Mittwoch, 29. April 2015

Geheimdienstkrieg: Als die Stasi die NSA ins Visier nahm

Dass die NSA bundesdeutsche Politiker, Firmen und Institutionen belauschte, wusste das DDR-Ministerium für Staatssicherheit bereits in den 80er Jahren. Umso erstaunlicher scheint es, dass 30 Jahre später deutsche Spitzenpolitiker mit der Behauptung durchkommen, sie hätten nie geahnt, welches Ausmaß die Überwachung im Westen durch die Dienste des Nato-Partners erreicht habe. Nicht nur, dass mehere bundesdeutsche Geheimdienste eigentlich die Aufgabe haben, Spionage auswärtiger Dienste zu verhindern oder aber wenigstens sie zu bemerken. Nein, bereits vor längerer Zeit hat der frühere Stasi-Mann Klaus Eichner ein Buch über die Kenntnisse des MfS geschrieben, das deutlich macht: Wissen ist Macht, doch in der Welt der Politik ist manchmal Nichtwissen Voraussetzung für das Überleben im Amt.

Als Edward Snowden der Welt enthüllte, welches Ausmaß die Überwachung der elektronischen Kommunikation durch den US-Geheimdienst NSA erreicht hat, erschütterte die Nachricht das Grundvertrauen von Millionen Menschen, die bis dahin nicht ahnten, dass jede Mail, jedes Telefonat und jede SMS nicht nur mitgelesen und ausgewertet werden kann. Sondern auch mitgelesen und abgehört wird. Das ist deutschen Geheimddiensten zwar verboten, soweit es im deutsche Staatsbürger betrifft. Aber seit Jahrzehnten wird diese Vorgabe aus dem Grundgesetz ganz einfach ausgehöhlt: Der Bundesnachrichtendienst kümmert sich um Verdächtige im Ausland. Der Verfassungsschutz kümmert sich nicht um die Aktivitäten befreundeter Dienste im Inland. Und dafür liefern diese Daten über Deutsche, die deutsche Dienste selbst nicht erfassen dürfen.

Keine Neuigkeit war das für Klaus Eichner, der bis 1990 als Analyst des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit für die Überwachung der Tätigkeit der US-Geheimdienste in Deutschland zuständig war. Eichner, zuletzt im Range eines Obersten, berichtet in seinem Buch „Imperium ohne Rätsel“ (Edition Ost, 9,99 Euro) vom US-Unteroffizier Jeffrey M. Carney, der 1985 in die DDR übergelaufen war, nachdem er zuvor zwei Jahre lang Einzelheiten über US-Spionageziele in Deutschland an die Stasi verraten hatte. Schon damals führten CIA und NSA Listen mit heute sogenannten „Selektoren“, also Telefonnummern, Adressen und Namen, zu denen die US-Behörden gern mehr und am liebsten alles gewusst hätten.

Durch Carney, der nach dem Mauerfall zwar Bundesbürger, dennoch aber in die USA abtransportiert und als Deserteur verurteilt wurde, war das MfS im Bilde über den geheimen Krieg der elektronischen Aufklärung, der sich nicht nur gegen Ziele im Osten, sondern auch gegen welche in der Bundesrepublik richtete. „Obwohl wir vorrangig ostwärts gerichtete Aktivitäten beobachteten, stellten wir fest, dass nicht wenige Ressourcen westwärts gerichtet waren“, beschreibt Eichner die Stasi-Informationen über Abhöranlagen in Berlin und Marienborn. Verwunderlich findet der Stasi-mann das nicht, schließlich hätten „große Staaten keine Freunde, sondern nur Interessen“.

Nachdem ein weiterer Überläufer der Stasi damals die Wunschlisten der NSA zur Informationsgewinnung in sämtlichen Ländern der Erde zuspielt, weiß das Mielke-Ministerium, „wie stark bereits Anfang der 80er das Interesse an der Aufklärung der westlichen Verbündeten war“. Seitenweise seien damals Informationswünsche zu verbündeten Ländern wie Frankreich, Kanada oder der BRD aufgelistet worden - ein Umstand, an dem sich bis heute offenbar nichts geändert hat.

Überwachungsstaat Deutschland: Ein Buch listet 600 Abhörstationen, Peilstellen, Ausbildungsstätten und Produktionsfirmen in der BRD und der Ex-DDR seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf.

