Mittwoch, 31. Mai 2017

Oldham singt Haggart: Ver­nei­gung vor einem Riesen



Country, wie er früher war. Der einmal zum Bonnie Prince Billy rückverwandelte Will Oldham wandert auf Merle Haggarts Spuren.

Neben Johnny Cash und Willie Nelson war Merle Haggard immer der leise, angenehme Typ, der ohne Schlagzeilen auskam und manchmal den Eindruck erweckte, er meine seine Dorftrottel-Hymne "Okie from Muskogee" ernst.

Das hat er nie getan. Viele andere Lieder hingegen schon - und die sind es, die sich Bonnie Prince Billy, der bürgerlich Will Oldham heißt und 33 Jahre jünger als der im vergangenen Jahr verstorbene Haggard ist, herausgesucht hat, um sie neu einzuspielen. Ein Vorhaben, mit dem sich nicht viel gewinnen lässt. Oldham ist zwar geadelt, seit Johnny Cash einen seiner Songs neu einspielte. Aber insgesamt blieb der Mann aus Kentucky stets zu eigensinnig in seinem musikalischen Ausdruck, als dass ihn das Mainstream-Country-Publikum wirklich hätte als einen der seinen adoptieren können. 

Insofern: Ein bisschen wie Haggard, der "Working man's poet", der im Gegensatz zu Cash Jahre im Gefängnis zugebracht hatte und wusste, wovon er sang. Oldham verzichtet hier darauf, Haggards Lieder zu modernisieren oder ihnen seinen Stempel aufzudrücken. Die 16 Songs werden respektvoll gespielt, sparsam instrumentiert und von Oldham beseelt gesungen.

All das Verstaubte, das Haggards Klassikern wegen ihrer Entstehungszeit bisweilen anhängt, bläst der stille Star des alternativen Country vorsichtig beiseite. Und unter der Patina der frühen Jahre, als Countrysänger Cowboyhut tragen mussten, dafür aber zur besten Sendezeit im Fernsehen liefen, kommen kleine, feine Kuschellieder zum Vorschein.

Mittwoch, 24. Mai 2017

Spammer: Danke für den Fisch


Es ist eine Chance, die jeder nur einmal im Leben bekommt. 23 Millionen Euro liegen auf einem Konto in Nigeria bereit, hinterlassen von einem Zentralbankmitarbeiter, der gerade erst bei einem Autounfall gestorben ist. Seine Tochter sucht nun verzweifelt nach einem Weg, das Geld ins sichere Ausland zu schaffen. „Werte Herr“, schreibt sie in einer Mail, „bitte könne helfe mich bei dies Transaktion und geben Deine Kontonummer?“

Kein Mensch würde das tun, oder doch keiner, der noch einigermaßen bei Verstand ist. Zu viele Rechtschreibfehler, zu hanebüchen die Geschichte, die die vermeintliche Millionenerbin aus Afrika erzählt. Dennoch klingen Millionen sogenannter Scam-Mails, die sich unter hundert Billionen Spam-Mails finden, die alljährlich unverlangt in Milliarden E-Mail-Postfächern landen, ähnlich: Krude ist die Grammatik, absurd die Rechtschreibung, egal ob auf Englisch oder Deutsch.

Die Botschaft der Mails, die entweder Millionengewinne versprechen oder zur Kontoprüfung auffordern, wird von den meisten Empfängern gar nicht mehr wahrgenommen - misstrauisch geworden durch die verräterische Form, wird der Inhalt in den Papierkorb geschoben. Ja, wenn die Spammer etwas schlauer wären, sagen sich viele Nutzer. Dann würde man vielleicht auf ihre Betrugsversuche hereinfallen. Aber so? Niemals! Bei der Rechtschreibung, dieser Grammatik und den durchsichtigen Tarngeschichten merkt doch jeder sofort, dass hier Kriminelle unterwegs sind, die nach Opfern suchen.

