Freitag, 28. Februar 2014

Himmler: Die Banalität des Privaten

Nicht in den Briefen findet sich diese eine einzige von SS-Chef Heinrich Himmler überlieferte Aussage, die nahelegt, dass der Hauptorganisator des Holocaust sich im Klaren darüber war, welche Aufgabe er mit dem Massenmord an den Juden übernommen hatte. Nein, in "Himmler privat", dem von Katrin Himmler und Michael Wendt zusammengestellten Band mit Briefen Himmlers und Auszügen aus dem Tagebuch seiner Frau Marga ist der Satz nicht zu finden. Der Satz, der von dem "niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte" spricht und aus jener geheimen Rede zitiert, die Himmler 1943 vor SS-Angehörigen hielt, um ihnen das "moralische Recht" zu verdeutlichen, das Deutsche angeblich hätten, das jüdische Volk auszurotten.

In seinen privaten Briefen aber schwieg Hitlers willigster Helfer über dieses Recht wie über seine ganze Arbeit. Weil er selbst Zweifel hatte? Oder weil er keine kannte? Weil er fürchtete, der mörderische Charakter des Naziregimes werde dadurch allzu deutlich? Oder weil er glaubte, seine "geliebte, kleine Frau" (Himmler) könne die ganze fürchterliche Wahrheit vielleicht nicht vertragen? Die Person, die in diesem Band aus ihren hinterlassenen Selbstzeugnissen hervorsteigt, spielt die Rolle des gutherzigen, um das Wohl anderer bedachten germanischen Ritters, so weit sie es vermag. Gerade am Anfang der Beziehung zur drei Jahre älteren Marga Siegroth, die Himmler im Alter von 27 Jahren kennenlernt, scheint das größte Bemühen des künftigen "Reichsführers SS", die Angehimmelte zu erobern.

Täglich schreibt er ihr, täglich antwortet sie, so verraten es die Briefe, die bis hierher ihre eigene Odyssee hinter sich gebracht haben. Nach dem Krieg wurden sie von US-Soldaten als Trophäe mit nach Hause genommen, ein Teil landete als Mikroverfilmung in Israel. Hier entdeckte sie die Regisseurin Vanessa Lapa, kaufte sie und verarbeitete das Material zu einer Dokumentation. Zusammen mit dem Historiker Michael Wildt besorgte Himmlers Großnichte Katrin Himmler die Übersetzung der Dokumente in Buchform, durch die Auswahl der Briefe und einordnende Begleittexte.

Das seltsame daran ist, dass Heinrich Himmler so nicht zu greifen ist. Anfangs zumindest schimmert hinter der Fassade des weltläufigen Parteiredners, als der er sich inszeniert, noch ein wirklicher Mensch hervor. Das Paar umgarnt einander, sie heißt ihn "Landsknecht" und "Dickkopp", er rühmt sie als "hohe Frau" und "liebes Frauchen". Politisch kommt von seiner Seite nichts, von ihrer ein wie selbstverständlich gereichter Judenhass, der auch vor Himmlers Parteigenossen nicht halt macht: "Gott, sieht der Dr. Goebbels jüdisch aus", schreibt sie, "schon die herübergekämmten Haare..."

Himmler liest und schweigt. Er möchte so gern intellektuell wirken und schickt seiner Liebsten Lesetipps. Er ist ein steifer Romantiker mit Hang zur Algebra, er nummeriert seine Briefe durch. Später gehen ihm unübersehbar die verliebten Floskeln aus. "Ich küsse Dich und habe dich unendlich lieb" wird Standard. Ebenso wie das Schweigen über das, was er tut. Himmler sieht sich selbst in einem Kampf, für den er das Private opfern muss. Doch es wirkt, als opfere er es gern, weil er umso mehr von seinem Opfer reden kann. Nur elf Jahre, nachdem er Marga kennengelernt hat, legt die nunmehrige Nummer drei des Hitlerstaates sich eine Nebenfrau zu: Die zwölf Jahre jüngere Hedwig Potthast soll ihm weitere Kinder schenken, weil Marga das nicht mehr vermag.

Thema in den Briefen, die immer noch hin- und hergehen zwischen den Eheleuten, ist das nicht. Hier schreibt Pappa an Püppi, wie er Tochter Gudrun nennt, oder an "Mami", wie Marga sich nun nennen lassen muss. Sie spricht nun nicht mehr vom "Geliebten", sondern nur noch vom "lieben Guten".

