Samstag, 9. September 2017

Möve-Bike: Fast wie Fliegen


150 Jahre nach der Erfindung des Tretlagers revolutionieren zwei Tüftler aus Thüringen das Fahrrad mit ihrem Cyfly-Antrieb. Hightech spart Körperkraft und macht das geschichtsträchtige Möve-Bike aus Mühlhausen zu einer Sensation.


Als die Kiste, heute unter dem Namen „Bernd, das Brot“ ein Teil der Firmengeschichte, zum ersten Mal vor ihm lag, war Tobias Spröte skeptisch. „Ein Tüftler aus Leipzig hatte uns mit der Idee infiziert“, sagt der 37-Jährige, der mit einem Partner zusammen gerade beschlossen hatte, die alte Möve-Bike-Tradition seiner Heimatstadt Mühlhausen wiederzubeleben. „Möve war neben Diamant und Mifa einer der großen Fahrradhersteller der DDR“, beschreibt Spröte, dessen Großvater für die Firma gearbeitet hatte. Anfang der 60er aber kam das Aus, als die DDR-Führung beschloss, „dass zwei Fahrradmarken reichen“.

Wie es der Zufall will: Der 86-jährige Erfinder aus Sachsen hatte als Kind auf einem Möve-Rad Fahrradfahren gelernt und legte Spröte, inzwischen Chef eines Ingenieurbüros in Mühlhausen, deshalb seine Pläne vor, die seit 150 Jahren übliche Bauweise einer Fahrradtretkurbel zu revolutionieren. „Der Zahnkranz ist nicht mehr rund, sondern exzentrisch“, beschreibt Chefentwickler Marcus Rochlitzer, „dadurch verkürzen sich die Phasen, in denen das Bein keinen Druck auf die Pedale ausübt.“ Was technisch klingt, probierten die beiden Ingenieure Rochlitzer und Spröte mit eben jenem ersten, unförmigen Prototyp „Bernd, das Brot“ aus. „Das war ein Riesenkasten, in dem wir das Prinzip in der Praxis getestet haben.“

Bernd das Brot funktioniert


Es funktioniert. Ohne die toten Phasen der Trittbewegung liefert ein Radfahrer seinem Bike bis zu einem Drittel mehr Leistung, die direkt in die Vorwärtsbewegung fließen kann. „Unser Problem war nur, dass wir ja einen Antrieb bauen mussten, der auch unter Alltagsbedingungen funktioniert“, erklärt Marcus Rochlitzer.

Ein schweres Stück Arbeit für das Ingenieurbüro, das hauptsächlich für die Automobilindustrie arbeitet. Aber gerade weil sich der neue Fahrradantrieb anfangs nach Kräften dagegen wehrte, zu einem wirklichen Produkt zu werden, lassen die Frauen und Männer um Rochlitzer und Spröte nicht nach. „Wir haben manchmal dagesessen und nicht weitergewusst“, gibt der gebürtige Mühlhäuser Spröte zu. Und Rochlitzer, der aus einem Dorf in der Nähe von Eisenach stammt, umreißt das Grundproblem: „Im Maschinenbau gibt es hochpräzise Bauteile oder fürchterlich schwere, wir aber brauchten leider etwas genau dazwischen.“

In einer Kaffeepause, als die ganze Truppe einmal mehr verzweifelt vor der großen Wandtafel sitzt und über den dort bis heute vermerkten Kraftfluss-Formeln brütet, gelingt der Durchbruch. „Der Gedanke, dass ein unendlich langes Pendel den Radius eines Kreises als Linie zieht, änderte alles.“ Der aus dem Ideenblitz entwickelte Cyfly-Antrieb staucht den Trittkreis, indem er an den Totpunkten aus- und einfährt. „Cyfly ist wie ein Uhrwerk mit verschiedenen Zahnrädern, die den Tritt besser ausnutzen“, erklärt Tobias Spröte. Fahrer spüren es sofort: Das Rad kommt zackiger in Gang, der Kraftaufwand ist niedriger. Fast wie Fliegen fühlt sich das an. Das Kunststück dabei ist, den Zusatzaufwand an Zahnrädern so gering zu halten, dass nicht Extragewicht den Effizienzgewinn auffrisst.

