Freitag, 25. Januar 2013

Verloren im Empire

Wie viele Nackenschläge kann eine Band vertragen? Wie viele dumme Zufälle können sich zwischen den großen Erfolg und die Knochentour durch kleine Säle stellen? Tim Brownlow, Bassist Duff Battye und Drummer Bill Cartledge wären geeignete Kandidaten für eine brauchbare Antwort. Die drei Engländer, die vor elf Jahren die Band Belasco gründeten, hatten auf dem langen Weg seitdem alles, was das Rock-Leben bietet: grandiose Alben und schlechte Verträge, Auftritte in angesagten Hollywood-Filmen und Gastspiele auf verregneten Kleinstadt-Festivals. Offenbar eine Mischung, die zu gesteigerter musikalischer Überzeugungskraft führt. Denn "Transmuting", Album Nummer vier seit dem famosen Debüt "Simplicity", zeigt das Trio auf einem neuen Höhepunkt: Elf Songs spannen den Bogen vom muskulösen Alternativ-Rock bis zu fein ziselierten Balladen wie sie Coldplay oder Snow Patrol nicht schöner hinbekämen. War das Vorgängeralbum "61" noch geprägt von geraden, flotten Stücken wie "On The Wire" und ehrgeizigen Hymnen wie "The Earth", ergänzen sich die Teile im neuen Werk zu einem perfekten Bild. Gitarre, Bass und Schlagzeug spielen mit unglaublicher Dynamik zusammen, Tim Brownlow singt sich die Seele aus dem Leib und die stürmischen Melodien von Stücken wie "Moves Like Water" oder "Home" setzen sich schon mit dem ersten Hören unwiderstehlich im Ohr fest. Es ist beileibe kein fröhliches Album, das die drei Mittdreißiger da mit Richie Kayan (Oasis, Supergrass) in den Chapel-Studios in Lincolnshire eingespielt haben. Es geht um Enttäuschungen, um verlorene Liebesmüh' und um das Gefühl, verloren zu sein in einer Welt, die sich immer schneller dreht. Das sechs Minuten lange "Empire" beginnt wie vor zehn Jahren das erfolgreichste Belasco-Stück "15 Seconds" mit einem pumpenden Gitarrenriff und steigert sich ganz allmählich in einen Wirbel aus Akkorden, Rhythmen und Bassläufen, wie sie im aktuellen Rock-Geschäft nur Duff Battye spielen kann. Geht es in diesem Mammutstück fast schon in Richtung Led Zeppelin, schleicht sich das folgende "Who do you love" auf Samtpfötchen an wie ein Lied von Mumford & Sons. Nur dass Tim Brownlow besser singt als sein angesagter Landsmann Marcus Mumford. Noch besser ist das zu hören, wenn sie die Lautstärke dimmen und aus dem Tempo-Rock von "Open up" und "Home" ins Akustische schwenken. "Rosa" zeigt einen Tim Brownlow, der zu einer scheppernden E-Gitarre ironisch den Billy Bragg macht: Rosa ist die Chefin, aber das ist völlig okay. Brownlow, Battye und Cartledge, die vor einigen Jahren Geld spendeten, um die Abraumhalde von Klobikau im Saalekreis begrünen zu helfen, sind nicht mehr unterwegs, um Coldplay vom Thron zu stoßen oder Muse zu beerben. "Time is running out", stellt Brownlow in "What it is" fest, klingt aber gar nicht traurig dabei. Alle drei bei Belasco haben Frauen, Kinder und machen Musik, nicht weil die Plattenfirma auf das nächste Album drängt - sondern aus Freude daran, sie machen zu können.

Freitag, 21. Dezember 2012

Große sind manchmal so doof

Sie gehören zu den letzten Kindern der DDR und zur ersten gesamtdeutschen Generation - Fünf Neunjährige erzählten von Wünschen, Träumen und Hoffnungen - das war vor 15 Jahren. Was die Jungs wohl heute machen?

