Dienstag, 26. März 2013

Als die Erde erwachsen wurde

Seine Kinder hütet Klaus Vogel ganz oben unter dem Dach. Im Studierzimmer sind sie aufmarschiert wie zur Parade: Auf dem Bücherregal eine bunte Prachttruppe, die sich über eine Mechanik synchron drehen lässt. Auf dem Schreibtisch ein paar Zwergausgaben, gegenüber auf dem Schrank einige große gläserne Exemplare. Erdbälle, wie sie in keinem Geographie-Kabinett einer deutschen Schule stehen.

Klaus Vogels Exemplare haben zwar dieselben schrägen Achsen, sie zeigen auch dieselben Kontinente. Doch in seinem durchsichtigen Bauch trägt jeder Globus aus der Werkstatt des Sachsen immer noch einen zweiten, kleineren Erdball. So baut Klaus Vogel seit mehr als 30 Jahren an einer Erklärung der Welt, die seiner Ansicht nach ganz anders ist als alle Schulweisheit behauptet. "Unsere Erde", ist der 81-Jährige sicher, "ist ein Planet, der aus allen Nähten geht." Seit Jahrmillionen wachse die Weltkugel beständig - einst war sie eine kleine Kuller, heute ist sie angeschwollen wie die Außenschale seiner Weltmodelle aus Klebstoff und Plastik, die von hier aus seit Jahrzehnten auf Reisen rund um die echte Erde gehen. Bei Tagungen in Kanada dienten Vogel-Globen ebenso zur Verdeutlichung der Theorie von der expandierenden Erde wie in Italien, den USA und Asien.

Eine Weltkarriere, geboren aus tiefer Enttäuschung. Anfang der 70er Jahre zwang die DDR-Führung kleine private Firmen wie den Steinmetzbetrieb des studierten Bauingenieurs unter staatliches Diktat. Vogel, bis dahin Chef in dem Betrieb, den sein Vater im Jahr 1900 gegründet hatte, war plötzlich nur noch Angestellter. "Das hat ihm schwer zu schaffen gemacht", erinnert sich seine Frau Eva-Maria. Der Vater zweier Kinder, der als Junge von seinem Geografielehrer Geschichten über mutige Forscher und ihre atemberaubenden Theorien gehört hatte, begann Bücher wie "Die wachsende Erde" zu lesen. "Mehr für mich selbst habe ich dann den ersten Doppelglobus gebastelt", erzählt der großgewachsene drahtige Mann mit funkelnden Augen. Vogel wollte sehen, "ob die Ränder der Kontinente wirklich zusammenpassen, wenn man die Luft aus der Erde lässt". Mit Rechenschieber und Gummiball schrumpft Vogel einen handelsüblichen Globus auf die Hälfte und belässt die Kontinente dabei in Originalgröße. "Das passte alles", erinnerte er sich, "und ich dachte, nein, das kann kein Zufall sein." Der Hobbyforscher hatte seine Aufgabe gefunden.

"Das hat ihm das Leben gerettet", glaubt Eva-Maria Vogel heute. Während der Betonwerksteinbetrieb jetzt Treppenmodule in Serie fertigen muss, steckt der Chef seine Kreativität in Experimente mit Luftballons, Fußbällen und Glaskugeln. Aus den unbeholfenen ersten Vogel-Globen werden immer aufwendigere, immer raffiniertere Kunstwerke. Am Wochenende, wenn Platz ist auf dem Werkshof neben dem Haus, in dem Familie Vogel bis heute lebt, wird gelegentlich eine Testerde aufgeblasen: "Ein Ballon, außen Beton, dann Luft hinein", erklärt Klaus Vogel wie er "herausbekommen wollte, wie so eine Kontinentalplatte bricht." Ähnliche Versuche stellt er mit ausgeblasenen Eiern an, die er über einen eingeführten Ballon zum Platzen bringt, um die entstehenden Schalenstücke mit Karten von Bruchflächen in der Erdkruste zu vergleichen.

