Sonntag, 17. November 2024

Wolf Biermann: Plattdeutsches Sächsisch - eine Weltsprache erklärt


Wolf Biermanns berühmte Oma Meume aus dem Lied "Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg" ist keine Kunstfigur, sondern Biermanns wirkliche Großmutter. Neben dem "Gebet" gibt es ein weiteres Lied namens "Eine Moritat auf Biermann seine Oma Meume in Hamburg", in dem der Liedermacher und Sänger der Frau nachsingt, die als junges Mädchen aus Halle wegmachte nach Hamburg, wie er sagt. "Genauer gesagt, sie ist ihrem Mann hinterhergerannt und hinterhergereist, der abgehauen ist nach Kiel, weil er dort Arbeit finden konnte als Steineträger auf dem Bau." Oma Meume wurde wenig später Hamburgerin - und zweisprachig, wie Biermann sagt.

Neben Sächsisch, wie er den halleschen Dialekt nennt, habe Oma Mäume auch Platt gesprochen. Zuweilen beides sogar gleichzeitig. "Wenn sie vornehm sprechen wollte, sprach sie knüppeldickes, dreckiges Sachsenanhaltinersächsisch, wenn sie aber dreckig sprechen wollte, dann sprach sie Hamburger Platt."

Zwei Sprachen, die auch Enkel Wolf Biermann beherrscht, wie er mit dem Vortrag eines Gedichtes des niederdeutschen Dichters Klaus Groth (auch: Claus Johannes Groth) zeigt. Das hanseatische Platt unterlegt mit dem Anhaltiner Sächsisch der Halloren, das Oma Meume bis an ihr Lebensende sprach. Und wirklich: Bei Wolf Biermann wird daraus die Lingua franca einer längst vergangenen Zeit, als Englisch, Dänisch und Deutsch noch gemeinsam in der Babywiege lagen. 

Montag, 11. November 2024

Neun Jahre: Romantiker und Menschenmagnet


Ich bin nicht hier, um zu gewinnen,
ich bin am Leben, um es zu verlieren.
Wo nichts verloren wird, ist nichts zu finden,
wer sich wärmen will, muss erstmal frieren.

Gerhard Gundermann

Beim Fußball hat er immer im Sturm gestanden. Natürlich im Sturm, ganz vorn, wo die Tore gemacht werden. Steffen Drenkelfuß war kein fleißiger Läufer, keiner, der das Spiel lenken wollte. Hier nicht. Hier, auf dem Platz, war er der, der seinen wuchtigen Körper mit ein paar schnellen Schritten in Position brachte und abschloss. Er war zielsicher, er war zur Verwunderung seiner Gegenspieler sogar schnell. Er war genau der, der er sein wollte. Ein Macher, ein Vollender. Ein Mann, der seinen Platz hatte und ihn ausfüllte.


Im Leben hat Steffen Drenkelfuß nach diesem Platz gesucht. Er liebte die lauten Runden, in denen über Gott und die Welt geredet wurde, die Abende am Lagerfeuer, an denen immer noch ein letztes Bier getrunken wurde, ehe es ins Zelt ging. Begann er zu erzählen, von den wilden Zeiten im Café Fusch, von seinen Reisen nach Afghanistan und Russland, von den Geschichten aus der Geschichte, die er liebte wie vielleicht kaum etwas sonst, dann wurden die Runden leise und alle hörten zu. Steffen Drenkelfuß war dann ein Menschenmagnet, ein wortgewandter Welterklärer, der allen einfachen Wahrheiten misstraute, weil er aus der Geschichte, die für ihn immer auch die Lebensgeschichte seiner geliebten Großmutter war, wusste, dass die Dinge nie einfach sind.

Steffen Drenkelfuß hielt es weniger mit den Gewinnern, die die Geschichte schreiben. Sein Herz schlug für die Verlierer, für die, die es versucht hatten und gescheitert waren.

Für sich selbst sah er das nicht vor. Meister seines Lebens zu sein, ein Mann, der seinen Weg geht, das war das Bild, das er von sich selbst hatte. Steffen Drenkelfuß war der Mann auf dem Kapitänsplatz hinten im Paddelboot, wenn es nach Schweden oder Polen ging. Tagsüber fuhr er ganz vorn im ersten Boot und abends war er der, der die Härten des Outdoorlebens bei jedem Wetter in vollen Zügen genoss – am liebsten nur in eine Plane gewickelt, der er seit der Armeezeit die Treue hielt. Er war ein Romantiker, er schlief auf einer Matte, die dreimal geflickt war, denn er hing an Dingen, die gelebt hatten.

