Es ist ein feuchtes Erwachen mitten im Nirgendwo. Seit drei Uhr morgens regnet es heftig über dem ehemaligen Todesstreifen am Rande der "Planken und Schlettauer Post", wo unser Zelt mitten im Niemandsland des Kalten Krieges steht. Heute ist das hier ein sehr friedlicher Ort. Zwischen den beiden Gräben, die von den Grenzbefestigungen übrig geblieben sind, mit denen das kommunistische DDR-Regime seine Bürger an der Flucht in den Westen hindern wollte, lebt nur noch Mutter Natur. Selbst die Wassergräben sind normalerweise am Ende des Sommers trocken. Doch heute bringt der Regen das Wasser zurück. Der Todesstreifen wird wieder zum Gefängnis, das Zelt wird nass und wir können uns erst mittags hinauswagen.
Samstag, 31. Oktober 2020
Wandern auf dem Kolonnenweg: Im Apfelhain der Grenzsoldaten
Es ist ein feuchtes Erwachen mitten im Nirgendwo. Seit drei Uhr morgens regnet es heftig über dem ehemaligen Todesstreifen am Rande der "Planken und Schlettauer Post", wo unser Zelt mitten im Niemandsland des Kalten Krieges steht. Heute ist das hier ein sehr friedlicher Ort. Zwischen den beiden Gräben, die von den Grenzbefestigungen übrig geblieben sind, mit denen das kommunistische DDR-Regime seine Bürger an der Flucht in den Westen hindern wollte, lebt nur noch Mutter Natur. Selbst die Wassergräben sind normalerweise am Ende des Sommers trocken. Doch heute bringt der Regen das Wasser zurück. Der Todesstreifen wird wieder zum Gefängnis, das Zelt wird nass und wir können uns erst mittags hinauswagen.
Samstag, 24. Oktober 2020
Wandern am Eisernen Vorhang: Eine Nacht in der Todeszone
Es ist das 30. Jahr nach der Wiedervereinigung, als uns ein bizarrer Plan einfällt: Seit Jahren hatten wir vor, auf dem Kolonnenweg an der ehemaligen Grenze
zwischen den beiden deutschen Staaten entlangzuwandern. Der Grenzwanderweg ist 1.400 Kilometer lang, eine zweispurige Linie längs durchs Land. Dort suchen wir nach dem, was übriggeblieben ist nach drei Jahrzehnten und was passiert, wenn man auf dem Plattenweg wandert, was die
Natur uns aus der Vergangenheit erzählt und was die Menschen über
die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft reden. Hier Teil der Reisebeschreibung, wird fortgesetzt.
Das kleine Dorf Klein Chüden liegt ein paar Kilometer nördlich der Kleinstadt Salzwedel und wir haben von Anfang an ein Problem: Wo ist dieses Grüne Band? Wo sollen wir den Einstieg finden, um die Wanderung über den legendären Grenzwanderweg bis zu unserem Ziel an der Ostsee überhaupt erstmal zu beginnen?
Da ist ein Graben, da ist eine Straße, da ist die Landesgrenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Und hinter einem kleinen Parkplatz mit weißem Kiesboden tauchen endlich die beiden Plattenspuren des Kolonnenweges auf. Breit genug für die Spurbreite eines Lastwagens, mit Löchern im Beton und einem grünen Grasstreifen in der Mitte.
Es ist einer der letzten warmen Sommertage in Deutschland, als wir auf dem Weg in den Jarsauer Sack gehen, eine Schleife in der Grenze, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus seltsamen Gründen entstand. Die reguläre Grenzlinie zwischen der britischen und der russischen Zone hatte hier einem Bauern die Felder abgeschnitten. Also investierte er ein paar Flaschen Wodka, um die russischen Landvermesser davon zu überzeugen, die Linie entlang seines Ackerlandes neu zu ziehen.
Nicht so toll für Wanderer, denn der Weg hat sich aus diesem Grund verdoppelt. Aber die Natur hier ist beeindruckend. Gras und Kühe, Schafe und Bienen, Bäume und Zäune bis zum Horizont, ein klarer blauer Himmel und ein warmer Westwind. Der Weg ist leicht zu gehen, wir marschieren mit unseren Rucksäcken weiter - jeder wiegt 20 Kilogramm, und wir summen "The Weight" von The Band: "Take a load off, Fanny, take a load for free, take a load off, Fanny, and you put the load right on me".