Denn von Bruchbildern versteht Klaus Vogel etwas. "Spannung, Dehnung, Bruch", sagt er, "das ist Betontechnologie im planetaren Maßstab." Seine Ergebnisse teilt der Privatgelehrte schon in den 70er Jahren mit anderen Expansionsenthusiasten. Briefe und Pakete mit sorgsam verpackten Vogel-Globen gehen nach Tasmanien auf die Reise, wo mit Samuel Carey der Nestor der Expansionstheoretiker lehrt. Mit dem halleschen Professor Max Schwab konferiert Vogel ebenso regelmäßig wie mit Wissenschaftlern in Polen, Russland, Großbritannien und Italien. 1984 gibt ihm die Gesellschaft für Geologische Wissenschaften der DDR sogar Gelegenheit, seine Überlegungen zur wachsenden Erde auf der Jahrestagung und im Akademie-Verlag vorzustellen. Die DDR-Behörden lassen ihn gewähren. Vogel darf seine Kontakte zu Gleichgesinnten in den USA und Kanada, in Westdeutschland und Skandinavien halten. Doch jeder Antrag des Sachsen, eine der vielen Einladungen zu internationalen Symposien annehmen zu dürfen, wird abgelehnt.

Nur die Globen lässt man reisen -und Wissenschaftskollegen wie der Australier Samuel Carey kommen selbst nach Werdau, um ihren Vater und Erfinder persönlich kennen zu lernen. "Carey stand eines Abends mitten im dicksten Winter mit wehendem Mantel auf dem Bahnsteig", erzählt Klaus Vogel, "weil bis dahin alle Züge ausgefallen waren, hatten wir schon nicht mehr geglaubt, dass er es her schafft." Es ist der Beginn einer Männerfreundschaft über ideologische, geographische und sprachliche Grenzen hinweg. Der Weltkriegsveteran aus Tasmanien und der Bauingenieur aus Sachsen sprechen dieselbe Sprache, wenn es um Kontinentaldrift und Subduktion, um den Urkontinent Panganea und die asymetrische Dehnung Australiens geht.

 Dass die herrschende wissenschaftliche Meinung ihrer Theorie von einer Erde, die seit 600 Millionen Jahren anschwillt wie der Rührkuchen in der Röhre, keine Chance gibt, ficht Klaus Vogel nicht an. Auch nach dem Mauerfall, als er seine Firma endlich zurückübertragen bekommt, baut er weiter unverdrossen seine Globen, heute längst High-Tech-Wunderwerke aus echten Globus-Halbschalen und russischen Kosmoskarten, die ihm Forscherkollegen aus Moskau schicken. Mit ihnen zieht der Globusmann, wie sie ihn in Werdau nennen, von Tagung zu Tagung, von Kontinent zu Kontinent und zwischendrin durch die Schulen der Region. Vogel verkündet seine Wahrheiten nicht als die letzten, er wirbt nur einfach dafür, zu zweifeln und zu forschen. Denn natürlich beantworte die Expansionsthese nicht nur viele ungelöste Fragen, sagt er, nein, sie stelle noch mehr neue. "Wir wissen ja bis heute nicht, was die Ursache der Ausdehnung sein könnte." Nur dass es sie gibt, davon ist Klaus Vogel überzeugt. Auf Kongressen am National-Institut für Vulkanismus in Italien, an der TU in Berlin oder in Griechenland hatte er zuletzt Auftritte mit seinen Globus-Kindern.

Demnächst geht es nach Sibirien zu einer Tagung über den Tunguska-Meteoriten, der vor 100 Jahren mit der Kraft von tausend Hiroshima-Bomben in die Taiga krachte. Aber gar kein Meteorit war, wie Klaus Vogel den Forscherkollegen mit Hilfe seiner Globen und des Propanantriebs des Firmen-Gabelstaplers erklären wird. "Methan, das wegen der Expansion aus der Erdkruste austritt, hat die Explosion verursacht", glaubt er und lächelt: Wenn ein Mann wirklich eine Aufgabe braucht - dieser hier hat die seine gefunden.


