Dienstag, 2. April 2019

Verwaltungsgespräch: Ein Dialog für die Tonne


Das sieht auf dieser Wiese immer aus wie Sau! Wir brauchen zusätzliche Müllkübel.

Gute Idee! Die müssen wir aber auf ein festes Fundament stellen, sonst schmeißen die uns die Dinger ständig um.

Ja, feste Fundamente sind gut. Die gießen wir richtig sicher in den Rasen, zwanzig Zentimeter tief, dürfte reichen. Okay, nein, lass und 25 machen.

25 klingt super. Und dann so einen Mast dahinter, wo wir die Kübel festketten können.

Richtig fest, genau. Und was nehmen wir für Kübel?

Habe ich schon bestellt, so große, schwarze. Die bekleben wir dann mit lustig gemalten Bildern von städtischen Künstlern, die städtische Motive malen.

Großartiger Einfall. Hast du schon bestellt? Die Kübel?

Ja, zwei Dutzend Sulo-120 Liter, klasse Dinger, ganz stabil. Fahrbar, aus speziell entwickeltem hochmolekularem Niederdruckpolyäthylen, verrottungsfest, frost-, hitze-, chemikalienbeständig.

Die sind aber aus Plastik, oder?

Ähm, ja. Schon irgendwie. Wieso?

Weil die da grillen, die grillen da, dauernd.

Naja, Grillen. Ich meine, die sind hitzebeständig.

Und wenn da einer Glut reinschmeißt? Meinste, das gilt dann noch mit dem hitzebeständig?

Könnte, naja, ich hoffe doch. Außerdem…

Was außerdem?

Außerdem werfen die da keine Glut rein, ganz sicher nicht. Das sieht doch jeder, dass die Tonnen aus Plastezeug sind. Das will doch keiner, dass es da brennt. Denkste nicht? Das verklebt doch dann die ganzen schönen Fundamente. Und die klasse Festschnallmasten gehen kaputt.

Und die künstlerischen Bilder mit Stadtmotive.

Ja, die auch.

Das wäre traurig.

Ganz traurig wäre das.

Ganz traurig.


Sonntag, 17. März 2019

Kahlschlag auf der Peißnitz: Baum-Mord auf Raten


Es ist der Traum vom reinen Wald wie ganz früher, einer Natur ohne "Fremdgehölze", auch wenn die wie der amerikanische Eschen-Ahorn (Acer negundo) schon seit 300 Jahren in Deutschland wächst. Als Neophyt geranntmarkt, steht er auf der "Schwarzen Liste" der Gewächse wie die Silber-Weide und die Schwarz-Pappel verdrängt, deren deutsche Standgeschichte noch länger währt.

Gegen diese "Invasion" (hallelife) hilft nach Meinung von Experten die sogenannte "Ringelung" am besten. Dabei wird dem Baum ein mehrere Zentimeter breiter Streifen der Rinde am unteren Teil des Stammes ringförmig abgeschnitzt. So soll, das zumindest ist der feste Glaube der Ringler, dem geringelten Baum der Saftstrom abgeschnittenn, so dass der Transport von Nährstoffen von den Wurzeln in Äste und Zweige und Blättter gestoppt wird.

Vor vier Jahren begann eine große Ringelaktion auf der unter Naturschutz stehenden Nordspitze der Peißnitzinsel, auf der seit einigen Jahren auch wieder mehrere Biber heimisch sind. Wie die Pläne zur Schotterung der Waldwege gehört auch das gezielte Absterbenlassen von Bäumen zur Umsetzung städtischer Pläne, sogenannte "invasive Neothyten" mit Hilfe hochrangiger Helfer aus der Politik zu bekämpfen, weil sie heimischen Pflanzen und damit auch Tieren die Lebensgrundlage entzögen.

In der Theorie reicht es, die in der DDR ihrer pflegeleichten Wuchsfreudigkeit achtlos angepflanzten Bäume ausgiebig zu ringeln, um sie binnen dreier Jahre in Totholz zu verwandeln. Mit dem aufwendigen Verfahren soll vermieden werden, dass gefällter Eschen-Ahorn bereits im zweiten Jahr Stockausschläge bildet, die dazu führen, dass mehr Eschen-Ahorn wächst statt weniger. Geringelte Bäume hingegen sind nach drei Jahren abgestorben, kahles Stämme, die nur noch abgesägt und abtransportiert werden müssen.

