Donnerstag, 19. Januar 2017

Reinhard Heydrich: Die blonde Bestie aus der Gütchenstraße


Reinhard Heydrich war Himmlers rechte Hand und Hitlers Hirn bei der Planung des Holocausts. Geboren in Halle und aufgewachsen in der Gütchenstraße, machte der Sohn eines Opernsängers und Musikschulgründers nach seinem Rausschmiß aus der Marine schnell Karriere in der SS. Doch Gerüchte um eine angebliche jüdische Abstammung begleiteten die "blonde Bestie" ein Leben lang.


Es war das mehrbändige Riemannsche Musiklexikon, das den strammen Antisemiten Reinhard Heydrich in Verlegenheit brachte, noch ehe sein ganz großer Aufstieg in der Nomenklartura des Dritten Reiches begonnen hatte. In jenem Lexikon, seinerzeit ein Klassiker, wurde Heydrichs Vater Bruno, ein in der halleschen Gütchenstraße ansässiger Opernsänger, Komponist und Musikschul-Betreiber, mit dem Hinweis erwähnt, er heiße standesamtlich eigentlich „Isidor Süß“. Süß war ein weitverbreiteter Nachname unter jüdischen Familien - Heydrich sah sich plötzlich einer von Hitlers Ziehvater Gregor Strasser angeordneten Untersuchung durch Rudolf Jordan, den Gauleiter von Halle-Merseburg ausgesetzt, deren Ziel es war, seine vermeintlichen jüdischen Wurzel offenzulegen.

Stein ohne Vornamen


Ein Vorhaben, das auf der These beruhte, Reinhard Heydrich sei quasi aus Hass auf seine eigene Abstammung Nationalsozialist und Judenfeind geworden. Gerüchte gingen um, nach denen der Chef des Reichssicherheitsdienstes Vertraute veranlasst habe, Kirchenbücher entwendet und dafür zu sorgen, dass das Grab seiner jüdischen Großmutter auf einem Leipziger Friedhof mit einem neuen Stein ohne deren Vornamen Sarah versehen wird. Einer anderen Variante der Geschichte zufolge sollte Heydrich die Großmutter gar exhumieren  und in Dänemark neu bestattet lassen haben.

Fake News in einem Zeitalter, als es den Begriff noch nicht gab. Erfunden hatte sie in diesem Fall offenbar ein Schüler von Heydrichs Vater, von Beruf Bäckermeister in Halle und familiär mit dem Herausgeber der Enzyklopädie verbunden. Bruno Heydrich hatte den Mann aus seinem "1. halleschen Konservatorium für Musik und Theater" geworfen. Der Geschasste rächte sich, indem er behauptete, es bestehe eine Blutsverwandschaft Heydrichs zu einem jüdischen Vorfahren.

Der Kern des Vorwurfs, der aufgrund der Fixierung der Nazis auf "Rasse" und "Abstammung" gehalten war, jede Karriere zu zerstören, lag im frühen Tod von Heydrichs Großvater. Die Großmutter des späteren Massenmörders hatte daraufhin, alleingelassen mit insgesamt sechs Kindern, einen Mann namens Süß geheiratet, der ihr half, die Kinder ihres ersten Ehemanns großzuziehen.

Heydrich klagte gegen den Verlag wegen Verleumdung und gewann den Prozess, der, so heißt es später in einem Buch des SS-Mannes Wilhelm Höttl, "dank der Presselenkung keinerlei Aufsehen erregte". Doch das Gerücht wurde er nicht los. So hoch der Hallenser in der Nomenklatur der Nazis stieg, so stetig hielt sich die Geschichte über die jüdischen Wurzeln des Mannes, der die Wannsee-Konferenz organisierte und dort zum obersten Planer des Vernichtungsfeldzuges gegen die europäischen Juden wurde. Heydrich habe seine "jüdischen Wurzeln" überwunden, soll Himmler über seinen wichtigsten Mann gesagt haben - offenbar lebte selbst der Herrscher des SS-Schreckensreiches im Glauben, irgendetwas müsse an der  Geschichte schon dransein.