THEORIE AUS DEN TIEFEN DER ZEIT

Kontinente unter acht Kilometern Wasser

Vor hundert Jahren fiel es dem italienischen Geowissenschaftler Roberto Mantovani wie Schuppen von den Augen: Wäre die Erde vor Millionen Jahren viel kleiner gewesen, hätte ein geschlossener Kontinent ihre Oberfläche nahezu ebenerdig bedeckt. Erst später, so der Forscher, sei dieser Urkontinent wohl durch vulkanische Aktivitäten auseinandergebrochen. Die Erde wuchs, die Kontinentstückchen entfernten sich voneinander, beschrieb der Berliner Physiker Ott Christoph Hilgenberg in seinem Buch "Vom wachsenden Erdball". Denke man sich die Erde nur halb so groß wie heute, argumentierte er, passten die Ränder der Kontinente besser zueinander, als sie es nach der Lehre von der Kontinentaldrift tun. Andere Probleme aber konnte auch Samuel Carey, einer der Vordenker der Bewegung, nicht lösen. So wären alle Kontinente vor der Ausdehnung von einem 15 Kilometer tiefen Ozean bedeckt gewesen, die Schwerkraft hätte die Dinosaurier auf den Boden gepresst, die Erdrotation hingegen hätte viel höher sein müssen. Das Ausmaß des Wachstums ist zwischen den Expansions-Experten umstritten. Der Geophysiker László Egyed hatte in den 60ern eine Vergrößerung des Erdumfangs von einem Millimeter im Jahr errechnet. Doch wäre sie schon immer so schnell gewachsen, müsste die Erde heute viel größer sein als sie ist.

www.expanding-earth.org
www.final-frontier.ch

Freitag, 22. März 2013

Ein Ort schreit Mord


Mehr als ein Ort schreit da ganz laut "Mord!" Leseempfehlung, nicht nur, weil ich mitschreiben und den ersten Mord mittels Sandstrahlgerät begehen durfte... Kaufen, damit kein Opfer vergebens war!

Dienstag, 5. März 2013

Falkenberg feiert, Halle singt


Zweieinhalb Stunden voller Emotionen, zweieinhalb Stunden voll alter Hits und neuer Hymnen - der Alt-Neu-Hallenser Ralf Schmidt, als IC Falkenberg einer der großen Popstars der DDR, hat zum Auftakt zur Fortsetzung seiner "Freiheit"-Tour ein triumphales Konzert im ausverkauften halleschen Objekt 5 abgeliefert. Am Anfang steht natürlich die Halle-Hymne, die der 51-Jährige nach seiner Rückkehr aus Berlin geschrieben hatte. "Die Stadt, die keiner kennt" porträtiert die Saalestadt aus der Innensicht: Bärbeißig scheinen Hallenser Fremden manchmal, dabei, so heißt es im Lied, werde hier nur das Lächeln nicht verschenkt.

 Heute Abend aber wohl. Von ersten Stück bis zur letzten Zugabe geht der Saal begeistert mit, andächtig lauschen die Fans Falkenbergs kleinen Episoden und Erzählungen, hingebungsvoll singen sie mit, wenn er wie beim globalisierungskritischen "Wetter"-Lied dazu einlädt. Es geht um den großen Begriff Freiheit, und die findet Falkenberg an der Seite seiner halleschen Musiker Scotty Gottwald (git), James Dietze (bg) und Friedrich Hentze (dr) musikalisch. Rockiger als noch im letzten Jahr spielt das Quartett neue Songs wie "Die Leute reden" und "Wo alle sind", Gottwald veredelt das epische "Vor den Kathedralen" mit einem gänsehautfiebrigen Solo und Falkenberg selbst wechselt immer mal wieder von der Akustikgitarre zum Piano und zurück.