An der Wand vom Kinderzimmer hängt das Prinzen-Poster neben dem von Wrestling-Kämpfer Tatanka. Ihre Sportidole heißen Klinsmann und Kahn, ihr liebster Filmheld ist Schwarzenegger. Gelacht wird zu Otto und dem Komiker Mr. Bean. "Und den Hulk dürfen wir nicht vergessen", meint Sebastian. Hulk ist ein Superheld, der grün und riesig wird, wenn man ihn reizt. Sowas gefällt nicht jedem. "Weil, Hulk ist blöd."

 Marcus und Marian; Stefan, Sebastian und Benjamin sind neun Jahre alt. Sie sind nicht mehr richtig klein, aber noch lange nicht richtig groß. Schule finden sie "nervig, aber man lernt was", Mädchen nennen sie abfällig "Weiber", weil "die immer nur knutschen wollen". In Sachen Sex macht ihnen keiner mehr was vor, seit sie das Thema in Heimatkunde hatten: "Hier ein Glied und da ein Glied", beschreibt Stefan das große Mysterium zwischen Mann und Frau, "und dann jupps." Sie können sich durchaus noch Spannenderes vorstellen.

 Die letzten Kinder der alten DDR sind zugleich auch die erste gesamtdeutsche Generation - geboren Mitte der 80er Jahre, haben sie kaum noch Erinnerungen an die alte Zeit. Vati kam damals immer spät nach Hause, erinnert sich einer. Und man konnte nicht hinfahren, wo man wollte, glaubt ein anderer. Schwer vorzustellen. In Deutschland geboren Heute, fünf Jahre nach der Stunde Null, glauben die Jungen fest daran, in "Deutschland" geboren zu sein. Im Sommer fahren sie mit ihren Eltern zum Urlaub nach Mallorca, in die Türkei oder nach Tunesien. Sie kommen zurück und verstehen nicht, "weshalb solche Asis und Neonazis was gegen Ausländer haben".

"Asi" ist quasi das Gegenteil von Held. Asis, sagt Stefan, seien "Typen mit Glatze, die saufen und keine Ahnung haben". Keine Ahnung zum Beispiel, daß Türken nett sind. Und Tschechen auch. Sie wissen das. Als wäre es nie anders gewesen, wachsen die heute Neunjährigen in den westlichen Wohlstand hinein. Fast jede Familie hat ein Auto, fast jede besitzt Computer, Videorecorder, CD-Player. Und sie können sie bedienen. Sie sind, was Marketing-Experten "Kids" nennen: selbstbewußt wie Große und zapplig wie Kleine, die Köpfe voller Werbesprüche, Markennamen und Fußballergebnisse. Sie haben feste Vorstellungen davon, wie sie später mal leben wollen. Sebastian wird Magier werden, Marian Schauspieler oder Zeichentrickzeichner. Benny orientiert sich mehr in Richtung Stuntman. Stefan und Marcus erwägen eine Karriere als Fußballer oder bei der Feuerwehr. Später werden sie sich alle einen Lamborghini kaufen. Oder einen Porsche.

 In vielen Dingen kennen sie sich heute schon besser aus als ihre Eltern. Sie wissen, welche Rückennummer Klinsmann trägt, wieviel Millionen Matthäus wert ist und daß die Einheit "PS" bei Automotoren angibt, "wie schnell der Schlitten rasen kann". Lädt man sie zum Eis ein, bestellen sie den größten Becher. Und wenn der nicht gleich kommt, fallen spitze Bemerkungen über "schlechten Service". Aber so laut, daß es die Kellnerin hört. Disney kommt ihnen nicht mehr ins Haus. "Nöö, Duck ist schnulz", sind die fünf Jungen sich einig. Als "total affig" gelten auch Schlümpfe und Mickey Mouse. Babyhaft. Kinderkram.

