Mittwoch, 22. Februar 2017

Science Fiction: Irgendwo ist immer jetzt


Überall sind Bildschirme, Kameras, Sensoren, elektronische Spione. Alles muss sicher sein, vorhersagbar, kontrolliert, denn die große, kluge Maschine, der die Menschheit ihr Überleben anvertraut hat, kann schlecht mit Variablen rechnen. In einem gigantischen, gewalttätigen Akt hat sie deshalb alles vernichtet, was störenden Einfluss nehmen könnte. Milliarden Menschen sind tot, die Natur wurde begradigt, Menschsein ist zur Erfüllung einer Aufgabe geworden.

Und doch sind da immer noch Störenfriede in Stephan R. Meiers Debütroman „Now“. Stark zum Beispiel ist eigentlich der Erbe des totalitären Gebildes namens „Now“, eines Supercomputernetzwerkes, in dem unschwer reale Vorbilder wie Google, Facebook oder Apple zu erkennen sind. Stark, der Sohn eines der gutwilligen, mit allerbesten Absichten gestarteten Gründer des allwissenden Algorithmus, kippt angesichts einer ungeplanten Liebe zu einer „Wilden“ aus der Restwelt aus der Matrix.

Er wird zum Feind der Maschine, die 99 Prozent der Menschheit geopfert hat, damit das restliche Prozent endlich in nachhaltigem Gleichgewicht mit der geschundenen Natur leben kann.

Ein Konflikt, an dem Stephan R. Meier scheitert. Zwar beschreibt der Sohn des früheren Verfassungsschutzchefs Richard Meier, der zuvor nur Sachbücher über seinen Vater und über den Terroristen Carlos geschrieben hat, die Entstehungsgeschichte des Now-Computers mit filigranem Strich. Doch die Personen drumherum bleiben so blass wie ihre Motive.

Dasselbe gilt für die Handlung, die mehrfach dazu ansetzt, Fahrt aufzunehmen, etwa als Now den Strom abschaltet und die Zivilisation binnen kurzem außer Rand und Band gerät. Doch Meier wollte wohl keinen temposcharfen Thriller schreiben, sondern eine teilweise als philosophische Belehrung verkleidete Abhandlung über Moral und die Verführbarkeit des Menschen durch Macht.

Das immerhin wäre ihm dann sehr gut gelungen.

Sonntag, 5. Februar 2017

Schulrechner SR1: Als die DDR den Einstieg in die Hightech-Zukunft probte

Schultaschenrechner sind nicht auf dem neuesten Stand der Technik, sie sind hässlich und sie sind teuer. Zeit, den Innovationsbremsern Dampf zu machen, Nur zwei Hersteller teilen sich den Markt und sahnen dabei kräftig ab, hat heise.de herausgefunden. Ein Klassiker aus DDR-Zeiten erinnert daran, wie es war, als es noch ganz anders war: Der SR1 dominierte den Taschenrechner-Markt der Arbeiter- und Bauernrepublik ohne jede Konkurrenz.


Zwei Schalter und 34 Tasten, eine LED-Anzeige und ein Gehäuse, das Plastik und gebürstetes Aluminium kombinierte – so sah sie aus, die mikroelektronische Revolution, die 1985 über die DDR kam. Der Schulrechner SR1 – wobei SR1 die Abkürzung für Schulrechner 1 war – verdrängte den bis dahin benutzten Rechenschieber und wurde zum Bestandteil des Regelunterrichts in den 7. Klassen. „So kann der Unterricht lebensverbundener gestaltet und die Schüler besser auf jene Anforderungen vorbereitet werden, die die wissenschaftlich-technische Entwicklung ihnen künftig stellt“, argumentierten die DDR-Medien, die den bereits 1981 von Gerhard Bieber und Hartmut Vogt entworfenen Rechner zu einer Art High-Tech-Gerät verklärten.


Das war nicht einfach so in den Schulen eingeführt worden, sondern erst nach ausgiebigen Tests. Sechs Jahre lang hatten 40 ausgewählte Schulklassen zuvor schon mit dem Taschenrechner gearbeitet, darunter auch an einige Merseburger Oberschulen. In derselben Zeit baute der VEB Mikroelektronik „Wilhelm Pieck“ in Mühlhausen die Produktionskapazitäten aus, um jährlich rund 150.000 SR1 an Schülerinnen und Schüler ausliefern zu können.

