Mittwoch, 17. August 2016

Olaf Schubert: Der Spaßvogel in der Ostbaracke

Sein Kapital ist das Gesicht, aus dem er so fassungslos und entsetzt, so gleichgültig und ernsthaft zugleich gucken kann. Olaf Schubert, hoher Scheitel, Fusselhaar und über dem schmächtigen Brustkorb den unerlässlichen Pullunder, staunt dann in die Runde, die meist gerade brüllend lacht. Lacht über etwas, das Schubert gerade gesagt hat. Aber kann das sein? Dass Menschen sich vor Vergnügen ausschütten wollen, nur weil er einen durch ein Delta an Nebensätzen mäandernden Monstersatz nach viermal durchatmen und dreimal neu ansetzen zu einem glücklichen Ende gebracht hat?

Es hat eine ganze Weile gebraucht, bis Olaf Schubert, der eigentlich Michael Haubold heißt, es geglaubt hat. Bis dahin tourte der gebürtige Plauener, der heute neben Cindy aus Marzahn, dem Eisleber Duo Elsterglanz und dem Dresdner Uwe Steimle zu Ostdeutschlands Comedy-Elite gehört, mit seiner Band DekaDance durch die Lande. Schon diese Kapelle war nicht gänzlich ernst gemeint. Zum Programm gehörten Ausschweifungen über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus, die Musiker trugen wundersame Verkleidungen und es wurde viel Unsinn erzählt. „Women back in the Kitchen“ sangen sie damals oder auch „Döbeln in the Sky“ und eine Bläsertruppe stieß dazu ins Horn, dass die Wände wackelten.

Bilder von damals zeigen Olaf Schubert in komischen Kittelschürzen, Lederjacken und Lindenberg-Hosen. Ein linkischer Kerl, dem der Schalk im Nacken sitzt. Es dauert denn auch ein halbes Jahrzehnt, bis das humorige Talent des selbst ernannten „Mittlers zwischen Kunst und Sozialabbau“ auch außerhalb der kleinen Säle entdeckt wird, in denen DekaDance auftreten. Hatte der Künstler seine ersten Jahre noch als ruhelos Reisender zwischen kleinen Klubs verbracht, in denen er seine abstrusen Protestgedichte und Aktionshörspiele mit hohem Einsatz, aber gegen ein geringes Salär vortrug, öffneten sich mit Beginn des neuen Jahrtausends die großen Tempel des deutschen Humors bis weit hinüber in den humortechnisch immer noch abgeschirmten Westen.

Schubert, der seine Hörspiele traditionell im halleschen Überschall-Tonstudio von „Zorn“-Autor Stephan Ludwig einspielt, gastiert seitdem im „Quatsch Comedy Club“ und bei „Night Wash“, er heimst Kleinkunstpreise und anno 2008 schließlich sogar den Deutschen Comedypreis als „Bester Newcomer“ ein. Dazwischen bespielt der Sachse Open-Air-Arenen wie die Pferderennbahn in Halle.

Ungeachtet des Umstandes, dass der Wahldresdner eine hochartifizielle Art von Humor pflegt, die von Anspielungen, unerwarteten Wendungen und gezielten Schlägen unter die Gürtellinie lebt, werden seine Bühnenprogramme nun zur besten Sendezeit im Fernsehen gezeigt. Zuletzt erst übernahm die ARD die vom MDR produzierte Fernsehshow „Olaf verbessert die Welt“, weil die überaus erfolgreich bei jungen Zuschauern ist.


Ebenso unverdrossen wie prinzipiell unverstanden steht Schubert nun dort auf der großen Bühne, im Scheinwerferlicht, immer noch begleitet von Bert Stephan, seinem alten DekaDance-Kollegen, und immer noch im Rauten-Pullunder, den, so will es die Legende, seine Oma ihm einst gestrickt hat. Olaf Schubert ist ein Star, ein Comedian, er spielt in der Liga von Dieter Nuhr, Mario Barth und Atze Schröder. Aber auf seine Art: Schubert sucht nach dem Tabu, um es grob zu verletzen, er ist politisch unkorrekt, beleidigend und unterwürfig zugleich und er verballhornt Begriffe und Bedeutungen, bis sie ganz neu erkennbar werden. Sich selbst nennt er deshalb stolz den „Rufer in der Wüste, Gegner der Finsternis und Vergewaltiger des Bösen“.

