Donnerstag, 31. März 2016

Ohne Moos nix los

Es grünt so grün im Unterholz, vor allem auf der Ostseite des Naturschutzgebietes Peißnitz Nordspitze. Ohne Moos wäre hier gar nichts los.

Sonntag, 27. März 2016

Zweiter Weltkrieg: Bomben auf Halle

Es ist der 501. Fliegeralarm im Süden Sachsen-Anhalts seit Kriegsbeginn - und diesmal greifen 369 Fliegende Festungen wirklich an. Halle zu Ostern 1945, eine Stadt im beginnenden Frühling, eine Stadt im endenden Krieg: Das alte Rathaus wird teilweise zerstört, die Ratswaage beschädigt, am Hotel Goldene Kugel, den Hotels Europa, Weltkugel und Hohenzollernhof, dem Riebeck-Bräu und in der Beesener Straße explodieren Bomben. Auch das Kaufhaus Ritter in der Leipziger Straße wird schwer getroffen, während das eigentlich Ziel, der Bahnhof, auf dem immer noch Truppen und Material für die beiden Fronten umgeschlagen werden, keine Treffer erhält.

Die Stadt, über Jahre hinweg vor allem wegen der Siebel-Flugzeug-Werk ein Ziel alliierter Bomber, hoffte schon auf den Frieden. Und wird in jener Osternacht schwerer getroffen als je zuvor. Da hatten Briten und Amerikaner meist die Industriegebiete um Leuna, Buna, aber auch Bitterfeld und Zeitz als „first target“ anvisiert, wie es in den Mission-Protokollen etwa der 303rd Bomber Group heißt. Halle ist - wie auch Leipzig - meist „zweites Ziel“ und wird nur angeflogen, wenn die Wetterbedingungen oder starke Luftabwehr einen Angriff auf das primäre Ziel nicht zulassen.

Ziel Hauptbahnhof, vermerkt First Lieutenant Oliver Lee Bashor im Mission-Book seiner B-17, die die Mannschaft „Sweet LaRhonda“ nennt. Bashor stammt aus Loveland, einer Kleinstadt in Colorado, er fliegt seine 13. Mission, bisher hat er Glück gehabt: Obwohl die Besatzungen der B17-Bomber die höchste Verlustrate in allen Waffengattungen haben, sind bashor und seine Männer bisher davongekommen. „Abgesehen von zahlreichen Löchern durch Flakbeschuss keine größeren Beschädigungen“, heißt es in den Aufzeichnungen der Besatzung, „auch alle Crewmitglieder blieben unbeschadet“.

Verglichen mit früheren Einsätzen ist dieser Flug mit der Nummer 349 fast ein Spazierflug für die 359th Bomb Squadron, die Teile einer Operation ist, bei der insgesamt 1 348 Bombers und 889 Geleitschutzjäger der 8. Air Force die Raffinerie in Zeitz, Stendal. Salzwedel, Erfurt, Weimar und Aschersleben angreifen.

Sweet LaRhonda, Teil einer Einheit, die sich die „Hells Angels“ nennt, fliegt die Position „high Squadron, right side“ in der sogenannten Combat Box, einer eng zusammengezogenen Flugformation aus jeweils drei nebeneinander fliegenden Maschinen, die in je drei Schichten über anderen Dreiergruppen fliegen. Der Himmel ist klar mit hochliegenden weißen Wolken. „No enemy aircraft or flak“ schreibt Bashor.

Zeitzeugen aus Halle erinnern sich genau, wie das von unten aussah. Bereits Ende Februar hatten 314 amerikanische Bomber mit Hauptziel Bahnhof den Süden der Saalestadt angegriffen. Die Siebel-Werke, die bis in den letzten Monaten des Krieges am Überschall-Flugzeug DFS 346 arbeiten, um dem Führer womöglich doch noch eine Wunderwaffe zur Verfügung zu stellen, werden bei diesen Angriff bereits schwer getroffen. Die 8. Air Force verliert zwei B24-Bomber, ein Pilot wird getötet, 18 Männer gelten als nach der Heimkehr von Mission Nummer 851 auf den Stützpunkt im englischen Molesworth als „MIA“ - missed in action.

Am Boden bringen nahezu 200 schwere 500-Kilo-Bomben den bis dahin meist so fernen Krieg in die Wohnzimmer. In der Zwingerstraße Nummer 25 fällt eine Brandbombe mitten in eine Wohnung, erinnert sich eine 89-Jährige Hallenserin später. „Eine Freundin wohnte nebenan in der 26, die Familie hatte großes Glück.“ Oft seien Sprengkörper nicht explodiert. „Dann kamen Spezialisten, die sie entschärften“, beschreibt die Frau.

Das war aber nicht immer so in diesen letzten Kriegstagen, als die Verwaltung bereits eine Notverwaltung ist. In vielen Fällen werden Blindgänger einfach nicht entdeckt, weil überhaupt niemand nach ihnen sucht. „Überall waren viele Krater, lag Schutt. Da hat doch kein Mensch nach Bomben geguckt“, sagt die alteingesessene Hallenserin, die bei den Angriffen einen Onkel verlor.

Damals (links) und heute: Noch immer sind Bomben in der Erde.
Weil die Straßen weiter befahren werden müssen, werden Bombentrichter einfach zugeschüttet, ohne dass kontrolliert wird, was noch unter Schutt und Trümmern liegt. „Die Menschen hatten andere Probleme, man hat sich zuerst um die Menschen gekümmert, nicht um die Bomben.“ Ein Blindgänger von Ostern 1945 wird erst 66 Jahre später bei Bauarbeiten entdeckt werden - 2011 muss die gesamte südliche Innenstadt wegen des Fundes der 250-Kilo-Bombe in der Nähe des Elisabeth-Krankenhauses evakuiert werden.

Damals ist der Krieg zumindest für die Männer oben in den Flugzeugen Alltag. Der schwerste Angriff auf die größte Stadt in Sachsen-Anhalt, der zugleich auch die raffinerie in Zeitz trifft, ist für Staff Sergeant Bert M. Beals, der als Maschinengewehrschütze in einem Bomber am Angriff teilnimmt, reine Routine.

Beals, der schon 30 Flüge hinter sich hat, wird später in sein Tagebuch schreiben „nicht viel Flak am Ziel, nicht so viel, wie ich dachte“. Auch seine schwere B-24 „Liberator“ mit dem Namen „Sweat-N-Duck“ kehrt wohlbehalten zurück.


