Samstag, 24. Juni 2017

Kraftklub: Die Axt aus dem Osten


Im fünften Jahr nach ihrem Debütalbum schlägt die Erfolgsband aus Chemnitz auf „Keine Nacht für Niemand“ neue Töne an.

Links der Neubaublock aus alten Zeiten, daneben der Philosophenkopf, den die Einheimischen kurz „Nüschel“ nennen. Und davor die fünf Herren mit K, in weißen Polo-Shirts wie immer,  rote Hosenträger festgeschnallt und auf einer improvisierten Bühne versammelt. „Spring aus dem Fenster für mich“, singt Felix Brunner, der bei der Chemnitzer Rockband Kraftklub am Mikrophon steht und auch beim neuen Hit der fünf Sachsen zeigt, wie Ironie geht.

Natürlich singt die Menge, die zum Spontankonzert der Lokalhelden in die Brückenstraße gekommen ist, begeistert mit. Und natürlich ist es nicht wirklich ein Spontankonzert, das Felix Brunner, sein Bruder Till am Bass, die Gitarristen Karl Schumann und Steffen Israel und Drummer Max Marschk hier aufführen. Nein, Kraftklub feiern mit solchen Auftritten auf Straßen, in Hinterhöfen oder auf einem Lkw ihr neues, inzwischen drittes Album „Keine Nacht für Niemand“.

Raketenstart in Sachsen


Das muss so sein, denn Kraftklub sind fünf Jahre und drei Alben nach  ihrem Raketenstart aus Sachsen an die Spitze der Charts ein Top-Thema. Das Quintett spielt in einer Hit-Liga mit den Toten Hosen, Rammstein und dem Rostocker Rapper Marteria, spielt in ausverkauften Arenen und bekommt Einladungen zu den angesagtesten Festivals.

Daran war 2009, als der damals noch als Rapper auftretende Felix Brunner sich der Rockband seines Bruder Till anschloss, nicht zu denken. Die beiden Söhne des Künstlerehepaares Ina und Jan Kummer, das zu DDR-Zeiten mit der Avantgardegruppe AG Geige Furore gemacht hatte, zielten  eigentlich auch gar nicht auf den großen Pop-Markt. „Adonis Maximus“, die erste offizielle Veröffentlichung, vermählte Rap und Rock und unwiderstehliche Tanzbeats und ätzte böse gegen rundgelutschte Schlagerstars.  Mit der Anti-Metropolenhymne „Ich will nicht nach Berlin“ war es dann eben doch passiert. 20 Jahre nach den Prinzen hatte Sachsen wieder eine Top-Ten-Band.

Die sieht nun rot.  War das Debüt „Mit K“ noch ganz weiß gehalten, der Nachfolger „In Schwarz“ dann wie ein Negativbild ganz schwarz, so leuchtet der Streichholzaugen-Titel von „Keine Nacht für Niemand“ blutrot. Ein Zeichen, denn Kraftklub haben ihren musikalischen Horizont im dritten Anlauf entscheidend erweitert. Zu Punk und Hip Hop, Metal, TexMex und Glam-Rock-Riffs kommen diesmal Streicher, Beatles-Harmonien und  augenzwinkernde Verneigungen vor  Helden der Kraftklub-Musiker. Einer davon ist Sven Regener, Sänger und  Kopf der Band Element of Crime, deren fast zehn Jahre alter Song „Am Ende denk’  ich immer nur an dich“ hier nicht nur zitiert, sondern von Regener selbst mitgesungen wird.


Nachtvorstellung der Verrückten


Nicht der einzige Gast in dieser Nachtvorstellung der Verrückten, deren Titel auf das 45 Jahre alte Scherben-Album „Keine Macht für Niemand“ anspielt. Auch Wu-Tang-Clan Rapper Ol’ Dirty Bastard, die Britpopper Blur, Depeche Mode, die  Kumpels von Deichkind und Die Ärzte werden zitiert.

Und nachgemacht:  In „Dein Lied“, einer Ballade, in der ein enttäuschter Liebender seiner  Verflossenen hinterherheult,  heißt es provokativ „Du verdammte Hure, das ist dein Lied“. Geht gar nicht, schallte es augenblicklich von den Tugendwächtern der Popkultur, denen der Rollensong eindeutig zu weit ging, künstlerische Freiheit hin oder her. Felix Brunner hat die Vorwürfe ironisch gekontert. „Muss man bei seinen Texten immer eine Gebrauchsanweisung mitliefern?“, fragt er. Für ihn sei der Einsatz des Streichorchesters in einem Punksong mehr Provokation als die Verwendung eines Wortes, das ein betrogener Liebhaber durchaus auch im echten Leben verwenden könnte.

