Samstag, 12. Januar 2019

Wo Einstein irrte: Von spukhafter Fernwirkung


Albert Einstein veröffentlichte 1905 die spezielle Relativitätstheorie und revolutionierte die gesamte Physik - für viele eine harte Nuss. Ein weiterer Versuch populärer Erklärung.

Albert Einstein ahnte nur, dass es jenseits der Physik noch etwas geben muss. Heute gilt die Quantenphysik als letzter Stand der Wissenschaft - verstehen aber kann sie nur, wer sie sich von kundigen Männern wie Anton Zeilinger erklären lässt. Ein ganz klein wenig Hexerei ist dabei. Stellen wir uns Folgendes vor: Zwei Photonen, also Lichtteilchen, die mit Hilfe eines Lasers und eines Prismas im Labor miteinander "verschränkt" wurden - in einfachen Worten. Diese Photonen sind winzig klein, man kann sie nicht sehen, man weiß nur, dass sie da sein müssen. Und weil sie da sind, weiß man, dass eines von ihnen die bestimmte Eigenschaft A hat, während das andere die bestimmte Eigenschaft B in sich trägt. Welche Eigenschaft das eine hat, hängt ganz davon ab, welche im anderen enthalten ist. 


Zu kompliziert? Schwer verständlich? Das fand Einstein auch. Also machen wir es doch gleich noch ein bisschen schwieriger: Keines der beiden verschränkten Teilchen kennt seine eigene Eigenschaft. Denn die wird erst festgelegt, wenn ein Beobachter von außen sie zu ergründen versucht - wie zwei Würfel mit nur zwei Buchstaben, die erst eine Zahl zeigen, wenn sie geworfen worden sind. Dann aber, und das ist wirklich wahr, entscheidet sich nicht nur das eine Quant für Eigenschaft A oder B. Sondern ganz automatisch auch das andere - hat ein Würfel das "A", zeigt der andere das "B" und umgekehrt. Und nun halten wir uns mal fest, denn was jetzt kommt, ist mehr als nur ein bisschen Hexerei: Dabei ist völlig egal, welcher Abstand zwischen beiden Teilchen liegt. Und gleichgültig, dass es keinerlei Verbindung zwischen ihnen gibt. 


Albert Einstein nannte das einst "spukhafter Fernwirkung" und er hatte ernsthafte Zweifel daran, ob er eine Welt akzeptieren könne, in der Wirkungen ohne Ursachen möglich sein sollen. Was heute als einer der Grundlehrsätze der Quantenmechanik gilt, war Einstein ein rotes Tuch. Schließlich hatte er doch die Lichtgeschwindigkeit als theoretisch höchstes Tempo überhaupt mathematisch nachgewiesen. Und die verschränkten Photonen kümmerte das überhaupt nicht! Sie "beamten" sich offenbar Informationen in Null-Zeit, also ohne jede Verzögerung zu, und das ohne Verbindung miteinander. 


Irgendwo, vermutete der Vater der Relativitätstheorie, müsse da noch etwas sein, das alles erkläre. Bis Niels Bohr, auch er ein großer Physiker, ihm eines Tages entgegenschleuderte: "Hören Sie endlich auf, dem Herrgott Vorschriften zu machen, wie er die Welt gestaltet." 

Und im Bauplan des Kosmos ist Einsteins "spukhafte Fernwirkung" nun mal ein Fakt, wie der Wiener Physik-Professor Anton Zeilinger auf einer eben erschienenen Doppel-CD gleichen Namens ausführt. Die, als Teil einer populärwissenschaftlichen Hörbuch-Reihe im Kölner Supposé-Verlag erschienen, versucht, Leuten die Quantenphysik zu erklären, die bei dem Wort allein schon an langweilige Gleichungsketten und endloses Formelgewimmel denken. 


Ein Vorhaben, das Zeilinger, im vergangenen Jahr Leiter eines Aufsehen erregenden Experiments, bei dem es erstmals gelang, Lichtteilchen durch ein Glasfaserkabel unter der Donau hindurch zu beamen, mit Wiener Charme und nahezu ohne Fachausdrücke erledigt. Locker plaudernd beschreibt der 60-jährige Experimentalphysiker eine Welt, in der ganz andere Gesetze gelten als in unserem Alltag. Eine Welt ist dies, in der Dinge zugleich da und dort sein können und in der der Zufall kein Ergebnis von beeinflussbaren Faktoren, sondern reine, pure Willkür ist. 

