Freitag, 21. Dezember 2012

Große sind manchmal so doof

Sie gehören zu den letzten Kindern der DDR und zur ersten gesamtdeutschen Generation - Fünf Neunjährige erzählten von Wünschen, Träumen und Hoffnungen - das war vor 15 Jahren. Was die Jungs wohl heute machen?

An der Wand vom Kinderzimmer hängt das Prinzen-Poster neben dem von Wrestling-Kämpfer Tatanka. Ihre Sportidole heißen Klinsmann und Kahn, ihr liebster Filmheld ist Schwarzenegger. Gelacht wird zu Otto und dem Komiker Mr. Bean. "Und den Hulk dürfen wir nicht vergessen", meint Sebastian. Hulk ist ein Superheld, der grün und riesig wird, wenn man ihn reizt. Sowas gefällt nicht jedem. "Weil, Hulk ist blöd."

 Marcus und Marian; Stefan, Sebastian und Benjamin sind neun Jahre alt. Sie sind nicht mehr richtig klein, aber noch lange nicht richtig groß. Schule finden sie "nervig, aber man lernt was", Mädchen nennen sie abfällig "Weiber", weil "die immer nur knutschen wollen". In Sachen Sex macht ihnen keiner mehr was vor, seit sie das Thema in Heimatkunde hatten: "Hier ein Glied und da ein Glied", beschreibt Stefan das große Mysterium zwischen Mann und Frau, "und dann jupps." Sie können sich durchaus noch Spannenderes vorstellen.

 Die letzten Kinder der alten DDR sind zugleich auch die erste gesamtdeutsche Generation - geboren Mitte der 80er Jahre, haben sie kaum noch Erinnerungen an die alte Zeit. Vati kam damals immer spät nach Hause, erinnert sich einer. Und man konnte nicht hinfahren, wo man wollte, glaubt ein anderer. Schwer vorzustellen. In Deutschland geboren Heute, fünf Jahre nach der Stunde Null, glauben die Jungen fest daran, in "Deutschland" geboren zu sein. Im Sommer fahren sie mit ihren Eltern zum Urlaub nach Mallorca, in die Türkei oder nach Tunesien. Sie kommen zurück und verstehen nicht, "weshalb solche Asis und Neonazis was gegen Ausländer haben".

"Asi" ist quasi das Gegenteil von Held. Asis, sagt Stefan, seien "Typen mit Glatze, die saufen und keine Ahnung haben". Keine Ahnung zum Beispiel, daß Türken nett sind. Und Tschechen auch. Sie wissen das. Als wäre es nie anders gewesen, wachsen die heute Neunjährigen in den westlichen Wohlstand hinein. Fast jede Familie hat ein Auto, fast jede besitzt Computer, Videorecorder, CD-Player. Und sie können sie bedienen. Sie sind, was Marketing-Experten "Kids" nennen: selbstbewußt wie Große und zapplig wie Kleine, die Köpfe voller Werbesprüche, Markennamen und Fußballergebnisse. Sie haben feste Vorstellungen davon, wie sie später mal leben wollen. Sebastian wird Magier werden, Marian Schauspieler oder Zeichentrickzeichner. Benny orientiert sich mehr in Richtung Stuntman. Stefan und Marcus erwägen eine Karriere als Fußballer oder bei der Feuerwehr. Später werden sie sich alle einen Lamborghini kaufen. Oder einen Porsche.

 In vielen Dingen kennen sie sich heute schon besser aus als ihre Eltern. Sie wissen, welche Rückennummer Klinsmann trägt, wieviel Millionen Matthäus wert ist und daß die Einheit "PS" bei Automotoren angibt, "wie schnell der Schlitten rasen kann". Lädt man sie zum Eis ein, bestellen sie den größten Becher. Und wenn der nicht gleich kommt, fallen spitze Bemerkungen über "schlechten Service". Aber so laut, daß es die Kellnerin hört. Disney kommt ihnen nicht mehr ins Haus. "Nöö, Duck ist schnulz", sind die fünf Jungen sich einig. Als "total affig" gelten auch Schlümpfe und Mickey Mouse. Babyhaft. Kinderkram.