Der Staat griff dafür tief in die Tasche: Während der baugleiche Rechner MR 609, der als MR 609 mit der Herstellerangabe MBO Schmidt & Niederleitner GmbH & Co. KG auch im Westen angeboten wurde, im Handel stolze 460 Mark kostete, konnten Eltern von schulpflichtigen Kindern den SR1 in den RFT- und Kontaktring-Verkaufsstellen gegen Vorlage eines von den Schulen verteilten Bezugsscheines für 123 Mark kaufen. Darüber hinaus verfügte jede Schule für den Fall, dass der Kauf eines eigenen Rechners nicht möglich war oder der eigene Rechner eines Schülers einer Reparatur wegen vorübergehend nicht nutzbar war, über mehrere SR1, die als Ausleihexemplare zur Verfügung standen.

Das bis zum Ende der DDR mehr als eine Million Mal hergestellte robuste Gerät hielt der Beanspruchung im Schulunterricht tatsächlich stand, wie spätere Untersuchungen ergaben. Die zwei langlebigen Knopfzellen zur Energieversorgung reichten etwa 2000 Stunden, die automatische Abschaltung der Stromversorgung nach sechs Minuten sparte Energie.

Da weitgehend gesichert war, das Schulrechner in den entsprechenden Dienstleistungseinrichtungen innerhalb von 14 Tagen repariert wurden, seien „günstigere Bedingungen für eine vertiefte mathematische Bildung der Schüler“ entstanden, beruhigten Forscher die Bedenken von Eltern, dass Kinder das Kopfrechnen verlernen und ohne Taschenrechner hilflos sein könnten.

Eigentlich aber ging es den DDR-Verantwortlichen um noch viel mehr: „Der Taschenrechner ist der Einstieg in die informationsverarbeitende Technik“, hieß es, „durch den frühzeitigen Umgang mit solchen Geräten wird das Entstehen großer Hemmschwellen verhindert.“ Die Schüler würden an Denk- und Arbeitsweisen herangeführt, die für den Umgang mit informationsverarbeitenden Einrichtungen von großer Bedeutung seien, glaubte man.


Donnerstag, 2. Februar 2017

Carsten Mohren: Bis zum Ende leben


Im November vergangenen Jahres wusste Carsten Mohren, den seine Kollegen nur „Beathoven“ nannten, dass ihm nur noch kurze Zeit zu leben blieb. Mund- und Rachenkrebs im Endstadium, die Ärzte gaben dem Musiker mit den flinken Klavierfingern kein halbes Jahr mehr zu leben. Doch Carsten Mohren, aufgewachsen im Haus des Puhdys-Gitarristen Dieter Hertrampf, wollte trotzdem noch einmal raus, noch einmal auf die Bühne, noch einmal diese wilden, ekstatischen Konzerte spielen, für die seine Band Rockhaus bekannt war.

Also zogen sie los, die fünf Männer um Sänger Mike Kilian, die 1978 beschlossen hatten, erfolgreicher als die Puhdys zu werden. Carsten Mohren, schmal geworden und geschwächt von seiner Krankheit, stand mit dicker Brille auf der Bühne, er schmunzelte oft und spielte doch, als ob nichts gewesen sei: Ein Klavier bei „Parties“, das Schifferklavier bei „Blutrot“ und die Kirchenorgel bei „I.L.D.“. Rockhaus waren, knapp 40 Jahre nach der Gründung, 30 nach ihrem größten Erfolg mit dem Album „I.L.D.“, 20 Jahre nach der Auflösung und zehn nach dem Comeback zurück im Glück, mit vollen Hallen und Zusatzkonzerten.

Für Carsten Mohren, der immer auch als Komponist, Produzent und Toningenieur etwa für die Puhdys, Karat, Dirk Michaelis und Regina Thoss gearbeitet hatte, das Ziel aller Wünsche. Mit acht Jahren hatte er begonnen, Klavierunterricht zu nehmen. Mit 18 spielte er neben dem späteren Pankow-Frontmann André Herzberg in der Gauckler-Rockband, mit Mitte 20 wechselte er genau in dem Moment zu Rockhaus, als aus der Teenie-Truppe eine Band wurde, die ernsthafte Fragen in großen Rockhymnen wie „Mich zu lieben“ abhandelte. Woher kommt diese Einsamkeit? Was stellt diese Gesellschaft mit denen an, die in ihr leben?