Zeilinger, ein wuschliger Charakterkopf von Reinhold-Messner'schem Format, bemüht einprägsame Beispiele, um klarzumachen, was die Welt im Innersten zusammenhält. "Wenn ein Spiegel genau halb durchsichtig ist", beschreibt er, "geht die Hälfte des Lichtes hindurch und die andere Hälfte wird reflektiert." Soweit, so gut. Was aber geschieht mit einem einzelnen Photon, das auf den Spiegel trifft? Wird es zurückgeworfen? Oder durchgelassen? "Niemand weiß das", sagt Anton Zeilinger, "nicht einmal das Photon selbst." 


Und all unsere Wissenschaft kann daran nichts ändern. Einstein meinte einst, die Welt könne gar nicht so verrückt sein, wie uns die Quantenmechanik glauben machen will. "Heute aber wissen wir, die Welt ist so verrückt", zitiert Anton Zeilinger seinen amerikanischen Forscherkollegen Daniel Greenberger. Im Reich der Quanten können Teilchen an verschiedenen Orten zugleich sein, und auch die Regel, dass Dinge selbst dann existieren, wenn sie niemand sieht - wie die Sonne, die auch scheint, wenn keiner hinschaut -gilt nicht mehr. 


Das ist im ersten Moment verstörend. Männer wie Anton Zeilinger aber sehen vor allem "Die Schönheit der Quantenphysik" (CD-Untertitel) und die Fülle der neuen Möglichkeiten, die in Einsteins "spukhafter Fernwirkung" stecken. Schon hat Zeilingers Team so genannte Quantenzustände kilometerweit über die Dächer von Wien hinweg transportiert. Und schon basteln andere Forscher an Computern, die auf Quantenbasis funktionieren - dann stünde eine Revolution ins Haus, die alle bisherigen technischem Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte in den Schatten stellen wird. 


Nur das Beamen größerer Objekte oder gar ganzer Menschen bleibt wahrscheinlich für immer Science-Fiction: "Allein die Information über die Quantenzustände eines Menschen, die zum Beamen übertragen werden müssten, würden einen CD-Stapel von 1 000 Lichtjahren Länge füllen", weiß Zeilinger. Ein Lichtjahr sind knapp 10 Billionen Kilometer - selbst mit bester Technik würde die Übertragung dieser Daten Ewigkeiten dauern. Der britische Quantencomputerexperte Samuel Braunstein hat das einmal gallig kommentiert: "Natürlich wäre es einfacher zu laufen."


Samstag, 15. Dezember 2018

Lautes Leben und ein stiller Tod: Vor zehn Jahren starb André Greiner-Pol von Freygang





Es gibt ein Foto von André Greiner-Pohl, auf dem er ganz oben in der Berliner Zions-Kirche steht, den linken Fuß gegen das Geländer der Kanzel gestemmt, die Augen geschlossen, vor dem Bauch eine Gitarre, die er weltvergessen spielt. Das Foto stammt aus den 80er Jahren. André Greine-Pohl war ein Ausgestoßener, ein Mann, der einerseits Legende war, andererseits überhaupt nicht existierte: Staatsfeind und Heiliger, Säufer und Narr, Opfer und Täter. 

Die Aufnäher sahen ganz toll aus, und sie garantierten zumindest eine lange Nacht auf der Wache. "Freygang lebt" stand auf dem Stück Stoff, das öffentlich zu tragen nur die Mutigsten wagten in der DDR. Freygang, das war André Greiner-Pohl weswegen das Bildnis des Sängers und Gitarristen wildmähnig über dem Slogan prangte. Greiner-Pohl hatte Auftrittsverbot. Freygang keine Spielgenehmigung. Weder gab es Platten von der Band noch Rundfunkproduktionen, kein Radiomoderator sprach je ihren Namen aus, und keine Zeitung erwähnte sie. Dennoch pilgerten im Jahre 1987 mehrere tausend Leute zu einem unangemeldeten Konzert in einem winzigen Nest an der polnischen Grenze. 


Andere Bands schafften es nach dem Ende der DDR, ihr Leben und Wirken im DDR-Untergrund per Talkshow-Auftritt und CD-Sampler zu vermarkten. 
André Greiner-Pohl, 1952 geboren und nach einer Elektrikerlehre bald entschlossen, ein Künstlerleben zu führen, war dieses Talent nicht gegeben. Bis zu seinem Tod hat der Sohn des DDR-Komponisten Greiner-Pohl den Untergrund nicht verlassen, trotzig buchte seine Band Freygang ihre Konzerte selbst, noch immer erschienen ihre CDs auf dem eigenen Label Flint Records und der unabhängige Buschfunk-Versand sorgt für den Vertrieb. 