Der Spaßvogel in der Ostbaracke singt mit Gießkannenstimme und verhaspelt sich. Dann sattelt er den nächsten halben Satz und reitet ins Klischee, während die stets leicht verstellte Stimme in einem selbsterdachten weich dahinfließenden Bildungssächsisch Floskeln so lange aufbläst, bis sie begleitet von einem erstaunten „Oh!“ vor aller Augen platzen. Eine Kunstfigur, die noch mehr mit dem Mann dahinter verschmolzen ist als im Fall von Gilbert Rödiger und Sven Wittek, die nur alsDuo Elsterglanz wahrgenommen werden, und Ilka Bessin, die ihre erfolgreiche Kunstfigur „Cindy aus Marzahn“ erst vor wenigen Wochen aus Überdruss am Verwechseltwerden beerdigt hat.

Schubert, der kürzlich erst einen Feuerwehrschlauchfetischisten im neuen Film der Elsterglanz-Kollegen gespielt hat, wird für Schubert gehalten, die Erfindung. Nicht für Haubold, den Lenker, Denker und Texter hinter den Grammatik-Gebirgen und bizarren Zeitformverzerrungen, der öffentlich nie aus dem Schatten des „Wunders im Pullunder“ (Schubert über Schubert) tritt.


Nur so kann das Kunstkonzept Olaf Schubert funktionieren: Wenn die Person auf der Bühne das zu sein scheint, was sie zu sein vorgibt - ein an Selbstüberschätzung leidender Besserwisser, von nichts eine Ahnung, aber zu allem aussagebereit. Schubert schwätzt vom „erweiterten Infinitiv mit Kapuze“, von einer „Durchsetzung der deutschen Sprache mit Anglizismen, vor allem mit englischen“ und er erzählt von bizarren Begebenheiten aus seinem Alltagsleben als freischaffender „Betroffenheitslyriker“ (Schubert). Mit dem Lachen über ihn, der so verzweifelt versucht, so zu tun, als habe er alles im Griff, lachen die Leute immer auch über sich selbst.


www.olaf-schubert.de
www.objekt5.de

Samstag, 13. August 2016

Manuel Schmid: Ein Stern, der seinen Namen trägt



Der neue Stern-Meißen-Sänger legt mit „Seelenparadies“ sein zweites Solo-Album vor. Es versammelt Klavierballaden, Demmlertexte und viel Gefühl.

Er kam nach dem großen Streit und er kam aus dem Nichts. Manuel Schmid meldete sich vor vier Jahren, als Stern-Chef Martin Schreier gerade auf der Suche nach einem neuen Sänger war. Schmid stammt aus Altenburg, er sang in kleinerem Rahmen und er sang immer auch Lieder von Stern Meißen. Schmid war damals Ende 20. Die Band, bei der er einsteigen wollte, war doppelt so alt.

Aber es klappte. Mit seiner warmen, bis in sehr hohe Lagen reichenden Stimme hat der gelernte Keyboarder und studierte Audio-Ingenieur sich inzwischen längst einen Platz in den Herzen der Stern-Fans erobert. Schmid singt Klassiker wie „Kampf um den Südpol“ und „Was bleibt“ auf eigene, aber unterdessen akzeptierte Art. Und eben die pflegt er auch auf „Seelenparadies“, seinem gerade erschienenen zweiten Solo-Album, das mit „Also was soll aus mir werden“ auch eine modernisierte und als Duett inszenierte Version eines Stern-Klassikers enthält.

Der Rest sind Schmid-Kompositionen, die der Freund von Melancholie und Romantik mit Unterstützung von Puhdys-Basser Peter Rasym, Ex-Stern-Keyboarder Marek Arnold und Dirk Zöllner eingespielt hat. Schmid pflegt dabei eine zarte Gangart, die immer harmonisch bleibt und nicht vor Klischees zurückschreckt.