Lückenhafte Ahnentafel


Auch lange nach dem Tod Heydrichs, auf den tschechische Widerstandskämpfer im Sommer 1942 in Prag  einen Anschlag verübten, hielten sich die Erzählungen über den antisemitischen Juden nicht nur, sie schienen auch immer mehr Begründungen zu finden. Als nach dem Krieg entdeckt wurde, dass in seiner bei der SS amtlich geführten Ahnentafel Name, Herkunft und Geburtsort der Großmutter fehlten, kam selbst Robert Kempner, einer der Anwälte im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und der Entdecker des Wannsee-Protokolls über die Beschlüsse zur Ermordung von Millionen Juden zum Schluss, dass Heydrich seine Biografie gefälscht habe.

Erst Mitte der 60er Jahre gelang es dem israelischen Historiker Schlomo Aronson dann, den Beweis zu führen, dass der Organisator des Holocaust kein Jude war, sondern ein Mann aus den deutsch-konservativen, bürgerlichen Kreisen Halles.



Dienstag, 10. Januar 2017

Unity Mitford: Adolfs It-Girl

Sie ist blutjung, wunderhübsch, reich und aus bestem Hause. Dann aber  verliebt sich die englische Adelstochter Unity Mitford in Deutschland, den Führerstaat und vor allem in Adolf Hitler, den sie liebt, vergöttert und über Jahre begleitet. Der Anfang eines tragischen Endes für eine Frau, deren Rebellentum bis heute ein Rätsel ist. 


Die Frau mit den strahlenden Augen, dem dunkelblonden Haar und den rot angemalten Lippen wartet vergebens im Münchner Café „Osteria Bavaria“. Doch immer wieder findet sie sich ein, liest in der „Vogue“, schaut aus dem Fenster und trinkt Tee. Unity Valkyrie Mitford ist geduldig, denn sie ist auf der Jagd. Auf der Jagd nach ihrem Idol, ihrer großen Liebe. Auf der Jagd nach Adolf Hitler.
Der geht in jenem Jahr 1935 ein und aus im In-Restaurant der Münchner Schickeria. Nur erwischen muss man ihn. Unity Mitford, eines der sieben Kinder von David Bertram Ogilvy Freeman-Mitford, 2. Baron Redesdale, und seiner Ehefrau Sydney Bowles, ist zudem die Cousine von Clementine Churchill, der Ehefrau von Winston Churchill, und die Tante des späteren Formel-1-Funktionärs Max Mosley. Sie wartet wochenlang.

Manchmal sieht sie ihren geliebten Führer vorübergehen. Gelegentlich nickt er ihr sogar erkennend zu. Doch erst am 9. Februar 1935 gegen 15 Uhr bittet Hitler Unity Mitford an seinen Tisch. Am nächsten Morgen schreibt die 21-Jährige übersprudelnd vor Gefühl an ihre Schwester Diana: „Gestern war der wundervollste und schönste Tag in meinem Leben.“


Sonderbare Affäre


Es ist der Beginn einer sonderbaren Affäre zwischen der jungen Engländerin aus bestem Hause und dem verhinderten Kunstmaler aus Österreich, der es bis zum deutschen Reichskanzler bringt und die Welt anschließend in die tiefsten Abgründe stürzt, die die Straubinger Schriftstellerin Michaela Karl in ihrem Buch „Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“ beschreibt.

Unity Mitford, die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu Hitlers Girl werden wird, vereint zwei Welten in sich. Hier ist die wohlerzogene Adlige aus gutem Haus, die sich zu benehmen weiß. Und dort die Rebellin, die sich nicht benehmen will, wie es ihre Umgebung von ihr erwartet. Unity ist ebenso schön wie romantisch veranlagt, sie kennt keinen Respekt vor Traditionen und glaubt mit großer Selbstverständlichkeit an übernatürliche Erscheinungen. Mehr als zu Menschen fühlt sie sich zu Tieren hingezogen. Mehr als nach einer Lebensaufgabe für sich selbst sucht sie nach dem künftigen Weg für die Gesellschaft.