Bequem hat es 
André Greiner-Pohl nie gemocht. Scheint die DDR in manch anderer Künstlerbiografie ein recht langweiliges Land gewesen zu sein, so liest sich der Lebenslauf des Kult-Gitarristen wie ein Krimi. Schon Mitte der 70er Jahre geriet der Hobbymusiker, der sich als Modell und Kleindarsteller durchschlug, ins Visier der Stasi. Ein Freund hatte beschlossen, mit Hilfe eines US-Soldaten illegal nach Westberlin abzuhauen. Dazu wollte er die Uniform des Amerikaners anziehen und einfach durch die Grenzbefestigungen spazieren. 

Ohne André Greiner-Pohl ging das nicht: Er hatte eine Wohnung in der Nähe, in der das Umziehen vonstatten gehen sollte, und ein Auto, um den falschen Ami zur Grenze zu fahren, hatte er auch. 
Das Ende vom Lied wurde im gefürchteten Knast von Rummelsburg gespielt. Der Kumpel war erwischt worden, Greiner-Pohl wurde von der Staatsicherheit abgeholt, verhört und zur Zusammenarbeit gezwungen. In der Akte unter dem Decknamen "Benjamin Karo" finden sich allerdings mehr Berichte über ihn als von ihm, der seinen Führungsoffizier wissen ließ, dass er die "Bonzokratie" der DDR verabscheute.

Schon 1968, fanden die Spitzel heraus, sei dem Komponistensohn in der Schule eine Westzeitung abgenommen worden. Auch habe der kleine André stets Westfernsehen anschauen dürfen, später hätten sich bei ihm regelmäßig politisch negative Jugendliche versammelt, ließ ein eifriger Hausmeister die Stasi-Männer wissen. So einen darf man nicht öffentlich musizieren lassen. Ohne offizielle Spielerlaubnis avancierten Freygang dennoch zu den Puhdys des DDR-Rockuntergrunds. Neben eigenen Songs spielten André Greiner-Pohl und seine wechselnden Mitmusiker vor allem Ton, Steine, Scherben nach - mehr wild als perfekt, mehr schräg als schön. 

Es gab keine Platten von seiner Band, kein Radiomoderator sprach je ihren Namen aus und keine Zeitung erwähnte sie. 1987 strömten dennoch mehr als zehntausend Fans zu einem Open-Air-Konzert, um Greiner-Pol "Ich bin ein Mörder" singen zu hören. Im Sommer 1986 wurde Greiner-Pohl von der Bühne weg verhaftet. "Der Blues muss bewaffnet sein", glaubte Greiner-Pol, "sonst glaubt dir kein Schwein". Im Revolutionswinter 89/90 machte der Musiker ernst, er gründete die Kult- und Kulturstätte "Tacheles" mit und trat mit seiner eigenen Partei Wydoks zur Wahl an. Ohne Erfolg natürlich. 

Es blieb die Musik. Wilde Klänge, zu denen Greiner-Pohl, Bassistin Tatjana Besson, Keyboarder Frank Trötsch, Gitarrist Egon Kenner und Trommler Ronald Vorpahl Mythen schredderten. Lieder hießen "Skysegeljack" und "Vier Panzersoldaten und ein Hund",  Freygang, einst der lebende Beweis, dass Rock in der DDR nicht gleichbedeutend mit angepasstem Puhdy-Pop sein musste, zwangen die Extreme in eine Rille.

Kurz vor Weihnachten vor zehn Jahren starb André Greiner-Pohl an einem Herzinfarkt, der ihn im Schlaf überraschte. Er wurde nur 56 Jahre alt.

Montag, 10. Dezember 2018

Halle, ehrlichste Stadt: Das Fahrradwunder vom Franzosenweg


Normalerweise dürfte dieses Fahrrad dort nicht stehen. Nicht dort und nirgendwo sonst, denn schließlich ist Halle die Fahrraddiebstahl-Hauptstadt Sachsen-Anhalts: Knapp 4 000 Räder wurden 2017 an der Saale gestohlen - nur knapp 500 Fahrraddiebstähle waren es im Jahr 2011. Dabei gehen nach wie vor die wenigsten Diebstahlsopfer zur Polizei, weil deren Aufklärungsrate unterirdisch ist. In nicht einmal jedem zwölften Fall wird ein Fahrraddieb erwischt, mehr als 90 Prozent aller Diebstähle bleiben unaufgeklärt. Wer Anzeige erstattet, erhält in der Regel schon nach wenigen Tagen ein Standardschreiben der Staatsanwaltschaft: Es habe leider kein Täter ermittelt werden können. Die Ermittlungen seien eingestellt.


Und nun dieses Rad, wie ein Hohn auf die Statistik und den Ruf der Saalestadt als Klau-Hochburg. Seit Anfang Juni, also ist mehr als sechs Monaten steht es im Franzosenweg, ein Damenrad, konservatives Modell, tiefer Einstieg, leicht hässliches Dunkelrot, Doppelrahmen, eher belastbar als schick, aber fahrtüchtig, abgesehen von einem Platten am Hinterrad.