Es ist die Banalität des Privaten, die diese Briefe so beklemmend macht. Dass der Massenmörder Magenschmerzen hatte, dass er den treusorgenden Ehemann nur spielte und seine Tochter wohl wirklich liebte, ganz im Gegensatz zu seinem Ziehsohn, führt keinen Millimeter näher an die Motive von Hitlers Vollstrecker Heinrich Himmler. Der präsentiert sich in seinen Privatbriefen spätestens ab 1943, als bastele er schon am Bild für die Nachwelt. Den letzten Brief nach Hause setzt Himmler am 17. April 1944 auf.

Es ist der erste, den er mit "Heil Hitler!" unterschreibt.

Sonntag, 16. Februar 2014

Readfy bietet Bücher werbefinanziert

Vorerst wird es nur ein Beta-Test für rund 5 000 Benutzer sein, läuft der aber wie geplant, schickt sich das Düsseldorfer Unternehmen readfy an, die Lesewelt zu revolutionieren. Kein Wunder, denn das eBook-Abo des Startups soll kostenlos sein - Lesefreunde können zum Start der eBook-App aus 15.000 Buchtiteln wählen, ohne dafür zu zahlen.

Der Trick ist die Werbefinanzierung des Dienstes, der das Google-Prinzip der kostenlosen Angebote ins Reich der Literatur holt. Die Free Version von readfy - später soll es auch werbefreie Bezahlvarianten geben - blendet Werbebanner ein, gelegentlich, wie der Anbieter beschreibt.

Wer mitlesen will, muss sich nur unter www.readfy.com registrieren und die App heruntergeladen. Die bietet ihm dann übersichtlich nach Genres sortiert die verfügbaren Buchtitel, die mit dem integrierten eBook-Reader auf Smartphones und Tablets gelesen werden können. Zum Start ist die App für Android-Greäte verfügbar, Versionen für iOS-Systeme sollen im Sommer zur Verfügung stehen.

Die Testphase, in der die readfy-App für 5 000 Testnutzer verfügbar ist, übersetzt das erfolgreiche Prinzip des kostenlosen Streamings von Musik und Filmen auf die Buchbranche. Das sei weltweit völlig neu, heißt es bei der jungen Firma, die ihr weiteres Wachstum mit einer gerade gestarteten Crowdinvesting-Kampagne finanzieren will.

Zum Betatest: hier klicken

Donnerstag, 13. Februar 2014

Internetfernsehen: Video tötet Fernsehstar

Als Markus Lanz nach der letzten „Wetten, dass...“-Sendung von der Bühne ging, hatte er getan, was er konnte. Mit Prominenten geplaudert. Bei irren Wetten assistiert. Geschmunzelt und gestrahlt. Am Ende aber reichte es doch nur zu einer neuen Schrumpfquote: 6,6 Millionen schauten zu, halb so viele wie zu besten Zeiten.

Die Konkurrenz aber kommt nicht nur von den Nachbarsendern, sie kommt zunehmend auch aus dem Internet. Hier heißen die neuen Stars Watchever, Maxdome oder Lovefilm und sie versprechen personalisiertes Fernsehen zu jeder Zeit und fast jedem Ort. Niemand muss mehr in die Videothek, um seinen Lieblingsfilm zu sehen. Niemand muss mehr fünf ellenlange Werbeunterbrechungen ertragen, um einen frischen Kinohit im eigenen Wohnzimmer zu erleben. Und wer Miley Cyrus singen hören will, der muss nicht warten, bis Markus Lanz die Amerikanerin lässt. Sondern der klickt einfach auf Youtube und sucht sich einen Konzertauftritt heraus.
Eine neue Welt, die inzwischen nicht mehr zu übersehen ist. Anfang November war es in den USA soweit: Erstmals waren die beiden Videoriesen Netflix und Youtube dort im vergangenen Quartal für mehr als 50 Prozent des Datenverkehr aus dem Netz zu den Endnutzern verantwortlich. Noch einmal drei Prozent kamen durch die Nutzung des Amazon-Videodienstes und des Filmportals Hulu hinzu.