In „Hüte deinen Traum“ sind die Augen groß und die Seelen fest verbunden, „Worte sind wie Bilder“ wird von A-Capella-Gesang begleitet, und das Stück „Seelenlieder“ ist als Hommage an den verstorbenen ehemaligen Stern-Sänger Reinhard Fißler ausgewiesen, der sich am Anfang noch einmal selbst per Telefon zu Wort meldet. Zusammen mit Dirk Zöllner singt Manuel Schmid dann Teil zwei der Ode. Und den Schlusspunkt setzt, wie als Handschlag mit der Vergangenheit, ein neuvertonter Text von Kurt Demmler.

Mittwoch, 10. August 2016

Heimatgeschichte: Das Flugzeug-KZ am Rande der Stadt


Zugewachsen, von einem Zaun umgeben, mit Warnschildern versehen. Ein Hundeübungsplatz ist hier, ansonsten nur Ruinen, überwachsen, überwuchert. Eine Szenerie wie in der "Zone" aus  Tarkowskis "Stalker". Dabei handelt es sich bei dem Platz in der Frohen Zukunft, der bis heute von Wachtürmen überragt wird, um historisch belasteten Boden: Hier saßen einst die Siebel-Flugzeugwerke. Deren Hauptgebäude war das gegenüberliegende Haus, in dem heute das Landesverwaltungsamt residiert.

In den Siebel-Werken mussten in den Jahren des 2. Weltkriegs Zwangsarbeiter für die deutsche Rüstungsproduktion schuften. Der Journalist Nico Wingert hat vor Jahren beschrieben, wie 550 Häftlinge täglich aus dem KZ "Birkhahn-Mötzlich", einer Außenstelle des KZ Buchenwald, einem nahegelegenen Kriegsgefangenenlager an der Osramstraße, einem Zwangsarbeiterlager in der heutigen Kleingartenanlage Freundschaft und dem Fremdarbeitslager in der Frohe Zukunft zu den Produktionsstätten marschieren mussten, die heute verborgen und vergessen hinter einer dichten Hecke direkt an der Ausfallstraße liegen.

Hier rüstete das Dritte Reich Görings Luftflotte aus. Die Häftlinge, so hat Wingert herausgefunden, waren vor allem mit der Fertigung von Tragflächen und der Montage von Sturzkampfflugzeugen und Bombern der Baureihen Ju 88 und Ju 188 beschäftigt. SS-Einheiten bewachten das Gelände, von dem heute selbst ältere Hallenser nicht mehr zu sagen wissen, was es einst war. Ein Siebel-Flieger hingegen hat es bis ins Stadtmuseum geschafft.

Nach dem verlorenen Krieg wurde der Betrieb enteignet, aus dem Außenlager am Goldberg wurde eine Gartenanlage und aus dem Produktionsgelände ein GST- und Polizei-Schießplatz. Nach dessen Schließung verwilderte das Gelände immer mehr und immer malerischer, der Hundeverein nutzt nur einen Teil der Fläche, auf dem Rest überwuchern wilde Ranken die Reste der einstigen Bebauung.

Spuren der unseligen Vergangenheit sind nur noch wenige zu finden. Verrosteter Stacheldraht hängt hier und da an bröckligen Betonpfeilern, Stahltore rosten vor sich hin, bewacht von Schildern, die abenteuerlustigen Kindern den Zutritt verbieten sollen. "Bis heute", schrieb Nico Wingert vor fast zehn Jahren im "Stern", "gibt es kein Hinweisschild und auch keine Gedenktafel: Das Vergessen des ehemaligen Außenlagers des KZ Buchenwald scheint total zu sein."

Ist es immer noch.

Dienstag, 2. August 2016

Sandow: Ein Film ohne Bilder


Sandow-Sänger Kai-Uwe Kohlschmidt kombiniert auf seinem neuen Album „Den Himmel malen“ Fiktion und Erinnerung, Musik und Vergangenheit.