Als ihre Schwester Diana den englischen Faschistenführer Oswald Mosley kennenlernt und seine Geliebte wird, fühlt sich Unity Mitford angesprochen von dessen Parolen. Ihr gefallen die Uniformen, das Strenge, Disziplinierte, die Märsche, Stiefel und Ledergürtel. Zwischen ihren Besuchen bei den großen Bällen der Londoner Gesellschaft ist Unity Mitford bald vor allem damit beschäftigt, Hitler anzuhimmeln. Seit dessen früher Förderer Ernst „Putzi“ Hanfstaengel sie zum ersten Mal nach Deutschland eingeladen hat, ist Unity vom Führerstaat fasziniert. Ein Besuch beim Reichsparteitag in Nürnberg macht die britische Adlige endgültig zum Führer-Girl.
Auch die Nazis sind beeindruckt, selbst wenn Göring und Goebbels das offensive Make Up von Unity und ihrer Schwester Diana kritisieren. Hitlers Rassehetzer Julius Streicher zeigt sich begeistert von den „Mustern nordischer Schönheiten“. Und Unity vom Nazi-Chic: Mit 304 Führerpostkarten im Gepäck tritt sie die Heimreise an. Nach Hause ins alte England aber gelangt sie nie wieder.

Unity Mitford ist jetzt mehr Nationalsozialistin als Britin. Lässt sie sich von Hitler anfangs noch beglückt Autogramme geben, hat sie den Führer bald so weit, sie in seinen innersten Kreis vorzulassen. Unity Mitford ist 1,80 groß, kräftig und ihr zweiter Vorname ist Valkyrie, also Walküre, der Titel einer Oper des von Hitler so geschätzten Richard Wagner, mit dem Unitys Großvater Bertie persönlich befreundet war. Adolf Hitler ist hingerissen, er sieht in Unity den Vorboten eines Siegeszuges des Nationalsozialismus auf der Insel. Danach werde sein Wunsch, mit Großbritannien auf Augenhöhe über eine Aufteilung der Welt zu verhandeln - Deutschland bekommt Europa, England den Rest -, nur noch Formsache sein, glaubt er.

Dank ihres britischen Passes lebt Unity Mitford das globalisierte Leben des Jet Set. Im schnittigen Kleinwagen braust sie durch Europa. Hitler nimmt sie mit zur Hochzeitsfeier von Göring und sie ist zum Diner mit Ribbentrop und Goebbels verabredet. Sie gibt dem Nazi-Regime Weltläufigkeit und internationalen Anschein. Sie selbst sei wohl „irgendwie hingerissen von dem Glanz und dem Auftreten der nationalsozialistischen Bewegung und der Massenbewunderung für Hitler“, notiert der britische Nazi-Führer Mosley nach einem Abendessen in Hitlers Münchner Wohnung, an dem neben Winifred Wagner auch Unity teilnehmen darf.

Die 21-Jährige ist jetzt das It-Girl des Dritten Reiches. Während die Nazis ihre ersten Feinde in Lager bringen, wirft sie Knallerbsen aus ihrem Fenster in der Kaulbachstraße. Sie macht nackt Frühsport und liegt ebenso nackt im Englischen Garten. „Good Girl“, nennt sie eine Mitbewohnerin ironisch. Daheim auf der Insel kann darüber niemand lachen. Unity Mitford gilt in den späteren 30er Jahren nicht mehr nur als Oberklassenmädchen mit verschrobenen Vorlieben, sondern als Staatsfeindin.

Doch Unity lässt sich nicht beeindrucken. Viel zu sehr ist sie eingenommen von der Hingabe, die der Mann, den sie in Briefen als „den süßen Führer“ bezeichnet, ihr widmet. Selbst Eva Braun wirkt ungehalten über beider Nähe, wie ein Tagebucheintrag verrät. „Er“ habe jetzt einen Ersatz für sie, schreibt Hitlers Geliebte: „Sie heißt Walküre und sieht so aus, die Beine miteingeschlossen.“
Dass Hitler mit der jungen Britin Gespräche über Politik führt und ihr sogar gestattet, ihm zu widersprechen, erstaunt unter anderem Hitlers Architekten Albert Speer. Dass sie 1936 als Hitlers Ehrengast bei den Olympischen Spielen weilt, überrascht niemanden mehr. Das Mädchen von der Insel gehört zum festen Nazi-Inventar.