Lange suchte er auch nach dem Ort, an dem er seine Fähigkeiten zeigen und verwenden konnte. Zum Glück für alle, die er auf seine Reise von der Universität zur Zeitungsredaktion, zum MDR und in die Stelle als Sprecher eines italienischen Hightech-Unternehmens mitnahm. Legende ist seines raue Imitation eines früheren MDR-Chefs, den er mit blitzenden Augen nachahmte. Auch seine absurden Anekdoten aus dem halleschen Rathaus hätten es verdient gehabt, ein Buch zu füllen. Und nie ließ er einen Zweifel daran, wie sehr er Falschheit und Größenwahn verachtete, wie sehr es ihn traf, wenn Aufschneider und Heuchler das Sagen hatten.

Steffen Drenkelfuß hätte es nie zugegeben, weil er sich für einen Realisten hielt. Doch er träumte von einer Welt, in der Leistungen zählen und nicht Bürokratie, Falschheit und das, was er Geschwätz nannte. Er selbst hat auf sich nie Rücksicht genommen, um seinem eigenen Anspruch an Leistung gerecht zu werden. Er arbeitete, akribisch, ausdauernd. Und wenn Freunde ihn brauchten, als Computerexperten, als Zuhörer, als Freund, war er da. So sehr, dass er oft den Vorwurf hörte, dass er nicht vergessen solle, dass da noch ein anderes Leben im Leben sein müsse.

Aber auch das hatte er, etwa wenn er am Pool bei seinen Eltern auf der Sonnenliege saß und bei einem Bier Gespräche mit seinem Vater  führte. Wenn er in Oebisfelde auf Fotopirsch zur Grenzerbank ging, aus der er mit seinen Bildern ein Kultmotiv machte. Oder wenn er abends zu Hause saß und über Max Höltz, Ernst Ottwalt oder Nestor Machno las. Bücher, die ihn beeindruckten, konnte er kapitelweise auswendig nachsprechen. Mit Gesten und ganzem Körpereinsatz holte er die Vergangenheit dann ins Heute. Er war begeistert und begeisterte andere. Er war lebendig. Er war glücklich.

Auch in der Musik. Er war dann melancholisch, romantisch, still. Gerhard Gundermann, Christian Haase, Natalie Merchant waren seine Säulenheiligen, immer wieder fand er aber auch zurück zum Punk seiner Jugendjahre. Den zornigen jungen Mann, der er damals gewesen war, trug Steffen  auch jenseits der 40 noch irgendwo in sich. Milde können andere sein, sagte er. Steffen urteilte präzise und schnell, sein moralischer Kompass schlug sicher aus, und wenn er eine Position gefunden hatte, dann verteidigte er sie vehement. Bis das letzte Bier ausgetrunken und das Feuer zu kalter Asche heruntergebrannt war.

Steffen Drenkelfuß ist am 11. November 2015 gestorben.
Er ist nur 45 Jahre alt geworden.

Steffen Drenkelfuß bei Facebook

Sonntag, 19. Mai 2024

Fall der letzten Maske: Abschied vom Ausnahmezustand

Die OP-Maske, die auf der Peißnitzinsel in einem Baum hing, hat sich vor wenigen Tagen verabschiedet.


Es ist vier Jahre her, dass die Welt sich von einem Tag auf den anderen veränderte. von einem Tag auf den anderen veränderte. Überall herrschte Maskenpflicht, Menschen verschwanden unter Schutzausrüstungen, ein kollektiver Gesichtsverlust trat ein. Damals, als die ersten Vorschrift zur sogenannten Gesichtsbedeckung den Blick der Deutschen auf sich selbst für immer veränderten, sollten alle diese Masken tragen. Aber anfangs gab es keine zu kaufen.

Umso auffälliger war eine Maske, die ein Unbekannter an einen kleinen Baum in einem Park gehängt hatte. So niedrig, dass jeder sie sehen konnte. So hoch, dass niemand in der Lage war, sie herunterzuholen.