Was sie taten, war in den Augen der sozialistischen Kulturbürokraten unerhört. Auf offener Bühne bemalt ein Mann nackte Frauen, eine Band spielt dazu apokalyptische Musik. Songs, die kaum als solche zu erkennen sind. Rock, der nicht nach DDR klingt, sondern nach New York, Tokio oder London.

Die Band hieß Sandow, der Maler Hans Scheuerecker. Keine gewöhnliche Band, auch wenn ihr größter Hit „Born in the GDR“ wie eine normale Rockhymne daherkam. Und kein Maler wie jeder andere, denn Scheuerecker, geboren in Thüringen, aber ansässig in Cottbus, hatte in der DDR über Jahre hinweg vergebens versucht, zum Kunststudium zugelassen zu werden.

Doch auch das war die DDR in ihren letzten Jahren: In Nischen unterhalb der staatlichen Anerkennung gelang es Künstlern, sich dem Konformitätsdruck der Zulassungskommissionen zu entziehen und zu tun, was sie tun wollten.

Der Preis dafür war, dass die Staatssicherheit nie weit weg gewesen ist. Scheuerecker fand nach dem Zusammenbruch 800 Seiten Akten über sich, zusammengetragen von 70 IM. 800 Seiten, die der 64-Jährige sich zu lesen weigerte. Stattdessen ließ Scheuerecker, 2011 mit dem Brandenburgischen Kunstpreis geehrt, das Sandow-Chef Kai-Uwe Kohlschmidt tun.

Den schüttelte zuerst der „Ekel“, wie er sagt. Dann aber faszinierte ihn der eigentümliche Stasi-Sound aus „Einfalt, Dummheit und armseliger Missgunst“. Eine Heerschar von Denunzianten umschwirrt einen jungen Bohemien, „rätseldeutet sein Tun“ (Kohlschmidt). Es geht nun nicht mehr darum, zu urteilen oder gar zu verurteilen. Sondern darum, aus dem Konvolut von Bürokratensprache, Hinterrückshetze und Plänen zur Zersetzung ein Hörspiel zu machen.

„Den Himmel malen“ hat Kohlschmidt den 79 Minuten langen und überaus aufwendig gestalteten Film ohne Bilder genannt, der fast vollständig auf einem Boot auf der Ostsee spielt - wo der größte Teil des ungewöhnlichen Werkes auch aufgenommen wurde.
„Produzieren im Raum“ nennt der Musiker und Theatermacher seine Herangehensweise. Sechs Rollen, sechs Sprecher, ein Boot, das wirklich fährt. „Die Story und ihre Figuren nehmen Besitz von uns“, beschreibt Wolfgang Wagner, der den Max Scharnegger spricht, in dem unschwer der echte Scheuerecker zu erkennen ist.

Es geht um einen schillernden Maler, um den Kreis seiner Bewunderer, um seine Liebhaberinnen und Jünger und um den dunklen Geist der Stasi, der die Beziehungen zwischen Freunden noch aus Jahrzehnten Abstand vergiften kann. Alles ist inspiriert von den Akten, hat aber mit der wahren Geschichte nichts zu tun. Hier sitzt der Stasi-Mann todkrank auf einer Insel und wartet darauf, den von ihm verehrten wie bespitzelten Maler ein letztes Mal missbrauchen zu können.

Scharnegger solle ihm den Himmel malen, fordert der Stasi-Offizier, der vom Überwacher zum Fan und vom Fan zum Mäzen geworden ist, dessen Ankäufen der Maler nach dem Aufbruch in die freie Kunstwelt alles verdankt.

Wo ist Schuld? Wo bleibt die Sühne? Hier endet die Geschichte nicht im langsamen Vergehen der Zeit, nicht im Verschwimmen der Erinnerung und dem Zuwachsen von Wunden. Sondern in einem reinigenden Abschied auf hoher See, bei dem die Opfer und der Täter im selben Tränenmeer schwimmen.

Gelöst ist nichts, denn es gibt keine Lösung.

Das Doppelalbum enthält eine DVD mit einem Film zum Making Of
und ist in einer Sonderedition mit einem limitierten Siebdruck von Hans Scheuerecker erhältlich.

www.kaiuwekohlschmidt.net
www.mangan25.de

Donnerstag, 28. Juli 2016

Fäuste-Abriss Halle: "Ich mach das platt, wir essen pünktlich."