Donnerstag, 9. April 2015

Stephen Kings "Revival": Alles fängt mit E an

Gitarre spielt Stephen King eigentlich nur für den Hausgebrauch. Aber mit den Rock Bottom Remainders ist der Altmeister des Horror tatsächlich schon öffentlich aufgetreten. Die Klampfe hatte er hoch unter die Achsel geschnallt, das T-Shirt verschwand im Hosenbund und die Stimme krähte auf halb acht.

So ähnlich muss Jamie Morton aussehen, der Erzähler und Held von Kings neuem Roman "Revival". Ein abgewrackter Rock-Gitarrist ohne Illusionen, dafür aber mit einem Riesenrucksack aus Traumata auf dem Buckel, so beschreibt der 67-jährige Auflagenmillionär die Figur, die den Nachfolger des hochgelobten letzten Buches "Mr. Mercedes" beinahe allein wegträgt.

Das kommt, weil Stephen King sich auf seine Stärken besinnt. Statt Monster und Gespenster zu bemühen, verlegt er sich wie zuletzt häufiger darauf, einen untergründigen, unausgesprochenen Schrecken heraufzubeschwören. Furcht kommt nicht von außen, Furcht kommt von innen, das Grauen wartet nicht in der Kanalisation wie noch bei "Es", sondern hinter der Straßenbiegung, wo der Traktor steht, den deine Frau und dein kleines Kind gleich mit voller Geschwindigkeit rammen werden.

Jamie Morton ist sechs, als das Buch beginnt und der Kleinstadtjunge dem Priester Charles Jacobs zum ersten Mal begegnet. Jamie weiß nicht, dass der begeisterte Hobby-Elektroniker sein großer Gegenspieler werden wird. Er ahnt nicht, dass er eines Tages seinetwegen vom Glauben abfallen muss. Er liebt den Mann, und er liebt ihn noch viel mehr, nachdem er seinem Bruder mit einem kleinen Trick die verlorene Sprache zurückgegeben hat.

Die großen Momente von Kings Schreiben kommen hier zusammen. "Stand by me" ist das, die mit River Phoenix und Kiefer Sutherland verfilmte Novelle, die der Mann aus Maine heute für eine seiner besten Arbeiten hält. Der "Friedhof der Kuscheltiere", der für eine Idylle mit Schatten steht. Und "Shining" natürlich, die klaustrophobische Studie eines in den Wahnsinn abgleitenden Autors. Geschütteltes Grauen, gewürzt mit Prisen aus Werken von Mary Shelley, Ray Bradbury und H.P. Lovecraft, so wird aus "Revival" ein Comeback für den Erzähler King.

Der lässt hier Zeit, er fesselt seine Leser ohne vordergründige Effekte. "Revival" ist anfangs das Porträt einer Kleinstadt in den amerikanischen Baby-Boomer-Jahren, das zum Porträt einer Kleinstadtjugend in den 70ern wird. Die Welt ist gut hier, die Zukunft offen, die Menschen mögen einander.

Das Böse schwebt wie ein Nebel durch die Straßen, während Jamie Morton erwachsen wird und die Bluesmusik für sich entdeckt. Reverend Charles Jacobs aber, nach dem Unfalltod von Frau und Kind kein Mann Gottes mehr, zieht umher und tut Gutes, auch seinem früheren Schützling Jamie, den er, inzwischen Chefscharlatan einer eigenen bizarren Kirche der Elektrizität, von seiner Heroinsucht heilt.

Es wimmelt hier von Anspielungen und Querverweisen, von Zeitsprüngen und liebenswerten Nebenfiguren. Stephen King, ein großer Zitierer schon immer, baut auf Bruce Springsteen und Edgar Allen Poe auf, doch im Grunde sucht er nach dem Sinn des Lebens, das seinem Protagonisten mit zunehmendem Alter scheint wie das Experiment mit dem Frosch im Kochtopf: Je langsamer die Temperatur steigt, desto weniger spürt der Lurch, dass er gekocht wird.

Die Geschichte atmet hier seitenlang für ihre Leser, King spielt mit der Erwartung seines auf Spuk konditionierten Publikums. Aber er erfüllt sie nicht: Trotzig dreht er ab, wechselt die Richtung, legt falsche Fährten und lässt die elektrisch aufgeladene Atmosphäre so je mehr knistern, je näher er dem unausweichlichen Finale kommt.

