Dienstag, 27. Mai 2014

Bass-König ruft zum Monostock-Festival

Das Leben hat Torsten Hedel böse mitgespielt. Doch der 47-jährige Musiker hat sich aufgerappelt: In seiner kleinen Werkstatt im ostenm von Halle baut er Ostdeutschlands einzige handgemachte Gitarrenverstärker. Und am 30.5. ruft er zum ersten eigenen Rockfestival in den Rockpool in der Delitzscher Straße. Dabei ist dann natürlich auch Jonas Wahlberg mit seinem Stonewall Noise Orchestra aus Schweden – und dem Mono Amp-Verstärker, den Torsten Hedel für ihn gebaut hat, den eine Kindheit im Huttenchor zur Gitarre und schließlich zum Bass brachte.

Zum Bassbauen ist der gelernte Elektroniker durch eine schwere Erkrankung gekommen. "Eines Tages konnte ich nichts mehr hören", erinnert sich der Hallenser, Nichts mehr mit Musik. Es beginnt eine monatelange Odyssee zu Spezialisten aller Art. Dann erhält Hedel, den wegen seines Hörproblems inzwischen alle nur noch„Mono“ nennen, die niederschmetternde Diagnose: Multiple Sklerose. Das Beste daran ist, dass eine Therapie das Gehör wiederherstellen konnte. Das Schlechte: Die Krankheit selbst ist unheilbar.

Aber Hedel hat nicht aufgegeben. Mit seinem leistungsstarken und ungewöhnlich designten Verstärkern zählt er heute die Guano Apes, Uwe Hassbecker von Silly, die Kultband Pothead aus Berlin und Werner Neumann, den Jazz-Proffessor von der Musikuni Leipzig, zu seinen Fans. Beim „Monostock“, wie Halles Basskönig sein Festival nennt, treten außerdem Days of Grace, Electro Baby und die Bluesband Inutero, für interessierte Nachwuchsbasser gibt Zsolt Váradi einen Bass-Workshop mit den Verstärkern aus der Mono-Werkstatt. Zum Schluß folgt das Stonewall Noise Orchestra, mit dem Hedel inzwischen eng befreundet ist, als Headliner des Abends.

Mehr dazu: Rockpool

Das Stonewall Noise Orchestra spielt hier:

Dienstag, 20. Mai 2014

188: Sekunden sollten entscheiden



Für den Bau einer neuen Straßenbahntrasse reißt die Stadt Halle ein 120 Jahre altes Baudenkmal ab. Ein Gesetz fordert das angeblich so. Wer aber hat das gemacht? Und warum?


Anfangs hat er das alles für einen schlechten Scherz gehalten. Moritz Götze, einer der  bekanntesten Maler Sachsen-Anhalts, war sich sicher, dass niemand ein 120 Jahre altes denkmalgeschütztes Haus in bestem Bauzustand abreißen werde, nur um die danebenliegende Straße um zwei Meter zu verbreitern. „Das schien mir unvorstellbar“, sagt der 49-Jährige, der in Halle geboren wurde und aufwuchs. Schließlich lebe die Saalestadt doch von ihrer über Weltkrieg und DDR-Abrisswahn erhalten gebliebene Geschichte. „Jeder wäre verrückt“, sagt Götze, „der dieses langfristige Potenzial mit eigener Hand vernichtet.“

Allerdings soll genau das in einigen Wochen passieren. Nachdem Stadtverwaltung und Stadtrat den Plänen zum Abriss der ehemaligen Weingärtenschule im Stadtteil Glaucha befürwortet haben, steht nur noch die Zustimmung der Denkmalschützer aus. Dann kann das imposante Backsteingebäude, 1893 nach einem Entwurf des Architekten Anton Kreke gebaut, trotz aller Proteste von Prominenten wie Götze oder dem über seine Glauchaer Großmutter mit Halle verbundenen Liedermacher Wolf Biermann verschwinden. Mit dem Haus, das den am Rande des Stadtzentrum liegenden Böllberger Weg dominiert, verliert die Saalestadt ein Stück ihrer Historie: Hier wurden die Zöglinge von August Hermann Franckes Stiftungen beschult, hier ging schließlich später auch die Honecker-Ehefrau Margot Feist zur Schule.

Es ist das Ende eines Dramas, bei dem hinter geschlossenen Türen Denkmalschutzinteressen mit der Aussicht auf Millionen Euro Fördermittel gerungen haben. Dabei geht es um das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und das EntflechtG, um vermeintliche EU-Vorgaben und aus dem Jahr 1971 stammende verkehrsplanerische Ideale, letztlich aber vor allem um um Landesfördermittel und Bundeszuschüsse.