Vor 13 Jahren wurde mit dem Abriss des "Fäuste"-Denkmals in Halle begonnen, das den einen als Teil des Stadtbild und Stück Geschichte, anderen aber als lästige Erinnerung an die DDR galt. 

Als die Stadtverwaltung plante, den ungeliebten Riebeckplatz zu einem modernen, schicken, ganz aus Beton gegossenen Monument des Aufschwungs Ost zu machen, fand sich ein Grund, das seit über 30 Jahren vor dem ehemaligen "Haus des Lehrer" stehen Denkmal zu schleifen. Der Versuch einer Leipziger Initiative, das 15 Meter hohe Betonmonster zurückbauen und andernorts wieder errichten, scheiterte. Angeblich ständen Urheberrechte der Überlassung, dem Abbau und der Neuerrichtung anderswo entgegen.

Der Abriss selbst war ein unspektakulärer Prozess für einen Bagger und einen Baggerfahrer. An einem sonnigen Donnerstagmorgen kurz nach sechs kam Marco Bauer, damals 33 Jahre alt, 76 Kilo vielleicht, 1,75 groß und von Beruf Baggerfahrer bei der Abbruchfirma Todte. "Bis Mittag", kündigte er an, "dann sind die Dinger Geschichte." Kein Zweifel in dem breiten Lächeln mitten im Arbeitergesicht. "Ich mach das platt, wir essen pünktlich."

Zuschauer sehen teils kritisch, teils wohlwollend zu. "Ruhig weg mit dem Quatsch", sagt Günther Schmuhl, "dann habe ich endlich eine bessere Aussicht." Die nämlich ist schon versaut gewesen, als der heute 69-Jährige vor 32 Jahren gegenüber einzog. "Da war das Ding nagelneu", erinnert sich Schmuhl, "und dann hat man sich so eingeguckt."

Man kannte es dann nicht anders all die Jahre. Da war der Platz mit dem Kreisverkehr am halleschen Bahnhof, das Hochhaus-Tor zur Neustadt und direkt davor das nur "die Fäuste" genannte "Monument der Arbeiterbewegung": Ein 15-Meter-Klotz aus 300 Tonnen Beton, aus dem sich vier geballte Hände zornig in den Himmel recken. 33 Jahre ließ das Monument, geliebt nur von den Stadttauben, keinen Zweifel an seiner Botschaft. Arbeiterfäuste, panzerhart!

All die Kämpfe um die Fäuste, sie sind an diesem Morgen geschlagen. Wellenförmig tauchte die Frage seit der Wende immer wieder auf. Soll er weg, der hässliche Klotz? Oder muss er stehenbleiben - einmalig wie er ist? Eine Diskussion, die unentschieden stand, bis die Gleise für eine neue Straßenbahnlinie näherrückten.

Nun endlich waren Argumente da, das Schandmal zu kippen: Wo der mächtige Monolith Günther Schmuhl die Sicht verdeckt, fährt nun die Bahn zum Bahnhof. Drogenhändler eröffneten ihre fliegenden Läden, Skateboarden proben hier, neugeschaffene Läden warten auf Wagemutige, die versuchen, den durchs Dämmerige des Halbtunnels hastenden Passanten irgendetwas zu verkaufen.

Ein Konzept, das den Stadtrat überzeugte, das sogar die sonst bei jedem Erkeranstrich eisenharten Denkmalschützer bewog, dem Abriss zuzustimmen. Nein, keine Protest-Demos an diesem Sommermorgen, als Marko Bauer seine Maschine anwirft. Keine Spruchbänder, keine Faust-Besetzung, wie sie der Alptraum der Stadtverwaltung gewesen sein mag. Spurlos verschwindet der Brocken. Später folgen ihm die beiden flankierenden Hochhäuser.

13 Jahre danach ist nicht einmal mehr Erinnerung übrig. Nur noch ein flacher, glatter Platz mit ein paar schütteren Bäumchen, der im Sommer in der Sonne glüht. Und in der Dämmerung von Drogenhändlern beherrscht wird.