Freitag, 25. März 2016

Honecker in Halle: Der Mann, der den Kumpeln Kraft spendet

So war es damals wirklich, zumindest nach dem Bericht, den ein interessierter Betrachter des Films über Erich Honeckers Besuch in Halle im März 1980 mir zugeschickt hat. Es sind Episoden während der Fahrt des Generalsekretärs durch Städte und Dörfer des Bezirkes, die in einer Parallelwelt stattgefunden haben, von der kaum ein DDR-Bürger etwas wusste.


Günthersdorf, 9.25 Uhr: Die freudige Stimmung der zu beiden Seiten der Autobahnatafahrt in dichtem Spalier stehenden Menschen hatte in Erwartung des lieben Gastes von Minute zu Minute zugenommen. Jetzt hat sie ihren Höhepunkt erreicht.


Der Wagen, in dem Genosse Erich Honecker Platz genommen hat, nähert sich, verlangsamt seine Fahrt, hält an. Genosse Erich 
Honecker steigt aus, lacht, winkt nach allen Seiten. Ihm folgt Genosse Günter Mittag, Mitglied des Politbüros und Sekretär des Zentralkomitees.

Genosse Werner Felfe, Mitglied des Politbüros und 1. Sekretär der Bezirksleitung Halle der SED, begrüßt den Generalsekretär mit herzlichen Worten in unserem Bezirk. Jubel brandet auf, ein Sprechchor: "Unser Genosse Erich Honecker er lebe hoch! hoch! hoch!"

Kumpel, Genossenschaftsbauern, Generaldirektoren und Werkleiter berichten Erich 
Honecker in Anwesenheit von Gustav Waschkowitz, 1. Sekretär der Kreisleitung Merseburg, über neue Zielstellungen im Kampf um hohe Zuwachsraten im Sinne der 11. Tagung des Zentralkomitees. Fröhlicher Beifall, als Genossenschaftsbäuerinnen als Willkommensgruß Körbe mit landwirtschaftlichen Produkten überreichen.

Erich Honecker dankt freudig bewegt für diesen Empfang. "Wir haben alle Voraussetzungen", sagt er, "voller Optimismus unserem X. Parteitag entgegenzugehen. Glück auf! Und auf Wiedersehen!"

"Wir alle sind stolz, dabeigewesen zu sein", sagt Lothar Andrae, Arbeiter in der Brikettfabrik Beuna. "Diese Begegnung mit Genossen Erich Honecker hat uns weitere Kraft verliehen." Das haben sich die Kumpel des BKK Geiseltal für 1980 u. a. vorgenommen: 2.4 Tage Planvorsprung; 8,5 Prozent Steigerung der Arbeitsproduktivität.

Bernd Hirschelmann und Georg Böhmer, die mit ihrer Jugendbrigade "Junge Garde" aus dem Tagebau herübergekommen sind, um den Generalsekretär herzlich willkommen zu heißen.
1979 waren die jungen Bergarbeiter zum Jugendfestival in Berlin als "Hervorragendes Jugendkollektiv der DDR" ausgezeichnet worden. Diesem verpflichtenden Namen wollen sich die 19 Brigademitglieder würdig erweisen und sich mit besten Arbeitsleistungen bei der Erfüllung der großen Aufgaben des BKK Geiseltal als Prirnärenergieträger sowie bei der Versorgung der Bevölkerung, Betriebe, Kombinate und Einrichtungen bewähren.

9.45 Uhr: Aus Richtung Zöschen kommend, nähert sich der Konvoi. Unter Jubelrufen und herzlichem Beifall winken die Einwohner Genossen Erich Honecker auf seiner Fahrt nach Merseburg zu.

Merseburg, 9.50 Uhr: Die Wagenkolonne hat den nördlichen Stadtrand erreicht, passiert den Marx- Engels-Platz in Richtung Thomas- Müntzer-Ring. Tausende Werktätige, Studenten der TH, Lehrlinge und Schüler säumen erwartungsvoll die Straßen, um Erich Honecker herzlich zu begrüßen.



Unter ihnen Merseburgs Bürgermeister Heinz Wagner, der stolz darauf ist, daß die fleißigen Bürger seiner Stadt mitten im ..Frühjahrsputz" stecken und dem hohen Gast ein Bild präsentieren, das erkennbar macht, wie angenehm es sich hier wohnen Und leben lässt. "Der Generalsekretär unserer Partei weiß ja, welche Anstrengungen die Merseburger in den letzten Jahren unternommen haben, zwischen den Chemiegiganten Leuna und Buna eine grüne Oase zu schaffen.

Das farbenprächtige Spalier der Menschen gerät in Bewegung. Der FDJ-Fanfärenzug der IMO Merseburg grüßt musikalisch, Sprechchöre erschallen: ...Hoch soll er leben!"

Genösse 
Honecker winkt und grüßt lachend zurück. Christa Bluhm, eine junge Frau, sagt freudestrahlend: "Ich wollte doch Erich Honecker einmal ganz persönlich sehen." Und Richard Kindervater von der AWG "Aufbau" drückt aus, was jeder empfindet: "Das war ein großer Augenblick für uns alle!"

Am Buna-Tor, 10.02 Uhr: Tausende Angehörige des größten Plaste- und Elasteproduzenten der Republik bilden ein dichtes Spalier. Die FDJler präsentieren mit Stolz die Ehrenbänner des Zentralkomitees der SED, die die besten Grundorganisationen zum 30. Jahrestag der Republik erhalten hatten. Auf Transparenten sind neue Verpflichtungen zu lesen.

Dann ist es soweit. Die Köpfe mit den blauen, gelben und weißen Helmen recken sich. Jeder möchte natürlich den Generalsekretär aus nächster Nähe sehen. Hochrufe auf das Zentralkomitee und seine kluge Politik zum Wohle des Volkes ertönen.

