Donnerstag, 23. August 2018

Gerhard Gundermann: Der tiefe Fall von "Grigori"

Er wollte damals nichts mehr sagen. Gar nichts. Er wollte auch nicht, dass noch etwas geschrieben wird. "Lasst mich doch in Ruhe", meckerte Gerhard Gundermann damals, 1995,, "ich hab' genug am Hals wegen dieser Kiste." Die Kiste, das ist Gundermanns Vergangenheit. Mit elf Jahren Verspätung kehrte sie zurück: "Gundi", der singende Baggerfahrer, der in den neuen Bundesländern als eine Art Sprachrohr ostdeutschen Selbstbewußtseins galt, war zwischen 1976 und 1984 nicht nur Texter und Komponist für den FDJ-Singeklub "Brigade Feuerstein" gewesen. Sondern nebenbei auch noch der "IM Grigori" der Staatssicherheit.

Als Grigori gab Gundermann Briefe von Freunden ans MfS weiter. Er meldete Singeklub-Kollegen, die sich von einer Westtournee Funkgeräte mitbrachten. Und er teilte dem "Organ" alles mit, was er über die intimen Kontakte einer Bekannten zu einem französischen Bauarbeiter wusste. Gundermann war ein guter Spitzel. Der IM sei "ehrlich und zuverlässig", lobte sein Führungsoffizier, seine Berichte wurden als "umfassend und objektiv" geschätzt. Das MfS belobigt den "Kämpfer Grigori" mit der "Arthur-Becker-Medaille" und einer Obstschale, wie in Andreas Dresens neuem Film "Gundermann" zu sehen ist..

Alles wie immer


Und nun steht er da: Im blauweiß gestreiften Fleischerhemd wie immer, die Augen hinter der großen Goldrandbrille versteckt wie immer, und alle paar Minuten mit der Nase schniefend. Wie immer.

Nur die Leute beobachteten ihn seitdem reservierter, schien ihm. Aber das könne Einbildung sein. Viele wüssten es ja noch gar nicht. Denen sagte er es dann selber: "Ich habe mit dem MfS geredet", schnüffelte Gerhard Gundermann im Konzert gleich nach dem ersten Lied ins Mikrophon, "und dazu stehe ich." Jetzt, wo die Akte nun mal "raus" sei, wie Gundermann es nennt, wolle er "offensiv damit umgehen". Die Fans hier in Berlin, wo Gundermann den ersten Auftritt nach der "Kiste" hatte, klatschten solidarisch.

Die Karriere des Sängers aber, der hauptberuflich nach wie vor als Förderbrückenführer in einem Tagebau bei Cottbus arbeitet und in Ostdeutschland nicht zuletzt dieser Tatsache wegen als moralische Institution galt, war zu Ende. Alle Türen, die dem Vierzigjährigen gerade noch weit offenzustehen schienen, waren plötzlich zugeschlagen. Die große Plattenfirma, bei der Gundermann einen lukrativen Vertrag hatte unterschreiben sollen, zog ihr Angebot zurück als brenne es lichterloh.

Alle ziehen sich zurück


Aus einem neuen Verlagsdeal wurde auch nichts. Und Radio Brandenburg, bis dahin so etwas wie Gundis Haussender, richtete ihn genüsslich hin. Sie spielten das Stück "Ich mache meinen Frieden", denn da singt Gundermann: "Wer mich angeschissen hat / will ich nicht mehr wissen." Und  dann "Sieglinde", die Nummer, in der Gundermann einer verräterischen Freundin zu flotten Rockrhythmen verzeiht: "Sie sagen / Du hast mich belauscht / doch außer Dir hat mir nie einer zugehört / und schneller als das Wasser rauscht / hab' ich dir meine paar Geheimnisse diktiert". Dazu zwei, drei Zitate aus der Akte - das gab einen schönen Widerspruch zwischen Poesie und Petzbericht.

Auch Vivi Eikelberg, Chefin des Berliner Managementbüros Eikelberg's, das damals unter anderem Heinz Rudolf Kunze und Hermann van Veen vertrat, konnte für Gundermann nichts mehr tun. "Nach dieser Sache hat Gerhard keine Zukunft mehr im Westen", bedauert die Managerin, die mit dem "hochtalentierten Texter und Komponisten" eigentlich schon handelseinig war. Das mit der Stasi, das hatte Gundermann ihr gleich gesagt. "Aber mehr so nebenbei", erinnert sich Vivi Eikelberg. Es sei auch alles ganz harmlos gewesen.

