Mittwoch, 7. Mai 2014

"Mass Customization": Individualität für die Masse

Je konformer die Menge, desto ausgeprägter ist der Hang, sich zu unterscheiden.

Noch in den 90er Jahren gehörte es zum guten Ton in Jugendszenen, sich nicht so zu kleiden und nicht dieselben Bands zu hören wie der gesamte Freundeskreis. Individualität wurde großgeschrieben: Jugendliche stylten sich als Punks, Slacker oder Grufties, jede Nische hatte ihren Sound, ihre Frisuren, ihre Kneipen, ihre Festivals und Rituale.

Zwei Jahrzehnte später ist die Welt der Nische zusammengeschnurrt auf eine einzige, die allerdings groß genug ist, um nahezu die gesamte Gesellschaft aufzunehmen. Angetrieben durch die neuen Medien sind die einst so strengen Geschmacksgrenzen gefallen, aus Individualität ist ein von wenigen Bekleidungsmarken und Technikfirmen bestimmter Konformismus geworden, der sich nur noch in Nuancen unterscheidet. Apple oder Samsung, Undercut oder Seitenscheitel, Hollister oder Camp David und Lady Gaga oder Miley Cyrus - viel mehr Unterscheidungsspielraum bleibt denen kaum noch, die sich nicht außerhalb des Angesagten stellen wollen.

Allerdings halten die Zeiten der Massenproduktion für den Massenkonsum auch für den unstillbaren Wunsch nach Individualität einen Ausweg bereit. "Mass Customization" nennt sich ein neues Phänomen, mit dem große Firmen und kleine Start-Ups versprechen, die unstillbare Sehnsucht nach etwas wirklich Eigenem inmitten der Flut aus gleichförmigen T-Shirts, Hosen, Jacken, Schuhen und sogar Nahrungsmitteln zu befrieden. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten Massenproduktion und Maßfertigung und er meint nichts anderes als die Anpassung eines beliebigen Gegenstands aus einer Großfabrikation an die speziellen Wünsche eines einzigen Kunden.

Das Zurück zu den Zeiten, als sich DDR-Punks mit Wäschefarbe "Sex Pistols" auf ein geripptes Opa-Unterhemd malten oder Mädchen aus Fensterleder Miniröcke nähten, funktioniert auf höchstem technischen und logistischen Niveau.

Bei Firmen wie "Spread-shirt" aus Leipzig können individuell gestaltete T-Shirts etwa zum Nachmachen für andere Kunden hinterlegt werden. Beim Sport-schuhmulti Nike lassen sich Schuhmodelle von der Stange ebenso wie bei Puma und Converse nach eigenem Gusto umstylen und während das Portal Chokri.de das Mixen der eigenen Schokolade erlaubt, bietet palupas.de die Gestaltung von Badelatschen mit Hilfe eigener Fotos. 2 000 Anbieter tummeln sich inzwischen weltweit im Ego-Markt.

Die Massengesellschaft als Individualitätsmaschine, angetrieben von Hightech-Lösungen, deren Erfinder von den seit Jahren flexiblen großen Autoherstellern gelernt haben, das gleiche Produkt in unzähligen Abwandlungen zu verkaufen. Das ist Einzigartigkeit von der Stange, eine industriell hergestellte Individualität für die Massen des Zeitalters der Geschmackskonformität.

Dienstag, 22. April 2014

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Eigentlich hat Gareth Hudson eine recht kurze Anreise nach Halle. Seit einigen Jahren schon lebt der gebürtige Australier mit seiner Frau Tadijana Ilicic in Berlin, einem idealen Ausgangspunkt, „um ein Land wirklich kennenzulernen, weil man schnell dorthin fährt, wo die Menschen leben“, wie er sagt. Hudson, Gründer und Sänger der Band Hudson Arc, ist von daheim anderes gewohnt: „Man fährt ewig, ehe man wieder wo ist, wo man ein Konzert spielen kann.“ In Deutschland dagegen „alles ist kürzer als bei uns daheim - du fährst anderthalb Stunden und bist da“.