Was Erwachsene pädagogisch wertvoll und lobenswert gewaltfrei finden, hält die Zielgruppe für langweilig. "Richtig gute Filme müssen mit action sein", meint Benjamin, "sonst ist einfach keine Spannung dabei." Als beispielhaft gelten Serien wie "Captain Planet" oder "Batman". "Blöd ist bloß", ärgert sich Sebastian, "daß am Ende immer die Guten gewinnen." Auch Benny leidet daran: "In echt gewinnen ja auch manchmal die Bösen", weiß er aus der Tagesschau. Alle nicken. Würden einmal die Bösen siegen, das wäre was. Hoho! "Man könnte dann eine neue Folge machen und dann würden die Schufte echt vernichtet." Mit der von Erwachsenen mißtrauisch beäugten Gewalt n den Comic-Strips haben die Kids keine Probleme. Trotzdem kommen die X-Men, bisher Pflichttermin an jedem Samstag, einfach nicht mehr.

Die Absetzung der Serie wegen "jugendgefährdender Gewalt" trifft auf harte Proteste. "Da müssen die Eltern ihre Kinder eben belehren, daß es nur Trickfilm ist", schlägt Marian vor. Außerdem gebe es doch in jeder Nachrichtensendung "tausendmal mehr Krieg und Gekloppe" zu sehen. Glücklicherweise vergessen Kinder schnell. Längst sind an die Stelle der X-Men neue Superhelden getreten. Und mit neun sieht man echte Action ja sowieso viel lieber als Zeichentrick. Kids haben auch ihre Geheimnisse: "Wenn ich manchmal am Wochenende bei meinem Freund schlafe", beichtet einer, "gucken wir Horrorfilme und sowas." Er sagt "Horro". Den Gruselschocker "Es" nennt einer der anderen als "echten Klassefilm". Oder "Total Recall" mit Schwarzenegger. Bei dem ist Marian mal eingeschlafen. Nur das erzählt er jetzt lieber nicht.

 Viel bedeutet es ihnen, "cool" zu sein. Wichtig sind die Klamotten. "Du brauchst eine Sonnenbrille, orange Schlaghosen und ein Whitboy-Shirt", beschreibt Benjamin. Die Jacke drüber sollte möglichst lang sein und das Basecap muß verkehrt herum getragen werden. Erwachsene haben davon wenig Ahnung: "Ich sage, was ich haben will, und Mutti kauft dann." Doch Kind sein Mitte der neunziger Jahre ist nicht so leicht, wie die Erwachsenen glauben. Eine riesige Reklamemaschine ist rund um die Uhr damit beschäftigt, den Kindern neue Wünsche und Sehnsüchte einzuimpfen. Videospiele und Trickfilmfiguren, Fernsteuerautos und Borussia-Dortmund-Dresse. "Manchmal weiß ich gar nicht mehr, was ich eigentlich will", stöhnt Benny.

Eine Klage, in die alle einstimmen. Das Taschengeld reicht hinten und vorn nicht, verdient man sich mühsam etwas dazu, ist "die Kohle viel zu schade zum Ausgeben". Die Versuchung ist riesig. Im Supermarkt lange Finger gemacht haben alle schon mal. Tapfer bekennen sie ihre Taten: "Tätowierbilder von Ketchupflaschen gezogen" und "Mickey-Aufkleber von Jogurts eingesteckt". Einer von ihnen hat sogar mal versucht, eine X-Men-Figur mitgehen zu lassen. Sie haben ihn prompt erwischt. "Das war fürchterlich", gesteht er zerknirscht, "ich bereue heute noch." Nie mehr werde er klauen.