Im Namen der Kommunisten und der 20 000 Beschäftigten des Kombinates wird Erich 
Honecker von Walter Kitzing, 1. Sekretär der SED- Kreisleitung, und Generaldirektor Dr. Helmut Pohle, herzlich willkommen geheißen. Einen Strauß roter Nelken überreicht Astrid Witthuhn aus der Betriebsberufsschule. Die 23-jährige Lehrmeisterin kämpft wie alle 1289 Lehrlinge und FDJ-Mitglieder der Ausbildungseinrichtung um ein Mandat zum Deutsch-sowjetischen Jugendfestival im Mai in Karl- Marx-Stadt. "Dafür ist der Besuch des Generalsekretärs der richtige Ansporn", ist von ihr zu erfahren.

Inzwischen entbieten die Tausende Erich Honecker und den ihn begleitenden Persönlichkeiten ihren Willkommensgruß. Auf dem kurzen Weg zu den bereitstehenden Bussen kommt es zu ersten freundschaftlichen Gesprächen des Generalsekretärs mit Kolleginnen und Kollegen des Kombinats.
Waggonbauer brüderlich mit der Sowjetunion verbunden.

Halle-Ammendorf, 15.38 Uhr: Nach dem begeisternden Meeting im VEB Chemische Werke Buna bereiten Zehntausende Bürger der Stadt Ha21e vom Ammendorfer Rathaus an entlang der Leninallee unserem Genossen Erich 
Honecker und den ihn begleitenden Persönlichkeiten von Partei- und Staatsführung einen überaus herzlichen Empfang.

Am VEB Waggonbau Ammendorf bilden Werktätige des Betriebes, Pioniere, FDJler und viele Bürger ein dichtes Spalier; unter ihnen auch die Schweißerin Monika Förster, eine junge Kandidatin der SED. Sie sagt: "Wir freuen uns sehr über den Besuch des Genossen 
Honecker. In unserem Bereich Rohbaumontage des VEB Waggonbau wollen wir die Normzeit um ein Prozent unterbieten, um den Exportplan des Betriebes mit zu sichern."

Parteigruppenorganisator Roland Kühn fügt hinzu; "Unser Betrieb ist seit vielen. Jahren eng mit der. Sowjetunion verbunden. Mehr als 800 Weitstreckenwagen werden wir in diesem Jahr für unsere sowjetischen Freunde bauen. Von unserem Bereich F 5 ging deshalb die Initiative der persönlichen Planangebote aus, die in den nächsten Tagen in allen Bereichen diskutiert wird."
FDJler der EOS "Bertolt Brecht" hatten am Straßenrand einen kleinen Solidaritätsbasar mit Souvenirs aufgebaut.


Thälmannplatz, 15.58 Uhr: Herzliche Begrüßung des Genossen 
Honecker durch den 1. Sekretär der Stadtleitung Halle, Genossen Fritz Ewelt, und Oberbürgermeister Hans Pflüger. Mit roten Nelken heißt der FDJ-Sekretär des VEB Halloren, Cornelia Rösler, den Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretär unserer Partei herzlich willkommen. fünfjährige Tochter Susanne auf dem Arm. 

"Sehr herzlich willkommen in Halle, das möchten Ihnen hier alle persönlich sagen", begrüßt sie Genossen Honecker, "und vielen Dank für die große Arbeit, die Sie für die Menschen in unserem Land leisten," Die junge Frau, Mutter von zwei Kindern, ist Helferin im Kindergarten Beyschlagstraße des Fernsehgerätewerkes und wohnt in einer der schönen Wohnungen am Thälmannplatz.

Immer wieder Händeschütteln und Hochrufe. Jung und alt drängt nach vorn. Kurzer Aufenthalt vor der Kaufhalle Thälmannplatz. Die stellvertretende Verkaufsstellenleiterin Erika Schröter versichert Genossen Honecker, dass ihr Kollektiv alle Anstrengungen unternimmt, die Versorgungsaufgaben stets gut zu erfüllen, "Bei so fleißigen Frauen kauft man sicher gern ein", erwidert der hohe Gast und wünscht dem Kollektiv weiterhin viel Erfolg in seiner verantwortungsvollen Arbeit.

Kaum 100 Meter weiter werden die Gäste von einem Kollektiv des Kaufhauses "Herrenausstatter" herzlich begrüßt. Fachverkäuferin Lilo Falkenstein wünscht angenehmen Aufenthalt in der Saalestadt und berichtet, wie das Kaufhauskollektiv alle Anstrengungen unternimmt, die guten Ergebnisse seiner Arbeit weiter zu verbessern. "Alles Gute für eure Arbeit und euer persönliches Leben", wünscht Genosse Honecker.

Es ist fast unmöglich, in dieser sonst schon von regem Leben beherrschten Straße vorwärts zu kommen. Am Kaufhaus "Jugendmode" begrüßt Cornelia Politz im Namen dieses "Hervorragenden Jugendkollektivs der DDR" den Generalsekretär unserer Partei. Sie schildert kurz, wie die FDJler hier die Beschlüsse der 11. Tagung des Zentralkomitees Verwirklichen helfen.

Im Zentrum der Stadt angelangt, betrachtet Genosse 
Honecker interessiert den Marktplatz der alten Saalestadt. Winkend verabschiedet er sich von den Passanten.

Moritzburg, 16.34 Uhr: Erwartungsvolle Stimmung auf dem Platz vor der Moritzburg. Nahezu 5000 Hallenser sind gekommen. Flotte Marschmusik, gespielt vom Standortmusikkorps des Mdl, erklingt, als die Delegation vorfährt. Beifall brandet auf, als Genosse Honecker winkend zum Innenhof der Moritzburg hinübergeht. Hochrufe auf das Zentralkomitee der Partei und seinen Generalsekretär ertönen auf dem Burghof.

Singegruppen der EOS "Adolf Reichwein" "und "Thomas Müntzer" entbieten Genossen Honecker einen stimmungsvollen Willkommensgruß. Mehrfach begrüßt er mit einem herzlichen Händedruck Schüler im Blauhemd,

Am Ende des Spaliers wendet sich der Generalsekretär dem Schalmeienorchester des BMK Chemie zu, das zu seiner Begrüßung aufspielt. "Wirklich eine ausgezeichnete Musik", sagt Genosse Honecker und bedankt sich mit Handschlag beim Orchesterleiter, dem Kraftfahrer Dietmar Körner. Tausende winken dem Generalsekretär zu: "Auf Wiedersehen, Genosse Honecker!"

Sonntag, 20. März 2016

Landtagswahl: Zwei Frauen, zwei Schicksale

Die eine mit 10,6 Prozent die große Verliererin, aller Parteiämter ledig und ohne den sicher geglaubten Ministerposten.

