Mittwoch, 29. Februar 2012

Renft-Remix selbstgemacht



Man kann da was ganz Hübsches machen, weil die Kollegen das in derselben Tonart spielen - einmal unplugged, einmal elektrisch. Einfach beide Video zusammen starten, möglichst so, dass sie synchron laufen. Ist ganz einfach - unteres Video starten, oberes bei Sekunde neun dazuschalten. Ein völlig neues Renft-Gefühl macht sich breit!

Montag, 6. Februar 2012

Lieder wie ein Hurrikan


Wer die Augen schließt, würde wohl wetten, dass da vorn auf der Bühne der Mann aus Kanada steht, der seit 45 Jahren Rockgeschichte schreibt. Die Gitarre klingt genauso. Der Gesang ist gleich. Und wer an diesem Samstagabend ganz hinten steht im ausverkauften Objekt 5 in der Seebener Straße, für den sieht der Sänger auf der kleinen Bühne sogar aus wie der echte Neil Young: Eine Armeejacke trägt er, rote Jeans und lauter Klimperketten um den Hals.

Doch der da „Ohio“ und „Hey, hey, My, my“ singt als sei ein Rockgott in die Provinz herabgestiegen, ist natürlich nicht wirklich Neil Young. Auch wenn er so klingt. Auch wenn er so Gitarre spielt. Und so aussieht. Tino Standhaft stammt aus Leipzig, gründete dort 1978 seine erste Band und war später mit Größen wie Pankow-Sänger André Herzberg unterwegs. Seit einiger Zeit hat sich der Sachse des Erbes des großen Kanadiers angenommen: Kein schales Nummernprogramm, bei dem Oldies zu Tode geritten werden, sondern eine respektvolle Annäherung an das berühmte Original, das den fünf Musikern auf der Bühne jede Menge Platz lässt, ihre eigenen Stärken auszuspielen.

Die Basis bilden natürlich die großen Hits des 66-jährigen Songschreibers, der mit Folkmusik begann und später zum Urvater der wilden, wütenden Grungemusik wurde. Standhaft hat sie alle drauf, die Klassiker. Er spielt „Tonights the night“, das ganz ohne Instrumente beginnt, aber auch „Powderfinger“, eine Rocknummer, die das Publikum im brechend vollen Saal mit dem ersten Akkord feiert.

Begleitet von einer tollen Band um den Gitarristen Norbert Daßler bringt Standhaft bekannte Stücke wie das zornige „Alabama“, das seine Kollegen von der Band Lynyrd Skynyrd zu ihrem Welthit „Sweet Home Alabama“ inspirierte. Aber auch unbekanntere Song wie „Slowpoke“ und „The Loner“. Viele Worte macht er nicht, er lässt die Musik für sich sprechen, zuletzt orkanisch mit einer ausufernden Version der Überhymne „Like a hurricane“. Wie dem Original liegen die Fans auch der genialen Kopie zu Füßen. Drei Zugaben erklatschen sie. Dann tut Standhaft, was Young seit 40 Jahren nicht mehr gemacht hat: Er hilft abbauen.

"Harvest Moon" live im Objekt
Standhafts Homepage

Hier zum Vergleich das Original

Freitag, 3. Februar 2012

"Er hat gewußt, daß es so enden muß"

Der Totenschein ist ausgestellt auf den 25. Dezember 1992, 6.50 Uhr morgens. Und der Mann mit freiem Oberkörper, nach vorn gerutscht auf einer Bank, unter der neben seiner Jacke eine einzelne zerdrückte Bierbüchse liegt, ist schon eine ganze Weile tot. Ein ganz gewöhnlicher Feiertag bricht an. Die Sonne wird erst um 8.17 Uhr aufgehen; da liegt Volker Lampe (Name geändert), ein hagerer, tätowierter Kerl mit mittellangem, strähnigem Haar, schon seit mindestens drei Stunden tot. Todesursache: "Unterkühlung nach übermäßigem Alkoholgenuß."

"Er hat ja nie hören wollen", sagt die Mutter von ihrem Sohn. Auch diesmal nicht. "Bei zunehmendem Hochdruckeinfluß gelangt Sachsen-Anhalt in den Zustrom von Festlandsluft aus Osten", hat der Wetterbericht am Abend zuvor vernehmlich gewarnt, "die Temperaturen gehen auf Werte zwischen minus drei und minus acht Grad zurück." Kein Wetter, einen Rausch draußen auszuschlafen.