Europa hängt dieser Entwicklung zwar noch weit hinterher, weil das besonders erfolgreiche US-Portal Netflix hier erst in kleineren Märkten wie Dänemark, Schweden und Irland gestartet ist. Doch eine Tendenz ist bereits zu sehen: Zwei Jahre nach der Premiere verursacht Netflix bereits 20 Prozent des europäischen Datenverkehrs.
Die Zeichen stehen auf Veränderung, denn mit der nächsten Fernseher-Generation wird der Empfang über das Netz genauso einfach werden wie der Empfang über Satellit oder Kabel heute schon ist. Nachrüst-Sets wie Googles Chromecast oder die TV-Box von Apple werden dann überflüssig. Und gleichzeitig wachsen die bisher nur von wagemutigen Technikfans angeschalteten Websender auf Augenhöhe zu den Platzhirschen ARD, ZDF, Sat1 , RTL und Pro7. Ja, selbst der Abo-Sender Sky bekommt plötzlich Konkurrenz.
Aussichten, denen die traditionellen Sender derzeit mit Übernahmen begegnen. Bedienten sich deutsche Programmdirektoren zuletzt am liebsten bei Serienproduktionen des US-Kabelsenders HBO, denen das deutsche Publikum Serien wie „True Blood“ und „Game of Thrones“ verdankt, startete mit der Ausstrahlung von „House of Cards“ eben erst die erste Netflix-Produktion im deutschen Fernsehen.

Dagegen halten Lovefilm und Watchever mit Flatrate-Angeboten von unter zehn Euro pro Monat, für die es neben Kinofilmen aus der zweiten Reihe auch ältere Staffeln angesagter Serien zu sehen gibt. Beide Portale streamen auf fast alle Geräte und können zum Start 30 Tage kostenlos getestet werden. Der Anbieter Netzkino.de geht sogar noch darüberhinaus: Er ist werbefinanziert und völlig kostenfrei.

Montag, 10. Februar 2014

Neue Toplevel-Domains: Osten ohne Namen

Es wird noch einmal soetwas wie ein Neustart für das Internet, wenn in den kommenden Monaten mehrere hundert neue sogenannte Toplevel-Domains scharfgeschalten werden. Neben Internetadressen, die mit .de, .com oder auch .org enden, werden dann jede Menge neuer Begriffe möglich: .uno, .party, .play oder .dog – kaum ein gängiges Wort, dem die Internationale Organisation zur Namensvergabe im Netz (ICANN) die Zulassung zur Beteiligung an der Erweiterung des Namensraumes verweigert hat.

Auch deutsche Städte und Regionen mischen mit. So hat sich das Ruhrgebiet die Endung .ruhr gesichert und Berlin setzt künftig nicht mehr auf berlin.de, sondern hat sich für die Endung .berlin entschieden, die ab 18. März verfügbar sein soll. Internetnutzer können sich dann für eigene Domainnamen nach dem Muster name.berlin bewerben. Auch .bayern, .saarland und .nrw sind dann möglich, ebenso wie .hamburg und .koeln.

Nicht vertreten unter den neuen Namensmöglichkeiten sind die ostdeutschen Länder und Kommunen. Sachsen-Anhalt hat mit Blick auf das komplizierte und teure Bewerbungsverfahren ebenso wie Sachsen und Thüringen darauf verzichtet, eine werbewirksame eigene Namensendung für das Land zu beantragen. Auch die großen Städte wie Halle, Leipzig und Magdeburg bleiben künftig weiter beim bisherigen und bewährten .de, statt auf werbeträchtige neue Namen für die Eigenvermarktung im Internet zu setzen.

Samstag, 8. Februar 2014

DDR & BRD: Die bedröhnte Gesellschaft

Er war gesellschaftlich akzeptiert und selbst in der Mangelwirtschaft allgegenwärtig: Ob als "Blauer Würger", Grubenschnaps oder Whiskey-Imitat namens "Falkner" - Alkohol gehörte in der DDR so selbstverständlich zum Alltag, dass die untergegangene Arbeiter- und Bauernrepublik bis heute den Ruf hat, wenigstens beim Alkoholkonsum wirklich und wahrhaftig Weltspitze gewesen zu sein.