Die andere mit nicht einmal halb so vielen Stimmen eine der Siegerinnen und demnächst mit einem Platz im Kabinett.

Eine Woche nach dem Urnengang künden vergessene Wahlplakate von zwei Frauen und zwei so verschiedenen Schicksalen. Katrin Budde und Claudia Dalbert.

Die eine vom Wähler hängengelassen, die andere von ihrer Partei.

Samstag, 19. März 2016

Peißnitz: Eine Autobahn in den Auenwald

Naturschutzgebiet Peißnitz: So sieht ein Weg aus, der wegen schwerer Flutschäden demnächst splitasphaltiert wird. 
Wofür Fluthilfegelder nicht alles gut sind. Man kann Sitzbänke aufstellen, wo vorher keine standen. Man kann Straßen sanieren, die keinen Tropfen Hochwasser abbekommen haben. Man kann ein denkmalgeschütztes Planetarium abreißen, weil es im Flutgebiet steht. Und es neu aufbauen - etwas flußaufwärts und wieder mitten im Flutgebiet. Man kann eine Eishalle schleifen, weil es für eine Sanierung keine Fördermittel gibt. Und hundert Meter tiefer in der Überflutungsfläche Fördermittel aus demselben Topf in die Sanierung einer Freilichtbühne mit Nebengebäuden pumpen.

Dass man aber sogar Wege aufwendig und tiefgründig reparieren kann, wo vorher keine Wege waren, ist doch erstaunlich. Und doch wahr: An der seit 1993 als Naturschutzgebiet ausgewiesenen Nordspitze der Peißnitzinsel findet laut Bauschild eine  "Hochwasserschadenbeseitigung" statt. Wo nach menschlicher Logik gar keine Schäden sein können. Denn der Uferweg dort ist schon seit Jahrhunderten ein unbefestigter, naturnaher Pfad, der bei Flut und Regen nass und schlammig und bei Trockenheit eben trocken war.

Wie dieser robuste, von keiner Naturgewalt angreifbare Weg aus Erde unter einer Flut gelitten haben soll, die vor knapp drei Jahren für wenige Wochen über ihn gewalzt ist, ist ein Rätsel. Dessen Lösung aber hat die Stadtverwaltung - wie so oft unter strikter Vernachlässigung aller durchaus verfügbaren Informationsmöglichkeiten - inzwischen angestoßen: Mit Bagger und Planierraupe, Unterbau und Asphalt wird aus dem gerade noch naturnahen Pfad eine Art Autobahn in die letzten Reste des unter Naturschutz stehenden Auenwaldes.

Der Weg im Naturschutzgebiet selbst, heißt es, solle später folgen. Nicht ganz so brachial planiert, sondern mit einer sogenannten wassergebundenen Decke versehen. Solche Wege werden derzeit auch im Park am Gut Gimritz gebaut. Mit leuchtend rotem Split gestreut. Sehenswert. Aber für ein Flutgebiet erfahrungsgemäß kaum sinnvoll.

Da kommt noch Asphalt drüber und dann ist alles schön versiegelt. 
In Sachsen etwa dürfen wassergebundene Decken im Hochwasser-Überflutungsbereich überhaupt nicht gebaut werden. Mit gutem Grund, wie gleich nebenan auf der Peißnitz zu besichtigen ist: Eine genau solche wassergebundene Decke befand sich bis vor wenigen Jahren auf der anderen Saaleseite auf der Höhe der Uni-Tennisplätze.

Wegen der häufigen Überflutungen dort, nach denen jeweils eine komplette Grundsanierung des Weges nötig wurde, weil das Wasser den obenliegenden Split weggespült und den Untergrund verschlammt hatte, beschloss die Stadtverwaltung seinerzeit über Nacht eine komplette Asphaltierung, die dann ohne öffentliche Ankündigung in die Praxis umgesetzt wurde.
Wege übers Land, im Uhrzeigersinn: Links oben ein seit 2011 asphaltierter Weg, der früher eine wassergebundene Decke hatte. Rechts daneben Vorbereitung für die  anstehende Asphaltierung. Darunter ein durch die letzte Flut völlig zerstörter naturbelassener Weg außerhalb des Naturschutzgebietes. Ganz unten links Reste eines Weges mit wassergebundener Decke nach zwei Überschwemmungen. Mitte: Schotterbett für Asphaltierung. Rechts völlig zerstörter naturbelassener Weg im Naturschutzgebiet, der demnächst eine wassergebundene Decke bekommen soll. 

Freitag, 11. März 2016

Wahlserie: Das wird das Endergebnis


Den letzten Alarm schlägt gerade das ZDF-Politbarometer: In Sachsen-Anhalt führt die CDU die finale Umfrage vor der Landtagswahl mit 32 Prozent an, die Linke kommt auf 21 Prozent, die SPD nur noch auf 14 Prozent und die AfD wird mit 18 Prozent der Stimmen sofort drittstärkste Kraft im Magdeburger Landtag.

Allerdings: In der Vergangenheit lagen die Demoskopen mit ihren Voraussagen stets mehr daneben als richtig. Die Abweichungen der Vorhersagen von Infratest Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen summierten sich bei der letzten Landtagswahl über alle sechs größeren Parteien auf 7,2 (Infratest) beziehungsweise 8,2 Prozent. Während die beiden für ARD und ZDf tätigen Institute bei der CDU mit nur einem halben Prozent Abweichung noch nahe am Endergebnis lagen, schafften sie bei der SPD übereinstimmend eine Differenz von 2,5 Prozent. Bei einer Vorhersage von 24 Prozent kam die SPD letztlich nur auf 21,5, sie war vorher offenbar weit überschätzt worden.

Fast so groß war die Differenz auch bei der Linke. Die sahen beide Institute zu vor bei 25 (Infratest) und 24 Prozent. Es waren dann 23,7 .

Ein Muster, das nicht neu ist. Schon 2006 stimmten Vorhersagen und Endergebnis bei der CDU nahezu überein: 36 und 37 Prozent waren vorgesagt, 36,2 Prozent wurden es. Bei der SPD dagegen dasselbe Problem wie 2011: Vorhergesagt waren 25 und 23 Prozent. Es wurden nur 21,4. Bei der Linken damals andersherum: Vorgesagt 22 und 23 Prozent, am Ende aber entfielen 24,1 Prozent auf die damalige PDS.