Kugel in den Kopf


Eine Stellung, die Mitford mit Kriegsausbruch in eine Zwangslage bringt. Unter nie geklärten Umständen trifft eine Kugel sie am 3. September 1939 mitten in München in den Kopf. Es ist der Tag der britischen Kriegserklärung an Deutschland - und Unity hat wohl selbst abgedrückt. Von den Hirnschäden, die die 25-Jährige durch das Geschoss erleidet, erholt sie sich nie wieder. Unity Mitford wird schwer verletzt nach England zurückgeholt, hier lebt sie halb gelähmt und angefeindet bis zum Mai 1948, als sie an den Folgen einer Meningitis stirbt. Sie ist gerade 33 Jahre alt. Und hat Hitler nie abgeschworen.

„Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“, Hoffmann und Campe, 400 Seiten, 22 Euro

Freitag, 30. Dezember 2016

Zehn-Jahres-Gedenken: Micha Rösch - ein bunter Hund im Os­t­rock-​Uni­ver­sum

Micha Rösch mit einem seiner Idole, dem Chef der Walkabouts Chris Eckman.
Er war immer schon früher da. Wenn die Techniker noch auspackten, die Musiker ihre Instrumente stimmten und nur eine Handvoll Fans sich an der Bar herumdrückten, ging Michael Rösch bereits um: Leicht gebeugt schlenderte er durch den Saal, eine große Brille auf der Nase und einen Packen Flugblätter in der Hand, die für seine auf Ostrock spezialisierten Internetseiten warben.

Doch nicht erst durch die wurde Michael Rösch zum bunten Hund im Ostrock-Universum. Wer in den letzten zwei Jahrzehnten auch nur hin oder wieder zu Rockkonzerten in Halle, Leipzig oder Landsberg ging, lernte den begeisterten Musikliebhaber beinahe zwangsläufig kennen. Wo immer eine Gitarre eingestöpselt wurde, war Micha Rösch, in der Szene nur "der Micha" genannt, nicht weit. Ob Karat oder Renft, Puhdys und Gundermann, Silly oder Die Sieben Leben - der Micha liebte sie alle, er liebte sie unbedingt und abgöttisch.

Und er wusste alles von ihnen. Wer wann mit wem spielte, welcher Titel auf welcher CD zu finden ist - der studierte Bauingenieur, der nach der Wende zum Steuerberater umschulte, vermochte jede noch so komplizierte Frage wie im Vorbeigehen zu beantworten.


Glühender Fan jeder Art von handgemachter Musik war der gebürtige Dessauer früh geworden. Schon zu DDR-Zeiten sammelte Micha Rösch Amiga-Platten, las "Melodie&Rhythmus", fuhr zu Konzerten und suchte Kontakt zu Musikern wie dem Renft-Mann Peter "Cäsar" Gläser, Komponist seines Lieblingsliedes "Wer die Rose ehrt", oder der Leipziger Sängerin Susanne Grütz, die er ganz besonders verehrte. Nach dem Ende der DDR dann wurde er zum Archivar ihres musikalischen Nachlasses: Tausende und Abertausende CDs, Platten und Bücher füllten zimmerhohe Regalwände in seiner Wohnung hoch über dem halleschen Riebeckplatz.

Als ihm sein Chef schließlich kündigt, weil der Micha im wahren Leben keiner ist, der sich widerspruchsfrei in die marktwirtschaftliche Vermarktungslogik einpasst, wird das Hobby dem glühenden Lokalpatrioten zu Halt und Lebensinhalt zugleich. 


Micha Rösch frickelt nun Tag und Nacht an seinen Internetseiten, er entwirft Logos, bastelt Aufkleber, versucht, die Szene zu vernetzen. Bei Radio Corax in Halle moderiert er die Sendung "Rocktrabant", er verfasst Plattenkritiken und Konzertrezensionen, organisiert Fantreffen und hofft Jahr für Jahr mit nie erlahmender Zuversicht, dass es diesmal wirklich ein Künstler aus seiner Wahlheimatstadt Halle bis in die Hitparaden schafft.