 Der Zorn auf die Leute, die er als Verantwortliche hinter den aktuellen Krisen sieht, ist Falkenberg in jedem Moment anzumerken. Voller Energie wirft er sich in seine Lieder, immer aber drehen deren Texte die einfache Realität eine Windung weiter. "Auf den Wiesen der Kindheit" findet der Mann, der als Junge in der Südstraße aufwuchs, die Freiheit, die heute so schwer zu haben ist, weil sie daraus besteht, nein sagen zu können.

 Aber nicht zu müssen. Als das Publikum irgendwann im nicht enden wollenden Zugabenteil den "Mann im Mond" fordert, ein Stück, das mittlerweile ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat, hat die Band das zwar nicht geprobt. Gespielt wird es dennoch unter großem Jubel - einer der Höhepunkte eines höchst emotionalen Abends, der nach dem letzten Ton von der Bühne noch lange nicht endet.

Dienstag, 12. Februar 2013

Kreuzworträtselmord: Der Jäger

Siegfried Schwarz leitete die Fahndung nach dem Mörder von Lars B. Doch ein anderer Fall beschäftigt ihn bis heute viel mehr - und der ist bis heute ungelöst. Er hat diesen einen Fall nie vergessen können. Immer wenn der frühere Kripo-Hauptmann Siegfried Schwarz zurückdenkt an seine Zeit als Chef der Morduntersuchungskommission des Bezirkes Halle, hat er dieses Gesicht vor Augen: Ein Junge mit fröhlichem Blick, sieben Jahre alt, das Leben vor sich. Und dann plötzlich nichts mehr. Ende. Schluss. Aus. Der kleine Maik, sieben Jahre alt, verschwindet in jenem Sommer 1981 spurlos. Er ist mit seinem Vater im Freibad, doch als der ihn zum Nachhausegehen ruft, taucht er nicht auf. Der Vater wartet eine Nacht und meldet den Jungen dann als vermisst. Die Kripo fahndet. Wochenlang.

 "Wir haben wirklich jeden Stein herumgedreht", sagt Siegfried Schwarz. Eigentlich alles ganz genau so wie bei dem Fall, der die Fahnder damals sowieso schon seit Monaten in Atem hielt. Am 15. Januar um 20.30 Uhr war eine Frau auf dem Polizeirevier in Halle-Neustadt erschienen, um ihren Sohn Lars als vermisst zu melden. Ins Kino hatte der Siebenjährige gewollt. Nun war die Vorstellung längst beendet. Alle Freunde waren wieder daheim. Nur Lars nicht, obwohl der Junge vorher noch nie zu spät gekommen war.

Siegfried Schwarz hat die Zeitabläufe auch drei Jahrzehnte danach noch ganz im Kopf. "Um 20.46 Uhr wurde die Fahndung eingeleitet", sagt der Mann, der wenig später als Leiter der Morduntersuchungskommission mit dem berühmtesten Tötungsverbrechen der DDR-Geschichte betraut werden wird. Denn der kleine Lars bleibt verschwunden, spurlos verschwunden sogar. Niemand hat ihn gesehen, keiner weiß, wo er ist. Die Polizei sucht nach dem Kind, sogar öffentlich, was in der DDR nicht alltäglich ist. Doch das hier ist kein Fall wie die meisten der rund 1 250 Vermisstenfälle, die die Kripo im ehemaligen Bezirk Halle jedes Jahr bearbeitet.