Vier Jahre hing sie im Baum, die Maske.
Die blassblaue Maske überstand den ersten Sommer der Pandemie und den ersten Winter überstand sie auch. Unbeschadet hing sie an einem Zweig, vom Wind gebeutelt und vom Sturm zerzaust, nassgeregnet und anschließend wieder von der Sonne getrocknet. Es kam der Frühling und der nächste Sommer und sie war immer noch da, es kam der erste Ausnahmezustand namens "Lockdown" null und der zweite, die erste Impfkampagne und die mit den Boostern. Und sie baumelte weiter unerbittlich in ihrem Baum, als wollte sie alle verlachen, die vor lauter Angst und Unsicherheit und vor Hiobsbotschaften und Beruhigungsversuchen nicht mehr wussten, was sie nun glauben sollten und überhaupt noch konnten.

Die Maske war stabil, auch wenn sich alles rundherum änderte. Die Impfungen, die vor Ansteckungen schützten, taten das dann doch nicht, aber die Maske war noch da. Die neue Welle, die noch schlimmer werden würde, wie der Gesundheitsminister nicht müde wurde zu betonen, kam nicht. Doch die Maske war noch da. Corona wurde vom Sonderfall zum Alltag, wie die Maske, die ganz nah an einem beliebten Spazierweg hing. Und hing. Und hing. 


Vom Tag an, an dem der damalige deutsche Gesundheitsminister behauptete, dass „Mundschutz nicht notwendig ist, weil das Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist“, bis zum Tag, an dem selbst im Freien Maske getragen werden musste, betrachtete sie die Veränderungen von höherer Position aus. Eine einfache OP-Maske, die auf dem Höhepunkt der Krise zwei Euro kostete - 100 Mal mehr als in gewöhnlichen Zeiten. Sie das alles durchgehalten. 

Der zweite Corona-Winter kam, der zweite Frühling, Sommer, Herbst und noch ein Winter. Als bleibe sie ewig jung, baumelte sie da oben, ein angeblich wirksames Viren-Abwehrmittel, das zum Denkmal einer verrückten Zeit wurde. Die Maske, im März 2020 auf den Baum geraten, hing dort noch im März vier Jahre später, etwas zerzaust, ein wenig fusselig, aber störrisch, als wollte sie ihren Platz nie mehr räumen.

Dann aber ist es doch passiert. Eines Tages war sie verschwunden, von einem kleinen Frühjahrssturm herabgeweht. Das Band war gerissen, der Mundschutz auf den Boden gefallen. Nach genau vier Jahren und zwei Monate, also 1520 Tagen, bestehend aus 217 Wochen, ist die Geschichte der letzten Maske vorbei.

Da liegt sie nun im Dreck.


Sonntag, 7. April 2024

Peter Sodann: Peter der Große


Er war Arbeiter, Theaterchef und Fernsehkommissar - noch mit 80 begann Peter Sodann in Sachsen mit dem Bau einer Bibliothek - und noch einem neuen Theater.


Morgens ist er immer mit dem Hund gegangen, jeden Morgen. Der Hund war ein Dackel, die Strecke immer ähnlich, die Aufgabe stets die gleiche. Peter Sodann, seit heute 80 Jahre alt, zog los, eine gute Tat zu vollbringen. "Ich mache meine Runde", sagte er, "und wo ich Müll liegen sehe, sammle ich ihn auf."

Sodann wusste natürlich, dass er belächelt wird. Die Gymnasiasten, die ihm entgegenkamen, schüttelten die Köpfe über den älteren Herren, der ihnen den Dreck nachräumte. Peter Sodann ist es egal gewesen. Er tue das ja nicht für die anderen, auch wenn er beharrlich hoffe, sein Beispiel werde irgendwann irgendetwas bewirken. Er tue das für sich, sagt er. "Ich fühle mich danach einfach besser."

Einsatz für sich selbst


Um anderes ist es nie gegangen in der langen, bunten Laufbahn von Halles größtem Prominenten. Sodann, im sächsischen Meißen geboren und früh mit dem DDR-Staat aneinandergeraten, hat schon bald nach Studium, Haft und Parteiausschluss begonnen, die eigene Nase als Kompass zu verwenden.