Doch auch in dieser Beziehung macht der Jahrgang "85 andere Erfahrungen als alle anderen zuvor. Der Stärkere bekommt, was er will - wie im Zeichentrick. Den Sebastian haben sie mal verprügelt und zehn Mark geklaut, Stefan wurde in eine Falle gelockt, weil größere Jungs sein Basecap haben wollte, und Marian ist auch schon von einer Clique Älterer überfallen worden. "Dagegen", finden sie, "sollte die Polizei mal was machen - die einsperren, die Verbrecher." Für einen mit neun Jahren, einsfünfzig hoch und Größe 37 an den Füßen, ist die Welt noch ganz einfach zu regieren. Hier die Bösen, da die Guten - ein großer Comic. Sie selbst sind natürlich die Guten. Batman und Robin oder Captain Planets Planetenteam, das auszieht, die Erde zu retten. Hätten sie etwas zu sagen,ihre Methoden wären so radikal wie die ihrer Vorbilder: Wer den Krieg in Jugoslawien angefangen hat, gehört "abgeknallt", bestimmt Mari. Wer die Umwelt verschmutzt, kräht Stefan, müsse in den Knast. Lebenslang, versteht sich. "Und auch wer Papier auf die Straße schmeißt, sollte bestraft werden", schlägt Sebastian vor. Am besten mit einem Jahr Straße kehren.

Warum die Regierung, von der sie bloß den "dicken Kohl" kennen, nicht mal was unternimmt gegen Umweltverschmutzung, ist ihnen ein Rätsel. "Ich sehe nicht, daß die sich kümmern", urteilt Sebastian, "aber vielleicht liegt das daran, daß die nur Macht wollen und nicht umweltfreundlich sind." Schließlich fahren Politiker, man sieht das ja in den Nachrichten, die größten Autos. Und Autos, das gilt als sicher, machen den Wald kaputt. "Ohne Wald", ist sich Benny sicher, "haben wir später keine Luft mehr zum Atmen." Eigentlich eine Sauerei. Aber daß trotzdem alle Erwachsenen Auto fahren, wundert keinen: "Manchmal sind die Großen eben schrecklich doof."

Die fünf Kleinen haben deshalb einen "Umweltklub" gegründet. Mit ihren Fahrräder kurven sie nachmittags durch den Park hinter ihrem Viertel, und versuchen wie das ruhelos um die Erde düsende Planetenteam, die Umwelt zu retten. Ein bißchen wenigstens. "Papier auflesen, Nägel aus Bäumen popeln und so." Mit neun hat man noch große Träume, allerdings auch schon eine kleine Ahnung vom richtigen Leben: "Fliegen", das wollen sie doch festgehalten wissen, "können wir natürlich nicht."

Dienstag, 11. Dezember 2012

Der gute Mensch von Köpenick



Es hätte alles ganz anders kommen können. Dann säße er jetzt da unten im Saal und hätte die von harter Mechanikerarbeit rauhen Fäuste mit den Ölspuren unter den breiten Nägeln in den Schoß gelegt. Solche Gedankenspiele macht Frank Schöbel manchmal. "Ich bin ja gelernter Mechaniker", erinnert er sich dann, "ich kann mir das gut vorstellen." Auch, daß er dann vielleicht arbeitslos wäre. Oder Versicherungen verkaufen müßte. Bei "Stony", seinem Lieblingslied, in dem es heißt "sie kämpfte gern/auch wenn sie nicht gewann", würde Frank Schöbel wahrscheinlich klatschen.

 Bei "Wie ein Stern" nicht. Das hat er sich mit den Jahren irgendwie überhört. An den Tag, an dem alles anfing, erinnert sich Frank Schöbel noch ganz genau. Da muß er eine Sekunde überlegen. Achte Klasse war das, Deutschstunde. "Ich saß letzte Bank Mittelreihe neben meinem besten Freund Otto, wir sangen ,Oh Sindy, Sindy, oh sind die denn ganz verrückt" und beschlossen, Schlagersänger zu werden", kichert er. Die Lehrerin sei so "eine fürchterlich Kleene" gewesen. "Die hat zwar immer geguckt, wer das ist, aber erwischt hat sie uns nie." Frank Schöbel ist ein fröhlicher Mensch. Erzählt er Schnurren, und er erzählt andauernd welche, strahlen die blauen Augen unter dem naturkrausen Pony wie zwei kleine Scheinwerfer. Der Otto, sagt er betrübt, und die Scheinwerfer gehen aus, der Otto ist dann später verschütt gegangen.