Mittwoch, 6. Juli 2016

Die vergessene DDR: Aus einem Land vor unserer Zeit


Als die Mauer fiel, waren sie ein Jahr alt: Die letzten Kinder der DDR haben keine eigenen Erinnerungen mehr an ihr Vaterland, aber genaue Vorstellungen, wie es auf jeden Fall vielleicht gewesen sein könnte. Alles lange her, alles längst Geschichte. Was Jugendliche über die DDR wissen oder zu wissen glauben, hängt davon ab, was Eltern und Großeltern erzählen. Wenig ist es aber in jedem Fall.

Sie sind damals alle ein bisschen zu früh gekommen. Und ein wenig zu spät dran gewesen. "Als die Mauer fiel", erzählt Johannes, "sind mein Vater und meine Schwestern gleich am nächsten Tag in den Westen gefahren, um mal zu gucken." Er selber, am 9. November 1989 gerade ein Jahr alt, blieb mit seiner Mutter zurück. Ohne Trauer, lacht er. "Ich hätte ja sowieso nichts mitgekriegt."


Zu spät, um die DDR noch kennen lernen zu können. Zu früh, um im neuen Deutschland geboren zu sein. Wer heute 25 oder 26 ist, kommt aus einem Land vor unserer Zeit. Keiner hat eigene Erinnerungen an den untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat. Doch alle haben genaue Vorstellungen von dem, was damals gewesen ist.

Jeder Montagmorgen zum Beispiel begann mit einem Fahnenappell. Daniel spricht das Wort aus, als habe er sich den Magen daran verdorben. "Wer irgendwie daneben lag", glaubt er, "wurde da vor versammelter Schule runtergemacht." Schließlich habe niemand aus der Reihe tanzen sollen, und "alle sollten glauben, was der Staat wollte". Da nicken die Köpfe einhellig. "Die Leute sind ja so erzogen worden", sagt Georg, "dass sie vieles akzeptiert haben, obwohl es ihnen gegen den Strich ging."

Was ihren Eltern da geschah, ist den Jugendlichen immerhin noch vorstellbar. Nicht, dass sie sich wirklich damit beschäftigt habe, gibt Mandy zu. "Nur mit Geschichten wie Stasi und so, die spannend sind." Aber wenn die DDR ein Gefängnis gewesen sei, dann eines, in dem sich die Insassen doch einrichten konnten, irgendwie, schließt Alexander aus den Erzählungen seiner Eltern. "Die Freiheit war nicht da, aber deshalb haben die nicht alle jeden Tag nur gelitten."

Ganz im Gegenteil, glaubt Johannes. "Weil es so wenig gab, haben die Menschen mehr zusammengehalten." In den DDR-Geschichten, die in den Familien erzählt werden, ist so auch seltener von der Partei und häufiger von den Partys die Rede. Und obwohl die gelegentlichen Ostalgie-Wellen durchweg mit Abscheu verfolgt werden, lebt der triste Alltag zwischen Schlangestehen und Trabifahren am liebsten als Abenteuer wieder auf: Wie die Eltern nach Schallplatten jagten, "ohne zu wissen, was überhaupt drauf war". Martin lacht. Wie sie klitzekleine Auslandsabstecher als Weltreisen nahmen. Wie sie zusammen nicht einverstanden waren, "aber eben auch nichts machen konnten". Auch Anja hat dieses DDR-Bild im Kopf: Mehr Wärme, weniger Ellenbogen. "Jeder hat einen Job bekommen", sagt Daniel, "wenn man nichts Tolles wollte, musste man sich über sein Leben gar keinen Kopf machen."

Das klingt schrecklich. Und sehr bequem. "Die Ansprüche waren geringer", meint Alexander, "wo heute eine Villa her muss, reichte damals schon eine Jeans." Der Mensch als Passagier im großen Lebensbus, mit einem treusorgenden Staat am Steuer. "Mir würde da", sagt Sebastian, "die Freiheit fehlen." Andererseits, bemerkt Josephine, "kommt man heute nach dem Abi aus der Schule und keiner nimmt einen bei der Hand."