Die stehen im sogenannten Stadtbahnprogramm in Aussicht, wenn sich eine Kommune bereiterklärt, eine Straßenbahntrasse nach bestimmten Vorgaben umzubauen. Vor allem verlangt das zugrundeliegende Gesetz die Errichtung eines sogenannten „gesonderten Bahnkörpers“, auf dem Straßenbahn fährt. Weil die Straße vor der ehemaligen Weingärtenschule, die heute ein Künstlerhaus mit Ateliers und Werkstätten beherbergt, nicht breit genug für diese Extra-Trasse ist, soll das Haus weichen.

Dass das bedauerlich ist, räumt auch der zuständige Beigeordnete Uwe Stäglin ein. Jedoch lasse die Gesetzeslage der Kommune keinen anderen Ausweg als den Abriss. „Sonst ist die Sanierung nicht förderfähig.“ Da die Stadt selbst die fast fünf Millionen Euro teure Finanzierung nicht stemmen könnte, ist die einzige Alternative zum Abriss ein Verzicht auf die Sanierung. Der stände der Stadt Halle natürlich zu, heißt es im Verkehrsministerium des Landes, wo Pressesprecher Peter Mennicke nur die Hände hebt. Das Land bekomme den größten Teil der Zuschüsse, den es an Städte weiterreiche, vom Bund. Und habe somit überhaupt keinen Spielraum, zugunsten eines alten Hauses von den Förderrichtlinien abzuweichen.

Diesen Spielraum hat auch der Bund nicht. Nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz muss ein gesonderter Bahnkörper sein, diese Regelung gibt es seit 1971, in den Ländern der ehemaligen DDR seit 1990. "Die Forderung gilt für alle Vorhaben des GVFG-Bundesprogramms in allen Bundesländern und wird auch sehr streng ausgelegt", erklärt Mennicke. Ausnahmen sind möglich, etwa wenn eine Straße wie die Große Ulrichstraße insgesamt nicht breit genug ist, um einen gesonderten Bahnkörper ohne den Abriss einer kompletten Häuserzeile unterzubringen. Das wäre ja auch ein Ding! Aber Halle habe, so heißt es, schon einige solcher Ausnahmen genehmigt bekommen. Und das 188 steht allein auf weiter Flur am Straßenrand und dem großen Bauprojekt so ziemlich einsam im Wege. Und irgendwann müsse eben mal Schluss sein.

Schließlich sprechen gewichtige Argumente für die gesonderten Bahnkörper, auch wenn ihnen gelegentlich ein Denkmal weichen muss. Höhere Geschwindigkeit und mehr Sicherheit nennt das Bundesverkehrsministerium als die großen Pluspunkte. "In vergangenen Vorhaben konnten Reisegeschwindigkeitserhöhungen von bis zu 5 km/h erreicht werden", beschreibt auch das Landesministerium. Hochgerechnet auf die 2,3 Kilometer Strecke, die im Zuge des Abrisses des "188" ausgebaut werden sollen, bedeutet das eine Zeitersparnis von rund einer Minute: Statt sechs Minuten wären die Bahnen künftig nur noch fünf unterwegs.

Auch die höhere Sicherheit ist nachgewiesen, zumindest der theoretischen Annahme nach: "Schon allein durch die räumliche Trennung der Verkehrsarten" liege sie vor, heißt es im Landesministerium, denn dadurch reduziere sich das Konfliktpotential zwischen den einzelnen Verkehrsarten deutlich. Eine statistische Auswertung, die das belegt, sei allerdings nicht bekannt. Auch beim Bund gibt es keine derartige Evaluierung, ebensowenig bei Fachverbänden. Die höhere Sicherheit werde auch im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung nicht erfasst, bestätigt Peter Mennicke. Die Havag aber könne anhand der ähnlich gelagerten Baumaßnahme Delitzscher Straße nur Gutes berichten. Was wohl zutreffend ist, denn Autofahrer, die die wegen des gesonderten Bahnkörpers nicht nur um Dutzende Alleebäume, sondern auch um zwei Fahrbahnen erleichterte Straße befahren, fühlen sich seit dem Ende der Bauarbeiten zurückversetzt in die frühen 90er Jahre, als es hier immer Stau gab. Damals, weil so viel Verkehr war. Heute, weil jeder Linksabbieger das bisschen Verkehr für fünf Minuten komplett stoppt.

Auf der einen Seite steht hier also ein Denkmal, mehr als hundert Jahre Stadtgeschichte. Auf der anderen die feste Überzeugung, ein 43 Jahre altes Gesetz, dessen Wirksamkeit nie überprüft worden ist, sei die richtige Art und Weise, die marode Verkehrsinfrastruktur der Kommunen auf Vordermann zu bringen. Wer etwas will, muss etwas opfern, und sei es einen Teil seiner Geschichte.

Erst der Denkmalschutz des Landes setzte dem neuen Symbol für die Rückkehr des Abrisswahns der End-DDR-Zeit jetzt ein Stoppsignal.