Und auch bei der Landtagswahl 2002 sieht es so ähnlich aus, erweitert allerdings um die CDU, die seinerzeit ganz entschieden unterschätzt wurde. 34 und 32 Prozent sagten die Umfragen voraus. 37,3 Prozent wählten die Union. Bei der SPD genauso: 24 und 25 Prozent sollten es werden. Schmale 20 Prozent wurden es. Die Linke hingegen wurde auch damals schon unterschätzt. Ihre vorhergesagten 22 bzw. 23 Prozent kletterten am Wahlabend auf 24,1.

Für den kommenden Sonntag sind das keine guten Nachrichten für die SPD. Streuen die Vorhersagen wieder in dieselbe Richtung wie meist, landet die CDU tatsächlich bei 31 bis 33 Prozent, die einst so stolze Arbeiterpartei aber könnte statt der zumindest noch sicher geglaubten 14 bis 17 Prozent auch bei nur zwölf Prozent landen. Die Linke hat ihr Umfragepotential zuletzt immer übertroffen, hat also wohl 21 Prozent sicher, mit Tendenz Richtung 22 Prozent.

Bei den kleineren Parteien, denen die Institute derzeit fünf Prozent vorhersagen, sind die Abweichungen zwischen Umfragen und Endergebnissen traditionell nicht größer, aber prozentual bedeutsamer. Die FDP hatte 2002 10 und neun Prozent vorhergesagt bekommen, landeten aber bei 13,3 Prozent. 2006 steigerte sie ihre sechs Prozent aus den Umfragen auf 6,7 am Wahlabend. Die Grünen legten 2002 eine Punktlandung hin - aus 2 und 2 Prozent wurden 2 Prozent an der Urne. 2006 wurden aus 4 und 4 Prozent 3,6.

Geht es danach, ist die FDP mit ihren fünf vorhergesagten Prozent eher drin, die Grünen dagegen wären mit ihren fünf Prozent künftig eher draußen.

Genau weiß man das aber natürlich erst, wenn am Sonntag der 18-Uhr-Gong ertönt.

Donnerstag, 10. März 2016

Wahlserie AfD: Ein Plüschbär auf Siegeszug


Im Sommer vergangenen Jahres war das Schreckgespenst tot. Die AfD in Sachsen-Anhalt war ein tief zerstrittener Torso aus Liberalen und Rechten, Machtgierigen und Naiven, die einander bei Versammlungen gegenseitig aussperrten, sich vor Gericht zerrten, einander im Internet schmähten, Gruppen bildeten und Allianzen schmiedeten. Alle in der AfD misstrauen einander und sie sprachen über die jeweilige Gegenseite schlimmer als über das, was im Parteisprech "Altparteien" genannt wird. Eine ehemals legitim scheinende Idee stand vor dem Ende, ausgezehrt und in Kleinkriegen zerrissen.

Dann aber kam der Flüchtlingszustrom. Und allerorten das Gefühl auf, die großen Parteien seien nicht eben daran interessiert, das Thema öffentlich mit ihren Wählern zu diskutieren. Die in Talkshows vielbeschworene größte Herausforderung der letzten Jahre wurde zu einer Verwaltungsaufgabe. Und plötzlich lief es für die AfD, als hätte sie diese Krise eigens aus Wahlkampfzwecken bestellt.

Viel mehr ist seitdem nicht passiert. Alle anderen Parteien versuchen, den Elefanten im Zimmer tunlichst zu ignorieren. Die AfD reitet ihn. Die anderen Wahlkämpfer suchen den Windschatten oder sie wollen wenigstens den Schwanz zu fassen bekommen. Und in den Umfragen triumphiert das Original, seinem inneren Zustand nach eine Resterampe der Enttäuschten und Empörten, aber aufrecht im Gegenwind, weil der jeden Start erleichtert.

Alle Arten, die selbsternannte neue Kraft zu bekämpfen, sind vorerst gescheitert. Das Ignorieren hat nicht geklappt, das Denunzieren ebensowenig. In der Phase der Demaskierung der AfD – personell voller Leichtgewichte, inhaltlich voller Obrigkeitsstaat – glaubt schon kein Wähler mehr, dass es noch darauf ankommt.

Die AfD wird nicht wegen ihrer Inhalte gewählt werden, sondern trotz. Nicht wegen ihres Personals, sondern völlig unabhängig davon. Die Parteispitze hätte statt des Burgenländers André Poggenburg vermutlich einen Plüschbären als Spitzenkandidaten nominieren können, und die Umfragewerte wären nicht viel niedriger. Das Programm könnte ein Bierdeckel mit dem Wort „Nein“ sein und es schadete nicht.

Die Kraft dieser Partei liegt einzig in der komatösen Schwäche der rund um den unbekannten, zusehends scheuer werdenden Wähler herumtaktierenden anderen Parteien: Deren Sowohlalsauch treibt traditionelle Wähler der Linken genauso wie SPDler und CDU-Anhänger erst in den Zweifel. Und dann in die Versuchung, ein Signal an die Etablierten zu senden: So nicht!

Es wird nicht ankommen, und das, nicht der Parlamentseinzug der AfD, ist das einzig wirklich besorgniserregende an der Situation. Wenn ein Land durchgeschüttelt wird vom Zuspruch zu einer Partei, die weder eine Idee noch einen Plan noch wenigstens charismatische, glaubwürdige Figuren an der Spitze hat, dann steht es schlecht um die gesellschaftlichen Verhältnisse.


Bisherige Teile der Wahlserie:

FDP: Waschen, ohne nass zu werden
Grüne: Sie reden wieder vom Wetter
Linke: Und immer reicht es nicht
CDU: Ich bin euer Herbergsvater
SPD: Wahl ohne Kampf

Mittwoch, 9. März 2016

Wahlserie Grüne: Sie reden wieder vom Wetter


Grünen-Chef Özdemir erinnert sich gut an den grünen Wahlkampf 1990. "Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter", plakatierte seine Partei damals. Die Wähler bestraften so viel Ignoranz mit Abstinenz, die Grünen flogen aus dem Bundestag.

