Donnerstag, 26. Juli 2018

The Alarm: Ein neues Kapitel


Rory Macdonald und Mike Peters gingen mit ihren Bands Runrig und The Alarm stets eigene Wege. Im vierten Jahrzehnt drehen der Schotte und der Waliser noch einmal auf.

Es ist eine Stimme aus der Vergangenheit, die da zu vorsichtigen Gitarrenakkorden „Ohoho“ ruft. Rockpalast 1984, Markthalle Hamburg, auf der Bühne vier Männer mit hochtoupiertem Haar und akustischen Gitarren. Eine Band wie eine Mischung aus Robert Smith von The Cure und Bob Dylan, im Mittelpunkt ein blonder Schlacks, der vom „Blaze of glory“ singt und von einem Marsch für die Freiheit.

Der Mann heißt Mike Peters, die Band nennt sich The Alarm. Neben den irischen Kollegen von U2 und den Schotten von Big Country sind die vier Mittzwanziger aus dem Örtchen Rhyl in Wales die Spitze einer neuen Generation von Gitarrenbands inmitten eines Heeres aus Gruppen, die eher elektronische Musik machen. The Alarm zeichnet zudem aus, dass die Gruppe, zu der anfangs auch der spätere World Party-Gründer Karl Wallinger gehört, elektrisch verstärkte Akustik-Gitarren verwendet, um ihren hymnischen und immer wieder auf die walisischen Wurzeln verweisenden Folkrock zu spielen. Eine Gemeinsamkeit, die sie mit den schottischen Kollegen von Runrig verbindet, die ein paar Jahre früher als reine Folkband starteten, später Rockelemente einbauten und wenig später mit dem Album „The Cutter and the Clan“ zum ersten Mal in der Hitparade auftauchten.

Dreißig Jahre und zwei gänzlich gegensätzlich verlaufende Karrieren sind die geistesverwandten 80er-Veteranen zurückgekehrt, auch das aber wieder auf ganz verschiedenen Wegen. Während Runrig sich mit einem Doppel-Album namens „Best of Rarities“ von ihrem Anhang aus sogenannten Riggies verabschieden, schlägt Mike Peters mit dem zwölften Alarm-Album „Equals“ nach acht Jahren Studiopause ein neues Kapitel für die legendäre Band auf. Auf die ersten „Ohohos“ in „Two Rivers“, dem Opener des Werkes, folgen plötzlich elektronische Beats, beim nächsten Song „Beautiful“ klingen US-Punkbands an, ehe das Titelstück balladesk beginnt wie der Bandklassiker „Eye of a hurricane“.

Mit knapp 60 hat sich Peters, Mitte des vergangenen Jahrzehnts zweimal schwer an Krebs erkrankt, noch einmal neu erfunden. Kritisch wie schon seinerzeit mit „Across the boarder“ oder „Hardland“ vermählen Peters, Gitarrist James Stevenson, Bassmann Craig Adams und Drummer Derek Forbes Springsteen-Attitüde und Folkrock-Gefühl. Schmutzig, handgemacht und immer wieder mit unwiderstehlichen Melodien versehen, ist das sechste Album der Ende der 90er Jahre neuformierten Gruppe deren vorläufiges Meisterwerk. The Alarm, einst wie Runrig Vorreiter auch beim Versuch, Rockmusik mit Texten in gälischer und walisischer Sprache zu machen, klingen geerdet, zugleich aber frisch wie eine Newcomerband, die noch Spaß daran hat, Dinge auszuprobieren und ohne Vorfestlegungen draufloszuspielen.

Runrig, seit den allerersten Anfängen in den 70er Jahren die Familiencombo der Macdonald-Brüder, die zeitweise zu dritt im Lineup vertreten waren, versucht dergleichen gar nicht erst. „Best of Rarities“ ist ein Nachruf aus eigener Feder, eine Zusammenstellung von zum Teil wieder gälisch gesungenen Live-Aufnahmen aus den Jahren 1993 bis 2016, aufgehübscht mit einer Neueinspielung des schwergewichtigen Abschiedsstückes „Somewhere“, das besonders gut passt, weil sich Runrig nach 45 Jahren auf der Bühne in diesem Sommer mit einem letzten gewaltigen Open-Air-Konzert verabschieden wollen. „The Last Dance“ überschrieben, sollte dieses finale Konzert im City Park im schottischen 36 000-Einwohner-Städtchen Stirling die Bandgeschichte mit einem letzten großen Hymnensingen beenden. Die Karten für das Konzert am 18. August waren so schnell vergriffen, dass die Macdonald-Brüder ein zweites Konzert am Vortag planen, um dem Andrang einigermaßen beikommen zu können.

Mike Peters jagt derweil noch anderen Träumen nach: Wie in den großen Tagen, als seine Band versuchte, den US-Markt zu knacken, geht der 59-Jährige diesen Sommer auf US-Tournee. Der „Mann in der Tarnjacke“, wie ihn der Filmemacher Russ Kendall in einer abendfüllenden Dokumentation über den Weg zum Ruhm, den Kampf gegen die schwere Krankheit und die Rückkehr auf die Bühne nannte, will es noch einmal wissen. Mit guten Argumenten: Seit Songs von The Alarm immer öfter als Unterlegmusik in Netflix-Serien wie „„Tote Mädchen lügen nicht“ verwendet werden, entdecken neue, junge Hörer das Schaffen der Waliser.

Die ersten Testkonzerte im Mai in New York waren ausverkauft.