Sonntag, 18. Mai 2014

Wie aus einem Werbebild ein Nachrichtenfoto wird

Im Auftrag von Google fotografierte die Fotografin Connie Zhou vor zwei Jahren in Google-Serverfarmen in Oregon und Iowa. Heraus kamen wunderbar äthetische Bilder, die das Internet von innen zeigten, und das nicht etwa kalt und eintönig, sondern in bunten Farben und bauhaus-artigen Strukturen. Google und die Fotografin mussten sich wenig später allerdings herber Kritik erwehren, weil das Projekt “Where the Internet lives” ganz offenkundig nicht die Realität abbildete, sondern eine am Fototisch nachbearbeitete idealisierte Variante davon.

Zwei Jahre danach ist das immerhin soweit vergessen, dass renommierte Blätter wie die Süddeutsche Zeitung sich einen Teufel darum scheren, dass Zhous Bilder so real sind wie Gemälde des eben verstorbenen H.R. Giger. Zur Illustration eines Beitrages im Rahmen der aktuellen Kampagne für mehr Datenschutz durch die Löschung von Suchergebnissen nutzt das Blatt eines der im Auftrag von Google erstellten und mit allen Kunstgriffen schicker gemachten Fotos.

Und im Unterschied zu Spiegel und Zeit, die wenigstens im Kleingedruckten noch auf den einstigen Auftraggeber verweisen, zeichnet die Süddeutsche das Bild dann auch noch mit der Quelle "dpa" aus.

Naheliegend, dass es der Redaktion lieber wäre, gäbe es keine Suchmaschinen, die verraten, wie schnell aus Propaganda Information wird.

Mittwoch, 7. Mai 2014

"Mass Customization": Individualität für die Masse

Je konformer die Menge, desto ausgeprägter ist der Hang, sich zu unterscheiden.

Noch in den 90er Jahren gehörte es zum guten Ton in Jugendszenen, sich nicht so zu kleiden und nicht dieselben Bands zu hören wie der gesamte Freundeskreis. Individualität wurde großgeschrieben: Jugendliche stylten sich als Punks, Slacker oder Grufties, jede Nische hatte ihren Sound, ihre Frisuren, ihre Kneipen, ihre Festivals und Rituale.

Zwei Jahrzehnte später ist die Welt der Nische zusammengeschnurrt auf eine einzige, die allerdings groß genug ist, um nahezu die gesamte Gesellschaft aufzunehmen. Angetrieben durch die neuen Medien sind die einst so strengen Geschmacksgrenzen gefallen, aus Individualität ist ein von wenigen Bekleidungsmarken und Technikfirmen bestimmter Konformismus geworden, der sich nur noch in Nuancen unterscheidet. Apple oder Samsung, Undercut oder Seitenscheitel, Hollister oder Camp David und Lady Gaga oder Miley Cyrus - viel mehr Unterscheidungsspielraum bleibt denen kaum noch, die sich nicht außerhalb des Angesagten stellen wollen.

Allerdings halten die Zeiten der Massenproduktion für den Massenkonsum auch für den unstillbaren Wunsch nach Individualität einen Ausweg bereit. "Mass Customization" nennt sich ein neues Phänomen, mit dem große Firmen und kleine Start-Ups versprechen, die unstillbare Sehnsucht nach etwas wirklich Eigenem inmitten der Flut aus gleichförmigen T-Shirts, Hosen, Jacken, Schuhen und sogar Nahrungsmitteln zu befrieden. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten Massenproduktion und Maßfertigung und er meint nichts anderes als die Anpassung eines beliebigen Gegenstands aus einer Großfabrikation an die speziellen Wünsche eines einzigen Kunden.

Das Zurück zu den Zeiten, als sich DDR-Punks mit Wäschefarbe "Sex Pistols" auf ein geripptes Opa-Unterhemd malten oder Mädchen aus Fensterleder Miniröcke nähten, funktioniert auf höchstem technischen und logistischen Niveau.

Bei Firmen wie "Spread-shirt" aus Leipzig können individuell gestaltete T-Shirts etwa zum Nachmachen für andere Kunden hinterlegt werden. Beim Sport-schuhmulti Nike lassen sich Schuhmodelle von der Stange ebenso wie bei Puma und Converse nach eigenem Gusto umstylen und während das Portal Chokri.de das Mixen der eigenen Schokolade erlaubt, bietet palupas.de die Gestaltung von Badelatschen mit Hilfe eigener Fotos. 2 000 Anbieter tummeln sich inzwischen weltweit im Ego-Markt.

Die Massengesellschaft als Individualitätsmaschine, angetrieben von Hightech-Lösungen, deren Erfinder von den seit Jahren flexiblen großen Autoherstellern gelernt haben, das gleiche Produkt in unzähligen Abwandlungen zu verkaufen. Das ist Einzigartigkeit von der Stange, eine industriell hergestellte Individualität für die Massen des Zeitalters der Geschmackskonformität.