Was Erwachsene pädagogisch wertvoll und lobenswert gewaltfrei finden, hält die Zielgruppe für langweilig. "Richtig gute Filme müssen mit action sein", meint Benjamin, "sonst ist einfach keine Spannung dabei." Als beispielhaft gelten Serien wie "Captain Planet" oder "Batman". "Blöd ist bloß", ärgert sich Sebastian, "daß am Ende immer die Guten gewinnen." Auch Benny leidet daran: "In echt gewinnen ja auch manchmal die Bösen", weiß er aus der Tagesschau. Alle nicken. Würden einmal die Bösen siegen, das wäre was. Hoho! "Man könnte dann eine neue Folge machen und dann würden die Schufte echt vernichtet." Mit der von Erwachsenen mißtrauisch beäugten Gewalt n den Comic-Strips haben die Kids keine Probleme. Trotzdem kommen die X-Men, bisher Pflichttermin an jedem Samstag, einfach nicht mehr.

Die Absetzung der Serie wegen "jugendgefährdender Gewalt" trifft auf harte Proteste. "Da müssen die Eltern ihre Kinder eben belehren, daß es nur Trickfilm ist", schlägt Marian vor. Außerdem gebe es doch in jeder Nachrichtensendung "tausendmal mehr Krieg und Gekloppe" zu sehen. Glücklicherweise vergessen Kinder schnell. Längst sind an die Stelle der X-Men neue Superhelden getreten. Und mit neun sieht man echte Action ja sowieso viel lieber als Zeichentrick. Kids haben auch ihre Geheimnisse: "Wenn ich manchmal am Wochenende bei meinem Freund schlafe", beichtet einer, "gucken wir Horrorfilme und sowas." Er sagt "Horro". Den Gruselschocker "Es" nennt einer der anderen als "echten Klassefilm". Oder "Total Recall" mit Schwarzenegger. Bei dem ist Marian mal eingeschlafen. Nur das erzählt er jetzt lieber nicht.

 Viel bedeutet es ihnen, "cool" zu sein. Wichtig sind die Klamotten. "Du brauchst eine Sonnenbrille, orange Schlaghosen und ein Whitboy-Shirt", beschreibt Benjamin. Die Jacke drüber sollte möglichst lang sein und das Basecap muß verkehrt herum getragen werden. Erwachsene haben davon wenig Ahnung: "Ich sage, was ich haben will, und Mutti kauft dann." Doch Kind sein Mitte der neunziger Jahre ist nicht so leicht, wie die Erwachsenen glauben. Eine riesige Reklamemaschine ist rund um die Uhr damit beschäftigt, den Kindern neue Wünsche und Sehnsüchte einzuimpfen. Videospiele und Trickfilmfiguren, Fernsteuerautos und Borussia-Dortmund-Dresse. "Manchmal weiß ich gar nicht mehr, was ich eigentlich will", stöhnt Benny.

Eine Klage, in die alle einstimmen. Das Taschengeld reicht hinten und vorn nicht, verdient man sich mühsam etwas dazu, ist "die Kohle viel zu schade zum Ausgeben". Die Versuchung ist riesig. Im Supermarkt lange Finger gemacht haben alle schon mal. Tapfer bekennen sie ihre Taten: "Tätowierbilder von Ketchupflaschen gezogen" und "Mickey-Aufkleber von Jogurts eingesteckt". Einer von ihnen hat sogar mal versucht, eine X-Men-Figur mitgehen zu lassen. Sie haben ihn prompt erwischt. "Das war fürchterlich", gesteht er zerknirscht, "ich bereue heute noch." Nie mehr werde er klauen.

Doch auch in dieser Beziehung macht der Jahrgang "85 andere Erfahrungen als alle anderen zuvor. Der Stärkere bekommt, was er will - wie im Zeichentrick. Den Sebastian haben sie mal verprügelt und zehn Mark geklaut, Stefan wurde in eine Falle gelockt, weil größere Jungs sein Basecap haben wollte, und Marian ist auch schon von einer Clique Älterer überfallen worden. "Dagegen", finden sie, "sollte die Polizei mal was machen - die einsperren, die Verbrecher." Für einen mit neun Jahren, einsfünfzig hoch und Größe 37 an den Füßen, ist die Welt noch ganz einfach zu regieren. Hier die Bösen, da die Guten - ein großer Comic. Sie selbst sind natürlich die Guten. Batman und Robin oder Captain Planets Planetenteam, das auszieht, die Erde zu retten. Hätten sie etwas zu sagen,ihre Methoden wären so radikal wie die ihrer Vorbilder: Wer den Krieg in Jugoslawien angefangen hat, gehört "abgeknallt", bestimmt Mari. Wer die Umwelt verschmutzt, kräht Stefan, müsse in den Knast. Lebenslang, versteht sich. "Und auch wer Papier auf die Straße schmeißt, sollte bestraft werden", schlägt Sebastian vor. Am besten mit einem Jahr Straße kehren.