Genau das aber ist die Absicht der Absender von betrügerischen E-Mails, wie Cormac Herley aus der Research-Abteilung des Software-Riesen Microsoft in einer Studie nachgewiesen hat. „Warum sagen nigerianische Betrüger, dass sie aus Nigeria kommen?“, hat er das Papier überschrieben, in dem das Rätsel der offenkundig stets von völlig unfähigen Betrügern abgefassten Scam-Mails gelöst wird.

Eine mathematische Frage, wie Herley nachweist: Für den höchsten Profit müsse der Betrüger nicht versuchen, möglichst viele potentielle Opfer zu finden. Sondern anstreben, die zu erwischen, die die höchste Wahrscheinlichkeit versprechen, dass sie am Ende wirklich auf den Betrug hereinfallen. Die atemberaubend schlechte Rechtschreibung, zwischengemischte russische oder Thai-Schriftzeichen und eine Grammatik, bei der alles durcheinandergeht, funktionieren im milliardenschweren weltweiten Scam-Geschäft wie ein Idiotenfilter.

Denn schwierig am Verschicken von betrügerischen Mails ist nicht die erste Aussendung, die darauf spezialisierte Programme automatisch und millionenfach vornehmen. Sondern die Fortführung der Kommunikation mit den Angeschriebenen, die tatsächlich auf obskure Millionenangebote aller Art antworten.

Scammer kalkulieren knallhart: Würden auf 500 Millionen verschickte seriös wirkende Mails 100 Millionen Menschen antworten, bräuchte der Versender der Scam-Mails rund 200.000 Mitarbeiter, von denen jeder am Tag 500 Mails beantworten müsste. Hier lässt sich nichts mehr automatisieren, weil jede Antwort individuell ausfällt und deshalb auch individuell beantwortet werden müsste.

Die Wahrscheinlichkeit, dass im weiteren Mailwechsel vielen auffallen würde, dass es hier letztlich um Betrug geht, wäre dennoch hoch - ein Großteil der teuren, weil nicht von Computerprogrammen zu erledigenden Arbeit wäre vergeblich. Anders, wenn von Anfang an so plumpe Anschreiben verschickt werden, dass die meisten Adressaten sie sofort löschen. Wenn dann auf 500 Millionen Mails nur 200 Leute antworten, sind darunter, so die eiskalte Rechnung, bestimmt fünf oder zehn, die sich am Ende betrügen lassen.


Mittwoch, 3. Mai 2017

TV-Start: Sieg über den Klassenfeind


Als die DDR mal ganz vorn war: Vor 65 Jahren siegte die Arbeiter- und Bauernrepublik im Rennen um den Fernseh-Sendestart in Deutschland.

Eine Kiste, groß wie ein Schrank, links mit Stoff abgespannt und rechts für ein Glasfensterchen in Postkartengröße geöffnet: Heute vor 60 Jahren brachte der "Leningrad T2" aus sowjetischer Produktion das Fernsehen nach Deutschland. In der ersten Sendung kurz vor dem Weihnachtsfest 1952 durfte Stalin zuerst auf den Bildschirm - rein zufällig fiel der Start des offiziellen Betriebes des DDR-Fernsehens auf den Geburtstag des Führers der internationalen Arbeiterklasse. 

Was für ein Triumph über den Klassenfeind! Der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) im Westen hatte zwar schon im November zwei Jahre zuvor mit der Ausstrahlung eines Versuchsprogrammes begonnen. Doch beim regelmäßigen Sendebetrieb hatte der Deutsche Fernsehfunk der DDR die Nase vorn. Erst vier Tage nach den Berlinern zog die Konkurrenz vom NWDR nach, die aus einem Bunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg zuerst einen Film über die Entstehungsgeschichte des Weihnachtsliedes "Stille Nacht" sendete. 

Kalter Krieg im Äther, allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In ganz Ostdeutschland gab es nicht mehr als 80 Fernsehgeräte. Obwohl einige davon in sogenannten Fernsehstuben standen, in denen Sendungen kollektiv angeschaut werden konnten, konnten nicht mehr als ein paar hundert Zuschauer die Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" mit Sprecher Herbert Köfer oder sowjetische Dokumentationen verfolgen. Dennoch war sich die Führung der SED offenbar schon sehr früh darüber im Klaren, dass im Äther eine unsichtbare Front entstand, die von eigenen Truppen gehalten werden musste. 

