Montag, 14. Mai 2012

Lieber ein Verlierer sein

Fußball-Fusion in Halle: Der Kopf sagt ja, die Herzen bluten: Die Fans des HFC mögen nicht über ihren Schatten springen

Vor ein paar Wochen erst haben sie mal wieder den Kürzeren gezogen. Wie eigentlich immer in den letzten Jahren. Bei einem einigermaßen unwichtigen Hallenturnier war das, und es sah ausnahmsweise gar nicht so schlecht aus für die Mannschaft des Halleschen FC. Gegen den Stadtrivalen VfL 96 endlich mal nicht verloren, dazu ein Sieg und eine unglückliche Niederlage. Anschließend hätte es gereicht, wenn die Konkurrenz vom VfL ihr letztes Spiel nur ja recht hoch gewinnt. Beide halleschen Klubs wären ins Halbfinale eingezogen.

 Doch die Seele der HFC-Fans rechnet nicht wie ein Liga-Statistiker. Jede andere Mannschaft hätten die 500, 600 Rot-Weißen auf den Rängen vorwärtsgepeitscht, um die eigene Truppe im Turnier zu halten. Jede andere. Aber nicht den VfL, den der Anhang des Halleschen FC in Anspielung auf dessen "Stadion am Zoo" nur abfällig die "Affen" nennt. Die? Nie! Stattdessen haben sie ein neues Lied gesungen, alle Mann. "Lieber ein Verlierer sein, als ein dummes Affenschwein", ging das. Der VfL gewann nicht. Der HFC schied aus. Und der rot-weiße Block feierte seine Spieler danach wie die neuen Weltmeister.

Michael Schädlich mag das vergessen haben. Doch am Donnerstag in der knackvollen HFC-Kneipe "Bischoff" muss es dem HFC-Vizepräsidenten wieder eingefallen sein. Vier Tage nach der Mitteilung der Präsidien, dass beide Vereine eine Fusion anstreben (die MZ berichtete), war Schädlich gekommen, für den Plan "zu werben, zu kämpfen und Verständnis zu wecken". Eine Mission Impossible.

Zuviel ist geschehen in den langen, dürren Jahren seit dem Abstieg des HFC aus der 2. Bundesliga, dem der Absturz in die fünfte Liga folgte. Und Muckel und Korni, Hans, Micha, Rainer und die anderen haben keine Sekunde vergessen. Nicht die Tage, als alle Spieler fortliefen; Präsidenten vor dem himmelhohen Schuldenberg türmten und Bürgermeister im Angesicht der Katastrophe unparteiisch die Achseln zuckten. Nicht die Saison, als die HFC-Notelf aus 18-jährigen Nachwuchsspielern ganze drei Punkte holte. Und nicht die Tatsache, dass der Überlebenskampf begleitet war von den Ankündigungen des bis dato unterklassigen VfL 96, den größeren Stadtkonkurrenten in die Bedeutungslosigkeit befördern zu wollen. "Wir sind die neue Nummer eins", tönte VfL-Präsident Wilfried Klose triumphierend.

Jedes Wort traf Anhänger wie Jens Schumann, Jürgen Böhm oder Marco Hein mitten ins Herz. Die Wunden bluten noch. Im schwarzen Rolli steht Schädlich vor ihnen, von Zigarettenqualm umgeben wie von Pulverdampf, und führt Vernunftgründe an. "Keine Basis" gebe es für eine weitere sportliche Entwicklung. Das habe man in den letzten Monaten sowohl beim VfL als auch beim HFC feststellen müssen. "Für uns sind keine neuen Finanzquellen mehr erschließbar, und auch der VfL sieht für sich allein keine Perspektiven."

 Hier fehle das Geld, dort das Umfeld. Gehe man jedoch zusammen, "verschwindet der VfL von der Landkarte und Herr Klose bringt die Sponsoren mit zu uns." Eine einfache Lösung. Schädlich, seit 1976 in Halle und Vater eines Sohnes, der in der HFC-A-Jugend spielt, schiebt die Hand in die Tasche. "Wir reden nicht über eine Verschmelzung", sagt er, "hier geht es um einen Anschluss des VfL an den HFC." Wenn sie das doch nur glauben könnten, die Jungs mit den Schals, auf denen "HFC forever" und "Affen in den Zoo" steht.