Zeichen an der Wand, 26 Jahre später. Alle reden von Flüchtlingen, von Obergrenzen, von Integration. Die Grünen aber plakatieren stur ein Schwein, ein Rind und eine Biene unter dem Slogan "Grün für Mutter Natur". Im Internet lobt sich die Partei dafür, im Landtag Debatten über besseren Klima- und Naturschutz" angestoßen zu haben. Zudem habe man "die quälerischen Bedingungen in der industriellen Tierhaltung zum Thema gemacht und Debatten über Qualität in der Bildung energisch vorangetrieben".

Brennende Themen, von denen nur unklar ist, ob sie die Wählerinnen und Wähler entzünden werden und die sie noch rechtzeitig als ihre entdecken, um der in Sachsen-Anhalt stets an der Fünfprozenthürde wackelnden Ökopartei eine Verlängerung im Landtag zu bewilligen. Daneben haben die Grünen nur noch im Angebot, wogegen sie sind: "Grün gegen TTIP" und "Grün gegen Nazis". Man muss die Grünen deshalb aber nicht wählen. Man sich auch für zehn Euro ein T-Shirt bestellen, auf dem ein Lego-Nazi durchgestrichen ist.

Özdemir selbst ist auch schon aufgefallen, dass die Wahlstrategie seiner Parteifreunde in Sachsen-Anhalt vielleicht nicht ganz optimal ist. Er hat aber einen Ausweg gefunden. Wenn niemand nach den alten urgrünen Themen fragt, weil Ozonloch, Klimawandel und Überfischung der Weltmeere derzeit kaum jemanden interessieren, erklärt man eben andere Themen zu urgrünen. Bildung bietet sich an, denn die grüne Spitzenkandidatin Claudia Dalbert kennt sich da aus. Dass niemand die Spitzenkandidatin kennt, "das wird sicherlich noch besser werden", sagt Cem Özdemir. Es klingt wie "und wenn wir Glück haben, reicht es noch mal".

Bei der Kommunalwahl in Hessen war seine Partei mit einem landesweiten Minus von 6,7 Prozentpunkten größter Verlierer aller Parteien. In Sachsen-Anhalt kann das zumindest nur theoretisch passieren. Die SPD ist hier als größter Wahlverlierer gesetzt. Umfragen sagen ihr Verluste um fünf Prozent voraus. Die Grünen hatten zuletzt, in ihrem besten Jahr, überhaupt nur sieben.

Viel Luft nach unten ist da nicht. Dabei böte der reine, pure Einzug in den Landtag aufgrund der allgemeinen Konstellation erstmals die Garantie, eine Regierungsbeteiligung quasi geschenkt zu bekommen. Die Grünen hätten es sich leicht machen und konsequent für grüne Grundüberzeugungen kämpfen können: Ja zu offenen Grenzen, ja zum Zuzug ohne Obergrenzen, ja zu mehr Europa, ja zu mehr Geld für Integration.

Wäre, hätte, wenn und aber. Wenn die Angst vor dem Wähler nicht wäre. Aber Cem Özdemir fragt: "Mehr Integration, wie wollen Sie das denn plakatieren".





Dienstag, 8. März 2016

Wahlserie FDP: Waschen, ohne nass zu werden


Sachsen-Anhalt war einmal eine Hochburg des Liberalismus, damals, als der noch das Gesicht von Hans-Dietrich Genscher über die Marktplätze trug. Als diese Ära endete, endete auch die Ära der FDP im Landesparlament. Das Grausame daran: Niemand vermisste die Partei, die 1990, nach der Übernahme der ehemaligen DDR-Blockparteien LDP und NDPD mehr als 24.000 Mitglieder hatte, diesen Bestand aber bis 2014 auf nurmehr fünf Prozent zurückfahren konnte..

2016 ist die Partei wieder da, angeführt von einem neuen Parteichef, der sich mit neuen Farben schmückt. Und was sind das für Farben!

Alles drin, alles dran, alle Zwischentöne dabei. In Rosa, Gelb, Hellblau, Schwarz und Rot, abgetupft mit Grau und Weiß werben die wiedergeborenen Liberalen um Wähler, eher grell als geschmackvoll, eine Polit-Bonboniere, die an Baumarktwerbung erinnert. In der ist alles drin: Datenschutz und Bargelderhalt, mehr Polizisten wie bei allen Parteien. Dazu was mit Schule, was mit Wirtschaft, was mit Investitionen. Wie alle anderen kein Wort zur Flüchtlingskrise. Vermutlich war das Programm schon fertig.

Es könnte trotzdem zum Landtagseinzug reichen, wenn auch nicht, weil die FDP unter Frank Sitta so stark ist. Sondern weil die Parteien, die zuletzt im Landtag saßen, so schwach sind. "Das Ende des Stillstands beginnt mit ihrer Stimme" und "Jetzt spricht die Jugend" lockt die Partei gemäßigte Protestwähler, die der Linken nicht mehr trauen und der AfD noch nicht.

Ein Geschäftsmodell, das letzten Umfragen zufolge ganz knapp aufgehen könnte. Das "Sitta-Projekt" namens "Sachsen-Anhalt neu starten – Wir machen was draus!“ beschreibt die FDP als "positive Protestpartei". Man ist dagegen, in dem man dafür ist. Man kann sich hier waschen, ohne nass zu werden.

Bisherige Teile der Wahlserie:

Linke: Und immer reicht es nicht
CDU: Ich bin euer Herbergsvater
SPD: Wahl ohne Kampf

Montag, 7. März 2016

Wahlserie Linke: Am Ende reicht es nie


Als Wahlkämpfer ist Wulf Gallert Spitze. Der Mann, der für die Linke Ministerpräsident werden will, macht die richtigen Gesichter zur richtigen Botschaft, er kann, er will, er wird, er ist "Frauenversteher" und "Wirtschaftskenner" und auch sonst noch so allerlei. Wahlsieger aber wird er wieder nicht, nun schon zum dritten Mal. Was für eine Tragik.

Für Gallert ist immer zur falschen Zeit Wahltag. Als seine Partei noch regierte, war er Student. Als sie dann von den anderen Parteien als eine Art extremistische Fortsetzung der DDR mit demokratischem Mäntelchen bezeichnet wurde, machte er Kommunalpolitik. Mit Gallert stieg auch die SED, PDS und spätere Linke auf, ihr Stimmenanteil von ehemals zwölf Prozent verdoppelte sich binnen zweier Jahrzehnte. Die Stimmen, die die Linkspartei als ewiggestrig bezeichneten, wurden leiser. Und Wulf Gallert hatte gute Aussichten, eines Tages zusammen mit der SPD selbst regieren zu können.