Dafür biete die Welt ungleich mehr Chancen, argumentiert Philipp. "Man kann alles machen, keiner redet einem rein." Vorausgesetzt, man hat die Kraft, nach den unbegrenzten Möglichkeiten zu greifen, schränkt Georg ein: "Wer das nicht drauf hat, fällt auf die Nase."

Aber nein, sie könnten sich nicht vorstellen, anders zu leben. "Der ganze Gruppenzwang damals, das passt nicht zu uns", vermutet Georg. Alle seien heute viel individualistischer, viel egoistischer auch. "Damals konnte keiner als Punk rumlaufen, weil er halt in der FDJ war", stellt er sich vor.

Dass einer beides zugleich war? Blauhemd und Irokesenschnitt? Undenkbar. Er könne doch verstehen, dass es Gleichaltrigen in der DDR auch Spaß gemacht habe, "als Pioniere rumzurennen, wenn ihre Freunde auch Pioniere waren", meint Johannes. "Aber wir sind gewohnt, dass wir wählen können, zu welcher Szene wir gehören."

Wie sie da sitzen, in Kapuzenjacke und Baggy-Hosen, bauchfreiem T-Shirt und Karohemd, ist das zu glauben. Die heute jung sind, sind keine Kinder mehr und doch noch keine Erwachsenen. Sie sind so selbstbewusst, weltgewandt und eigensinnig, wie sie im Schatten der Mauer wohl nie geworden wären. Doch Kinderland ist abgebrannt, und auch der Rauch hat sich verzogen: Der letzte DDR-Staatsratsvorsitzende wird für die finale Generation seiner Untertanen auf immer Erich Honecker heißen, nicht Egon Krenz. Auch der Ostrock ist zusammengeschrumpelt zu einem Triumvirat aus Puhdys, City und Karat. Silly, nein, die sind von später. Die Frage, ob zu Hause immer noch Ost- oder eher doch West-Zigarettensorten geraucht würden, beantwortet ein kollektives Staunen. Dann fragt es von ganz hinten ganz leise: "Ähm, wie hießen denn die Ostmarken?"

Sonntag, 3. Juli 2016

Der Iran schützt seine Daten

Die EU macht es vor, der Iran macht es nach. Nach dem Platzen der Safe-Harbour-Regelungen zwischen EU und USA droht amerikanischen Internetfirmen künftig eine Zwangsspeicherung aller Kundendaten in Europa - aus Datenschutzgründen. Eine ähnliche Begründung bringt jetzt auch die Regierung des Iran vor, um Anbieter von Kommunikationsapps zu zwingen, die Daten von iranischen Nutzern nur noch im Iran zu speichern.

Ein Jahr sollen ausländische Anbieter von Messaging-Apps Zeit bekommen, um in der Islamischen Republik eine Infrastruktur aufzubauen, die es ihnen erlaubt, Daten von und über iranische Staatsbürger auf Server innerhalb des Iran zu speichern.

Gegen eine Speicherung im Ausland sprächen Datenschutz- und Sicherheitsbedenken, behauptet die Regierung in Teheran. Alle Dienste, die dem nicht Folge leisten, könnten nicht weiter im Land arbeiten, erläuterte der sogenannte Oberste Rat für den Cyberspace. In der Bevölkerung des Landes, das auf Platz 14 der Staaten mit den meisten Handyanschlüssen liegt, sind Whatsapp und Telegram ebenso wie Twitter, Facebook und andere Netzwerke äußerst beliebt, wenn sie auch gelegentlich von der Regierung blockiert werden.

Die neuen Maßnahmen rufen Befürchtungen hervor, der Staat wolle sich auf diese Weise einen Zugriff auf die Netzwerke sichern. Die Pflicht zur inländischen Datenspeicherung könnte dann auch genutzt werden, um unliebsame Einträge zu entfernen und Nutzer unter Druck zu setzen. So ist das wohl geplant.

Der Iran macht es vor. Deutschland macht es nach.