Wenn man nicht gerade beinahe direkt die 16000 Kilometer vom anderen Ende der Welt anreist wie das Ehepaar Hudson, das gerade erst daheim auf dem fünften Kontinent war, um ein neues Album einzuspielen. Die Rückreise in die wahlHeimat Deutschland lief nicht ganz nach Plan, wie Gareth Hudson klagt: Obwohl er einen großen „Vorsicht, zerbrechlich“-Aufkleber auf seine geliebte Cole-Clark-Gitarre geklebt hatte, war das von einem australischen Gitarrenbauer hergestellte Instrument nach der Landung in Deutschland zerbrochen.

Allerdings lässt sich Hudson dadurch nicht bremsen, nicht umsonst heißt die neue Platte ja „The Motive of Hope“. Zur Feier der Veröffentlichung wird der Mann aus New South Wales diesmal nicht nur von der studierten Violinistin Tadijana, sondern auch von Jamie Pollock an der Viola und Rachel Pogson am Cello begleitet. In Halle ist Hudson Arc am kommenden Montag in der Goldenen Rose zu erleben - Eintritt ist frei, aber eine Spende für eine neue Gitarre nimmt Hudson sicher gern an.

Video von Hudson Arc: Hudson Arc im Video

Donnerstag, 10. April 2014

Mit dem Clown kommen die Tränen

Auch wer nichts zu sagen hat, darf das inzwischen ja alles aufschreiben. So gesehen ist die Autobiografie des früheren Trio-Trommlers Peter Behrens nur folgerichtig: Ein Mann, der von den höchsten Höhen des Popruhms hinunter in die tiefen Leidenstäler von Sozialhilfe und Hartz IV gestürzt ist, hat immerhin seine eigene Lebenstragödie zu erzählen.

Behrens, bei Trio neben Sänger Stephan Remmler und dem kürzlich verstorbenen Gitarristen Kralle Krawinkel der Komiker mit den roten Hosenträgern, der mit unbewegtem Gesicht an einem Spielzeugschlagzeug stand, enttäuscht allerdings alle, die erwarten, dass er in „Der Clown mit der Trommel“ mehr anzubieten hat als ein geschwätziges Nichts. Denn die 274 Seiten, zusammen mit dem hauptberuflich als Lehrer tätigen Klaus Marschall ausgearbeitet, ähneln dem musikalischen Schaffen seiner Ex-Band in hohem Maße: Minimalistisch ist der Inhalt, trocken die Form und schlau wird meist auch niemand daraus.

Ist es Behrens norddeutscher Humor? Ist es das - wie er selbst mehrfach eingesteht - eigene Desinteresse an jeder weitergehenden Reflexion des Erlebten? Hier schreibt, das wird sehr schnell klar, niemand, den es an die Bühnenkante drängt, und hier steht auch keiner auf, weil er in sich etwas hat, was schon lange mal raus gemusst hätte.

So wie Peter Behrens in den guten Jahren von „Dadada - ich lieb Dich nicht, Du liebst mich nicht“ und „Sabine, Sabine, Sabine“ die Trommelstöcke rührte, das Gesicht zur Faust geballt, so beichtet er hier ein Leben im Schatten von bestimmenden Figuren wie Remmler und Krawinkel. Das Problem dabei: Der Clown mit der Trommel war zwar immer da, wo etwas geschah, aber richtig zugegen war er nie. Und wenn doch mal, dann waren es die anderen, die Entscheidungen trafen, Lieder schrieben oder auf den Putz hauten.

Nur im Musikalischen hat der Rhythmuslibero der Minimal-Kapelle seine Rolle je über das hinaus verinnerlicht, was er auf der Bühne vorspielte. Ja, Peter Behrens prägte den Trio-Stil mit seinem im ersten Moment so monoton wirkenden Stil, er schuf die Basis für Remmlers Exaltiertheit, für Krawinkels akzentuiertes Spiel. Der Lohn aber, und daran scheint der inzwischen 68-jährige Peter Behrens bis heute zu leiden, war das kürzeste Streichholz, dessen Licht nicht zum Leben reichte. Eine Tragödie, verpackt als Farce. Mit dem Clown kommen die Tränen.