Wäre nicht die Flüchtlingskrise dazwischengekommen, wäre das vielleicht passiert. So aber wendet sich ausgerechnet ein Teil der Stammwählerschaft der Linken seit Monaten den Rechten zu. Und ein anderer Teil sucht die wohlige Wärme einer bekannten und beliebten Herberge. Keine Experimente!

Ist der Wahlkampf der SPD nicht vorhanden und der der CDU darauf bedacht, einschläfernd zu wirken, poltert Wulf Gallert nun notgedrungen mit Parolen durch die Lande, die wie aus der Zeit gefallen scheinen. Frühkindliche Bildung, Wirtschaftsförderung ohne Skandale, ein "Transparenzgesetz ein Open-Data-Portal" und "gute Arbeit, unbefristet, gut bezahlt, gleich verteilt zwischen den Geschlechtern" - wo Gallert draufsteht, ist Gestern drin.

Die Linke hat es aber auch besonders schwer, beim Hauptthema des Wahlkampfes Stellung zu beziehen. Um gegen die CDU zu punkten, braucht es weit offene Arme für Geflüchtete, weiter und offener als Angela Merkels Arme sind. Doch selbst wenn das anatomisch möglich sein sollte: Es wäre auch die Garantie dafür, dass noch größere Teile der konservativen Stammwählerschaft in Richtung AfD abwandern.

Ein Dilemma, dem Wulf Gallert Wahlkampfzentrale mit einem Spagat zwischen den Standardfloskeln jedes linken Wahlkampfes ("Solidarität", "Gerechtigkeit") und einem vorsichtig angedeuteten Bezug zu Merkels Migrationspolitik ("So schaffen wir das") zu entkommen sucht.

Zum Schluss wird es so wieder nicht reichen, zum dritten Mal.



Samstag, 5. März 2016

Wahlserie CDU: Ich bin euer Herbergsvater


Läuft für Ministerpräsident Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt. Die mitregierende SPD hat alle Bemühungen um einen eigenen Wahlsieg eingestellt. Die Grünen bangen unter ferner liefen. Die AfD und die Linke besetzen die Außen und setzen sich vor allem gegenseitig unter Druck.

Haseloff, ein eher farbloser Mann, der das Land Sachsen-Anhalt seit Jahren mehr verwaltet als regiert, wird in dieser Wahlkampf-Konstellation mit einem Mal zum "Landesvater". Ein Wort, das nichts verspricht außer, dass alles so bleiben kann, wenn ausreichend Kreuze an der richtigen Stelle gemacht werden. Rote Laterne? Geringste Lebenserwartung? Ganz hinten bei der Arbeitslosigkeit, ganz vorn bei der schlechten Laune. Man habe gut regiert in den letzten Jahren, sagt Haseloff, und er spricht von spürbaren Erfolgen und der Notwendigkeit, diese nun auch mal zu bewahren.

Stehenbleiben als Fortschritt, "damit alle am weiteren wirtschaftlichen Aufschwung Anteil haben können“. Zuletzt stieg das Bruttoinlandsprodukt in Sachsen-Anhalt um ein Drittel langsamer als in ganz Deutschland, so dass der Abstand zu den wachstumsstärksten Bundesländern eigentlich weiter wuchs. Aber es ging, so sehen Erfolge hier aus, immerhin langsamer als noch ein Jahr zuvor, als Sachsen-Anhalt es gerade auf 0,4 Prozent Wachstum brachte, während Deutschland insgesamt um 1,6 Prozent zulegte.

Man muss zwischen Harz und Elbe, der Börde und dem Burgenland keine Erfolge haben, man muss sie nur selbstbewusst verkaufen. Haseloffs CDU konzentriert ihre Wahlwerbung denn auch vollständig auf die Betonung des status quo. Wer in unsicheren Zeiten "stabile Verhältnisse" (CDU) will, wählt CDU. Wer rechts nicht weill, wählt CDU. Wer links nicht will, wählt CDU. Wer "keine Zeit für Experimente" (CDU) hat, wählt CDU. Wer die "Sachsen-Anhalt-Partei" mag, wählt CDU. Und wer den "Landesvater" kennt, wählt sowieso CDU. Denn Haseloff ist "unser Ministerpräsident" (Wahlplakat). Und das, ihr wollt es doch auch, soll er bleiben.

Wird er. Für Haseloffs CDU, die in Umfragen mit plusminus ein, zwei bei 30 Prozent steht, so sehr die Erde ringsum auch wackelt, gilt: Wer nicht kämpft, hat schon gewonnen. Haseloff ist der Herbergsvater der hässlichsten Baracke im Bundeslager, ein zuweilen in den eigenen Sätzen verlorengehender Garant eines verlässlichen Weiterso, von dem, das glauben ihm die Leute, nie etwas zu hören sein wird, was einen in Unruhe versetzt.

Schönes, langes, mit Du gespicktes Interview von Thilo Jung mit unserem Reiner:


Freitag, 4. März 2016

Wahlserie SPD: Wahlkampf 0.0 bei der Arbeiterpartei

Ohne Gegenwehr ergibt sich die einst so stolze SPD in das Schicksal kommender Bedeutungslosigkeit. Die Partei führt keinerlei Wahlkampf, die Homepage der Spitzenkandidatin enthält gerademal ein einminütiges Video, das automatisch startet, aber nach dem Satz "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, unser Sachsen-Anhalt steht vor großen Herausforderungen" auch automatisch stoppt. Dazu gibt es angegraute Neuigkeiten aus dem Februar und den Hinweis auf ganze sechs Termine von Frau Budde in den letzten 14 Tagen vor der Wahl, die eigentlich stets als "heiße Phase" bezeichnet werden.

Hier ist "heiß" nicht mal frühlingshaft. Die SPD scheint alle Bemühungen um Wählersympathien bereits aufgegeben zu haben. Bei Facebook werden Veranstaltungen von Anfang Februar abgekündigt, bei Twitter ist Budde gar nicht vertreten. Ihr Landesverband hat dort zuletzt vor einer Woche ein Lebenszeichen hinterlassen. Bei Youtube hat die Wahlkampfzentrale den einminütigen Werbefilm mit Katrin Budde am 2. März eingestellt - elf Tage vor der Wahl und mit großem Erfolg - nach 48 Stunden hatten ihn schon ein Dutzend Menschen gesehen.