Es ist wirklich hart, einen riesigen Rucksack mit diesem Gewicht über Stunden zu tragen. Man muss viel trinken - und wir müssen feststellen, dass wir mehr Wasser brauchen, um den Rest des Tages, die Nacht und den nächsten Morgen zu überstehen. Das verlängert den Weg noch einmal: Die Landschaft um den Jarsauer Wodkasack ist leer wie das Outback Australiens. Keine Dörfer, keine Häuser, kein Nichts. So müssen wir den Kolonnenweg kilometerweit verlassen, um in das kleine Dorf Schmarsau zu gelangen, dem einzigen Ort auf der Route, wo es im Biohofladen Düchting frisches Wasser gibt.
Wir sind der rosa Elefant im Garten des Biohofladens. Was machen Sie denn da? Wo gehen Sie denn hin? Und warum? Die Leute fragten das wegen unserer Riesenrucksäcke. Und sie warnen uns: Bei der Planken- und Schlettauer Post, wo wir abends ohne Erlaubnis unser Zelt aufschlagen wollen, leben vier Wolfsrudel. Danach beruhigen sie uns. Die Wölfe tun niemandem etwas zuleide. Sie haben selbst Angst vor uns.
Schön zu hören. Wir laufen weitere fünf Kilometer zurück zur ehemaligen Grenzlinie. Und dann gehen wir direkt in die ehemalige Todeszone, den 150 Meter breiten gerodeten Grasstreifen zwischen den beiden Stahlzäunen, der bis 1990 Fluchtversuche aus der DDR verhindern sollte. Jetzt ist es ein friedlicher Ort, ohne jede Spur der brutalen Geschichte.
Die Sonne versinkt im Westen, die Wiese, auf der fast 30 Jahre lang Menschen gestorben sind, sieht aus wie jede normale Wiese in jedem normalen Wald. Wir bauen unser Zelt auf und blicken auf die lange kahle Schneise der vergessenen Brutalität.
Freitag, 9. Oktober 2020
Peißnitz-Nordspitze: Trockenasphalt für den Auenwald
Es ist das letzte Stück unbetonierten Bodens auf der Peißnitzinsel, ein naturbelassener Weg einmal rund um die Nordspitze der Insel, umgeben von der fast schon urwaldartigen Vegetation des letzten Stückes Auenwald in der Stadt Halle. Seit Jahren schon aber weckt ausgerechnet dieses verlorene Ende Waldweg Begehrlichkeiten: Im Zuge der aus der Fluthilfe finanzierten "Reparaturen" von allerlei echten und ausgedachten Hochwasserschäden rückte vor fünf Jahren auch der festgetretene Erdpfad im Auenwald ins Visier der Bauplaner. Für eine sechsstellige Summe sollte der bei Joggern, Spaziergängern und Radfahrern zu jeder Jahreszeit beliebte Rudnweg mit einer sogenannten wassergebundenen Decke versehen werden. es ging nicht schnell, aber es ging voran. Und nun ist es soweit. Demnächst sollen die Bautrupps anrücken.
Samstag, 3. Oktober 2020
Chilenisches Metall: Hymnen für Victor Jara
James Dean Bradfield von der walisischen Rockband Manic Street Preachers widmet sein zweites Solo-Album dem singenden Revolutionshelden Victor Jara.
Stoff für DDR-Klassenzimmer, aber auch für die musikalische Geschichte in elf Kapiteln, die James Dean Bradfield auf "Even in Exile" mit Hilfe des Dichters Patrick Jones in Songs gepackt hat. Jones ist der Bruder von Manics-Bassist Nicky Wire. Er schreibt alle Texte der Band, seit Haupttexter Richey James Edwards vor 25 Jahren kurz vor Beginn einer USA-Tournee spurlos verschwand. Wie die Manic Street Preachers ist Patrick Jones ein bekennender Linker. In seinem Theaterstück "Everything Must Go" etwa erzählte er vom Niedergang der walisischen Minenindustrie, von menschlichen Tragödien und knallharten Profitinteressen.