 Mit dem neuen theater in Halle, das er zusammen mit seinen Schauspielern aus einem alten Kino zimmerte, schuf sich der damals 45-Jährige ein richtiges Leben im falschen Sozialismus. Eine Insel, die Sodann auch so nannte: "Kulturinsel". Hier war er Herz und Seele, Motor und Steuermann, ein Impresario, der die Rollen als Pastor, Manager und Betreuer parallel spielen durfte.

Die gewitterhimmelblauen Augen werden heute noch eine Spur dunkler, wenn Sodann über seinen Abschied aus dem Haus spricht, das am Ende wie sein größerer Körper war. Rausgekantet hat er sich gefühlt, auf Grund gelaufen im Flachwasser der Kulturprovinz, in der ihm Stadtobere übel nahmen, dass er es war, der bei gemeinsamen Rundgängen durch die Straßen alle naselang gegrüßt wurde. "So klein ist manchmal das Denken", lächelte Peter Sodann, ehe er dem nächsten Passanten zunickte.

Ein Sachse in Halle


Er ist hier an der Saale, das sagt er freimütig, heimisch geworden. Aber kein Hallenser. Sodann, dem gelernten Werkzeugmacher aus Weinböhla, der an der Werkbank immer auf einem Fußbänkchen stand, eignet noch immer das sächsisch-verbindliche, die weiche, wortreiche Art des Mannes, dem Fremde im Zug einfach so ihr Leben erzählen und der seine eigenen Geschichten auch selbst gern hört. Vom Hundertsten ins Tausendste plaudert er sich da, sprudelt Gedichte und Lieder, große Namen, Loest, Weigel, Blüm, Geissler. Dazu Texte aus alten Rollen und philosophische Gedanken über die Welt und den Menschen, die Gesellschaft und die Geschichte.


Kein einfacher Mann war er, dieser Sodann. Schlägt Haken. Weicht aus. Provoziert. Verwirrt Feind, Freund und zuweilen sogar sich selbst. So hatte er einmal seine Bundestagskandidatur für die PDS angekündigt. Sie dann aber zurückgezogen, weil der MDR drohte, ihm seine geliebte Rolle als Tatort-Kommissar fortzunehmen, bei der er es geschafft hatte, den Fernsehfahnder nach seinem eigenen Ebenbild zu formen. Später trat er bei der Wahl zum Bundespräsidenten an. Erschreckte die Partei, die ihn nominiert hatte, aber gleich mit der Ansage, dass er den Chef der Deutschen Bank ja doch am liebsten verhaften würde.

Im Schlagzeilenorkan


Peter Sodann schmunzelte dann. Diese "Dinger", wie er sie nannte, die passierten ihm nicht so einfach, die baldowerte er vorher aus. Dann sagte er, dass es in Deutschland keine Demokratie gibt. Oder eben, dass er Herrn Ackermann verhaften möchte. Kann sein, dass ein Schlagzeilenorkan ihm für ein paar Minuten die Luft nimmt. Kann sein, dass man Freunde verliert. Sodann zuckt die Achseln. "Aber von denen hat man am Ende sowieso nur ein paar."


Es ist wie mit dem Papier aufheben und mit dem Müll sammeln. Das ist sein Peter-Prinzip: Er muss das nicht tun, aber er tut es gern. Er weiß, er fühlt sich besser danach. "Wohltun, wo man kann", sagt Sodann, "Freiheit über alles lieben und Wahrheit auch sogar vorm Throne nicht verleugnen." Den Spruch hat er zu Haus an der Wand hängen, noch nicht mal so ganz lange. "Aber das war auch schon vorher genau das, was ich leben wollte", sagte er.

Es ist ein Leben inmitten von Klassikersprüchen, tapeziert mit Zitaten, Gedichten, uralten Liedzeilen, das Peter Sodann führt. Schon zu DDR-Zeiten hat er an "der Dummheit der Herrschenden" gelitten, wie er sagt. Damals aber konnte er sich noch zurückziehen in das kleine, grenzenlose Theater in der eng umgrenzten Republik. Heute muss das Land die Bühne sein, auf der er für Gerechtigkeit und eine bessere Welt streitet, ohne direkt sagen zu können, wie die sein müsste. Klar, gerechter. Ohne Arm und Reich. Und ohne Dummheit am besten. Gegen die habe sein Theater ja immer angespielt.