Erledigt. Mit dem Selbstbewusstsein seiner 27 Jahre räumt der gerade so noch in der DDR geborene Kraftklub-Texter die Vorwürfe so beiläufig ab wie seinerzeit die Kritik an der Kraftklub-Uniform aus Baseballjacken und Polo-Shirts. Kraftklub, die anfangs nie politisch sein wollten, sich später aber ganz entschieden gegen die Rock-Kollegen von Frei.Wild positionierten, sind heute die Axt aus dem Osten, die die Einsicht in die Notwendigkeit politischer Korrektheit grinsend in Stücke schlägt.

Rock kann nicht den Konsens suchen, wenn er richtig rocken will. Und ein Liedtext ist nicht immer das Seelenbild des Mannes, der ihn singt.

Kraftklub: Keine Nacht für Niemand, Vertigo Berlin

Freitag, 23. Juni 2017

Fundstücke am Rande der Gerechtigkeit


Beim Amtsgericht in Halle wird eigentlich nach Gerechtigkeit gesucht. Dabei geht aber auch ständig etwas verloren, allerdings niemals so ganz: Eine ordentliche deutsche Behörde führt ordentlich Buch über alle Fundstücke.

Wer also seine Taschenbibel vermisst, seine beiden Industrieschaber oder die Anwaltsrobe - bitte im Foyer melden!

Samstag, 17. Juni 2017

17. Juni 1953: Der Tag X in Halle

Szenen aus Halle, die der Schriftsteller Titus Müller in seinem Buch über den "Tag X" fast dokumentarisch beschreibt.Fotos: Archiv Zeit-Geschichte(n), unten rechts: Albert Ammer, 

Der Leipziger Schriftsteller Titus Müller führt mit seinem spannenden Geschichtsdrama „Tag X“ in die Zeit des Arbeiteraufstandes vom Sommer 1953. Im Mittelpunkt seines Buches steht das, was damals in Halle geschah.


Auf einmal stehen alle Räder im Waggonbau Ammendorf still. Die Arbeiter sammeln sich auf dem Hof und brüllen den Parteisekretär nieder, der sie zurück an die Werkbänke reden will. Dann marschieren sie Richtung Innenstadt, ohne Befehl und ohne Anführer. Immer neue Arbeitskollektive schließen sich an. Ein schweigsamer Strom, der mehr und mehr Menschen aus den umliegenden Betrieben ansaugt. Die Staatsmacht sieht es geschockt, unfähig zur Reaktion.

Ausnahmezustand im „Maschinenraum der DDR“, wie der Leipziger Schriftsteller Titus Müller den damaligen Bezirk Halle in seinem neuen Buch "Der Tag X"  nennt. In jenem Juni 1953 ist das Volk auf der Straße, die Einheitspartei verbarrikadiert sich. Als einige Demonstranten versuchen, die Stadtleitung der SED zu stürmen, fallen Schüsse. Später am Tag wird Blut fließen, ehe sowjetische Panzer rollen und den Aufstand rücksichtslos niederschlagen.

Doch es ist nicht nur die einzige große Rebellion der DDR-Bevölkerung gegen das System, die Titus Müller beschäftigt. Ihm geht es auch in seinem zwölften Roman wieder um ein Zeitbild, das Geschichte in mehreren Ebenen lebendig werden lässt. Wie zuletzt bei „Berlin Feuerland“, einer Geschichte vor dem Hintergrund der Märzunruhen des Jahres 1848, stellt der 39-Jährige seine erfundenen Figuren in echte historische Kulissen, in denen sie stellvertretend für ihre wirklichen Zeitgenossen agieren.

Der Waliser Ken Follett hat diese Methode der Geschichtsdramastisierung zuletzt mit der auch den 17. Juni berührenden „Jahrhundertsaga“ perfektioniert. Titus Müller hält die Perspektive mehr am Boden, er schildert in „Tag X“ nur ein Jahr. Es gelingt ihm aber ebenso gut wie dem britischen Auflagenmillionär, glaubhafte Charaktere auf die historische Bühne zu stellen.

Seine Hauptheldin hier ist die Schülerin Nelly, die sich in einem Land zurechtfinden muss, das nicht einfach zu verstehen ist. Jahre zuvor haben sowjetische Soldaten ihren Vater mit nach Russland genommen, wo er für Stalin forschen muss. Nelly hat Fragen dazu, die ihr niemand beantworten will. So landet sie in der Jungen Gemeinde - und das in einer Zeit, in der die DDR gegen die Kirchen mobil macht.

Während in Moskau Stalin stirbt und das Machtgefüge im Sozialismus ins Rutschen gerät, wird Nelly zur Staatsfeindin erklärt. Sie fliegt von der Schule, verliebt sich in den Uhrmacher Wolf, der wiederum versucht, ihr über seinen Funktionärsvater zu helfen und dabei in die Fänge der Stasi gerät. In Halle hat die alleinerziehende Arbeiterin Lotte ähnliche Probleme - der Alltag ist hart, die Zukunft düster. Hoffnung könnte nur noch eine Veränderung von allem geben.