Im Januar 1952 hatten sich DDR-Präsident Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und der kommende starke Mann Walter Ulbricht im Sendezentrum in einer Baracke in Adlershof gemeinsam von der Wirksamkeit der neuen Propagandawaffe überzeugt. Vor allem die Aussicht, neben 2,3 Millionen <>-Bürgern auch rund 2,2 Millionen Menschen im Westen mit eigenen Sendungen erreichen zu können, führte wohl zur Beschleunigung der Umsetzung der Fernseh-Pläne, deren Ausarbeitung die Sowjetische Militäradministration bereits 1949 in Auftrag gegeben hatte. 

Nachdem der NWDR sein Testprogramm auf einer Messe öffentlich vorgestellt hatte, geriet die <> zudem unter Druck. Die Europäische Wellenkonferenz hatte der DDR Sendefrequenzen zugewiesen, die an den Klassenfeind im Westen verloren zu gehen drohten, wenn sie nicht benutzt würden. Kurt Heiß, damals Generalintendant des DDR-Rundfunks, warnte im Sommer 1952: "Wir müssen jetzt jeden Tag mit mehr als einer Stunde draußen sein, zu einer feststehenden Zeit, um die Frequenz zu belegen." 

Das gelang zwar, doch viel problematischer war im Osten der eklatante Mangel an Empfangsgeräten. Von der staatlichen Weisung an die volkseigene Industrie, "diese in ihrem Aufbau unerhört komplizierten Apparate zu einem möglichst geringen Preis herauszubringen, um Fernsehen für jeden erschwinglich zu machen", wie es in einer Veröffentlichung hieß, war im Laden nichts zu sehen. Im VEB Sachsenwerk Radeberg wurden nach sowjetischen Bauplänen zwar Leningrad-Fernseher hergestellt. Doch die meisten mussten als Teil der Reparationszahlungen in die UdSSR geliefert werden. Der Rest ging für stolze 3 500 Mark über den Ladentisch - das durchschnittliche Jahresgehalt eines DDR-Bürgers. Es ging folglich weniger um echte Erfolge an der Fernsehfront als vielmehr um Prestige. 

Zumal eine wirkliche Konkurrenz der Sender in Ost und West anfangs schon technisch ausgeschlossen war: Adlershof sendete Bild und Ton in der OIR-Norm, Hamburg verwendete die ICCR-Norm. Wer es schaffte, die auf Einkanal-Betrieb ausgelegten "Leningrad"-Geräte auf den Empfang des Westsenders umzustellen, sah entweder das Bild. Oder er konnte den Ton hören. Der Erfolg im Wettlauf um den Starttermin blieb dann auch der einzige Sieg des DDR-Fernsehens über den technisch und finanziell überlegenen Westen. 

Während die regelmäßigen Sendungen im Osten bis Ende 1955 als "Versuchsprogramm" firmierten, lief "drüben" schon seit Weihnachten 1952 der reguläre Sendebetrieb mit Übertragungen wie vom Fußballspiel Deutschland gegen Jugoslawien, Shows und Fernsehspielen. Dahin kam das nun Deutscher Fernsehfunk (DFF) genannte Fernsehen der DDR erst zum 2. Januar 1956, rein zufällig der 80. Geburtstag von DDR-Präsident Wilhelm Pieck. 

Jetzt standen schon ein paar Tausend Fernseher vom im Funkwerk Halle hergestellten Typ Sonata FT 55 in den Wohnzimmern zwischen Rügen und Riesa. Zehn Jahre nach dem Fernsehstart hatten zwei Millionen DDR-Haushalte einen Fernseher, 1969 startete das zweite Programm - sechs Jahre nach dem Zweiten Deutschen Fernsehen in der Bundesrepublik.