Frank Schöbel wurde berühmt. Rein statistisch betrachtet ist Superstar Michael Jackson gar nichts gegen ihn. Keiner seiner Hits war weniger als Platz 1, keines der zwanzig Schöbel-Alben ging weniger als 100 000 Mal über den Ladentisch. Das "85er Werk "Weihnachten in Familie" stellte mit 1,3 Millionen verkauften Exemplaren einen für alle Zeiten unerreicht bleibenden Rekord auf: Keine andere Schallplatte steht in so vielen ostdeutschen Haushalten. In seinen 28 Jahren als erfolgreichster Unterhaltungskünstler der DDR drehte Frank Schöbel Filme und er moderierte Radiosendungen, er hatte seine eigene Fernsehshow, bekam Preise im In- und Ausland und durfte Konzerte auch außerhalb der Landesgrenzen geben.

Heute fragen ihn leider immer noch alle zuerst danach. Wie er die Wende verkraftet hat und ob es schwer war, den Kopf oben zu behalten. Anfangs hat Schöbel sogar mitgespielt. Er hat den Zeitungen traurige Geschichten vom Tiefpunkt seiner Karriere erzählt. Wie er mal beim Lamadeckenverkauf gesungen hat. Und wie er auf einen schrecklich gutriechenden Manager aus dem Westen reinfiel. Und dann auch noch diesen Plattenheinis aus Köln und Hamburg seinen Namen buchstabieren mußte. Eszehha-Ö-B-E-L.

Es hat nicht mal viel geholfen. Die erste Wut über die "Nichtachtung", die ostdeutschen Künstlern wie ihm nach 1989 bei westlichen Plattenfirmen, bei Sendern und Magazinen entgegenschlug, hat er inzwischen runtergeschluckt. Jetzt könne er das einordnen: "Früher waren wir Exoten, heute sind wir Konkurrenten." Schöbel weiß, was man mit Konkurrenten macht. "Nur nicht hochkommen lassen." Das sei nun mal die Marktwirtschaft. "Und die haben wir ja nun jetzt." Er selber ist nicht so. "War er nie", sagt Aurora Lacasa, die Frau mit der Gänsehautstimme, mit der Frank Schöbel seit zwanzig Jahren zusammenlebt. In einem Geschäft, in dem Erfolg in erster Linie Leute mit Talent zum Einsatz der Ellenbogen haben, mutet der nette Mann mit dem faltenlosen Jungsgesicht an wie ein seltsames Unikum.

Als auch der letzte nebenberuflich tätige deutsch-demokratische Freizeitentertainer sich im "Volvo" kutschieren ließ, fuhr Schöbel weiter "Wartburg". Bis zum Ende der DDR lebte er im zehnten Stock eines Hochhauses in Köpenick und ging Samstagnachmittag in die Wuhlheide, Eisern Union anfeuern. Und immer hat er gelacht, immer war er lieb und freundlich. Nie, so scheint es, wird diesem Mann der Kragen platzen. "Alsich ihn kennenlernte, fand ich das schon ein bißchen verrückt", gesteht Aurora Lacasa, "ich fragte mich: Wie kann jemand allen Leuten immer so offen gegenübertreten?" Frank Schöbel, der vor ein paar Tagen 52 Jahre alt wurde und wieder nicht gefeiert hat, muß.

Der gute Mensch von Köpenick kann nicht anders, auch wenn er bisweilen will. Aufgewachsen ohne den Vater, der den Krieg nur überlebte, um anschließend in einem russischen Kriegsgefangenenlager zu erfrieren, ist der nach außen stets fröhliche Sonnyboy des DDR-Schlager mehr als einmal ins offene Messer gelaufen. Die Traumehe mit Chris Doerk ging kaputt, Schöbel durfte den gemeinsamen Sohn kaum sehen und auch der Versuch, Alexander mit der Kinderplatte "Komm, wir malen eine Sonne" zurückzugewinnen, scheiterte. Doch Schöbel glaubt störrisch an das Gute im Menschen. Bei den meisten hatte er Recht damit. "Und bei den anderen sag" ich mir dann selber, Junge, denk nicht schlecht. Gib ihnen einfach eine Chance." Wenn ihn einer in der Kaufhalle erkennt, kriegt er also auch sein Autogramm.