Parallel blendet Müller nach Bonn, wo ein Sowjet-Spion für seinen ambitionierten Chef Lawrenti Beria ein Tauschgeschäft über die DDR anbahnt, und nach Moskau, wo Funktionäre um das Erbe Stalins rangeln. In Berlin wird derweil eine konsternierte SED-Führung zwischen dem eigenen Volk und den Weltmacht-Interessen der Schutzmacht im Osten zerrieben.

Titus Müllers Geschichte ist ein Komprimat von vielem, was damals gewesen sein könnte, und anderem, das wirklich war. Adenauer tritt auf, Globke, Churchill und Chruschtschow intrigieren, Ulbricht bettelt, und der von seiner guten Sache überzeugte Minister Fritz Selbmann tritt den Demonstranten ungeschützt gegenüber. In echt wird Ulbricht ihn später wegen „abweichender Meinungen“ kaltstellen lassen.

Müllers temporeiches, spannendes Spiel mit der Wirklichkeit bleibt nah an der tragischen Wahrheit. Im richtigen Leben hieß der vor dem Roten Ochsen erschossene Student nicht Marc König, sondern Gerhard Schmidt (hier die wahre Geschichte), aber er war wirklich 27 und nur zufällig in die versuchte Stürmung des Gefängnisses geraten. Auch dass die DDR-Führung seinen Tod später instrumentalisierte, um mit einem Opfer „westdeutscher Provokateure“ von der eigenen Verantwortung abzulenken, ist wahr. Ebenso wie der Versuch der SED-Spitze, die erhöhten Arbeitsnormen nach den ersten Protesten zurückzunehmen.

Doch der Zug der Zeit war da schon auf den Schienen, die Machtprobe unausweichlich. Am 17. Juni rollen die Panzer, am Abend wird das Kriegsrecht verhängt. Am 18. Juni ist Halle eine belagerte Stadt, die Proteste sind erstickt. Am 26. wird Beria in Moskau verhaftet, der Kampf um Deutschland ist beendet. Der Massenmörder, der sich als Reformer sah, wird im Dezember als britischer Spion verurteilt und sofort erschossen. Zurück bleiben Lotte, Nelly und Wolf, die nichts davon verstehen und noch viel DDR vor sich haben.

Titus Müller: „Tag X“, Blessing,
400 Seiten, 19,99 Euro

Freitag, 16. Juni 2017

Roger Waters: Der Mann, der Pink Floyd bleibt


Fast ein Vierteljahrhundert nach seinem letzten Großwerk spielt Roger Waters auf "Is this the life we really want? noch einmal den großen Ball als großer, trauriger Bedenkenträger. Kein Zweifel: Waters ist immer noch und mehr denn je der alte zornige Mann, nur jetzt nicht mehr jung.

Mehr als drei Jahrzehnte ist sein Ausstieg bei Pink Floyd her, aber wenn Roger Waters ein Album macht, ist der 73-Jährige locker in der Lage, den Sound eines Floyd-Albums zu reanimieren. Auch auf "Is this the life we really want?", seinem erst dritten Werk seit der Trennung von Gilmour, Mason und Wright, ist das so. 

"When we were young" startet das Album mit Drums und Klavier, Waters gibt den Weisen vom Berge, der zurückschaut und verspricht, man könne heute noch mal den Sound von damals hören.

 Und wirklich. Die zwölf Songs, die Waters irgendwann in den 20 Jahren seit "Amused to Death" geschrieben hat, zitieren Pink Floyd in der Darkside-Phase, zeigen aber inhaltlich den zornigen alten Mann, der so ganz und gar nicht mit der Welt zufrieden ist, in der er und sein Publikum leben. 

Das macht aus dem geborenen Melancholiker, der inzwischen mit leicht gebrochener Stimme singt, noch keinen ekstatischen Rocker, aber in seinen Texten ist der Israel-Gegner, Trump-Hasser und Medienkritiker deutlich wie immer. "The Last Refugee" schildert das tragische Ende einer Flucht über das Mittelmeer und "Broken Bones" betrauert die vergebene Chance, nach dem II. Weltkrieg Freiheit statt des "american dream" zu wählen. 

Roger Waters´ Weltbild war schon immer kompliziert und einfach zugleich, seine Musik sanft wie enervierend, mehr Hörspiel als Songzyklus. "Life" ist genauso, bis zum finalen "Part of me died", das pathetisch Unversöhnlichkeit beschwört. Roger Waters wird sich nicht entschuldigen. Nie, singt er. Dazu klingt Musik, als stamme sie von der dunklen Seite des Mondes.