Wenn sie nicht in der Praxis selbst andere Absichten erkennen lassen, wie das die geringelten Bäume auf der Nordspitze tun. Statt zu sterben und damit Raum zu schaffen, in dem sich "die naturnahe Aue" (Koordinationsstelle invasive Neophyten in Schutzgebieten Sachsen-Anhalts) wiederherstellen lässt, weigern sich die Geringelten, beim Kahlschlag mitzumachen. Mit Erfolg: Auch in diesem Jahr schlagen die totgeweihten Ringelbäume auf der Nordspitze wieder zuverlässig aus, ebenso wie ihre bereits vor noch längerer Zeit geringelten Artgenossen am Ufer der Wilden Saale (Foto Mitte).

Samstag, 9. März 2019

Lost Places: Der Rätselpalast von Dreżewo


Dreżewo ist eine kleine Stadt, eigentlich ein Dorf, nur ein Dutzend Kilometer von der belebten polnischen Ostseeküste mit ihren frisch polierten Urlaubsstädten entfernt. Gerade hier, im Niemandsland, das kaum jemals ein Tourist erreicht, wartet eine Sensation für Freunde zerfallender Großarchitektur: Das Herrenhaus in Dreżew, einst auf Initiative des Wirtschaftsberaters von Schlutów aus Stettin errichtet, damals für bescheiden gehalten, heute aber wie ein riesiges Schloss aufragend aus einer Gegend, in der sonst nur schlichte Hütten stehen.


Die erste Erwähnung der traurigen kleinen Siedlung, in deren Mitte das gewaltige Bauwerk prangt, stammt aus dem Jahr 1287, als Fürst Bogusław das gesamte Dorf einem Frauenkloster in Trzebiatów übergab. Später gehörte das Dorf der Familie von Karnitz, im Jahr 1740, als der letzte erwachsene Eigentümer starb, übernahm dann eine Familie namens von Woedtke das Anwesen, das an einen Kapitän von Schmeling verkauft wurde, der es wiederum an die Witwe des Kaufmanns Becker aus Kolobrzeg weitergab. Niemand hatte Glück mit dem Gut, jeder gab es, so scheint es, möglichst schnell weiter. Dreżewo gehörte als nächstes der Frau des Kaufmanns Kaufmann und danach erbte es die Familie von Fleming. Ab 1828 befand sich das Gut dann in den Händen von Heinrich von Elbe, der es schließlich 1875 an Eduard von Bonin verkaufte. 

Damit begann die bunteste, aber auch rätselhafteste Zeit: Bonin unterhielt enge Geschäftsbeziehungen mit dem Vater der spanischen Adelsfamilie de Val Florida. Girona de Val Florida kam sogar nach Drezewo, wo sie eine Affäre mit dem jungen von Bonin gepflegt haben soll, der allerdings schon mit einer französischen Gräfin verlobt war - Angelica Vermandois.

Als die 1890 nach Drezew kam, brach im Schloss ein Feuer aus, und ihre Rivalin Girona de Val Florida starb in den Flammen. Der Palast wurde danach im neugotischen Stil umgebaut, doch Glück und Zufriedenheit wollten nicht einziehen.



Nach dem Krieg griff ihn sich der polnische Staat, der ein Gestüt im weitläufigen Gelände gründete. Das ging pleite und verschwand, dafür kam nach dem Zusammenbruch des Sozialismus ein Geschäftsmann namens Stanisław Paszyński, der die weitläufige Flur pachtete, um Windparks anzulegen. Gironas Fluch wirkte, die Pläne wurden nie umgesetzt, und das Herrenhaus zerfiel langsam.

