Samstag, 21. Oktober 2023

Popstar der Politik: Audienz bei Wagenknecht

Sie tut erst gar nicht so, als gehe es um eine Buchlesung. Sahra Wagenknecht weiß, dass die Leute ihretwegen kommen. Das Buch haben die meisten schon, auch wenn sie an diesem Abend noch eins kaufen werden. "Ist ja bald Weihnachten", sagt der Einpeitscher, der vorher auftritt wie früher bei "rund" im DDR-Fernsehen. Stimmung machen, den Saal einschwören.

Heute Abend ist das einfach, denn die, die hier sind, sind Fans der Frau im hellblauen Blazer, die mit frenetischem Applaus begrüsst wird. Wagenknecht lächelt schmal und macht es kurz: "Ich lese jetzt aus meinem Buch, das wird etwa 40 Minuten dauern." Sie lese nur das Vorwort, das sei am aktuellesten. "Obwohl auch der Rest nach wie vor aktuell ist."

39 Minuten offizieller Teil


Nach genau 39 Minuten ist der offizielle Teil rum. Jetzt kommt die Fragerunde, absolviert unter Zuhildenahme zweier mitgebrachter Stichwortgeber, die wissen, was sie fragen sollen. Sahra Wagenknecht bekommt Gelegenheit, alle Register zu ziehen. Es ist so leicht im Augenblick, den Leuten zu sagen, was sie hören wollen.

Nickende Köpfe im Saal bestätigen, dass Wagenknecht so ziemlich alles richtig macht, wenn sie auf das Heizungsgesetz schimpft, auf Bevormundung, Sprechverbote, das Gendern, die grenzenlose Einwanderung, die Waffenlieferungen, die Benachteilung der Ostdeutschen, die niedrigen Löhne und niedrigen Renten, die hohen Preise und die verrückte Energiepolitik, aber auch darauf, wie der Krieg im Osten von Deutschland aus betrachtet werde. "Man kann eine Atommacht nicht besiegen", warnt sie und zitiert John F. Kennedy, der mal gesagt habe, man dürfe eine Atommacht nie vor die Wahl stellen, eine demütigende Niederlage zu akzeptieren oder auf den Knopf zu drücken. Da nicken alle. Kann man sich vorstellen. Genau so ist das.



Jubel überall im Saal


Sahra Wagenknecht sieht sich als Stimme der Vernunft inmitten von "Verrückten", wie sie die politischen Mitbewerber nennt. Die einen zu grün, die anderen zu rechts, die SPD eine Partei für Staatsbeamte, die Linke eine für die Avantgarde der Lastenradfahrer in Berlin Mitte, die keinen Schimmer davon haben, was draußen im Lande los ist, wo keine U-Bahn fährt und keine Inflationsprämie bezahlt wird. Da nicken geht weiter.

Die Frau, die angetreten ist, die Linkspartei in einem tiefen, tiefen Loch zu begraben, sitzt hinter ihrem Tischchen wie festgefroren. Die Runde mit den bestellten Fragen absolviert sie ohne Regung, souverän wie Eis. Was sie sagt, stimmt alles. Und wenn es mal nicht stimmt, etwa als Wagenknecht beklagt, dass die Deutsche Bahn die Kapazitäten im Güterverkehr halbiert habe, glauben es ihr die Zuhörer trotzdem. 

Im Saal sitzen Fans, Menschen, die auf eine Wagenknecht-Partei warten, weil sie sonst nicht mehr wissen, was sie wählen sollen. Sie sehe eine "Repräsentationslücke", sagt Sahra Wagenknecht, und in die wolle sie mit ihrem "Bündnis Sahra Wagenknecht -  für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW) stoßen. Die ehemalige Internationalistin sorgt sich ums Vaterland. So könne es nicht weitergehen. "Irgendwann schaut man ja mal auf sen Leben zurück und ich will mir dann nicht sagen müssen, dass ich etwas hätte tun können." Pilzesammeln mit ihrem Mann Oskar Lafontaine sei in jedem Fall entspannender. Aber im Saarland sehe es derzeit ohnehin noch schlecht aus mit Steinpilzen im Wald.

Fragerunde wie geschmiert


In der zweiten Fragerunde, bei der das Publikum das Mikrophon bekommt - "aber bitte nur kurze Fragen!", fordert der Einpeitscher - gibt es Solidaritätserklärungen und Schwüre, dass das nun endlich eine echte Alternative für Deutschland sei. Fragen danach, wie Wagenknecht ihre Vorstellung von  vernünftiger Politik um setzen will, wie und mit wem, kommen nicht. Dafür aber aus dem Oberrang die Bitte, zu erklären, warum sich das ehemals als beinharte Kommunistin auftretende neben Gregor Gysi bekannteste Gesicht der Linken nicht dafür einsetzen wolle, den Kommunismus aufzubauen. 


Der Fragesteller bezeichnet sich selbst mit einem Wagenknecht-Zitat als "Angehörigen einer skurrilen Randgruppe", ein Begleiter rollt eine Regenbogenfahne aus. Später wird bei Facebook behauptet werden, dass er "niedergebrüllt" worden sei. Aber das muss an einem anderen Abend in einem anderen Saal gewesen sein. Hier im altehrwürdigen Steintor folgt der Frage ein unterdrücktes Lachen aus den Sitzreihen und Wagenknechts Geständnis, dass sie schon lange nicht mehr glaube, dass eine Art DDR-Planwirtschaft Wohlstand schaffen könne. "Nein, das halte ich für ausgeschlossen."

Die Fahne wird ohne weitere Diskussionen eingerollt. Der Saal applaudiert. Es folgt nun der für viele wichtigste Teil: Lange Schlangestehen vor der Bühne, um ein Buch signiert zu bekommen. Ein ruhiger, mechanischer Prozess, überwacht von drei locker aufgestellten Personenschützern. Die meisten, die nach vorn drängen, kennen das noch von früher.