Warum die Regierung, von der sie bloß den "dicken Kohl" kennen, nicht mal was unternimmt gegen Umweltverschmutzung, ist ihnen ein Rätsel. "Ich sehe nicht, daß die sich kümmern", urteilt Sebastian, "aber vielleicht liegt das daran, daß die nur Macht wollen und nicht umweltfreundlich sind." Schließlich fahren Politiker, man sieht das ja in den Nachrichten, die größten Autos. Und Autos, das gilt als sicher, machen den Wald kaputt. "Ohne Wald", ist sich Benny sicher, "haben wir später keine Luft mehr zum Atmen." Eigentlich eine Sauerei. Aber daß trotzdem alle Erwachsenen Auto fahren, wundert keinen: "Manchmal sind die Großen eben schrecklich doof."

Die fünf Kleinen haben deshalb einen "Umweltklub" gegründet. Mit ihren Fahrräder kurven sie nachmittags durch den Park hinter ihrem Viertel, und versuchen wie das ruhelos um die Erde düsende Planetenteam, die Umwelt zu retten. Ein bißchen wenigstens. "Papier auflesen, Nägel aus Bäumen popeln und so." Mit neun hat man noch große Träume, allerdings auch schon eine kleine Ahnung vom richtigen Leben: "Fliegen", das wollen sie doch festgehalten wissen, "können wir natürlich nicht."

Dienstag, 11. Dezember 2012

Der gute Mensch von Köpenick



Es hätte alles ganz anders kommen können. Dann säße er jetzt da unten im Saal und hätte die von harter Mechanikerarbeit rauhen Fäuste mit den Ölspuren unter den breiten Nägeln in den Schoß gelegt. Solche Gedankenspiele macht Frank Schöbel manchmal. "Ich bin ja gelernter Mechaniker", erinnert er sich dann, "ich kann mir das gut vorstellen." Auch, daß er dann vielleicht arbeitslos wäre. Oder Versicherungen verkaufen müßte. Bei "Stony", seinem Lieblingslied, in dem es heißt "sie kämpfte gern/auch wenn sie nicht gewann", würde Frank Schöbel wahrscheinlich klatschen.

 Bei "Wie ein Stern" nicht. Das hat er sich mit den Jahren irgendwie überhört. An den Tag, an dem alles anfing, erinnert sich Frank Schöbel noch ganz genau. Da muß er eine Sekunde überlegen. Achte Klasse war das, Deutschstunde. "Ich saß letzte Bank Mittelreihe neben meinem besten Freund Otto, wir sangen ,Oh Sindy, Sindy, oh sind die denn ganz verrückt" und beschlossen, Schlagersänger zu werden", kichert er. Die Lehrerin sei so "eine fürchterlich Kleene" gewesen. "Die hat zwar immer geguckt, wer das ist, aber erwischt hat sie uns nie." Frank Schöbel ist ein fröhlicher Mensch. Erzählt er Schnurren, und er erzählt andauernd welche, strahlen die blauen Augen unter dem naturkrausen Pony wie zwei kleine Scheinwerfer. Der Otto, sagt er betrübt, und die Scheinwerfer gehen aus, der Otto ist dann später verschütt gegangen.

Frank Schöbel wurde berühmt. Rein statistisch betrachtet ist Superstar Michael Jackson gar nichts gegen ihn. Keiner seiner Hits war weniger als Platz 1, keines der zwanzig Schöbel-Alben ging weniger als 100 000 Mal über den Ladentisch. Das "85er Werk "Weihnachten in Familie" stellte mit 1,3 Millionen verkauften Exemplaren einen für alle Zeiten unerreicht bleibenden Rekord auf: Keine andere Schallplatte steht in so vielen ostdeutschen Haushalten. In seinen 28 Jahren als erfolgreichster Unterhaltungskünstler der DDR drehte Frank Schöbel Filme und er moderierte Radiosendungen, er hatte seine eigene Fernsehshow, bekam Preise im In- und Ausland und durfte Konzerte auch außerhalb der Landesgrenzen geben.

