Sonntag, 28. April 2019
Atlantropa: Der große Plan vom Umbau der Welt
Der vom Bauhaus inspirierte Architekt Herman Sörgel ging vor fast 100 Jahren daran, das Wasser aus dem Mittelmeer zu lassen. Sein ehrgeiziger Plan sollte Europa mit Raum und Energie versorgen.
Er hatte Architektur studiert, dabei aber vor allem gelernt, dass seine Auffassung von Architektur nicht dazu taugte, Häuser zu bauen. Herman Sörgel, Sohn eines Wasserbaubeamten im bayrischen Landesdienst, war vom Bauhaus inspiriert. Er wollte es größer, grundsätzlicher. Architektur, so glaubte der Regensburger, müsse den Raum gestalten und das Leben der Menschen damit einfacher, besser und friedlicher machen.
Vor hundert Jahren beginnt der 42-Jährige mit der Arbeit an einem Projekt, das auf den ersten Blick aus in einem Fantasy-Roman zu stammen scheint: Es ist der Weihnachtsabend des Jahres 1926, als ihn nach der Lektüre eines Buches des englischen Science-Fiction-Autor H. G. Wells die Vision überkommt, das Mittelmeer bei Gibraltar mit einem Damm zu sperren. Dadurch könnte der Zustrom von Wasser aus dem Atlantik kontrolliert erfolgen - der Wasserspiegel des Mittelmeeres sinke, für die wachsende Bevölkerung Europas würde Raum gewonnen werden.
"Die Vereinigung Europas mit Afrika zu einem mächtigen Weltteil."
Herman Sörgel
Der kleine Beamte dreht das große Rad. Er, der bis dahin nur Zweifamilienhäuser projektiert hat, ist getrieben von der Angst vor einem neuen Weltkrieg und der Furcht davor, dass das kleine Europa nicht standhalten wird im Wettbewerb mit Amerika. Weil es ihm an Platz fehlt. Weil es an Rohstoffen mangelt. Weil es mehr Energie verbraucht, als es produzieren kann. Der kleine Kontinent könne allein nicht bestehen, analysiert Sörgel 1929 in seinem Buch "Mittelmeer-Senkung" und weiß einen Ausweg: "Die Vereinigung Europas mit Afrika zu einem mächtigen Erdteil." Eine Kombination aus europäischer Technik und afrikanischen Bodenschätzen sei die ideale Lösung, der Name dieses Erdteil könne Atlantropa sein.
Wie aber vereinen, was von einem Meer getrennt wird? Herman Sörgel entwirft das größte Bauprojekt der Menschheitsgeschichte: Der Gibraltardamm sollte 14 Kilometern breit und 300 Meter hoch werden, Turbinen, größer als alle, die heute in Betrieb sind, könnten dann etwa 110 000 Megawatt Energie erzeugen - ein Drittel mehr als alle deutschen Kraftwerke heute produzieren.
Durch den Damm, so die Vision des Oberpfälzers, wäre es überdies möglich, den Wasserspiegel um etwa anderthalb Meter im Jahr zu senken. Atlantropa hätte seine Küsten nach einem knappen Jahrhundert weit ins Mittelmeer hinausgeschoben, Adria und Ägäis wären ausgetrocknet, Malta zu einem Teil von Sizilien geworden. Fast 560 000 Quadratkilometer Land gäbe das zusätzlich für Landwirtschaft, Städtebau und Industrie - das entspricht der fünffachen Fläche der früheren DDR. Ein Vorhaben, das heute aus vielerlei Gründen eine Idee bleiben müsste.
Wer soll das alles bezahlen? Was ist mit den Auswirkungen auf die Tierwelt? Wie verändert sich das Klima? Sörgel hatte all das berechnet und prognostiziert, sicher sagen aber konnte auch er es nicht. Dennoch wurde der Plan des mit zwei Doktorarbeiten gescheiterten Regierungsbaumeisters begeistert aufgenommen. Städte wie Venedig und Genua klagten zwar, ihnen würde der Zugang zum Wasser abhanden kommen.
Sörgel aber hatte auch daran gedacht: Venedig sollte einen eigenen Damm bekommen und so im Wasser stehen bleiben. Genua hingegen würde einfach Richtung neue Küstenlinie erweitert. An der stünden auch die neuen Häfen, die hätten gebaut werden müssen, weil alle alten Hafenanlagen nun drei Kilometer vom Wasser entfernt liegen würden. Bis Mitte der 30er Jahre arbeitete Sörgel ruhelos für sein Projekt. Seine Stelle hatte er aufgegeben, um in ganz Europa über seine Pläne zu reden. Das tat er sehr überzeugend. "Wenn ein Ingenieur zu träumen beginnt, sticht er jeden Dichter aus", schwärmte die französische Zeitung "Allier Socialiste". In den Zeiten der Weltwirtschaftskrise lechzten die Menschen nach kühnen Visionen und wagemutigen Unternehmen.