Donnerstag, 19. Juli 2018

Berlin 1988: Springsteen bricht die Mauer


Im Juli 1988 spielte Bruce Springsteen in Ostberlin - Das größte Konzert der DDR-Geschichte blieb das letzte. Offiziell waren 160 000 Karten verkauft, mehr als 200 000 Menschen gekommen: Zusammen mit Bruce Springsteen sangen sie am 19. Juli 1988 "Born In The USA" - ein Abgesang auf die DDR.

Nach anderthalb Stunden ging nichts mehr. "Ich musste mich ausklinken", erinnert sich Dirk Götze an den Tag vor 20 Jahren, an dem die trübe DDR zur Deutschen Demokratischen Rockrepublik wurde. Eine Woche zuvor erst hatte die Nachrichtenagentur ADN gemeldet, dass beim "5. Berliner Rocksommer der FDJ der US-Rockstar Bruce Springsteen" auftreten werde. Eine Völkerwanderung zur Radrennbahn in Berlin Weißensee setzte ein, die für den Merseburger Springsteen-Fan Dirk Götze erst irgendwo in Reihe 15 endet, direkt vor der Bühne. "Da war so viel Alarm, dass ich den Rest von der Seite aus ansehen musste."

Es ist kein Konzert wie jedes andere - auch für den US-Musiker nicht. Sechs Jahre zuvor war der Sohn eines Taxifahrers aus New Jersey zum ersten Mal in Ostberlin gewesen. Springsteen hatte sich die Mauer angeschaut - und seinem Manager Jon Landau seitdem in den Ohren gelegen, ihm ein Konzert im Ostblock zu organisieren.

Ein utopisches Vorhaben. Immerhin gilt Bruce Springsteen, obschon Kritiker amerikanischer Zustände, den Genossen als unverbesserlicher US-Patriot. 1984 aber darf plötzlich seine Platte "Born in The USA" in der DDR erscheinen. Und als die Freie Deutsche Jugend (FDJ) 1987 beginnt, die gefürchteten Rockkonzerte im Westteil Berlins mit eigenen Pop-Festivals zu bekämpfen, ist der flugs zum Arbeiterkind umdeklarierte Rocker ein naheliegender Kandidat. Springsteen macht es der FDJ leicht. Eine Million in DDR-Mark will er als Gage, für 340 000 Mark mehr willigt seine Plattenfirma sogar ein, das Konzert in Fernsehen und Radio übertragen zu lassen.

Vom frühen Morgen des denkwürdigen Dienstag an wälzt sich ein endloser Strom von Jugendlichen nach Berlin. Ausnahmsweise gibt es die Karten zum Preis von 19,95 Mark plus fünf Pfennig "Kulturabgabe" nicht nur für ausgewählte FDJler und Bestarbeiter. So sind die Züge überfüllt, aus Trabis hängen selbstgemalte US-Fahnen, aus Kassettenrecordern dröhnen Hits wie "Hungry Heart" und "Glory Days".

Springsteen, begleitet von einem 140-köpfigen Tross, sitzt da schon in einem Zelt im Backstage, nur geschützt von einem Schild an der Tür, auf dem "Please knock and wait" steht. Kurz nach sieben springt er auf die Bühne, lässt die Gitarre zu "Badlands" bellen und badet im Jubel der Massen, die die Wiese bis zum Horizont füllen. US-Fahnen werden geschwenkt, das anwesende Stasi-Kommando beschränkt sich darauf, die Fans zu bitten, sie nicht direkt in die Kameras zu halten. "Ein Eingreifen", vermerkt ein Beamter, "war nicht nötig und nicht möglich."

Nur Springsteen, von seinen Fans "The Boss" genannt, kommandiert hier. Als er bemerkt, dass sein Konzert von der FDJ unter dem Motto "Nikaragua im Herzen" angepriesen wird, grummelt es kurz. Dann werden die Plakate abgehängt. Jetzt aber ist auch dem Musiker klar geworden, dass hier kein normales Konzert läuft. Springsteen bittet seinen Fahrer Georg Kerwinski, ihm einige Sätze auf Deutsch aufzuschreiben: "Ich bin nicht hier für oder gegen eine Regierung", will er sagen, "ich bin hier, um Rock'n'Roll zu spielen - in der Hoffnung, dass eines Tages alle Mauern umgerissen werden."

Springsteen nestelt schon nach dem Zettel, als Jon Landau draußen den Text liest und das Wort "Mauern" sieht. Mauern geht gar nicht, weiß der Ex-Journalist. Während die Band das Intro zum Dylan-Song "Chimes Of Freedom" spielt, schickt er Kerwinski eilig auf die Bühne, um dem Boss stattdessen "Barrieren" ins Ohr zu brüllen.

Diplomatisch, aber nicht diplomatisch genug: DDR-Fernsehen und Radio blenden das Grußwort des amerikanischen Gastes aus. Die Botschaft aber ist längst angekommen. Barrieren, Mauern, Ost und West? Was zählt das, wenn 200 000 ostdeutsche Kehlen "Born To Run" singen und ein Mädchen aus Thüringen bei "Dancing in the Dark" auf der Bühne mit dem Boss tanzen darf.

"Das war das größte Konzert, das wir je gemacht haben", beschreibt Springsteen später. Etwas habe in der Luft gelegen an jenem magischen Juli-Abend des Jahres 1988, glaubt Springsteen, der sich immer noch "gut an einzelne Gesichter in der Menge" erinnert und daran, dass "die Leute US-Flaggen aus Kleidungsstücken zusammengeflickt" hatten. Fahnen der Sehnsucht, Symbole dafür, dass die DDR am Ende war. 16 Monate später fällt die Mauer, alle Barrieren werden umgerissen.

Dirk Götze ist bis heute Springsteen-Fan.