Heute fragen ihn leider immer noch alle zuerst danach. Wie er die Wende verkraftet hat und ob es schwer war, den Kopf oben zu behalten. Anfangs hat Schöbel sogar mitgespielt. Er hat den Zeitungen traurige Geschichten vom Tiefpunkt seiner Karriere erzählt. Wie er mal beim Lamadeckenverkauf gesungen hat. Und wie er auf einen schrecklich gutriechenden Manager aus dem Westen reinfiel. Und dann auch noch diesen Plattenheinis aus Köln und Hamburg seinen Namen buchstabieren mußte. Eszehha-Ö-B-E-L.

Es hat nicht mal viel geholfen. Die erste Wut über die "Nichtachtung", die ostdeutschen Künstlern wie ihm nach 1989 bei westlichen Plattenfirmen, bei Sendern und Magazinen entgegenschlug, hat er inzwischen runtergeschluckt. Jetzt könne er das einordnen: "Früher waren wir Exoten, heute sind wir Konkurrenten." Schöbel weiß, was man mit Konkurrenten macht. "Nur nicht hochkommen lassen." Das sei nun mal die Marktwirtschaft. "Und die haben wir ja nun jetzt." Er selber ist nicht so. "War er nie", sagt Aurora Lacasa, die Frau mit der Gänsehautstimme, mit der Frank Schöbel seit zwanzig Jahren zusammenlebt. In einem Geschäft, in dem Erfolg in erster Linie Leute mit Talent zum Einsatz der Ellenbogen haben, mutet der nette Mann mit dem faltenlosen Jungsgesicht an wie ein seltsames Unikum.

Als auch der letzte nebenberuflich tätige deutsch-demokratische Freizeitentertainer sich im "Volvo" kutschieren ließ, fuhr Schöbel weiter "Wartburg". Bis zum Ende der DDR lebte er im zehnten Stock eines Hochhauses in Köpenick und ging Samstagnachmittag in die Wuhlheide, Eisern Union anfeuern. Und immer hat er gelacht, immer war er lieb und freundlich. Nie, so scheint es, wird diesem Mann der Kragen platzen. "Alsich ihn kennenlernte, fand ich das schon ein bißchen verrückt", gesteht Aurora Lacasa, "ich fragte mich: Wie kann jemand allen Leuten immer so offen gegenübertreten?" Frank Schöbel, der vor ein paar Tagen 52 Jahre alt wurde und wieder nicht gefeiert hat, muß.

Der gute Mensch von Köpenick kann nicht anders, auch wenn er bisweilen will. Aufgewachsen ohne den Vater, der den Krieg nur überlebte, um anschließend in einem russischen Kriegsgefangenenlager zu erfrieren, ist der nach außen stets fröhliche Sonnyboy des DDR-Schlager mehr als einmal ins offene Messer gelaufen. Die Traumehe mit Chris Doerk ging kaputt, Schöbel durfte den gemeinsamen Sohn kaum sehen und auch der Versuch, Alexander mit der Kinderplatte "Komm, wir malen eine Sonne" zurückzugewinnen, scheiterte. Doch Schöbel glaubt störrisch an das Gute im Menschen. Bei den meisten hatte er Recht damit. "Und bei den anderen sag" ich mir dann selber, Junge, denk nicht schlecht. Gib ihnen einfach eine Chance." Wenn ihn einer in der Kaufhalle erkennt, kriegt er also auch sein Autogramm.

Wenn sie am Nebentisch in der Kneipe wetten, ob der Typ da drüben wirklich der echte Schöbel ist, gibt er es gern zu. Und wenn eine Zeitung anklingelt, mit der er "schlechte Erfahrungen" gemacht hat, nimmt er sich zwar jedesmal fest vor, bloß "Bitte rufen Sie die Auskunft an" zu näseln. Er macht es nie. Manchmal wünscht sich Frank Schöbel ein "Freundlichkeitsspray, damit die Leute nicht alle so mufflig sind". Aber nur manchmal. Er versucht, sagt er, dankbar zu sein. Nur dieses "vor der Wende war er da, und nach der Wende war er weg" ärgert ihn. Die Stirn umwölkt sich, die blassen Lippen werden schmal.