Für die Mutter, eine kleine, weißhaarige Dame, der das Leben auch mit 70 noch blitzende Funken aus den Augen sprühen läßt, ist Volker allerdings lange vorher gestorben. "1975", erzählt sie, "ist er von einem Tag auf den anderen ausgezogen." Der Sohn, das schwarze Schaf der Familie, ging ohne Gruß und ohne eine Adresse zu hinterlassen. Spurensuche. Dumm sei er nicht gewesen, ganz im Gegenteil.

Volker Lampe, geboren im Krisenjahr 1953 als Sohn des Montagearbeiters Werner und dessen Frau Heide, gilt in der Thalamtschule als "durchaus intelligent." Aber auch als faul. "Wenn er da war", erinnern sich seine Klassenlehrer, "dann war er gut." Aber allzu oft war er nicht da. "Aber was haben wir uns deshalb um den Jungen bemüht", schüttelt Frau Heide den Kopf, "es hat alles nichts genützt." Volker machte Ärger, wo immer er konnte. Schwänzte die Schule, trieb sich herum, ging später nicht zur Arbeit, trank, und geriet in Konflikt mit den strengen Asozialen-Paragraphen der DDR-Gesetze. "Er ist abgerutscht", gesteht seine Mutter mit feuchten Augen, "und wir haben es nicht geschafft, ihn vom Abgrund wegzuziehen."

"Aber Lampe wollte sich ja auch nicht helfen lassen", versichert Ilona, eine Freundin Volkers, "der war glücklich in seinem Elend." Es sei doch sein Leben, habe er auf Vorwürfe geantwortet, und mit "meinem Leben kann ich schließlich machen, was ich will." Ilona, die das erzählt, ist eine nette, rundliche junge Frau, die eine hübsche sechsjährige Tochter hat. Bei ihr und ihrem Mann Thomas hat Volker bis August letzten Jahres gewohnt. Immerhin vier Jahre lang - länger hat der gelernte Hilfsmaurer es nirgendwo ausgehalten.


Das sei wie eine "Krankheit" gewesen, beschreibt die Mutter mit fahrigen Handbewegungen. "Die ist immer wieder über ihn gekommen, man konnte da gar nichts machen." Zwanghaft entzog sich Volker allem, was ihm zu nahe kam. Fürsorge, Wärme, Vertrauen - all das machte ihm Angst. "Als er noch ein kleiner Junge war", denkt die Mutter zurück, "da hat er gern gestreichelt und geschmust - aber später nicht mehr." Unstet wurde Volker Lampe; unfähig, Bindungen einzugehen, flüchtete er in den Alkohol. "Drei Flaschen Schnaps täglich", gibt Ilona Schäfer als seine normale Tagesdosis an: "Wenn er die nicht hatte, konnte es schon sein, daß er blau anlief und stocksteif umfiel."

Trotz wiederholter ärztlicher Warnungen, daß "ohne eine Kur bald Schluß mit ihm sein wird" (Thomas Schäfer), soff Volker Lampe unbeeindruckt weiter. Eine Aufforderung, sich zwecks Untersuchung in der Psychatrie vorzustellen, beachtete er nicht, "weil er Angst hatte, daß sie ihn gleich dabehalten." Röntgenbilder, mit deren Hilfe die Spätfolgen eines Unfalls behandelt werden sollten, zerriß er ebenso wie seinen Personalausweis. Einen neuen beantragte er erst gar nicht mehr. Volker Lampe bezog weder Arbeitslosengeld hoch Sozialhilfe, er erhielt kein Wohngeld und war nicht sozialversichert. Unwillig, sich in geltende gesellschaftliche Normen einzupassen, wurde er am Ende sogar unfähig dazu, sich ins soziale Netz fallen zu lassen.

Dabei: Vier-, fünfmal nach seinem hastigen Auszug zu Hause schien Volker Lampe "auf die rechte Bahn" zu finden. Da war Marlies, die er Ende der Siebziger kennenlernte. "Ein ganz nettes Mädel", lobt die Mutter. Mit Marlies blieb Volker ein halbes Jahr zusammen - bis er wieder über Nacht verschwand. Plötzlich, "wie von einer großen inneren Unruhe getrieben", seufzt die Mutter, die behauptet, nicht geweint zu haben, als die Polizei am ersten Weihnachtsfeiertag mit der Nachricht vom Tod des Sohnes vor der Tür stand.