Inzwischen hat auch die Managerin die Akte "Grigori" gelesen und hat ihre Meinung ändern müssen: "Er hat ja doch Sachen getan, die man kaum entschuldigen kann." Nun ja. Zum Glück war der Vertrag noch nicht unterschrieben, die Platte noch nicht produziert. Anderenfalls, Vivi Eikelberg kennt das Geschäft, wäre es schlimmer gekommen: "Wir machen eine Platte, gehen auf Promoreise, und pünktlich packt irgendwer die Akte auf den Tisch."


Hätte ja geredet


Ein späterer Zeitpunkt wäre noch schlimmer gewesen, dachte auch Klaus Koch. Koch ist Inhaber von Gundermanns Plattenfirma Buschfunk. "Er hätte nicht so lange schweigen dürfen", meint der Produzent. Wenn der Gundi gleich in die Offensive gegangen wäre? Vielleicht hätte das was geändert? Gelegenheiten gab es. Neulich zum Beispiel, als er diesen Auftritt beim ZDF-Talk zum Thema "Stasi-Akten - Deckel drauf?" hatte. Gundi musste bloß singen. Geredet hat er nicht.

Warum auch? "Wenn mich einer gefragt hat", sagt Gundermann, "habe ich's ja immer zugegeben." Im übrigen hat Gerhard Gundermann beim Stichwort "Stasi" stets zuerst an seine Opfergeschichte gedacht. Sechs Jahre unterm Brennglas. Parteiausschluss, Auftrittsverbot, Westreisesperre.

Das abgehörte Telefon. Erst später ist ihm eingefallen, dass da noch was war. Muss etwa zu der Zeit gewesen sein, als die Rundfunkmoderatoren Bertram und Kuttner in dicken Schlagzeilen als "Inoffizielle" geoutet wurden. "Ab dem Moment war der Gundi kein Mensch mehr", erinnert sich seine Frau Conny. "Du musst vor die Leute gehen, du musst das erklären", redete sie ihrem Mann zu. Doch da war der versprochene Verlagsvertrag, der große Plattendeal und die nächste Tour. Und überhaupt. Was erklären? Und wie? "Hätte ich etwa zwischen zwei Stücken sagen sollen: Ich war auch dabei - und nun machen wir mal wieder Musik?"


Akte komplett abgetippt


Mittlerweile hat Gundermann seine Akte Wort für Wort in seinen Computer getippt, "um das mal im Zusammenhang lesen zu können". Er hat nun doch seine Opferakte beantragt, in der Hoffnung, man könne "damit alles ein bisschen relativieren". Die Gauck-Behörde hat ihn bisher bloß vertröstet. Ein, zwei Jahre könne das schon dauern mit der Akteneinsicht. Ein, zwei Jahre, schätzt Vivi Eikelberg vom Managementbüro, werde es wohl auch dauern, bis "ein bißchen Gras drübergewachsen ist" und man es noch mal versuchen könne. Wenn überhaupt.

Bis dahin klappert Gundermann seine "Opfer" ab. Einer hat ihn zwar bei sich zu Hause empfangen, aber dann einfach nicht mit ihm geredet. Ein anderer gestand, die letzten Jahre immer Angst gehabt zu haben, Gundermann könne seinen Namen in seiner Opferakte finden.

Der dritte, vor siebzehn Jahren von seinem Singeklub-Kollegen Grigori bezichtigt, illegal Funkgeräte in die DDR geschmuggelt zu haben, hat bloß gelacht. Der Mann managt heute die Gruppe Keimzeit, Gundermanns Ostrock-Kollegen.

Die Funkgeräte, ist ihm jetzt eingefallen, hat er immer noch. Die haben nie richtig funktioniert.

Gundermann im Maulbeerbaum


Mittwoch, 22. August 2018

Sie sind unter uns: Goethes Begegnung der 3. Art


Es ist nicht irgendwer, der da an einem Septembertag des Jahres 1768 aus seiner Postkutsche steigt, ein paar Schritte zur Seite tritt und plötzlich wie erstarrt stehenbleibt. "Es blinkten in einem trichterförmigen Raume unzählige Lichtlein", beschrieb er später. "Eine Art wundersam erleuchtetes Amphitheater", von dem der Zeuge noch fast 45 Jahre später wissen wird, "dass das Auge davon geblendet wurde" und "dass sie flimmerten, aber nicht stillsaßen, sondern hin und wieder hüpften, sowohl von oben nach unten als umgekehrt und nach allen Seiten".