Nach 1989 hat Schöbel lange Zeit gar keine Musik gemacht. "Ich habe die Zeitung abbestellt, das Studio zugeschlossen und Holz gehackt." Draußen tobte die Geschichte, drinnen tobten die Selbstzweifel. "Haben wir schlechte Lieder gemacht? Hätte ich etwa auch weglaufen sollen?" Aurora, die schmale, schöne Frau, die Frank nur sein "Mädel" nennt, hat in dieser Zeit oft mit ihm geschimpft."Wie lange willst du dich denn noch beleidigen lassen." Wäre es nach Aurora gegangen, hätten die Schöbels gepackt. Aber einer wie er geht nicht. Schon zu DDR-Zeiten kam das nicht infrage, weil "ein Pfarrer seine Gemeinde schließlich auch nicht sitzenläßt." Natürlich ist dabei auch ein bißchen Koketterie. Frank Schöbel, den die Leute seiner Generation auch heute noch "Frankie-Boy" nennen, als wäre die Zeit ungefähr zur 74er Fußball-WM stehengeblieben, braucht seinen Kiez, seine Leute.

In Spanien, sagt er, kenne er doch außer Auroras Verwandten keinen Menschen. Was soll er da. "Meine Leute hier", weiß er ganz genau, "haben mich nie hängenlassen". Immer sind Briefe gekommen, in denen sie ihm geschrieben haben "Frank, laß dich nicht unterbuttern, Frank, wir halten zu dir". Hunderte Briefe. Das verpflichtet. Schöbel, der zugibt, nie politisch gewesen zu sein, hat sich im 32. Jahr seiner Laufbahn eine neue Rolle gesucht. "Ich bin ein vorgeschobener Posten", beschreibt er seine Motivation, es noch einmal zu packen, "wenn ich"s schaffe, schaffe ich"s auch für die."

 Sich selbst müßte er lange nichts mehr beweisen. Mit seiner großen Liebe Aurora und den Töchtern Odette und Dominique lebt Frank Schöbel "an der oberen Grenze des Glücklichseins". Zufrieden. Keine Wünsche. Nur ganz hinten im Kopf puckert er noch, der Traum vom Hit, der Traum von der Rückkehr ins große Rampenlicht. Schöbel kämpft gern, auch wenn er nicht gewinnt, und er arbeitet immer noch härter als andere. Zuerst die Fortsetzung von "Weihnachten in Familie", die sich in ein paar Wochen mehr als 40 000 Mal verkaufte. Danach die Weihnachts-Tour, die fast durchweg ausverkauft war. Und im Frühjahr eine richtige Platte. Die macht Frank Schöbel wieder bei einer großen Firma. "Dann muß ich nur noch einen Hit haben und bin sofort wieder da." So einfach ist das. Und so schwer

Dienstag, 27. November 2012

Nicht noch ein Kreuzfahrt-Roman


In „Tod auf der Donau" wagt der Slowake Michal Hvorecky den dreifachen Spagat zwischen Krimi, Groteske und Reiseroman


In „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich" hat David Foster Wallace schließlich alles geschrieben, was über die Kreuzfahrer von heute zu sagen war. Allerdings eben nicht so, wie es der Slowake Michal Hvorecky in seinem dritten Roman „Tod auf der Donau" tut. Der schwarze Humor ist hier in Galle getränkt, denn der Albtraum wird nicht wie bei Foster von einem Beobachter, sondern von einem Mittäter erzählt. Der heißt Martin Roy, ist diplomierter Übersetzer aus Bratislava, aber mittellos genug, sich als Tour-Direktor bei einer Kreuzfahrtgesellschaft zu verdingen. Deren Kunden rekrutieren sichunter alten, mehr oder weniger gebrechlichen Amerikanern, denen Roy in seiner dritten Saison etwa noch so viel Respekt entgegenbringt wie ein Hund seinem Haufen.