Der "betende Kommunist"


Mit Zitaten kittet Sodann zusammen, was nicht zusammen geht: Einen betenden Kommunisten nennt er sich dann und er ist "im Nachhinein nicht böse, dass ich zu DDR-Zeiten eingesperrt war". Das habe ihm Gelegenheit verschafft, über sich und die Welt nachzudenken. Weggehen in den Westen? Nie ein Gedanke. "Ein Arzt verlässt seine Patienten nicht." Lange hat er sein Helfersyndrom an einen drogensüchtigen Jungen ausprobiert. Lars, blond, kindlich und zumindest optisch unschuldig, bekam von Sodann Essen und einen Job und Geld, das ihm stets mit der Ermahnung "aber nicht für Drogen" übergeben wurde. Lars hat seinen Beschützer immer wieder enttäuscht. Aber Peter Sodann gab nicht auf.


Es gehe ja gar nicht um das große Ganze. Es geht um den Einzelnen, rief Peter Sodann und die Blauaugen blitzten. Während seine Frau immer mal sage, er solle ein bisschen ruhiger machen, auch mal was auslassen, ziehe es ihn immer weiter. "Ich bin immer gefragt worden", beschrieb er, "willst Du in den Kindergarten, willst Du Werkzeugmacher lernen, willst Du Theaterchef werden, willst Du als Präsident kandidieren." Warum nicht, habe er jedes Mal gedacht. Was auch immer passiert, dümmer werde man nicht davon.


Das Leben ein Experiment


Das Leben ein Experiment, das immer wunderbar beginnt und öfter mal im Zwist endet. Peter Sodann weiß Bescheid. "Das erste Mal haben sie mich ja schon im Kindergarten rausgeschmissen."
Kein Grund, sich nicht immer wieder auf Dinge und Leute einzulassen. Peter bleibt bei seinem Prinzip. Hat er seinem neuen theater nach der Wende eine Bibliothek der bedrohten DDR-Bücher bauen wollen, so baut er seiner Bibliothek, die jetzt im sächsischen Staucha entsteht, nun ein Theater. 


Es sei so viel Platz da, schwärmte Peter Sodann, genug für Leseräume, Studierzimmer, eine Kneipe und vielleicht sogar für einen Golfplatz für die Armen. "Ich träume gern", sagte Peter Sodann, "träumen ist ja auch nicht gefährlich." Das Elternhaus in Meißen hatte er eingetauscht gegen ein neues Heim gleich neben der Bibliothek. 

Peter Sodann geriet mit 80 noch ins Schwärmen angesichts der Aussichten, die sich ihm boten. 

Ja, wenn alles fertig sein würde, wäre es fast wieder wie auf einer Insel.

Jetzt ist Peter Sodann mit 87 Jahren gestorben.

Zur Peter-Sodann-Bibliothek


Sonntag, 24. März 2024

Ende einer Ära: Die Geburt eines Zukunftsortes

Es ist nur selten möglich, einen Lost Place wirklich beim Entstehen beobachten zu können. Meist werden die Gebäude, aus denen sich der Mensch zurückzieht, eher unbemerkt aufgegeben. Fabriken geben auf, Labors oder Schulen, Kasernen und Kirchen schließen ihre Pforten, ohne dass es jemand bemerkt. 

Doch in Deutschland gab es nun schon zum zweiten Mal die Gelegenheit, einen großen Konzern beim Sterben zuzuschauen die letzten Tage seiner viele Jahrzehnte währenden Existenz direkt vor Ort mitzuerleben.
Nach dem langsamen Sterben der letzten und größten deutschen Kaufhauskette Kaufhof war es diesmal der Einzelhandelsriese Real, der seine Pforten mit Ansage schloss. Die gewaltigen Verkaufshallen leerten sich langsam, dann immer schneller. Die Regale gähnten ohne Waren, die Reste des Bestandes gingen aus Kisten und Boxen in den Verkauf, aber meist immer noch zu stolzen Preisen. 

Die Bilder, die am Ende einer ganzen Ära entstanden, erzählen vom leisen Tod eines Unternehmens, das über viele Jahre hinweg stets zur falschen Zeit das falsche tat, das aber mit einem untrüglichen Gefühl fütr den richtigen Moment. Für nachwachsende Generationen bleiben noch ein paar stadiongroße Hallen mehr, vielleicht dann bald für eine Cannabis-Zucht oder als bloße, aber sehr stabile Träger für die Paneele eines neuen Solarparks.