Johann Wolfgang von Goethe, kein Geringerer war der Postkutschenpassagier, war fasziniert, berauscht, beeindruckt. Und ratlos, denn eine Erklärung für das Phänomen, das er später in seiner Autobiografie "Dichtung und Wahrheit" beschrieb, fiel ihm partout nicht ein. Goethe, obschon Universalgelehrter und einer der klügsten Köpfe seiner Zeit, wusste nichts von Außerirdischen. Er sah nur, verstand aber nicht.

In den "Atlas der außerirdischen Begegnungen" (Frederking & Thaler, 29,99 Euro), den der französische Schriftsteller Bruno Fuligni zusammengestellt hat, schaffte es der deutsche Dichterfürst nur wegen seiner blumigen Beschreibung des Unerklärlichen. Fuligni, selbsternannter "Experte für Geheimarchive" griff sie dankbar auf, als er daranging, eine Weltkarte der Welträtsel zu entwerfen. Von den prähistorischen Astronauten, die Felsritzungen aus dem Mesolithikum zeigen - samt Handfeuerwaffe und Navigationsgerät - über das Leuchtkreuz, das die französische Stadt Migné anno 1826 plötzlich erleuchtet haben soll, bis zum "Tor zur Innenwelt", über das der russische Schriftsteller Antoni Ossendowski auf seiner Flucht vor Lenins Revolutionären zufällig irgendwo in der Mongolei gestolpert sein will, bleibt keine Legende unerwähnt, so erstaunlich unmöglich sie auch klingt.

Dänikens Idee, bei den Kratzzeichnungen in der peruanischen Steinwüste könne es sich um einen "Flugplatz" handeln, wird ebenso erwähnt wie der Alien-Kirchengründer Emanuel Swedenborg und die brasilianische Ufo-Insel Trindade, auf der 48 Menschen im Jahr 1958 einer Ufo-Landung beigewohnt haben wollen.

Es fehlt keiner der bekannten spektakulären Fälle. Wohl aber einige der am besten dokumentierten Ereignisse aus Ostdeutschland - so ein angeblicher Ufo-Überflug über Halle, bei dem fünf Polizeibeamte im Februar 1985 zwischen 23.40 und 23.50 Uhr von vier Orten im Stadtgebiet aus dieselbe Beobachtung eines nach Norden fliegenden Objektes machen, das dann plötzlich zerplatzt. Obwohl die Staatssicherheit damals sofort ermittelt und Minister Erich Mielke selbst auf dem Laufenden gehalten wird, findet der diensthabende MfS-Major Herbert Jeschke keine Hinweise auf einen Absturzort des von einem der Volkspolizisten als "zigarrenähnlich" beschriebenen Flugkörpers, der von einem anderen Zeugen als eher "länglich-viereckiger Körper" wahrgenommen worden war.

Der Vorfall blieb geheim, obwohl die Uno schon 1978 ihre Resolution 33/426 verabschiedet hatte, die die Mitgliedsstaaten dazu aufforderte, "geeignete Schritte zur Untersuchung außerirdischen Lebens einschließlich unidentifizierter fliegender Objekte" zu unternehmen.

So eifrig die USA war, die allein im Air-Force-"Projekt Blue Book" 12 618 Ufo-Sichtungen anhäufte, so zurückhaltend wurde in Deutschland mit dem Thema umgegangen. So erklärte der damalige Staatssekretär Peter Altmaier am 12. Juni 2008 , dass es "keine Erkenntnisse über Sichtungen sogenannter Ufos bzw. Außerirdischer in Deutschland" gebe. Entsprechend seien auch keine Akten über Ufo-Sichtungen vorhanden.

Sonntag, 5. August 2018

DDR-Geschichte: Honeckers vergessener Aufstand gegen Moskau



An den 16. April 1983 erinnert sich Egon Krenz noch ganz genau. Damals wird der Chef der DDR-Jugendorganisation FDJ aus dem "Großen Haus" angerufen, wie die FDJ-Funktionäre unter sich den Sitz des SED-Zentralkomitees nennen. Am Apparat: Erich Honecker, höflich wie immer, weiß Krenz heute noch. "Komm doch bitte gleich mal rüber", habe der Generalsekretär und Staatschef gesagt.