Die Antwort ist offen, auch nach dem letzten Rockhaus-Album „Therapie“, das im Titel schon auf Mohrens schwere Erkrankung anspielte. Der Keyboarder, der auf seiner letzten Tour noch half, das erste Rockhaus-Live-Album einzuspielen, starb am Dienstag in einer Berliner Klinik.

Carsten Mohren wurde nur 54 Jahre alt.

Dienstag, 31. Januar 2017

Katrin kandidiert: Flügelschlag einer lahmen Ende

Ende und Anfang: Die letzte Schlagzeile mit Katrin Budde - und ihr Comeback.
Als Wahlkampf war es kaum zu bezeichnen, was SPD-Landeschefin Katrin Budde vor einem Jahr ablieferte. Null Öffentlichkeitsarbeit, kein Internetwahlkampf, dazu vor allem fehlende Inhalte und falsche Schwerpunkte.

Für die SPD führte die Landtagswahl erwartungsgemäß ins komplette Desaster. Nie zuvor wurde die sozialdemokratische Partei so abgestraft. Mit unter zehn Prozent der Stimmen lag die Partei, die noch vor einigen Jahren den Ministerpräsidenten stellte, in einem Bereich, in dem der nächste Schub nach unten die Existenz bedroht.

Katrin Budde, vorher noch siegesgewisse Spitzenkandidatin, hielt trotzdem noch ein paar Tage tapfer an ihrem Posten fest. Warum, das lässt sich inzwischen vermuten: Die Diplom-Ingenieurin aus Magdeburg handelte als Abfindung das Versprechen ein, einen der mutmaßlich nur zwei sicheren Listenplätze der SPD für den nächsten Bundestag zugesprochen zu bekommen.

Den hat Katrin Budde jetzt mit Platz 2 der Landesliste überreicht bekommen. Dazu muss man wissen: Karamba Diaby aus Halle hatte es bei der letzten Bundestagswahl nur mit Ach und Krach ins Parlament geschafft, weil wegen des schlechten Wahlergebnisses nur vier Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt über die Landesliste in den Bundestag einzogen.

Schneidet die SPD im Herbst nun  so ähnlich ab wie im März letzten Jahres bei der Landtagswahl, wäre die Bundestagskarriere von Diaby, der hinter Budde Platz 3 der Landesliste belegt, nach einer Legislaturperiode schon wieder zu Ende. Im Bundestag säße dann für die Sachsen-Anhalt-SPD neben Landeschef Lischka allenfalls noch jene Katrin Budde, deren politisches Wirken seit ihrem Rücktritt vom Landesvorsitz und vom Chefposten der Landtagsfraktion an das eines Ruheständlers erinnert.

Budde lässt auf ihrer Homepage schweigen und sie schweigt bei Twitter, sie hat ihre Facebook-Seite gelöscht und auf dem verbliebenen privaten Rest nie wieder etwas geschrieben. Budde, die Magdeburgerin, die in ihrem neuen Wahlkreis Mansfelder Land - 80 Kilometer entfernt - von nicht einmal vier Dutzend SPD-Mitgliedern nominiert wurde, hat öffentlich nie mehr von sich hören gemacht. Sie ist im Landtag mit einer einzigen Kleinen Anfrage aufgefallen und auch ihr letztes Lebenszeichen auf der Landtagshomepage stammt von irgendwann vor der verlorenen Landtagswahl.

Wie kann das gehen? Wie kann eine Partei, die sich anschickt, mit Martin Schulz große Ansprüche anzumelden, jemanden zum Spitzenkandidaten machen, der offenkundig längst seinen Abschied aus der aktiven Politik genommen hat? Gibt es eine Rückkehr? Mit welcher Botschaft?

Noch hat der Wahlkampf nicht begonnen, da hat die SPD schon ein ernstes Kandidatenproblem.

Die SPD im Archiv: Das System Magdeburg