Ein Mann wie Sörgel, angetreten, die halbe Erde zum Nutzen des Menschen umzubauen, ist da genau richtig. Dann aber kommt die Machtübernahme der Nazis. Herman Sörgel versuchte, seine Pläne systemkompatibel zu machen. Trotzdem teilt ihm die Staatskanzlei in Berlin 1935 mit, dass Deutschland kein Interesse an Atlantropa habe. Sörgel macht unverdrossen weiter. Lange Zeit bleibt der Sonderling mit dem Monokel ungestört, 1942 allerdings verhängt das Regime ein Publikationsverbot gegen ihn.
Das verhilft der Idee nach dem Krieg noch einmal zu einer kurzen Blüte. Herman Sörgel gründet das Atlantropa-Institut und beginnt erneut mit seinem Werbetouren durchs Land. Doch auf dem Weg zu einem Vortrag gleich nebenan in der Münchner Prinzregentenstraße wird der passionierte Radfahrer von einem Auto angefahren. Es ist der erste Weihnachtsfeiertag des Jahres 1952, Sörgel hat ein Vierteljahrhundert für seine Idee gekämpft und nichts erreicht. Denn mit ihm stirbt auch die Idee von Atlantropa - Sörgels letzte Arbeiten, in denen er Stauseen für den Kongo plante, gingen wahrscheinlich ebenso verloren wie die Archive seines Atlantropa-Instituts.
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Donnerstag, 11. April 2019
Nach dem letzten Schuss: In der Niemandszeit
Zu Ostern 1945 flogen die Alliierten letzte große Bombenangriffe auf Halle, die Stadt wird in jener Osternacht schwerer getroffen als je zuvor. |
Der Berliner Autor Harald Jähner erkundet in seinem Buch "Wolfszeit" ein unbekanntes Land: Deutschland zwischen Kriegsende und Staatengründung.
Noch im September, fast sechs Monate nach dem letzten und größten Bombenangriff auf Halle, ist nicht nur die Welt, sondern auch die Saalestadt ein Trümmerfeld. Die Journalistin Ursula von Kardorff beschreibt das Elend, das auf dem Bahnhof von Halle herrscht, mehr als hundert Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und dem Untergang des Dritten Reiches. "Schaurige Bilder", schildert von Kardorff, die im Krieg zwar für Nazi-Zeitungen geschrieben, zugleich aber Kontakte zum Widerstand unterhalten hatte, "Trümmer, zwischen denen Wesen herumwandern, die nicht mehr von dieser Welt zu sein scheinen".
Die Apokalypse, zum Alltag verlängert. "Heimkehrer in zerfetzten, wattierten Uniformen, mit Schwären bedeckt, an selbstgemachten Krücken schleichend", schreibt die Mittdreißigerin, die das Ende halbwegs glimpflich in Bayern überlebt hat. Überall nur "lebende Leichname", schreibt sie, stolpernd durch eine Zeit, die nicht mehr die alte ist und noch nicht wieder eine neue. Deutschland zwischen Kriegsende und Staatengründung.
Harald Jähner, studierter Historiker und Literaturwissenschaftler und ehemals Feuilletonchef der Berliner Zeitung, besucht dieses Land in der Niemandszeit zwischen 1945 und 1955, die keineswegs die "Stunde Null" war, von der so oft die Rede ist. "Wolfszeit" erzählt den Zusammenbruch nicht als kurzen Moment, sondern als quälenden Prozess. Die Städte liegen in Ruinen, von 75 Millionen Menschen, die in den vier Besatzungszonen leben, befindet sich mehr als die Hälfte nicht dort, wo sie hingehören oder hin wollen.
Doch es gibt keine Transportmittel, diese 40 Millionen Flüchtlinge, ehemalige KZ-Häftlinge, entlassene Kriegsgefangene, Fremdarbeiter und rückkehrwillige Stadtbewohner, die vor den alliierten Bomben aufs Land ausgewichen waren, zurückzubringen. Nicht einmal genug Koffer für alle sind da, obschon die meisten kaum noch eine Habe ihr eigen nennen. Und wer es trotzdem dorthin schafft, wo er sein Zuhause wähnt, findet oft nur Ruinen, Häuser ohne Dach, Räume ohne Wände.