Doch ob die alle Katrin Budde wählen werden, ist unklar. Denn inhaltlich argumentiert die unsichtbare Spitzenfrau konsequent an allen Fragen vorbei, die die Menschen derzeit beschäftigen. Der Wahlspruch "Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch: Sachsen-Anhalt kann mehr" klingt nicht nur wie in der Assiette gebacken, er ist auch so gemeint. Irgendwie geht es um "gute Arbeit für gutes Geld", "wirtschaftlichen Aufbruch", "Bildung für alle", "Gemeinschaft und Sicherheit" und ein "weltoffenes Land" - das Übliche halt. Nichts, was einen Wähler hinter dem Ofen hervorlockt.

Das ist Wahlkampf 0.0 im festen Glauben, es werde auch so schon irgendwie reichen, wieder ein paar Ministerposten abzubekommen. Doch nach den letzten Umfragen sieht es danach im Moment überhaupt nicht aus.

So gesehen sind die 15 Prozent, die Katrin Budde wählen wollen, noch erstaunlich viel.

Donnerstag, 3. März 2016

Streamingboxen: Strom ist in der kleinsten Hütte


Mit neuartigen Sticks machen Amazon, Google und eine Reihe anderer
Anbieter den inzwischen so beliebten TV-Boxen Konkurrenz.


Wie so oft war der amerikanische Hightech-Konzern Apple seiner Zeit voraus, als Firmenchef Steve Jobs im März 2007 „nur dieses eine Ding noch“ vorstellte. Es war ein kleines schwarzes Kästchen, runde Ecken und ein paar Steckdosen. Mit 40 Gigabyte Speicherplatz war der Apple TV aus heutiger Sicht üppig bestückt, aber seinerzeit waren selbst DSL-Anschlüsse noch recht langsam, wer einen Film im Internet sehen wollte, tat eben gut daran, ihn vorher abzuspeichern.

Der Apple TV ist nie ein richtig großer Erfolg geworden. Dafür aber wurden es Nachfolgemodelle von Konkurrenten. In den USA schaffte die Online-Videothek Netflix das Kunststück, eine ganze Kompanie von Playern der Hersteller Roku, LG, Samsung und Microsoft zu beliebten Wohnzimmer-Accessoires zu machen. In Deutschland brauchte Amazons Fire-TV-Box knappe zwei Jahre, um in Millionen Haushalten einen Platz zu finden. Und auch Google landete mit seinem Nexus-Player einen Achtungserfolg.

Aber schon scheint sich das Zeitalter der sogenannten Network-Player dem Ende zuzuneigen. Sowohl Google als auch Amazon setzten zuletzt stärker auf preisgünstigere Sticks zum Anschluss von TV-Geräten ans Internetfernsehen. Rund 40 Euro spart, wer den Fire-Stick statt der Fire-TV-Box kauft, im Google-Universum ist der Chromecast-Stick sogar 64 Euro billiger als der Nexus-Player.

Was aber büßt man ein, wenn man sich für die günstigere Variante entscheidet? Welche Funktionen haben die Boxen, über die die Sticks nicht verfügen? Welche Vorteile gibt es, welche Nachteile?
Klar ist, dass Sticks, wie sie Amazon und Google, aber auch Samsung, Hama und zahlreiche weitere Firmen anbieten, einem anderen Prinzip folgen als TV-Boxen. Statt eines kleinen Computers, der ins heimische Wlan eingeklinkt wird und Signale von dort selbst verarbeitet, sind Sticks nur kaum fingergroße Empfangseinheiten von bereits verarbeiteten Signalen. Für den Zuschauer ist das nicht entscheidend, denn der Unterschied ist bei laufendem Film oder einem Youtube-Clip nicht zu sehen. Bei der Programmwahl aber macht er sich doch deutlich bemerkbar.

Denn wo eine TV-Box auch funktioniert, wenn kein PC, Laptop, Tablet oder Smartphone in der Nähe ist, benötigt der TV-Stick dringend ein externes Bedienpult. Das liegt an der grundsätzlichen Funktionsweise: Die TV-Box nimmt selbständig Verbindung mit dem Internet auf und kann hier - mit dem Fernseher als Bildschirm - über eine Fernbedienung durch Filmlisten, Apps und zu eigens optimierten Internetseiten gesteuert werden. Der TV-Stick dagegen, über die HDMI-Buchse an den Fernseher gesteckt, bleibt ohne Steuerungsgerät trotz Netzanbindung über Wlan blind und stumm: Er sieht nichts, sendet nichts und lässt sich zu nichts gebrauchen.

Erst mit der Kopplung an ein Smartphone oder einen Computer spielt der Stick die Vorteile aus, die er trotz des niedrigeren Preises hat. Entscheidend ist dabei vor allem, dass es sich um ein vergleichsweise offenes System handelt. Während die Fire-Box, aber auch der Nexus-Player gefangen sind im Biotop der Amazon- beziehungsweise der Google-Play-Bibliothek, ist es dem Chromecast völlig gleichgültig, welche Inhalte er an den Fernseher überträgt. Im Grundsatz gilt einfach: Alles, was an Internet-Inhalten auf einen Bildschirm übertragen werden kann, lässt sich mit einem Klick auch auf dem Fernsehbildschirm zeigen. Einzige Voraussetzung ist die - kinderleichte - Installation einer Steuerungsapp wie Google Cast, die es mit einem Klick ermöglicht, den Inhalt des Computer- oder Smartphonebildschirms auf das TV-Gerät zu übertragen. Die Einrichtung braucht keine Computerkenntnisse, nach zwei Minuten läuft alles.

Und das heißt, wirklich alles. Zwar hat Amazon seinen Fire-Stick auf die eigene Prime-Filmfarm geeicht. Doch beim Chromecast und bei den Sticks der freien Anbieter ist die Freiheit nahezu grenzenlos. Egal, ob Playstore, Prime, Netflix oder Maxdome, was am Rechner läuft, läuft auch auf dem Fernseher. Ohne Arbeit an PC oder Laptop zu stören: Ist ein Film erst einmal gestartet, kann weitergearbeitet werden, ohne dass neu aufgerufene Fenster am PC erscheinen.