Mittwoch, 9. November 2016

Reichsbürgeralarm in Mecklenburg

Wird als "Reichsbürger" bezeichnet, hält sich selbst aber für einen Reichsgründer: Adrian Ursache (Mitte mit Basecap) lieferte sich eine Schießerei mit der Polizei.

Ein Krimi-Autor muss in etwa dasselbe Gespür für Verbrechen und Täter haben wie seine Kommissare. Allerdings kommt es bei ihm darauf an, vorher zu erahnen, was später gefragt sein wird - Mord, Bankraub oder doch eher Finanzbetrug? Läuft nächstes Jahr, wenn das neue Buch fertig ist, eher ein Thriller über Wahlbetrug? Oder einer um Kindesentführung? Oder Rechtsextremisten?

Marc-Oliver Bischoff, in Lemgo geboren und in einem kleinen Dorf am Stadtrand von München aufgewachsen, hat ein gutes Gespür für anstehende Themen. Seinem Debütroman widmete Bischoff vor vier Jahren noch einem Serienkiller und bekam prompt den Glauser-Krimipreis. Den Nachfolger siedelte der 48-Jährige dann im realen Leben und im nördlichen Sachsen-Anhalt, indem er den Konflikt zwischen einem Dorf und zwei wegen Sexualstraftaten zu Sicherungsverwahrung verurteilten Straftätern schilderte.

Buch Nummer drei nun zeigt prophetische Gaben: "Die Sippe" (Buchtitel), die Bischoff in den Weiten Mecklenburgs siedeln lässt, versammelt Rechte und Reichsbürger, die im Dreiklang der Parole von "Tierschutz, Umweltschutz und Heimatschutz" versuchen, eine national befreite Zone im Norden Ostdeutschlands zu etablieren.

Bischoffs Heldin Katharina Hoffmann gerät auf der Suche nach ihrer verschwundenen Schwester in das Dörfchen Grantzow, wo die Uhren anders gehen. Keine Untergangsstimmung mit maroden Häusern und einer Jugend auf der Flucht, wie sonst überall. Sondern eine intakte Dorfgemeinschaft, die wie eine Familie zusammenhält.

Hoffmann ist misstrauisch, gerät aber nach und nach immer mehr in den Sog der rechten Weltanschauungssekte, die von Polizei und Geheimdiensten ebenso nach Kräften ignoriert wird wie der Vermisstenfall ihrer Schwester. Bischoff baut die Spannung langsam auf, obwohl die anstehenden Ereignisse für den Leser natürlich früh absehbar sind.

Ein paar Klischeebilder von lederhosentragenden, per Prügelstrafe erzogenen Kindern und stiernackigen Wachmännern zu viel schmälern die Glaubwürdigkeit des Szenarios, tut der Spannung aber nichts zuleide. Während Katharina Hoffmann immer tiefer in die Abgründe der Parallelwelt der selbsternannten Sippe vordringt, plant die die große rechte Revolution: Als unabhängiger "Staat Pommern" soll sich das rechte Hirngespinst von der Bundesrepublik lösen, inklusive Stacheldraht an der Grenze und Unabhängigkeitskrieg gegen die den verhassten Altstaat.

Der mutmaßliche Mord an der Schwester wird so zur Nebensache, eine viel größere Tragödie überschattet ihn. Nun jagen die Sippenchefs die Spionin im eigenen Lager, es wird geschossen, geblutet und gestorben und Sondereinheiten rücken an, um Grantzow zu befreien. Erst im Nachspann deutet sich dann an, wer wirklich die Verantwortung für das Massaker trägt. Marc-Oliver Bischoff lässt keinen Zweifel: Die Reichsbürger allein waren es sicher nicht.



Montag, 7. November 2016

Die DDR - nie war sie so beliebt wie heute

Pergamon? Grünes Gewölbe? Oder die Himmelsscheibe in Halle? Fehlanzeige. Nach einer Umfrage der Deutschen Zentrale für Tourismus unter Gästen aus aller Welt steht keiner der bekannten Klassiker an der Spitze der Hitparade der erfolgreichsten deutschen Museen. Sondern das DDR-Museum in der Berliner Karl-Liebknecht-Straße.

Erstaunlich: Die DDR schlägt Antike, Barock und Bronzezeit, sie ist beliebter als das Mittelalter, zählt mehr Besucher als Luther und macht auf Besucher mehr Eindruck als konkurrierende Häuser, die mit Steuermillionen subventioniert werden.