Das Fahrrad ist nicht angeschlossen, nicht einmal an sich selbst. Jeder Passant könnte es nehmen und wegschieben - normalerweise werden auch solche Räder gnadenlos aus Kellern gezerrt, von Ständern vor Kneipen oder Freibadzäunen geschnitten. Manchmal dauert es keine fünf Bier und das Rad, mit dem der Gaststättenbesucher gekommen ist, fehlt auf dem Nachhauseweg. Manchmal halten nicht einmal verschlossene Haus- und Kellertüren "organisierte Banden" (Polizei) davon ab, gleich ein Dutzend Räder aus einem Fahrradraum zu schleppen.

Wie ein trotziges Mahnmal gegen das Vorurteil, Halle sei für Fahrradbesitzer eine teure Stadt, steht nun das ehemals edle Winora-Rad da, inzwischen nicht mehr unauffällig gelehnt an eine Hauswand, sondern an die Außenmauer der alten Uni-Klinik, wo Studentinnen und Studenten, aber auch andere Passanten das Angebot gar nicht übersehen können. Dennoch hält es sich, mitten in der Stadt, die nach einer Statistik eines Vergleichsportals bundesweit auf Rang 3 rangiert, wenn es um die Spitzenränge beim Fahrradklau geht.

Eine Erklärung gibt es nicht. Das Wunderfahrrad vom Franzosenweg, es hat den Sommer überstanden, den Herbst und wenn alles gut geht, steht es vielleicht nach dem Winter immer noch da.

Oder nun auch nicht. Dann aber liegt es womöglich nur an diesem Text hier.


Samstag, 8. Dezember 2018

Post­kon­trolle: Wie Behörden im Westen die Post aus der DDR überwachten


Gerade erst wieder rücken die Stasi-Machenschaften beim innerdeutschen Brief- und Postverkehr ins Visier. Systematisch habe die DDR-Stasi Westpakete ausgeraubt, berichtet der letzte DDR-Postminister im MDR-Magazin "Umschau". Die geraubten Waren seien dann unter anderem in der SED-Bonzen-Siedlung Wandlitz verkauft worden. Kontrolliert wurde sowieso alles - allerdings eben nicht nur im Osten, wo die für die Postkontrolle zuständige Stasi-Abteilung M in jeder Hauptpostfiliale saß, geheime Bereich in den Bahnhöfen hatte und rund um die Uhr die Briefe der DDR-Bürger ausspionierte.

Weniger bekannt ist, dass die DDR nicht allein so handelte. Auch die Behörden in der Bundesrepublik nutzten im Kalten Krieg jede Möglichkeit, die Kommunikation ihrer Bürger zu kontrollieren, wie der Freiburger Historiker Josef Foschepoth in seinem Buch Überwachtes Deutschland: Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik beschreibt. "Die DDR war das am besten überwachte Land in Europa, vielleicht auch weltweit", sagt Josef Foschepoth. Denn nicht nur die DDR-Stasi durchleuchtete die Post auf dem Weg nach dem Westen. Nein, kaum dort angekommen, kümmerten sich auch die Sicherheitsorgane der Bundesrepublik um Pakete, Päckchen und Briefe.

Im ehemaligen Bahnpostamt in Hamburg etwa wurden jahrzehntelang Briefe und Pakete aus der DDR aufgerissen und durchsucht. In einem Raum arbeiteten nach einem Bericht des Fernsehsenders 3Sat drei bis vier Postbeamte und ein Zöllner. Solche Überwachungsstellen habe es "eigentlich in jedem größeren Postamt gegeben", beschreibt Foschepoth. Und das gleich doppelt: Nicht nur die bundesdeutschen Behörden überwachten die deutsch-deutsche Post, sondern nebenan befanden sich weitere Überwachungsräume, in denen Mitarbeiter der Besatzungsmächte nach ihren Regeln kontrollierten.

Große so genannte "Aussonderungsstellen" für verdächtige Sendungen befanden sich in Hamburg, Hannover, Bebra, Bad Hersfeld und Hof. Über diese "zweite Westgrenze" wie es der Forscher nennt, gelangte keine Post aus der DDR unkontrolliert. Schon in den Zügen aus der DDR hätten Postbeamte vorsortiert, es wurden Postkarten gelesen und Sendungen abgetastet.

Rechtliche Grundlagen dafür gab es nicht, wie Foschepoth betont. Kanzler Konrad Adenauer habe den Alliierten diese Vorbehaltsrechte zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs eingeräumt. In den offiziellen Verträgen aber blieb dies unerwähnt.