Die "große innere Unruhe" treibt Volker derweil weiter und weiter. Er lernt Jenny kennen, "verliebt sich in sie" (Heide Lampe) und türmt erneut, als er Verantwortung übernehmen soll. Lampe übernachtet bei wechselnden Saufkumpanen, flüchtet in die Alkohol-Sucht. Irgendwann muß ihn die Erkenntnis überfallen haben, daß er inzwischen 35 Jahre alt ist, aber immer noch nichts erreicht hat. "Der hatte keine Selbstachtung mehr, nur noch Selbstverachtung", analysiert Thomas Schäfer. Die Sucht drückt den Mann, der mit leuchtenden Augen Roy Orbison hören konnte und selber "ganz passabel Gitarre spielte", in die Kriminalität.

Die bringt ihn in den Knast. Fünfmal sitzt er ein: Mal wegen Einbruchs, mal wegen Körperverletzung. Zum letzten Mal verbringt Volker nach einem am 8. März 1990 begangenen dilettantischen Einbruchsversuch ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. "Aber Knast", vermutet Ilona, "war ja für Volker keine Strafe - dort hatte er ja die richtig harten Leute erst kennengelernt."

Diese "Kumpels", die sich im "Grünen Winkel" neben dem halleschen Boulevard und an diversen Kiosken zu treffen pflegen, sind es nach Meinung von Ilonas Mann Thomas gewesen, "die den Volker immer wieder in die Gosse gezogen haben." "Er hatte Wochen, da lief es gut", meint Thomas, "aber dann hat er wieder einen von denen getroffen und sofort ging das Theater von vorn los."


Kaum verwunderlich, daß Schäfers aufatmen, als Volker im August letzten Jahres geht. "Der ist mit einem Mal aufgestanden", erzählt Thomas, "und hat nicht mal seine Jacke mitgenommen." Sie haben ihn nicht gesucht.


Die letzten Monate im Leben des Volker L. lassen sich nur sehr grob rekonstruieren. Die letzte Brücke ins normale Leben ist abgebrochen - bekleidet mit einem Hemd, einer Hose und einem Paar ausgetretener Schuhe vegetiert der 40jährige, der immer öfter an krankhaften Schweißausbrüchen, Sprachstörungen und Schwächeanfällen gelitten haben muß, im und am Hauptbahnhof. Er, der längst in ein geschlossenes Sanatorium gehört hätte, schläft anfangs noch bei Kumpels aus dem Milieu, doch als deren Wohnung in der Merseburger Straße ausbrennt und einer der beiden Wohnungsbesitzer inhaftiert wird, bezieht Lampe die letzte Adresse seiner Reise ins Nichts.

Das Bahnhofsklo. Er lebt jetzt von kleinen Einbrüchen. Bei einem Ladendiebstahl wird er Mitte Oktober erwischt, anschließend aber gleich wieder laufengelassen. Eine Bekannte von Ilona Schäfer sieht den Mann, der mehr und mehr einem in Lumpen gehüllten menschlichen Wrack gleicht, im November noch einmal zitternd im Fußgängertunnel zwischen Riebeckplatz und Bahnhof stehen und betteln. Im Dezember gerät er anscheinend in eine schwere Prügelei, bei der er sich ein schweres Schädeltrauma zuzieht. Die Polizei findet später Krankenhaus-Entlassungspapiere bei der Leiche, datiert auf den 24.12. 1992.

Den ersten Abend nach seiner Entlassung, den letzten seines verpfuschten Lebens, verbringt Lampe wahrscheinlich auf dem Bahnhof. Aber gesehen will ihn dort niemand haben. Die Männer, die Tag für Tag wie festgeschweißt am Bahnhofskiosk stehen, geben vor, einen Volker Lampe nie gekannt zu haben. Auf einem Foto erkennen sie ihn nicht.

Ilona und Thomas Schäfer verwischen die Schuldgefühle, die Volker nebst zweier Koffer mit schmutziger Wäsche in der Mansardenwohnung am Steintor hinterließ. "Der hat immer gewußt, daß es mal so enden wird - und nun hat er halt seinen Willen", kommentiert die 27jährige Ilona trocken, "das war wahrscheinlich das Beste, was dem noch passieren konnte."

Heide Lampe hat inzwischen die Beerdigungsformalitäten erledigt. Volker wird ohne Grabstein beerdigt. Über Tote nichts Schlechtes, sagt sie, eine Trauerrede wird es nicht geben. "Was", schluckt die alte Dame, "hätte ein Trauerredner denn sagen sollen?"