Wenn sie am Nebentisch in der Kneipe wetten, ob der Typ da drüben wirklich der echte Schöbel ist, gibt er es gern zu. Und wenn eine Zeitung anklingelt, mit der er "schlechte Erfahrungen" gemacht hat, nimmt er sich zwar jedesmal fest vor, bloß "Bitte rufen Sie die Auskunft an" zu näseln. Er macht es nie. Manchmal wünscht sich Frank Schöbel ein "Freundlichkeitsspray, damit die Leute nicht alle so mufflig sind". Aber nur manchmal. Er versucht, sagt er, dankbar zu sein. Nur dieses "vor der Wende war er da, und nach der Wende war er weg" ärgert ihn. Die Stirn umwölkt sich, die blassen Lippen werden schmal.

Nach 1989 hat Schöbel lange Zeit gar keine Musik gemacht. "Ich habe die Zeitung abbestellt, das Studio zugeschlossen und Holz gehackt." Draußen tobte die Geschichte, drinnen tobten die Selbstzweifel. "Haben wir schlechte Lieder gemacht? Hätte ich etwa auch weglaufen sollen?" Aurora, die schmale, schöne Frau, die Frank nur sein "Mädel" nennt, hat in dieser Zeit oft mit ihm geschimpft."Wie lange willst du dich denn noch beleidigen lassen." Wäre es nach Aurora gegangen, hätten die Schöbels gepackt. Aber einer wie er geht nicht. Schon zu DDR-Zeiten kam das nicht infrage, weil "ein Pfarrer seine Gemeinde schließlich auch nicht sitzenläßt." Natürlich ist dabei auch ein bißchen Koketterie. Frank Schöbel, den die Leute seiner Generation auch heute noch "Frankie-Boy" nennen, als wäre die Zeit ungefähr zur 74er Fußball-WM stehengeblieben, braucht seinen Kiez, seine Leute.

In Spanien, sagt er, kenne er doch außer Auroras Verwandten keinen Menschen. Was soll er da. "Meine Leute hier", weiß er ganz genau, "haben mich nie hängenlassen". Immer sind Briefe gekommen, in denen sie ihm geschrieben haben "Frank, laß dich nicht unterbuttern, Frank, wir halten zu dir". Hunderte Briefe. Das verpflichtet. Schöbel, der zugibt, nie politisch gewesen zu sein, hat sich im 32. Jahr seiner Laufbahn eine neue Rolle gesucht. "Ich bin ein vorgeschobener Posten", beschreibt er seine Motivation, es noch einmal zu packen, "wenn ich"s schaffe, schaffe ich"s auch für die."

 Sich selbst müßte er lange nichts mehr beweisen. Mit seiner großen Liebe Aurora und den Töchtern Odette und Dominique lebt Frank Schöbel "an der oberen Grenze des Glücklichseins". Zufrieden. Keine Wünsche. Nur ganz hinten im Kopf puckert er noch, der Traum vom Hit, der Traum von der Rückkehr ins große Rampenlicht. Schöbel kämpft gern, auch wenn er nicht gewinnt, und er arbeitet immer noch härter als andere. Zuerst die Fortsetzung von "Weihnachten in Familie", die sich in ein paar Wochen mehr als 40 000 Mal verkaufte. Danach die Weihnachts-Tour, die fast durchweg ausverkauft war. Und im Frühjahr eine richtige Platte. Die macht Frank Schöbel wieder bei einer großen Firma. "Dann muß ich nur noch einen Hit haben und bin sofort wieder da." So einfach ist das. Und so schwer