Fast 600 000 Besucher zählte das DDR-Museum im letzten Jahr, obwohl das vor zehn Jahren vom Freiburger Ethnologen Peter Kenzelmann gegründete Haus der Geschichte der selbsternannten Arbeiter- und Bauernrepublik keinerlei Fördermittel bekommt. Bundesweit lässt die Sammlung von DDR-Alltagskultur mit ihrer Beliebtheit sogar Sehenswürdigkeiten wie die Moritzburg bei Dresden, das Schloss Herrenchiemsee und Sachsen-Anhalts beliebtestes Reiseziel, das Rathaus von Wernigerode, hinter sich.

Wie war das damals, wie sah es aus, wie hat es funktioniert? Von der Neubauwohnung über den Trabi, vom Mauerbau bis Stasi-Abhöreinrichtung und vom Wandbild "Lob des Kommunismus" bis zum 1-Megabit-Chip können Chinesen, Amerikaner, Japaner und Schweden selbst sehen, wie der Sozialismus in den Farben der DDR aussah.

Was aus dem Fokus des Interesses der meisten Deutschen längst verschwunden ist, erregt jenseits der Grenzen offenbar Neugierde auf die Exotik eines untergegangenen Landes. Kein Erfolgsrezept, das immerzieht: Das Radebeuler DDR-Museum ist gerade pleitegegangen.

Sonntag, 6. November 2016

Tiefe Einblicke ins Fan-​Ge­hirn


Wenn es ums Geld geht, aber nebenbei auch soziale Erwägungen mitspielen, schaltet das menschliche Gehirn in einen anderen Verarbeitungsmodus. In diese Richtung deuten Ergebnisse einer Studie, die an der Universität Bonn durchgeführt wurde. Bei den zugrundeliegenden Tests konnten Probanden Musikstücke kaufen und den zu zahlenden Preis selbst festlegen. Die Forscher zeichneten währenddessen die Hirnaktivität der Teilnehmer auf - mit verblüffenden Ergebnissen.

Als die Band Radiohead vor zehn Jahren ein neues Album zum Download ins Internet stellte, ohne dafür einen festen Preis zu verlangen, war das ein Großexperiment. Kaufen, aber zu dem Preis, den der Käufer zu geben bereit ist? Ein schlechtes Geschäft, meinten Skeptiker. Doch die Fans belehrten sie eines Besseren: Zwar zahlte nach externen Beobachtungen kaum die Hälfte aller Käufer. Die andere Hälfte aber zum Teil viel zu viel, so dass das Album trotzdem auch kommerziell ein Erfolg wurde.

Wie aber kommt diese unterschiedlich ausgeprägte Bereitschaft, zu zahlen? Was sich bei Käufern im Gehirn abspielt, wollten Wissenschaftler der Uni Bonn im Experiment ermitteln. 25 Teilnehmer steckten sie in einen Hirnscanner, dort hörten die Probanden einen Ausschnitt aus einem Musikstück, anschließend sollten sie entscheiden, ob sie das dazugehörige Album kaufen wollten oder nicht. In einigen Fällen durften die Versuchspersonen dabei entscheiden, wie viel Geld sie ausgeben wollen. Unabhängig vom gezahlten Betrag würden sie die Musik aber auf jeden Fall behalten dürfen. Für die Gegenprobe hatten die Forscher einen Fixpreis festgelegt, dessen Höhe den Teilnehmern nicht bekannt war. Die Probanden konnten ihren Kaufpreis vorschlagen, wussten aber, dass sie das Album nur bekommen, wenn ihr Vorschlag über dem Festpreis liegt.

"Im Fixpreis-Szenario fanden wir Aktivierungsmuster, die genau unseren Erwartungen entsprachen", erklärt Sebastian Markett von der Abteilung Differentielle und Biologische Psychologie: "Direkt beim Hören des Musikstückes wurden bei den Probanden bestimmte Hirnstrukturen aktiv, die zum sogenannten Belohnungssystem zählen." Je besser den Teilnehmern ein Stück gefiel, desto stärker fiel diese Aktivierung aus. Mit deutlichen Folgen: "Desto höher war im Anschluss die Summe, die sie für das Album boten."

Der Musikgenuss bestimmte also, wie viel die Musik dem Käufer wert war. Anders sah es dagegen aus, wenn die Teilnehmer nach dem Hören des Stücks erfuhren, dass sie über den Preis selbst bestimmen können. In diesen Fällen ließ sich aus der Aktivierungsstärke des Belohnungssystems nicht auf die Summe schließen, die die Probanden später zahlen würden. "Stattdessen lief bei ihnen eine Gehirnregion zu Höchstform auf, die auf visuelle Reize reagiert, die eine soziale Komponente beinhalten", wie Simon Waskow erklärt, der die Studie mitverfasst hat.