Bis die Spanier kamen und neue Hoffnung mitbrachten. Im Juli 2006 wurde das sagenhafte 302 Hektar große Anwesen von Hiszpan Ricardo Crespo Fuster gekauft, einem spanischen Geschäftsmann, der hier ein Hotel und einen Golfplatz mit Freizeitzentrum errichten wollte. Er tat es jedoch nicht, und der Palast wurde zusammen mit einem wunderschönen, 7,5 Hektar großen Park zu einer mit Unkraut überwachsen Ruine. Die inzwischen den ganz besonderen Zustand sehenswerten Verfalls erreicht hat.

Sonntag, 24. Februar 2019

Industriedenkmal Gravo Druck: Letzter Aufruf Abrissbirne


Als „Industriehalle mit Freifläche in 06114 Halle, Reilstr.“ wurde es im vergangenen Jahr bei einer Auktion zum Kauf angeboten. Startgebot: 5 Euro. Nicht viel Geld für eine Grundstücksfläche in bester Lage, direkt am Reileck, mehr als 3000 Quadratmeter groß und mit großer Geschichte versehen.

Aber die früheren Produktionsgebäude des VEB Gravo Druck Halle  präsentieren sich nach mehr als einem Vierteljahrhundert Leerstand zwar bunt bemalt mit allerlei Graffiti. Doch vom löchrigen, teilweise eingebrochenen Dach bis zu schwer einsturzgefährdeten Zwischendecken, Brandschäden und ausgebrochenen Fenstern in einem geradezu erbärmlichen Zustand.


Ein Denkmal ist das Haus aus dem Jahr 1936 dennoch, sechs Etagen mitteldeutscher Industriegeschichte, die bislang nur einige Nebengebäude und den früher an der Fassade prangenden Schriftzug „Gravo Druck“ eingebüßt haben, an deren Stelle sich jetzt ein Parkplatz befindet.


1889 hatte der Unternehmer Carl Warnecke in Halle die Lithographische Kunstanstalt, Buch- und Steindruckerei gegründet, die später aus der Kleinen Ulrichstraße in die heutige Ludwig-Wucherer-Straße zog. In der DDR wurde die Firma enteignet und zum volkseigenen Großunternehmen mit nahezu 250 Mitarbeitern gemacht, die Verpackungsmaterial, Plakate, Werbeschriften und Postkarten produzierten – unter anderem für Abnehmer im sogenannten NSW, also dem nichtsozialistischen Ausland. Globalisierung im DDR-Maßstab. Die Rohstoffe für Etiketten und Verpackungen für westdeutsche Markenartikel kamen aus dem Westen. Die Fertigprodukte verschwanden wieder dorthin.

Ironie der Geschichte: Das Geschäft lief, so lange der „Graphische Volksbetrieb“ (daher Gravo) in der DDR produzierte, die kaum Werbung kannte. Doch kaum war die Planwirtschaft am Ende, geriet auch die ehrwürdige Druckfabrik in Nöte. Der Jahresabschlussbericht 1990 der inzwischen mit dem Handelsregistereintrag HRB-08-896 zur GmbH mit einem Stammkapital von 3 360 000,- DM umfirmierten Treuhand-Tochter listete schon Außenstände von mehr als zwei Millionen D-Mark auf. 1992 war die Kasse endgültig leer, Gravo Druck, zu DDR-Zeiten Schauplatz des DEFA-Films "Das verhexte Fischerdorf", geriet in ein Insolvenzverfahren, in dessen Folge die Gebäude leergeräumt und verlassen wurden, dem Verfall frontal preisgegeben.

Die Idee von Hühnermanhattan-Betreiber Gabriel Machemer, in den weitläufigen Räumlichkeiten nicht nur das Hühnermanhattan, sondern dazu noch weitere sozio-kulturelle Projekte unterzubringen, fand vor zehn Jahren keine Unterstützung. Inzwischen ist nun zu spät, noch irgendetwas am Industriedenkmal am Reileck zu retten: Bei einer Zwangsversteigerung ging das Gelände jetzt an einen Käufer aus Leipzig, der für die Ruine in allerbester Lage 1.151.000 Euro zahlt.

Noch eine ehrwürdige Leiche im Stadtbild: Das Julius-Kühn-Haus am Steintor