Das erlebt Jamie Morton als alter Mann, von einer Aufgabe nicht weniger erfüllt als sein Gegenüber. Die letzten großen Fragen stehen zur Debatte, die Rätsel des Jenseits, der Blick über den Horizont. "Revival" endet, wie Stephen King seine Bücher so gern enden lässt: Der Leser bleibt zurück mit roten Ohren und offenem Mund.

Stephen King: "Revival", Heyne Verlag, 512 Seiten, 22,99 Euro


Dienstag, 31. März 2015

Flake Lorenz: Panorama der Endjahre der DDR

FLAKE - FOTO P.R. BROWN - COPYRIGHT RAMMSTEIN GBR

Christian "Flake" Lorenz, Keyboarder der erfolgreichsten deutschen Band Rammstein, hat seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben.

Mit 13 wagt er sich ohne Plan und Können zum ersten Mal auf eine Bühne, mit 17 spielt er in der schrägsten Punkband der DDR und mit 38 segelt er in Konzerten mit einem Schlauchboot regelmäßig über die Köpfe Zehntausender Zuschauer. Dazu dröhnt seine Band Rammstein Dampfhammerrhythmen und Flake Lorenz, der Keyboarder, der von Haus aus ein leidenschaftlicher Blues-Fan ist, lächelt meist selig.

Stürzen, fallen, auf die Nase fliegen? Der Mann, der eigentlich Christian heißt, den alle aber nur "Flake" nennen, ist ein Mensch, der keine Angst vor dem Scheitern kennt. Seit dem Konzert damals in der Schul-Aula sei die Schamgrenze irgendwie nach unten abgesteckt. "Man nimmt aus solchen Erlebnissen trotzdem so viel Positives mit", sagt Lorenz, "man sieht vielleicht für einen Moment blöd aus, aber das Gute überwiegt."
Dass der gebürtige Berliner mit nicht mal 50 seine Biografie geschrieben hat, erklärt er so ähnlich. Flake Lorenz liest gern, er liest viel, er liest sogar Musikerbiografien. "Viele sind so schlecht, dass mich das ermutigt hat, mal zu sehen, woran ich mich erinnere."

Fast 400 Seiten sind es geworden, "ohne dass ich noch mal Leute gefragt habe, ob das alles so stimmt". Flake, von Berufs wegen zu DDR-Zeiten wie alle Keyboarder "Tastenficker" genannt, weshalb auch sein Buch so heißt, kommt es nicht auf die Details seines Lebens an, sondern auf die Zusammenhänge, in denen es steht. "Ich hatte eine wunderschöne Kindheit, wir waren behütet, uns hat es an nichts gefehlt", sagt er.

Schwierigkeiten machen dem Jungen aus dem Prenzlauer Berg nicht das System, sondern der Körper, die Brille, die Unsportlichkeit. Lorenz, der gern Arzt werden möchte, ist anders. Er wird gehänselt, geärgert, in Mülltonnen gestopft. Und entwickelt so seine Strategie gegen alle Formen der Unterdrückung: Er lässt sie leer laufen, er ist wie ein hagerer, bebrillter Boxer, der Schlägen durch Mitgehen ihre Wirkung nimmt.

Flake Lorenz lernt so früh, dass Freiheit nie das ist, was einem jemand anderes gibt, sondern immer nur das, was man sich selber nimmt. "Über viele Sachen habe ich beim Schreiben zum ersten Mal nachgedacht", sagt er, der vor 20 Jahren Mitglied der Rockband Rammstein wurde, die heute als erfolgreichste deutsche Musikformation gilt. Nicht weil sie sich einem Publikumsgeschmack angepasst hat. Sondern weil sie genau das nie tat. "Wir kamen am Anfang völlig ohne Plan zusammen, wir haben einfach zusammen gespielt und das hat sich ganz toll angefühlt." Daraus sei Rammstein geworden, "weil alle das Gefühl hatten, dass etwas Außerordentliches passiert".

Für ihn selbst ist das damals, 1995, nur die logische Fortsetzung eines Weges, den er schon Anfang der 80er Jahre mit der Band Feeling B eingeschlagen hat. Das Trio, zu dem auch Rammstein-Gitarrist Paul Landers gehörte, spielt in der DDR, lebt aber in seiner eigenen Welt. In der gibt es Reisen im uralten Lkw, der als Bandbus dient. Es gibt Frauen, Schnaps und Pogotanz. Es habe ihm das gereicht, was er gehabt habe, sagt der Vater zweier Töchter, der mit der Fotokünstlerin Jenny Rosemeyer verheiratet ist. Er habe nie unerfüllbare Wünsche gehabt, auch nicht die nach Reisen in fremde Länder. "Ich fahre bis heute im Urlaub am liebsten ins Erzgebirge oder an die Ostsee."