Stolze 16,1 Liter Schnaps habe ein DDR-Durchschnittsbürger im Jahr 1988 getrunken, heißt es auch in der Ausstellung "Trinkkultur in der DDR", die seit einigen Jahren mit großem Erfolg durch die Lande tourt und jetzt - ausgerechnet - im Thüringer Schnapsstädtchen Nordhausen zu sehen ist. 16,1 Liter Schnaps? Bei einem durchschnittlichen Alkoholgehalt von 30 Prozent macht das fast fünf Liter reinen Alkohol! Oder umgerechnet 23 Flaschen Nordhäuser Doppelkorn, Kristall-Wodka und Kaffee-Likör. Dazu kam dann noch der Bierverbrauch der DDR-Bürger, der trotz aller Zweifel, ob es sich bei Zeitzer Hell und Sternburg Pils wirklich um Bier handelte, mit 143 Litern nur knapp hinter den 150 Litern der westdeutschen Brüder und Schwestern lag.

Eine herausragende Leistung, an der jetzt aber trotz Traditionspflege per Wanderausstellung Zweifel aufkommen. Denn ein Vergleich der in der DDR erreichten Trinkleistungen mit aktuellen Daten kratzt am Nimbus der Alkohol-Weltmacht DDR: Letztes Jahr meldeten die Statistiker einen jährlichen Konsum von rund zehn Litern reinem Alkohol pro Bundesbürger. Zieht man den inzwischen bundesweit auf 107 Liter pro Kopf und Jahr gesunkenen Bierverbrauch ab, bleiben für den Verzehr in harten Getränken 5,35 Liter reiner Alkohol übrig. Nein, das sind nicht wie damals in der DDR 23, sondern sogar 24,5 Flaschen Schnaps!

Sonntag, 2. Februar 2014

Renft: Aufrecht im Sitzen

Zwar sitzend, aber aufrecht wie immer: Renft im Café Brohmers, diesmal wieder unplugged. Es gibt immer noch alle legendären Hits, dazu jede Menge spontaner Improvisationen von Thomas "Monster" Schoppe am Mikrophon und Giesbert Piatkowski an der Gitarre. Wer heute zu Konzerten der verbotgeadelten DDR-Rocklegende geht, hat meistens graue Haare, häufig einen Bart und alle in der DDR erschienenen Original-Platten zu Haus im Schrank. Von einigen Uralt-Fans abgesehen aber ist das Durchschnittspublikum doch überraschend jung. Diese zweite Generation der Renft-Fans kennt seine Idole nur von alten Amiga-Platten, liebt die Lieder und kommt derentwegen bereitwillig in Konzerte der Kapelle, in der mit Schoppe nominell nur noch ein Originalmitglied steht.

Aber was heißt schon original. Monster spielt seit 44 Jahren in dieser Band, Schlagzeuger Delle Kriese seit 23, Marcus Schloussen auch schon seit 15 und "Pitti" Piatkowski seit immerhin fünf. Für eine Kapelle, die es ihrer klassischen Besetzung nur kurze fünf Jahre gab, ist das eine ganze Menge, zumal Piatkowski mit den Klosterbrüdern damals genauso verboten wurde wie Monster mit Renft, sogar im selben Jahr und aus denselben Gründen.

Das Gemurre ist trotzdem immer da. Delle Kriese, der inzwischen fast fünfmal länger dabei ist als Ur-Trommler Jochen Hohl und zudem schon 1984 mit dem Ex-Renft-Gitarristen Peter "Cäsar" Gläser in dessen Band gespielt hat, ist wie Brian Johnson bei AC/DC bis heute einer der Neuen.

Aber wie bei den Australiern stört das nicht, weil die aktuelle Besetzung die alten Songs mit Seele und Groove spielt. Die leisere Form tut den Liedern gut, sie lässt "Als ich wie ein Vogel" strahlen und das bluesige "Ich und der Rock" mit dem Hintern wackeln. Zwei Platten nur hat diese Band damals gemacht, aber heute macht sie dank der Zusatztracks aus der Verbotsphase locker drei Stunden Konzert draus. Am Ende singt das komplette Publikum Klassiker wie "Gänselieschen" und "Wer die Rose ehrt" wieder begeistert mit - 40 Jahre haben Texten und Kompositionen nichts antun können.

Gelungene Premiere 2012: Renft erstmals unplugged