Er ist immer enttäuscht worden, und war doch nie enttäuscht. Michael Rösch saß weiter jeden Sonntag in seiner Lieblingskneipe und schwärmte glühenden Auges von neuen Songs seiner alten Helden. Er plante eine Radiosendung, die trotzig "Halle rockt" heißen sollte. Und er freute sich darauf, seinen Helden Mitch Ryder und die bei ihm noch höheren Rang genießende Band Engerling wie jedes Jahr wieder gemeinsam zu erleben.


Die Ostrocker und der Reibeisen-Ami haben dann ohne ihn feiern müssen. Micha Rösch wurde einen Tag vor dem Silvesterfest des Jahres 2006 tot in seiner Wohnung gefunden, gestorben nach einem Zuckerschock. 


Ostdeutschlands Rock-Papst, der auf eine sehr leise Weise unüberhörbar gewesen ist, wurde nur 43 Jahre alt.

Die Internetadresse seiner Seite halle-rockt.de hat sich inzwischen eine Rechtsanwaltskanzlei gesichert. In seinem geliebten Ostrockforum aber erinnert sich hin und wieder noch jemand an ihn.


Dienstag, 27. Dezember 2016

Deutsche Datentrottel: Wie die EU sinkende Preise verhindert


Obwohl Deutschland beim mobilen Internet weit abgeschlagen ist und die Kunden unter hohen Preisen leiden, sehen Kartellamt und EU-Behörden keinen Grund zum Eingreifen. Mit neuen Plänen zur Abschaffung des Roaming wird ein gemeinsamer europäischer Markt für Telekommunikation nun endgültig und für alle Zeiten unmöglich. 

Dass etwas gründlich schief läuft zwischen Deutschland und der mobilen Datenzukunft, das ist kaum zu übersehen. Wollen Dänen, Letten oder Polen mobil mit ihren Smartphones oder Tablets ins Internet, dann buchen sie eine Flatrate. Die ist mit um die 16 Euro günstig. Und sie ist nach oben offen - egal, wie viel Daten herunter- oder hinaufgeladen werden, es gibt keine Volumenbegrenzung, keine Geschwindigkeitsbremse, nichts.

Für deutsche Kunden unvorstellbar. Hierzulande bekommt der durchschnittliche Surfer höchstens ein bis zwei Gigabyte Datenvolumen zu dem Preis, zu dem einem dänischen Nutzer grenzenlose Datenmengen zur Verfügung stehen.


In der aktuellen Untersuchung des Digital Fuel Monitors, der Datenpreise in ganz Europa verglichen hat, steht Deutschland auf dem drittletzten Platz, abgeschlagen hinter Finnland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Schweden, aber auch hinter Italien und Spanien. Und nur knapp vor Rumänien und Zypern. Umgerechnet ist mobiles Surfen in Deutschland bis zu 50 mal teurer als anderswo in Europa. Nur die vergleichsweise hohen Einkommen lassen die Bundesrepublik statistisch gut aussehen: Durchschnittlich 0,5 Prozent seines Einkommens gibt ein Deutscher für Mobilfunkleistungen aus. Das ist ähnlich wenig wie Österreicher, Dänen oder Finnen bezahlen. In Griechenland, Ungarn und Rumänien sind es dagegen stolze drei Prozent, weltweit im Durchschnitt 6,6 Prozent und in manchen afrikanischen Ländern sogar über die Hälfte des Gesamteinkommens.


Fünf Jahre Agenda



Vor fünf Jahren hatte die EU-Kommission erstmals eine "Digitale Agenda" vorgestellt, mit der Europa zu einem einheitlichen digitalen Binnenmarkt zusammenwachsen sollte. Der würde, so die Kommission, einerseits eine "universelle Breitbandversorgung in Kombination von Festnetz und Mobilfunk" garantieren. Und andererseits bis 2020 ultraschnelle Internetanschlüsse mit mehr als 100 Mbit/s für alle Bürger bereitstellen. 


2015 bekräftigte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dass an dem Vorhaben festgehalten werde. Er wünsche sich "paneuropäische Telekommunikationsnetze, grenzüberschreitende digitale Dienste und eine Gründungswelle bei innovativen europäischen Start-ups", sagt der Luxemburger bei der Vorstellung von 16 Einzelinitiativen, die dazu führen sollen, "dass alle Verbraucher die besten Angebote bekommen und alle Unternehmen im größtmöglichen Markt tätig werden können" (Juncker).