"Wir hatten anfangs nichts in der Hand", beschreibt Schwarz, "also haben wir Lautsprecherdurchsagen gemacht und die Zeitung eingeschaltet." Dennoch dauert es noch lange zehn Tage, bis die Sonderkommission Lars weiß, womit sie es zu tun hat. Ein Streckenläufer der Reichsbahn entdeckt einen herrenlosen Koffer an der Bahnstrecke Halle-Leipzig. Als er die Verschlüsse öffnet, findet er den toten Körper des vermissten Jungen. Siegfried Schwarz, der Mitte der 50er Jahre Polizist geworden war und seit Mitte der 60er als Kriminalist in die tiefsten Abgründe menschlicher Seelen geschaut hatte, muss bei der Erinnerung immer noch schwer schlucken. Die Bilder verblassen wie die alten Kopien von Briefen und Akten, die er bis heute aufgehoben hat. Aber sie gehen nicht weg. "Wir wussten von diesem Moment an, dass wir keinen vermissten Jungen suchen, sondern einen Mörder", sagt der 76-Jährige. Zugleich ist dem erfahrenen Kriminalisten klar, dass die Ermittlungen jetzt Anhaltspunkte haben: Da ist der Koffer aus Hartpappe, da sind drei Plastiksäcke, da eine sechs Millimeter starke Schnur, vor allem aber sind das zerknüllte Zeitungen und Zeitschriften, darunter zwei Exemplare der "Freiheit", Ausgabe Halle-Neustadt. Und in diesen Zeitungen sechs ausgefüllte Kreuzworträtsel.

 "Damit waren wir nicht mehr auf den Zufall angewiesen", sagt Schwarz, dessen Interesse sich sofort auf die Kreuzworträtsel richtet. Natürlich, die Sonderkommission prüft penibel jeden Gegenstand, den sie im Koffer findet. Doch weder das Etikett einer Plastiktüte noch die Bodenproben aus den Stiefeln des Opfers noch ein Gutachten zur Schnur führen weiter. "Es war absehbar, dass wir den Schriftenverursacher aus den Kreuzworträtseln finden mussten", sagt Schwarz. Doch sein Vorschlag, Schriftproben in der Zeitung abzudrucken oder den gefunden Koffer mit einer Beschreibung der Tat öffentlich auszustellen, um dem Täter mit Hilfe der Bevölkerung auf die Spur zu kommen, wird abgelehnt. Der Koffer wird zwar in einem Schaufenster nahe des vermuteten Tatortes gezeigt. Aber nur mit dem Hinweis, er spiele eine Rolle bei einem schweren Verbrechen. "Darauf springt keiner an."

Bleibt den Ermittlern um Schwarz und seinen Stellvertreter Manfred Löser nur die mühsame Tour. Über Preisausschreiben und aus dem Altpapier, vom Amt für Arbeit und der Deutschen Post, aus Kaderakten und Autoanmeldungen besorgt sich die um zahlreiche Mitarbeiter erweitere Mordkommission mehr als 550 000 Schriftproben, die mit den recht prägnanten Buchstaben in den verdächtigen Kreuzworträtseln verglichen werden. "Es war offensichtlich, dass uns Aufwand und Mühe irgendwann zum Täter führen mussten", beschreibt Siegfried Schwarz, "aber niemand ahnte, wie viel Aufwand und Mühe wir am Ende wirklich brauchen würden." Siegfried Schwarz weiß, dass in jedem Fall, der nicht nach ein, zwei Tagen gelöst ist, der Zeitpunkt kommt, an dem man zu zweifeln beginnt. Hat man etwas übersehen? Ist man zu nah dran? Doch dass er, der junge Polizist, überhaupt bei der Mordkommission gelandet ist, hat mit einem Fahnder zu tun, der genau solche Zweifel nicht zu kennen schien. "Ich war noch ein ganz junger Kriminalist in Merseburg", sagt Schwarz, "und dieser erfahrene Kollege kam in einem Fall von Totschlag aus Halle: Ledermantel, Seidenschal, souverän, ruhig, selbstbewusst, ein Künstler im Vernehmungszimmer und ein Menschenkenner, der genau wusste, was er tat."