Die Folge: "In die Entscheidungsfindung wurden nun nicht mehr nur ökonomische Überlegungen, sondern auch soziale Erwägungen wie eben der Fairness-Gedanke einbezogen." Der Preis, der niedriger sein könnte, steigt nun dadurch, dass niemand sich nachsagen lassen will, er zahle zu wenig. 

Mittwoch, 2. November 2016

Eric Fish: Mit leichter Hand


Der in Halle aufgewachsene Subway-to-Sally-Sänger Eric Fish schlüpft auf seinem sechsten Solo-Album wieder in das Gewand des Liedermachers.

Wenn seine Band antritt, dröhnen die Drums, die Gitarren gellen und allerlei atemberaubende Blasinstrumente sorgen für einen unverwechselbaren Sound. Subway to Sally, vor 26 Jahren in Potsdam gegründet, sind die Superstars des Mittelalter-Metal, die ungekrönten Könige einer Musik, deren Fans am liebsten Schwarz tragen und die Lieder ihrer Lieblingsbands immer auch als Lebenshilfe begreifen. Laute Musik vertreibt die Sorgen des Alltags. Und die besonders metaphernreichen Texte laden zum Grübeln und Sinnieren.

Dabei bleibt es auch, wenn Subway-Sänger Eric Fish auf Solopfaden wandelt. Der in Halle aufgewachsene Musiker, der eigentlich Erik-Uwe Hecht heißt, tut das seit 1999 regelmäßig. Und was anfangs aus dem Versuch bestand, Klassiker wie "Find the coast of freedom" oder "Ehrlich will ich bleiben" für ein neues, jüngeres Publikum zu retten, ist unterdessen längst ein zweites, festes Standbein des 46-Jährigen geworden. 


Die meist originell ausgewählten und in ebenso exakten wie gefühlvollen Interpretationen dargebotenen Coverversionen hat Fish auf "Zugabe" genannte EPs verbannt. Auf den richtigen Solo-Alben dagegen gibt es richtige Solostücke, selbst geschrieben und mit der bewährten Mannschaft Uwe Nordwig, Gerit Hecht und Rainer Michalek eingespielt. Aufgenommen wird nicht mehr live, sondern im Studio.

Im Gegensatz zu Subway to Sally, wo Fishs prägnante Stimme flankiert wird von einem Orkan aus Sounds, Rhythmen und Riffs, geht es bei Fish solo aber immer noch ruhig zu. Auch "Mahlstrom", das neue Album, macht da keine Ausnahme, obwohl Fish, der bis zur vierten Klasse in Halle lebte und heute als einziger Ex-Hallenser in der ersten Rockliga mitspielt, hier erstmals fast durchgehend einen Drummer beschäftigt.

Die Musik ist dennoch eher leise als laut, klassische Liedermacher-Kost mit flirrenden Akustikgitarren und schönen Melodiebögen. Fish schreibt zu seinen Melodien, die bei "Kreuzfahrt" mal arabisch, bei "Rad" dagegen eher irisch wirken, Texte, die nach den Herzen der Zuhörer greifen. Das Leben und die Liebe, der Jammer und der Triumph, für jedes Gefühl findet der studierte Maschinenbauer genau die richtige Ausdrucksweise.

Und die richtigen Kollaboranten. Johanna Krins, Sängerin der bayrischen Folkband Delva, singt beim finalen "Schlaf" mit und spielt zudem bei weiteren Stücken Klavier. Bei "Geben und Nehmen" schließlich treffen zwei Hallenser aufeinander: In der biblischen Geschichte um Kain und Abel teilt sich Eric Fish den Gesang mit Ralf Schmidt alias Falkenberg, dem anderen kantigen Singer/Songwriter aus der Händelstadt, mit dem er ab Ende des Monats auch auf Deutschland-Tournee unterwegs sein wird. Gemeinsam machen die beiden hier Front gegen Egoismus und Eigensucht, gegen die "gierige Hand", die den Armen nimmt und den Reichen gibt. "Was du nicht willst, das dir getan, das tue auch nicht anderen an", heißt es da.

Ein Schlüsselsatz, so alt wie die Idee zu dieser Musik hier, die im besten Sinne klassisch ist, ohne Allüren und modische Tricks. Eric Fish ist im Grunde ein Bänkelsänger, der sowohl melodisch als auch inhaltlich immer wieder zu überraschen weiß, indem er Bedeutungen gegen Erwartungen kippt. Die Band musiziert, als säße sie in einem kleinen Klub, Fish singt aus vollem Herzen, der Sound ist warm und weich, ein Kuschelzimmer aus Noten und Fishs Grübeltexten, in denen der Hörer immer wieder neue Bedeutungsebenen entdecken kann.

Konzerttermine hier:
www.ericfish.de
www.falkenberg-musik.de