Ein Wunsch, der bis heute nicht in Erfüllung gegangen ist. Obwohl gerade der Zugang zu den mobilen Netzen ein paneuropäisches Geschäft ist, das nicht an Ländergrenzen Halt macht, erschöpft sich das Engagement der EU-Kommission für einen freien Zugang aller zu den günstigsten Angeboten in ganz Europa seit Jahren im medienwirksamen Kampf gegen das Roaming - also die mit Zusatzkosten verbundene Netznutzung im europäischen Ausland. Weder untersucht das deutsche Kartellamt die hohen Preise im Inland noch tun die EU-Wettbewerbshüter mehr als gelegentlich in Studien riesige Unterschiede bei den "mobile broadband prices" (Titel) im gemeinsamen Markt zu konstatieren. Deutsche Mobilfunkkunden sind so gezwungen, ihre Verträge bei deutschen Mobilfunkfirmen abzuschließen, obwohl deren Angebote dem Vergleich mit der österreichischen oder polnischen Konkurrenz nicht im entferntesten standhalten.


Polen hat es gut

Zehn Gigabyte Datenvolumen gibt es in Polen als Startangebot für 2,25 Euro - hinter der Offerte steht die polnische Tochter der Deutschen Telekom, die im Tarif S-Data Comfort in Deutschland ein Gigabyte für 13,95 Euro anbietet. Ähnlich krass ist der Unterschied zu Österreich: 2 GB <> kann ein Kunde des Anbieters Drei hier zum Preis von 4,90 Euro nutzen. Im deutschen E-Plus-Netz kostet das mit 7,45 Euro in der günstigsten Variante rund 50 Prozent mehr. Und dabei wird es auch ab kommendem Sommer bleiben, wenn die so lange beschworene Abschaffung der Roaminggebühren Realität wird. 

Denn obwohl Andrus Ansip, EU-Kommissionsvizepräsident und zuständig für den digitalen Binnenmarkt, bei der Ankündigung des Roaming-Endes demonstrativ behauptete, der Beschluss sei "das Ergebnis intensiver Bemühungen, ein offenes Internet zu schaffen", bleiben die nationalen Märkte streng abgeschirmt.

Zwar ist es richtig, dass "die Europäer für Handygespräche auf Reisen in der EU denselben Preis wie für Handygespräche zu Hause zahlen", wie Ansip sagt. Doch die Betonung liegt auf "wie zu Hause": Wer einen Vertrag aus Lettland oder Polen hat, surft auch in Frankreich, Rumänien oder Deutschland so günstig wie daheim. Wer dagegen mit seinem teuren deutschen oder zypriotischen Vertrag auf Reisen ist, zahlt weiter die 50-fach teureren Gebühren, die für ihn zu Hause anfallen.


"Paneuropäische Telekommunikationsnetze" wie sie sich Juncker wünschte? Kein Gedanke. Aus der Absicht der EU, "Barrieren im digitalen Binnenmarkt einzureißen", wie es Andrus Ansip genannt hatte, ist ein Vorhaben geworden, das dem digitalen Binnenmarkt einen Riegel vorschiebt. Denn wer nun glaubt, er könne sich im Vertrauen auf die ja demnächst abgeschafften Roaming-Gebühren im Urlaub eine Sim-Karte mit billigem dänischen oder polnischen Tarif zulegen und sie dann zu Hause nutzen, hat nicht mit der guten Lobby-Arbeit der Mobilfunkanbieter gerechnet.


Die haben sich nämlich bei der EU-Kommission Ausnahmen für das sogenannte permanente Roaming erteilen lassen, weil der dauerhaft in Deutschland genutzte österreichischen Vertrag "marktschädigend wirken" könnte. 


Daher dürfen Anbieter, sobald sie bemerken, dass ein Kunde sich benimmt, als gäbe es einen wirklichen digitalen Binnenmarkt, Aufschläge verlangen, um das Ausnutzen der Preisunterschiede zu unterbinden.