Die Männer von Schwarz´ MUK sind nicht anders. Zwischen 98 und 99 Prozent liegt ihre Aufklärungsquote, immer wieder werden sie auch in andere Bezirke geholt, um dort Gewaltverbrechen aufzuklären. "Ich habe der Mutter von Lars versprochen, dass wir den Mörder ihres Sohnes kriegen", sagt er, "und ich war überzeugt, dass wir das schaffen." Selbst als der Sommer kommt, ohne dass ein passender Schriftvergleich auftaucht. Selbst als die Ausweitung der Suche bis in die großen Chemiewerke keinen Durchbruch bringt. Selbst als Schwarz nach Dessau gerufen wird, um Licht in das Verschwinden des kleinen Maik zu bringen. Die Ausgangslage dort ist ganz anders. Der Siebenjährige ist schon mehrmals von zu haue fortgelaufen, allerdings immer schnell wiedergefunden worden. Nur diesmal vernehmen die Kriminalisten vergebens reihenweise zeugen im Waldbad "Freundschaft" und im Wohnumfeld des Jungen. "Der See wurde abgetaucht, eine Schrebergartenanlage abgesucht - nichts" erinnert sich Siegfried Schwarz. Drei Dutzend Mitarbeiter suchen derweil unter Leitung von Schwarz´ Stellvertreter Manfred Löser in Halle weiter nach dem Kreuzworträtsel-Mörder.

Nächtelang sitzen die Fahnder zusammen und versuchen, ein Profil des Täters zu erstellen: Er ist männlich, schließen sie aus der Art der Verletzungen. Er hat kein Auto und musste deshalb den Zug benutzen. Er verfügt über eine Wohnung in Halle-Neustadt, in der er die Tat begehen konnte. Doch näher kommt die Soko in Halle ihrem Mann sowenig wie Siegfried Schwarz der Lösung seines Falles in Dessau. Bis einer der Schriftprobenprüfer in Halle seinen Augen nicht traut. Es ist der 17. November 1981, genau zehn Monate sind seit dem Verschwinden von Lars B. vergangen. Und hier ist sie nun, eine Schriftprobe mit mittelgroßen Buchstaben, sehr gewandt ausgeführt, das A einprägsam "in der gotischen Form dreizügig geschrieben", wie ein Sachverständiger festgestellt hatte. Die identische Vergleichsprobe stammt von einer Mieterin im Halle-Neustädter Wohnblock 398. Sie war all die Monate nicht entdeckt worden, weil sie an der Ostsee arbeitete.

 Eine Frau aber, da waren die Profiler der Polizei sicher , kommt als Täter nicht infrage, auch wenn sie schon bei der ersten Befragung zugibt, die Kreuzworträtsel ausgefüllt zu haben. Aber ihrer Tochter kommt der Koffer bekannt vor. Und ja, sagt sie, sie habe einen Freund. Der ist 18, heißt Matthias und, das ist ihr peinlich, er bitte sie beim Sex manchmal, ihm von kleinen Jungen zu erzählen. Die Männer von der Sonderkommission Lars wissen sofort, dass das ihr Mann sein muss. Sofort fahren Fahnder nach Friedrichroda, wo B. in einem Ferienheim arbeitet. Um 14 Uhr beginnt die Vernehmung des Verdächtigen, um 4.30 Uhr hat er gestanden. Er habe an jenem Januar auf Arbeit blaugemacht, den Jungen zufällig in der Stadt gesehen, aus einer Laune heraus angesprochen und in die Wohnung der Mutter seiner Freundin gelockt, von der er wusste, dass sie leer steht. Dort habe er Lars erst missbraucht und dann getötet.

"Ich überlegte mir, dass der Junge zu Hause alles erzählen kann, was ich mit ihm gemacht habe." Siegfried Schwarz; Manfred Löser und ihre Männer sind am Ziel. Sie haben ihn. Die Jagd ist beendet, Erleichterung kehrt ein. "Auch wenn da ein Häufchen Unglück sitzt, dem man die Tat weder ansieht noch zutraut." Es ist Schwarz´ Sternstunde als Kriminalist, später in Büchern besungen, verfilmt und heute längst eine Legende. Doch es ist nicht der Fall, an den der Fahnder, heute längst im Ruhestand , am häufigsten denkt. Nein, sagt er. "Das ist der Fall Maik T." Auch nach 30 Jahren ist nie eine Leiche des Siebenjährigen aufgetaucht. Die Vermisstensache steht immer noch als ungelöst in den Akten