Alle sind sie dick. Alle sind sie dumm. Immer fragen sie, wer dieser Mozart gewesen ist. Und immer loben sie, dass Regensburg fast so schön sei wie Frankfort/Kentucky. Roy ist ein Diener, der in seiner Rolle aufgeht. Zumindest, bis seine Jugendfreundin Mona unerwartet an Bord auftaucht. Das Buch, für das Hvorecky mit dem „Grenzgänger"-Stipendium auf Donau-Schiffen recherchieren konnte, kippt nun von der Urlaubssatire Marke „Hummeldumm" zur Persiflage auf den Klassiker „Tod auf dem Nil". Geldkoffer tauchen auf, Leichen liegen herum, die Situation droht außer Kontrolle zu geraten.

Sie täte es, wären da nicht die langen, ruhigen Passagen, in denen der 1976 in Bratislava geborene Autor in die Geschichte des Flusses führt, auf dem der „America" getaufte Luxusliner mit seinen 120 Passagieren dahin schippert. Michal Hvorecky liebt den Wasserlauf, in dem sich seine österreichische Kollegin Brigitte Schwaiger vor zwei Jahren das Leben nahm. Wo er sonst zynisch ist, schwelgt er plötzlich, wo er anklagt und auch gleich aburteilt, erwägt er nun und sinniert. So ist es ein gleich dreifacher Spagat, der hier vorgeführt wird. Einerseits ist da der Reiseroman, angereichert mit Momenten einer Beziehungsgeschichte. Andererseits schreibt Hrovecky einen Krimi. Drittens schließlich wird aus dem Reigen der vorüberziehenden Porträts von Passagieren, Kapitänen und Flussanwohnern eine „Doku-Postkarte im Breitwandformat" als die Foster Wallaces Buch einst gelobt wurde.

Die „America" treibt durch Österreich, durch Ungarn, an Bulgarien und Rumänien vorbei. Langsam wird klar, dass alle an Bord Gefangene des Flusses sind – die Touristen, die viel Geld dafür bezahlen, aus ihren Kabinen auf die Ufer starrenzudürfen. Aber auch die Angestellten, die der Zusammenbruch der Wirtschaft in ihren Heimatländern treibt, im Zwischendeck Wäsche zu bügeln, vor Kunstbanausen Strauss zu spielen und hanebüchene Fragen nachdem Barock so zu beantworten: „Das war eine politische Diktatur, das wollen Sie in Amerika nicht haben."

Da nickt der Kreuzfahrer. „Genau, was wir jetzt brauchen ist eine gute Wirtschaftslage!" Der Schiffsdirektor aber lächelt nicht einmal mehr innerlich. Zusehends verlieren Besatzung und Passagiere den Kontakt zur Wirklichkeit. Natürlich, es ist viel luxuriöser hier als auf B. Travens „Totenschiff". Cocktails werden gereicht, pünktlich fahren Busse vor, um die längst völlig desorientierten Amerikaner in Kirchen und zu Märkten fahren. Doch der der Untergang ist nahe. Der Kapitän betrinkt sich, das Wasser wechselt die Farbe von Grau zu Braun und dann zu Schwarz. Am Ufer grasen klapperdürre Ponys. In der Nacht bricht ein Brand aus, am Morgen ist keine Spur mehr da von der „America". Roy flüchtet ins Kloster, bis seine Mona sich meldet. Viel, viel später gibt es ein Happy End. Aber kein glückliches.