Eine Genügsamkeit, an der die Versuchungen des Kapitalismus ebenso abprallen wie es die Drohungen des Sozialismus taten, dem bis heute Lorenz' Sympathien gelten. "Nachtrauern ist nicht das richtige Wort", erklärt er, "aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass vieles in der DDR und auch die Grundidee des Sozialismus wirklich gut war." Beim Schreiben habe er viel nachgedacht, "auch darüber, ob ich verrückt bin, weil ich das so verteidige, aber mir tut es eben wirklich um vieles sehr, sehr leid".

Lorenz weiß, dass die Gefahr besteht, zu überziehen. Aber es ärgere ihn einfach, heute von Nachgeborenen erzählt zu bekommen, "wie mein Leben damals war".

In Wirklichkeit so wie das der meisten DDR-Bürger: Wo er Musik gemacht habe, hatten die ihre Datsche, es wurde bei der Arbeit gepfiffen und zusammen gefeiert. "Im Grunde haben die alle genau wie ich an der DDR vorbeigelebt."

Sein Buch ist so weniger Abrechnung mit der DDR als eine Beschreibung der Möglichkeit, doch ein richtiges Leben im falschen zu führen. Widerstand, das war die Sache der Künstlergeneration vor Flakes Feeling B. Die sogenannten anderen Bands der DDR aber, die Ende der 80er überall aus den Probekellern krabbeln, kümmert das kaum noch. Sie scheren sich nicht mehr darum, was der Staat meint, wo die Stasi spitzelt und wie sich Karriere und eigene Integrität miteinander vereinbaren lassen. Man ignorierte nach Kräften, sagt Flake Lorenz: "Mir taten die ganzen Typen von der Stasi leid, die mich überwacht haben und den ganzen Quatsch aufschreiben mussten, wann ich kam, wann ich ging..."

Der Erfolg heute, weltweit Millionen verkaufter Platten, ausverkaufte Tourneen und Preise, bedeutet dem Bluesfan, der Flake immer noch ist, nicht mehr als die Freiheit damals, mit Feeling B auf dem Ostseezeltplatz spielen zu können. Vom Blues hat der ausgebildete Werkzeugmacher gelernt, dass es in der Musik wichtig ist, möglichst viel wegzulassen. Bei manchen Rammstein-Songs hat er deshalb viel gespielt, um am Ende das meiste wieder zu löschen. Das sei wie bei einem Baugerüst, sagt er: Steht das Haus, können die Bauhilfen drumherum wieder weg.

Und das Haus heute ist so viel größer, bunter, beeindruckender. Rammstein ist eine Weltmarke, Deutschlands erfolgreichster Musikexport, eine Live-Sensation. "Aber wenn man die alten Bluesleute hört oder eine Band wie die White Stripes, dann denke ich manchmal, da stehen wir weit drunter", sagt er. Eine Einschätzung, die er auch im Buch niedergeschrieben hat. Ob die Rammstein-Kollegen das auch so sehen? Flake Lorenz lacht. Er wisse es nicht und glaube es nicht. Aber eigentlich sei es ihm auch egal.

"Im Grunde haben die alle wie ich an der DDR vorbeigelebt."
Flake Lorenz über seine Zeitgenossen

MILLIONENERFOLGE


Mit Rammstein verkaufte Flake Lorenz Millionen Alben, er wurde für den Grammy nominiert und gewann zehnmal den Musikpreis "Echo". Die Band pausiert derzeit, im Mai erscheint jedoch ein Album von Lindemann, bei dem Sänger Till Lindemann mit dem schwedischen Multiinstrumentalisten Peter Tägtgren zusammenarbeitet. Auch Gitarrist Richard Kruspe arbeitet derzeit an einem neuen Album seines Nebenprojektes Emigrate, das im Herbst erscheinen soll. Als Autor der eigenen Biografie ist der 48-Jährige gebürtige Berliner allerdings eher ein Mann der leisen Töne: "Der Tastenficker" ist ein nachdenkliches Buch, das ein Panorama der Endjahre der DDR zeichnet, die Christian Lorenz in der Szene der anderen Bands erlebte.

Flake: Der Tastenficker. Verlag
Schwarzkopf & Schwarzkopf,
Berlin, 392 Seiten, 19,99 Euro