Aber da ist der Preis, den die beiden Präsidien ausgehandelt haben als Prämie für den Übertritt des VfL. Und der lässt sie Verrat wittern und Unterwanderung durch den Feind, der allein Identität stiftete, als rundum alles in Scherben fiel. Ausgerechnet "Hallescher Fußballklub von 1896" soll der neue Verein heißen. "Dass das der Gründungsname der Affen ist, wissen Sie so gut wie wir", empört sich Rainer Hempel. Sind sie dafür all die Jahre nach Völpke und Borna gefahren? Haben sie dafür gelitten und sich demütigen lassen in Braunsbedra und Wolfen? "Ausgerechnet jetzt, wo wir auf dem Weg nach oben sind und der VfL auseinander bricht, sollen wir mit denen zusammengehen?"

Nein, Jens Schumann begreift es nicht: "Noch ein halbes Jahr, dann sind die sowieso tot." Über kurz oder lang werde jeder Sponsor überlegen, ob er sein Geld nicht lieber zum HFC tragen wolle. Schädlich würde sich wohl wünschen, dass es so wäre. "Auch mein Gefühl sagt nein", ruft er, "ich will diese Scheiß-96 nicht im Namen haben." Nur Klose und seine Drähte brauche man, und die seien nun mal nicht zu haben ohne die beiden Ziffern. "Doch diese Zahl ist das Einzige, was wir aufgeben."

Alle übrigen Punkte auf der Verhandlungsliste sprächen eine deutliche Sprache: "Da wird es eine klare HFC-Dominanz geben", verspricht auch Schädlichs Präsidiumskollege Bodo Sommer. Nur will ihm das kaum einer hier abnehmen. "Was wird mit Leuten, die über Jahre die Knochen hingehalten haben?", will Muckel wissen. Wird aus der unglücklichen Geliebten, die schon in der DDR-Oberliga mehr stolperte als siegte und nach der Wende tiefer stürzte als jeder andere Ost-Klub, ein Retortenverein, in dem nur noch gesichtslose Legionäre spielen wie heute schon bei Kloses VfL?

 Es schüttelt sie bei dem Gedanken, die lauten Kerle, über deren Bierbäuchen die HFC-Dresse spannen. Fan sein hier unten in Liga vier funktioniert anders als bei der Fußball-Operette im Bundesliga-Theater. Da ist Kumpelei zwischen Kurve und Kabine. HFC-Torwart Maik Völkner ist ein Typ zum Anfassen. Abwehrmann Marcel Geidel, den sie liebevoll "Marcello" nennen, kühlt seinen Hitzkopf in denselben Kneipen wie die Fans. Und wenn Nico Steffen auf Rechtsaußen nicht richtig läuft, fordert Trainer Reinhard Häfner schon mal die Hilfe der Fans an. Die rufen dann "Geh, Nico!" Bis er geht.

Fast könnte man glauben, Oberliga sei kein Geschäft. Ist sie aber doch, weiß Bodo Sommer, der die HFC-Finanzen managt. "So wie jetzt können wir auch weitermachen, aber auf niedrigerem Niveau", stellt er klar. Man müsse begreifen, dass auch der HFC dem Leistungsprinzip unterliege, sekundiert Nachwuchskoordinator Harald Kühr: "Wir leben nun mal im kapitalistischen System." So ist das. "Und ohne Fusion krepeln wir doch ewig weiter rum", fürchtet Heinz Marquardt, der vor 50 Jahren sein erstes HFC-Spiel gesehen hat. "Dann fahren wir eben wieder auf die Dörfer", schreit es von hinten, "immer noch besser, als sich an die Affen zu verkaufen!" Michael Schädlich schaut ratlos zu Bodo Sommer. Harald Kühr verstummt. "Lieber ein Verlierer sein", fangen sie zu singen an.

Donnerstag, 26. April 2012

Die hat gar keine Krone

 Diese Sache in der Musikschule damals war viel aufregender. "Ein Gedicht aufsagen, vor jeder Menge Leute", beschreibt Frederik Obst ernst, "da ist man echt aufgeregt."