Dienstag, 20. November 2012

Drumherum ein Vakuum

Mit fiel gerade ein, dass die Frankfurter Rundschau im Sommer zumindest einige Auszüge aus meinem Nachruf an die Glühbirne
veröffentlicht hatte. Für Freunde warmer Elektro-Lampen wird es zappenduster. Der Einzelhandel darf die Glühbirne ab Freitag nicht mehr ordern. Das Licht, das hundert Jahre Industrialisierung und Globalisierung beleuchtet hat, verlischt. Das Ende kommt schleichend, ein lange angekündigter Tod, dem vier Jahre schweres Siechtum vorausgingen. Noch zwei Tage, dann ist es vorüber, dann endet zumindest in Europa eine Ära: Die Glühbirne, 1911 von der US-Firma General Electric erstmals in der noch heute verwendeten Form mit Glühdrähten aus Wolfram produziert, verlischt auf dem ganzen Kontinent. Das Licht, das hundert Jahre Industrialisierung und Globalisierung beleuchtet hat, verlischt. Zumindest für Freunde warmer Elektro-Lampen wird es zappenduster. Denn der Nachfolger der guten alten Glühbirne, deren Grab treu sorgende EU-Experten im Jahr 2005 mit der Ökodesign-Richtlinie zu schaufeln begonnen hatten, wird ein Hochleistungssportler der Energieeffizienz sein. Die umgangssprachlich Energiesparlampe genannte Kompaktleuchtstofflampe schafft es dank einer kleinen Gasentladungsröhre, in der sich Quecksilber und Argon befinden, und eines raffinierten elektronischen Vorschaltgeräts samt Resonanzwandler die Netzwechselspannung gleichzurichten, sie anschließend in eine Wechselspannung höherer Frequenz umzuwandeln und mit dieser über eine Ferritkern-Drossel mit zwei Schalttransistoren zum Lampenstromkreis zu leiten, wo sie nach kurzer Anlaufzeit ein diskontinuierliches Spektrum an überaus sauber wirkendem Licht erzeugt. Drumherum ein Vakuum Entschuldigung, die Lampe der Zukunft ist nicht so leicht zu verstehen wie ihr Großvater, den seinerzeit kurz nacheinander ein Schotte, ein Franzose, zwei Amerikaner, ein Russe und ein Deutscher erfunden hatten. Da war noch alles einfach: Zwei Pole, ein Draht, der beim Briten Joseph Wilson Swan anfangs auch ein Stück verkohltes Papier sein durfte. Drumherum ein Vakuum – und schon glühte sie, die Birne, die elektrisches Licht erschuf, indem sie ständig am Rande des Kurzschlusses vor sich hin brannte. Lichtquellen« zurück 1 | 3 weiter » Als Alternativen zur alten Glühbirne auf dem Markt sind Energiesparlampen, Halogenlampen und Licht emittierende Dioden, kurz LED. Ihnen gemeinsam ist, dass sie im Vergleich zur Glühbirne teurer sind, dafür aber größere Anteile der eingesetzten Energie in Licht umwandeln und länger halten. Die Sparlampe ist nicht sonderlich bliebt. Sie enthält hochgiftiges Quecksilber – wenn auch in geringen Mengen. Bisher sind 3,5 Milligramm pro Lampe zugelassen, von 2013 an sinkt der Grenzwert auf 2,5 Milligramm. Das entspricht einer Menge, wie sie in drei Kilo Thunfisch enthalten ist. Die Zukunft gehört den LED. Noch liegen Preise mit zehn bis 85 Euro für Glühbirnen-vergleichbare Lichtstärken zwar sehr hoch, sie sind in den vergangenen Jahren aber bereits erheblich gefallen und werden es weiter tun. Zudem sind sie mit einem Wirkungsgrad von 25 Prozent sehr effizient. Die Glühbirne war immer dabei. Sie erleuchtete die „Titanic“ in der Nacht ihres Untergangs. Sie setzte Josephine Baker ins Licht, als die in den 20er-Jahren in Paris den Charleston tanzte. Sie ließ Filipo Tommaso Marinetti, den Verfasser des Futuristischen Manifests, gestehen: „Ich bete jeden Abend zu meiner Glühbirne, denn in ihr haust eine ungeheure Geschwindigkeit.