Anfang eines geheimen Aufstandes


Es ist der Anfang eines Aufstandes, der bis heute geheim geblieben ist. Krenz, damals mit Mitte 40 der jüngste Großfunktionär der DDR und damit automatisch hochgehandelt für die Nachfolge des 25 Jahre älteren Staats- und Parteichefs Honecker, glaubt zuerst an ein Personalgespräch. Wird aber in den folgenden Stunden zum eigenen Erstaunen Honeckers geheimer China-Botschafter.

Eine Mission in den Haarrissen der Blockpolitik, wie Krenz in seinem Buch "China - wie ich es sehe" (Edition Ost, 160 Seiten 12,99 Euro)  beschreibt. Seit sich die Sowjetunion und China nach Stalins Tod überworfen haben, weil dessen Nachfolger Nikita Chruschtschow und Chinas Parteiführer Mao Zedong im Streit um die Führung der kommunistischen Weltbewegung immer härter aneinandergerieten, hält auch die DDR strikte Distanz zum Regime in Peking, obwohl das die DDR als einer der ersten Staaten anerkannt hatte. Dankbar kein aber gibt es nicht in der Weltpolitik.

Denn der große Bruder in Moskau erzwingt Gefolgschaft, China ist weit weg, der russische Rock näher als die chinesische Hose. So kommt es 1963 bei einem SED-Parteitag während der Rede des als Gast geladenen Chinesen Wu Xiuquan zu demonstrativen Tumulten. SED-Delegierte versuchen, den Gast mit Lärm und Getöse zu zwingen, seine als sowjetfeindlich begriffene Rede zu beenden. Wu antwortet danach kalt: Er habe nun ja die "Zivilisation" der deutschen Genossen kennengelernt.


Neuanfang ohne Moskau


20 Jahre danach ist Mao, der Massenmörder und selbsternannte Prophet des großen Sprungs zum Kommunismus, tot. Und Erich Honecker unzufrieden damit, dass die sowjetische Führung dennoch nie versucht hat, so Krenz, "eine große sozialistische Gemeinschaft vom chinesischen Meer im Osten bis an die Elbe und Werra im Westen zu bilden". der DDR-Staats- und Parteichef sieht in genau so einer Allianz eine Möglichkeit - vielleicht die letzte - den schwindenden Einfluss der selbsternannten sozialistischen Ländern auf die Weltpolitik zu stärken und den stagnierenden Ausbau des sozialistischen Weltsystems wieder in Fahrt zu bringen.

Aus Honeckers Sicht ergibt sich eine Gelegenheit zu einem ersten Schritt daraus, dass mit Hu Yaobang ein Mann die Führung der KP Chinas übernommen hat, den Honecker noch aus seiner Zeit an der Spitze der FDJ kennt. Yaobang sei ein Freund aus Jugendzeiten, erzählt er Krenz, den er, Honecker aber nicht direkt kontaktieren könne, ohne den Zorn Moskaus zu erregen.

Einsatz Krenz, Ball über die Bande. Der FDJ-Chef wird beauftragt, mit dem Chef einer chinesischen Zeitung, der sich in der DDR aufhält, zu sprechen, um diesem mitzuteilen, dass die DDR großes Interesse an guten Beziehungen zu Peking habe. Der Mann werde diese Botschaft dann an Hu Yaobang weitergeben, Moskau zwar schäumen, aber "wenn man dich dafür kritisiert", gibt Honecker Krenz mit, "kann ich das auf deine Unerfahrenheit schieben."


Honeckers Manöver gegen Gorbatschow


Das Manöver glückt. Es beginnt ein "intensiver Delegationsaustausch zwischen Berlin und Peking", wie Krenz es nennt. Die erhoffte Annäherung zwischen Moskau und den chinesischen Brüdern allerdings gelingt weder unter Juri Andropow noch unter Nachfolger Michael Gorbatschow, für den DDR-Abgesandte wie Wirtschaftschef Gerhard Schürer sogar direkte Botschaften entgegennehmen. Das Verhältnis aber bleibt angespannt, Gorbatschow lässt alle Avancen unbeantwortet. Für Egon Krenz endet sein chinesisches Abenteuer im Desaster: 1989 besucht der Hoffnungsträger der SED-Reformer China und danach lobt er das Massaker vom Tian'anmenplatz als Beitrag zur "Wiederherstellung der Ordnung".

Noch vor Antritt der Nachfolge Honeckers ist der Kronprinz verbrannt.