Als Grigori gab Gundermann Briefe von Freunden ans MfS weiter. Er meldete Singeklub-Kollegen, die sich von einer Westtournee Funkgeräte mitbrachten. Und er teilte dem "Organ" alles mit, was er über die intimen Kontakte einer Bekannten zu einem französischen Bauarbeiter wusste. Gundermann war ein guter Spitzel. Der IM sei "ehrlich und zuverlässig", lobte sein Führungsoffizier, seine Berichte wurden als "umfassend und objektiv" geschätzt. Das MfS belobigt den "Kämpfer Grigori" mit der "Arthur-Becker-Medaille" und einer Obstschale, wie in Andreas Dresens neuem Film "Gundermann" zu sehen ist..
Alles wie immer
Und nun steht er da: Im blauweiß gestreiften Fleischerhemd wie immer, die Augen hinter der großen Goldrandbrille versteckt wie immer, und alle paar Minuten mit der Nase schniefend. Wie immer.
Nur die Leute beobachteten ihn seitdem reservierter, schien ihm. Aber das könne Einbildung sein. Viele wüssten es ja noch gar nicht. Denen sagte er es dann selber: "Ich habe mit dem MfS geredet", schnüffelte Gerhard Gundermann im Konzert gleich nach dem ersten Lied ins Mikrophon, "und dazu stehe ich." Jetzt, wo die Akte nun mal "raus" sei, wie Gundermann es nennt, wolle er "offensiv damit umgehen". Die Fans hier in Berlin, wo Gundermann den ersten Auftritt nach der "Kiste" hatte, klatschten solidarisch.
Die Karriere des Sängers aber, der hauptberuflich nach wie vor als Förderbrückenführer in einem Tagebau bei Cottbus arbeitet und in Ostdeutschland nicht zuletzt dieser Tatsache wegen als moralische Institution galt, war zu Ende. Alle Türen, die dem Vierzigjährigen gerade noch weit offenzustehen schienen, waren plötzlich zugeschlagen. Die große Plattenfirma, bei der Gundermann einen lukrativen Vertrag hatte unterschreiben sollen, zog ihr Angebot zurück als brenne es lichterloh.
Alle ziehen sich zurück
Aus einem neuen Verlagsdeal wurde auch nichts. Und Radio Brandenburg, bis dahin so etwas wie Gundis Haussender, richtete ihn genüsslich hin. Sie spielten das Stück "Ich mache meinen Frieden", denn da singt Gundermann: "Wer mich angeschissen hat / will ich nicht mehr wissen." Und dann "Sieglinde", die Nummer, in der Gundermann einer verräterischen Freundin zu flotten Rockrhythmen verzeiht: "Sie sagen / Du hast mich belauscht / doch außer Dir hat mir nie einer zugehört / und schneller als das Wasser rauscht / hab' ich dir meine paar Geheimnisse diktiert". Dazu zwei, drei Zitate aus der Akte - das gab einen schönen Widerspruch zwischen Poesie und Petzbericht.
Auch Vivi Eikelberg, Chefin des Berliner Managementbüros Eikelberg's, das damals unter anderem Heinz Rudolf Kunze und Hermann van Veen vertrat, konnte für Gundermann nichts mehr tun. "Nach dieser Sache hat Gerhard keine Zukunft mehr im Westen", bedauert die Managerin, die mit dem "hochtalentierten Texter und Komponisten" eigentlich schon handelseinig war. Das mit der Stasi, das hatte Gundermann ihr gleich gesagt. "Aber mehr so nebenbei", erinnert sich Vivi Eikelberg. Es sei auch alles ganz harmlos gewesen.
Inzwischen hat auch die Managerin die Akte "Grigori" gelesen und hat ihre Meinung ändern müssen: "Er hat ja doch Sachen getan, die man kaum entschuldigen kann." Nun ja. Zum Glück war der Vertrag noch nicht unterschrieben, die Platte noch nicht produziert. Anderenfalls, Vivi Eikelberg kennt das Geschäft, wäre es schlimmer gekommen: "Wir machen eine Platte, gehen auf Promoreise, und pünktlich packt irgendwer die Akte auf den Tisch."
Hätte ja geredet
Ein späterer Zeitpunkt wäre noch schlimmer gewesen, dachte auch Klaus Koch. Koch ist Inhaber von Gundermanns Plattenfirma Buschfunk. "Er hätte nicht so lange schweigen dürfen", meint der Produzent. Wenn der Gundi gleich in die Offensive gegangen wäre? Vielleicht hätte das was geändert? Gelegenheiten gab es. Neulich zum Beispiel, als er diesen Auftritt beim ZDF-Talk zum Thema "Stasi-Akten - Deckel drauf?" hatte. Gundi musste bloß singen. Geredet hat er nicht.
Warum auch? "Wenn mich einer gefragt hat", sagt Gundermann, "habe ich's ja immer zugegeben." Im übrigen hat Gerhard Gundermann beim Stichwort "Stasi" stets zuerst an seine Opfergeschichte gedacht. Sechs Jahre unterm Brennglas. Parteiausschluss, Auftrittsverbot, Westreisesperre.
Das abgehörte Telefon. Erst später ist ihm eingefallen, dass da noch was war. Muss etwa zu der Zeit gewesen sein, als die Rundfunkmoderatoren Bertram und Kuttner in dicken Schlagzeilen als "Inoffizielle" geoutet wurden. "Ab dem Moment war der Gundi kein Mensch mehr", erinnert sich seine Frau Conny. "Du musst vor die Leute gehen, du musst das erklären", redete sie ihrem Mann zu. Doch da war der versprochene Verlagsvertrag, der große Plattendeal und die nächste Tour. Und überhaupt. Was erklären? Und wie? "Hätte ich etwa zwischen zwei Stücken sagen sollen: Ich war auch dabei - und nun machen wir mal wieder Musik?"
Akte komplett abgetippt
Mittlerweile hat Gundermann seine Akte Wort für Wort in seinen Computer getippt, "um das mal im Zusammenhang lesen zu können". Er hat nun doch seine Opferakte beantragt, in der Hoffnung, man könne "damit alles ein bisschen relativieren". Die Gauck-Behörde hat ihn bisher bloß vertröstet. Ein, zwei Jahre könne das schon dauern mit der Akteneinsicht. Ein, zwei Jahre, schätzt Vivi Eikelberg vom Managementbüro, werde es wohl auch dauern, bis "ein bißchen Gras drübergewachsen ist" und man es noch mal versuchen könne. Wenn überhaupt.
Bis dahin klappert Gundermann seine "Opfer" ab. Einer hat ihn zwar bei sich zu Hause empfangen, aber dann einfach nicht mit ihm geredet. Ein anderer gestand, die letzten Jahre immer Angst gehabt zu haben, Gundermann könne seinen Namen in seiner Opferakte finden.
Der dritte, vor siebzehn Jahren von seinem Singeklub-Kollegen Grigori bezichtigt, illegal Funkgeräte in die DDR geschmuggelt zu haben, hat bloß gelacht. Der Mann managt heute die Gruppe Keimzeit, Gundermanns Ostrock-Kollegen.
Die Funkgeräte, ist ihm jetzt eingefallen, hat er immer noch. Die haben nie richtig funktioniert.
Gundermann im Maulbeerbaum