 Diesmal nicht. Der Text ist kurz, das Publikum klein: "Eure Majestät, angenehmen Aufenthalt in unserer Barockstadt Oranienbaum" mussten Frederik und seine Klassenkameradin Tanja Jäger - zur Feier des Tages in historische Kostüme verpackt - zu Ihrer Hoheit Königin Beatrix sagen. Dann noch die orangenen Blümchen überreichen, fertig. So was erledigen die beiden Neunjährigen ganz cool im schneidend kalten Wind auf dem Oranienbaumer Markt. "Kein Problem", sagt Tanja. "Jetzt will ich nur noch meine Jacke haben", klappern die Zähne von Frederik, kaum, dass die Monarchin im Kreise ihres Gefolges weitergewandert ist. "Das olle Kostüm ist nichts für den Winter."

Und es herrscht nicht eben Kaiserwetter an diesem Vormittag im Anhaltischen. Fotografen frieren, Sicherheitsleute hauchen sich die Hände warm, die halbe Stadt reckt die Hälse aus dicken Jacken nach dem Hubschrauberbrummen am Himmel. Als Beatrix endlich da ist, eingeschwebt aus Berlin, ist alles ganz schnell wieder vorbei. Die Königin, in beigem Kostüm, Pelzstola und Hut, winkt und lächelt, ringsum zuckt ein Blitzlichtgewitter durch den Nieselregen, und hinter den Absperrungen klatschen 2 000 Zuschauer zur Begrüßung.

Ein Blick noch auf die Vase mit dem Orangenbäumchen, das an die lange gemeinsame Geschichte von Königshaus und Gemeinde erinnert. "Und zack war sie wieder weg", sagt Sonja Henze. Wie Nachbarin Gisela Machul ist sie begeistert und enttäuscht zugleich. "Wir dachten, dass sie ein paar Worte sagt", sagen die Seniorinnen. Wenn schon mal was los ist in Obaum! "Hätte man sie gebeten, hätte die Beatrix bestimmt auch Zeit gehabt."

So aber huscht die Regentin flott zum Schloss, neben sich Bürgermeister Uwe Zimmermann mit Tulpe am Revers. Sie steht auf der Freitreppe, flankiert von Thomas Weiss, dem Chef der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Schreibt sich ins Goldene Buch ein und bekommt von Bundespräsident Johannes Rau den Schlosspark erklärt. Erhält von Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) die Nachbildung einer Statuette. Und revanchiert sich mit einer Delfter Vase. Im Gesicht hat die 66-Jährige ein Lächeln, in den Augen blitzt Begeisterung für die alten Gemälde, den imposanten Fliesenkeller und den wunderbaren Baumkuchen, der hier serviert wird.

"Den haben wir immer zum Geburtstag meines Mannes Claus gegessen", erinnert sich die Königin in einem der seltenen Augenblicke, in denen sie nicht umlagert ist von Reportern, die um die besten Plätze rangeln.

 Eine ganz nette Frau sei das, mit einem ziemlich schwierigen Job, findet Bodo Beutel. Wochenlang hatte der Haustechniker des Schlosses gewerkelt, um die einstige Heimstatt derer von Oranien für den hohen Besuch fit zu machen. Jetzt stürzen schwer beladene Kamerateams an ihn vorbei. Und die mühsam gereinigten Holzböden, die Beatrix gerade noch studiert hatte, dröhnen unter schnellen Schritten.

Das Programm ist eng, der Zeitplan straff. Im Dessauer Kornhaus an der Elbe wartet das Mittagessen, dann geht es zum Bauhaus, dann schon zum Flieger nach Hause. Als Philipp Buchholz und Patrick Knappe aus der Sekundarschule an dem Schloss vorbeikommen, besteigt die Monarchin gerade ihren Wagen. "Unser Direktor hat uns verboten, gucken zu gehen", schimpft Patrick Buchholz.

Nichts verpasst, trösten Toni Regier und Tim Dreßler. Die beiden Erstklässler waren auf dem Heimweg von der Schule nicht mehr weitergekommen. "Alles war gesperrt", sagt Tim empört. Dann habe jemand erzählt, dass eine Königin zu Besuch ist. Eine Information, die die beiden nach einem Blick auf Beatrix für recht zweifelhaft halten. "Im Grunde genommen", meint der sechsjährige Toni, "hatte die nämlich gar keine Krone".

Dienstag, 24. April 2012

Als Unplugged die Zukunft war

Plan B damals unplugged in Potsdam. Keine Ahnung, woher ich die Aufnahme habe. Lag auf einer alten C60-Kassette rum. Die optische Umsetzung ist improvisiert, aber immerhin läuft das Bandzählwerk impressionistisch etwa dreimal so schnell wie die Musik selbst.