Fast die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland sind zerstört, man haust in Gruppen in verbliebenen Zimmern, auf den Bahnhöfen, in Kaufhauskellern. "Doch die verbreitete Vorstellung, Deutschland nach Kriegsende sei ein leeres, unendlich stilles Land gewesen, ist falsch", korrigiert Jähner. Denn überall auf den Straßen zogen Kolonnen entwurzelter Menschen entlang: Sieger und Besiegte begegneten sich aus unterschiedlichen Richtungen kommend, in einer Welt aus Rädern. "Verschleppte fuhren in Lastwagen zurück Richtung Warschau, französische Kriegsgefangene schwenkten die Trikolore, wie ein schmaler Bach rieselte dazwischen die andere Welt, die deutsche Welt, die Welt zu Fuß."
Nichts ist festgelegt in diesen Tagen der Neuordnung, der auch die Alliierten nur mit Mühe und ganz grob eine Richtung geben können. Die Integration der nach Westen strömenden Bewohner der verlorengegangenen Ostgebiete, die später als "Eingliederungswunder" Furore machen wird, ist vor Ort ein Kampf um die raren Ressourcen, der mit allen Mitteln ausgefochten wird.
Es gibt einerseits sehr schnell wieder Theatervorstellungen, Zeitungen, Musik und trotz des grausamen Missbrauchs von hunderttausenden Frauen eine wilde Sehnsucht nach menschlicher Wärme und körperlicher Nähe. Gleichzeitig aber ist der Hunger allgegenwärtig. Plündern und Rauben wird hoffähig und Schwarzmarkthandel gibt denen, die nur schnell, skrupellos und gewitzt genug sind, einen Vorgeschmack darauf, was für Möglichkeiten im Kapitalismus schlummern.
Hans Magnus Enzensberger, damals ein Teenager, ist einer der frühen Profiteure einer auf den Kopf gestellten Welt. Er spricht Englisch und er muss den Alten, den moralisch diskreditierten, zur Hand gehen, damit die verstehen, was Briten und Amerikaner von ihnen wollen. Enzensberger, gerade 16, spielt seine Macht aus: Er tauscht NS-Devotionalien gegen Ami-Zigaretten und erwirbt für diese immer noch mehr Dolche, Orden und Waffen. Im Keller hortet er irgendwann 40 000 Kippen, jede zehn Reichsmark wert. Ein Vermögen, das den Jungen in der kurzen Hose das Lammsein hinter sich lassen wird. Es macht ihn zu einem Wolf, einem der Wesen, die er Jahre später in seinem Dichter-Debüt "Verteidigung der Wölfe" nur halb ironisch vor den Lämmern in Schutz nimmt.
Da ist die Niemandszeit vorbei und die Deutschen haben sich rechts und links der ideologischen Blöcke eingeordnet.
Auf beiden Seiten wird es ihnen bald gelingen, zu den besten Gefolgsleuten ihrer Schutzmacht zu werden.
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Dienstag, 2. April 2019
Verwaltungsgespräch: Ein Dialog für die Tonne
Das sieht auf dieser Wiese immer aus wie Sau! Wir brauchen zusätzliche Müllkübel.
Gute Idee! Die müssen wir aber auf ein festes Fundament stellen, sonst schmeißen die uns die Dinger ständig um.
Ja, feste Fundamente sind gut. Die gießen wir richtig sicher in den Rasen, zwanzig Zentimeter tief, dürfte reichen. Okay, nein, lass und 25 machen.
25 klingt super. Und dann so einen Mast dahinter, wo wir die Kübel festketten können.
Richtig fest, genau. Und was nehmen wir für Kübel?
Habe ich schon bestellt, so große, schwarze. Die bekleben wir dann mit lustig gemalten Bildern von städtischen Künstlern, die städtische Motive malen.
Großartiger Einfall. Hast du schon bestellt? Die Kübel?
Ja, zwei Dutzend Sulo-120 Liter, klasse Dinger, ganz stabil. Fahrbar, aus speziell entwickeltem hochmolekularem Niederdruckpolyäthylen, verrottungsfest, frost-, hitze-, chemikalienbeständig.
Die sind aber aus Plastik, oder?
Ähm, ja. Schon irgendwie. Wieso?
Weil die da grillen, die grillen da, dauernd.
Naja, Grillen. Ich meine, die sind hitzebeständig.
Und wenn da einer Glut reinschmeißt? Meinste, das gilt dann noch mit dem hitzebeständig?
Könnte, naja, ich hoffe doch. Außerdem…
Was außerdem?
Außerdem werfen die da keine Glut rein, ganz sicher nicht. Das sieht doch jeder, dass die Tonnen aus Plastezeug sind. Das will doch keiner, dass es da brennt. Denkste nicht? Das verklebt doch dann die ganzen schönen Fundamente. Und die klasse Festschnallmasten gehen kaputt.
Und die künstlerischen Bilder mit Stadtmotive.
Ja, die auch.
Das wäre traurig.
Ganz traurig wäre das.
Ganz traurig.
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