3. März 2014

"Viele von denen haben noch nichmal jekleecht"

Waldemar Schmidt ist sauer, stinksauer. „Stehen hier wie die Orgelpfeifen und wissen gar nicht, was sie treiben“, sagt der 89-Jährige und weist mit der Hand empört hinüber zum Demoblock der Rechtsradikalen, der hinter einer Absperrung Aufstellung genommen hat, um gegen eine vermeintliche „Asylflut“ durch die Domstadt zu ziehen. Schmidt, der „wegen Hitler“, wie er sagt, viereinhalb Jahre in Sibirien in Gefangenschaft saß, würde am liebsten hinübergehen und den rund 70 Neonazis „den Arsch versohlen“, wie er sagt. „Die wedeln hier mit einer Fahne, die uns schon mal ins Verderben gestürzt hat.“

Der ganze Text: steht hier