Fünf Jahre zur Revolution


Fast fünf Jahre hat es die Möve-Macher und ihr zwölfköpfiges Entwicklerteam gekostet, bis das System in Zusammenarbeit mit Biomechanikern der Uni Leipzig, den Kugellagerspezialisten von Schaeffler und Getriebeexperten der Eisenacher Mitec GmbH serienreif war.

Bei 16 Kilo sind sie jetzt, das sind anderthalb mehr als bei einem Rad von der Stange. „Man merkt vom Mehrgewicht nichts, die Wirkung des Antriebs aber ist zu spüren“, sagt Spröte. Nebenbei sammelten die beiden Gründer Start-up-Preise, Investorenmillionen und bei einem US-Gastaufenthalt für Jungunternehmer gute Tipps von Anlageprofis. „Wir sollten unseren Antrieb an große Hersteller lizensieren“, erinnert sich Rochlitzer, „das bringe schneller Umsatz und höhere Gewinne.“

Mit Mifa nebenan in Sangerhausen haben sie dann tatsächlich auch mal gesprochen. Aber je tiefer der Einblick in die Mechanismen des Fahrradgeschäfts, desto größer die Ernüchterung bei den Newcomern. „Da geht es um viel und billig“, sagt Spröte. Der Acht-Dollar-Rahmen aus Taiwan, bisschen Blech gebogen und ein paar Löcher rein, winkt er ab. „Dann geht das für 300 Euro über den Ladentisch.“ Aber auf die Art würde es nichts mit dem innovativen neuen Rad in der stolzen Möve-Tradition, von dem die Mühlhäuser träumen. „Gibt man die Lizenz weg“, sagt Tobias Spröte, „schrauben die den Cyfly einfach an irgendeinen Rahmen dran.“

Ein Produkt mit Leidenschaft


Rochlitzer und Spröte, beide von Haus Konstruktionssystematiker, wollten ein Produkt mit Leidenschaft, ein Fahrrad, „an dem alles stimmt, weil es so passt, wie wir uns das vorstellen“. Ein Fahrrad, perfekt wie ein iPhone oder eine Tesla-Limousine, stimmig bis ins letzte Detail. Also gehen sie mit Möve Bikes den anderen Weg: selber machen, damit „die Kontrolle bei uns liegt“.

Produziert wird im Moment in einer Werkstatt im Erdgeschoss des Firmengebäudes, ein paar Dutzend Räder schafft die Manufaktur pro Woche. Nächstes Jahr steht der Umzug in eine große Halle auf einem ehemaligen Kasernengelände an, wo dann im Zellenprinzip Cyflys montiert werden; geplant sind 1 000 bis 2 000 im Jahr. „95 Prozent der Teile sind Made in Germany, das meiste kommt sogar aus Thüringen und Sachsen“, erklärt Tobias Spröte. Steht die neue Fahrradfabrik, soll auch die Rahmenfertigung aus Tschechien nach Mühlhausen geholt werden. Möve solle nicht nur für einen neuen innovativen Antrieb stehen, sagt Spröte, „sondern auch für den Anspruch, viele andere Kleinigkeiten am Rad besser zu machen - und das in höchster Verarbeitungsqualität“. Verkauft wird über den Fachhandel, aber mit einem neuen Konzept, das Spröte und Rochlitzer aus der Autobranche entlehnt haben.

Wie viel Spaß die beiden Männer hinter der wiederbelebten Möve-Marke an ihrem Baby haben, ist nicht zu übersehen. Der Lack, die Verschraubungen, die Bowdenzüge - das erste Möve-Modell „Franklin“ ist ein Augenschmaus. Marcus Rochlitzer schwärmt schon davon, mit der nächsten Generation „noch mal in die Ingenieurtrickkiste zu greifen und Carbon für den Antrieb zu verwenden“. Und Tobias Spröte sieht im Cyfly heute schon mehr als eine Alternative für enttäuschte E-Bike-Fahrer. „Viele sind da genervt vom Kettenblattverschleiß, von schwachen Batterien und hohem Gewicht.“ Andere suchten gerade im Elektro-Hype nach einer Rückkehr zum ursprünglichen Radfahren, nur eben mit höherer Effizienz. „Das ist genau unser Thema, smartere Räder, vielleicht dann später auch mal kombiniert mit einem Elektroantrieb.“

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