“ Sie strahlte 1951 in Idaho, als der erste Atomstrom aus dem ersten Kernreaktor der Welt kam. Sie leuchtete in Stalins Büro und in Hitlers Bunker, erhellte die Apollo 8 auf dem Weg zum Mond und Jacques Cousteaus Tauchboot SP-300 auf dem Weg zum Meeresgrund. Ein Fanal aus Glas und Blech, das über den Fließbändern hing, an denen Henry Ford Autos bauen ließ, und an der Decke baumelte, als Günther Krause und Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag unterschrieben. Abschied von der Glühbirne Bildergalerie ( 13 Bilder )Durchklicken Abschied von der Glühbirne[ Schließen ] Bald wird sie verschwinden, erst aus dem Regal, dann aus unserem Zuhause. Die Tage der Glühbirne sind gezählt. Grund genug, sie sich noch einmal genau anzuschauen. Von den Anfängen unter anderem in Thomas Edisons Labor in Menlo Park, bis zum Massenprodukt der Globalisierung. Foto: dpaBald wird sie verschwinden, erst aus dem Regal, dann aus unserem Zuhause. Die Tage der Glühbirne sind gezählt. Grund genug, sie sich noch einmal genau anzuschauen. Von den Anfängen unter anderem in Thomas Edisons Labor in Menlo Park, bis zum Massenprodukt der Globalisierung. Foto: dapdBald wird sie verschwinden, erst aus dem Regal, dann aus unserem Zuhause. Die Tage der Glühbirne sind gezählt. Grund genug, sie sich noch einmal genau anzuschauen. Von den Anfängen unter anderem in Thomas Edisons Labor in Menlo Park, bis zum Massenprodukt der Globalisierung. Foto: Monika MüllerBald wird sie verschwinden, erst aus dem Regal, dann aus unserem Zuhause. Die Tage der Glühbirne sind gezählt. Grund genug, sie sich noch einmal genau anzuschauen. Von den Anfängen unter anderem in Thomas Edisons Labor in Menlo Park, bis zum Massenprodukt der Globalisierung. Foto: imago/Hans-Günther OedBald wird sie verschwinden, erst aus dem Regal, dann aus unserem Zuhause. Die Tage der Glühbirne sind gezählt. Grund genug, sie sich noch einmal genau anzuschauen. Von den Anfängen unter anderem in Thomas Edisons Labor in Menlo Park, bis zum Massenprodukt der Globalisierung. Foto: imago stock&peopleBald wird sie verschwinden, erst aus dem Regal, dann aus unserem Zuhause. Die Tage der Glühbirne sind gezählt. Grund genug, sie sich noch einmal genau anzuschauen. Von den Anfängen unter anderem in Thomas Edisons Labor in Menlo Park, bis zum Massenprodukt der Globalisierung. Foto: imago stock&peopleBald wird sie verschwinden, erst aus dem Regal, dann aus unserem Zuhause. 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Foto: dpa Ein Stück Weltkulturerbe, dem es nun an den Kragen geht. Das Zeugnis des menschlichen Sieges über Nacht und Dunkelheit, wird vorgeworfen, sie sei ein Energieverschwender. 95 Prozent des Stroms, den sie verbraucht, werden zu Wärme. Nur fünf Prozent werden zu Licht. Aufwändige Herstellung Die Energiesparlampe zaubert dieselbe Helligkeit mit bis zu 80 Prozent weniger Energieeinsatz. Obwohl die Herstellung einer Kompaktleuchtstofflampe etwa zehnmal mehr Energie benötigt als die Herstellung einer herkömmlichen Glühlampe, gilt der gar nicht so junge Neuling deshalb als umweltschonend. Alles zusammengerechnet, so befand die EU-Kommission vor vier Jahren, spare die Energiesparlampe im Vergleich zur Glühbirne über ihre Lebensdauer mehr als zwei Drittel Energie. 40 Terrawatt-Stunden – der Verbrauch von elf Millionen Haushalten – soll der Tod der Glühbirne beisteuern. Der Nutzen, heißt es in der Verordnung, überwiege „etwaige zusätzliche Umweltauswirkungen“. So also lautet der Beschluss, dass die Birne gehen muss: 2006 verschwanden die mit mattem Glas aus den Regalen, dann die mit 100 Watt, gefolgt von denen mit 75 Watt und denen mit 60 Watt. Übermorgen endet die Glühbirnen-Geschichte endgültig. Alles, was mit Drähten Licht macht, darf nicht mehr angeboten werden. Der Handel darf nur noch Restbestände verkaufen, keine Glühbirnen mehr ordern. Und das ist ernst gemeint. Der Zoll ist schon seit 2009 gehalten, illegal eingeschmuggelte Glühware zu beschlagnahmen. Der Kölner Künstler Siegfried Rotthäuser, der Glühlampen als „Heatballs“ zu Heizzwecken vertreiben wollte, unterlag sogar vor Gericht. Aus die Maus. Oder doch nicht? Von Anfang an hatte die EU-Kommission versprochen, im Jahre 2014 zu prüfen, welche Wirkung das Verbot gehabt hat. Sie könnte übersichtlich ausfallen. Experten haben errechnet, dass die Deutschen Glühbirnen gehamstert haben, die für zehn Jahre reichen. Werden alle Vorräte eingeschraubt, kann es eine Wirkung im Sinne der Brüsseler Kommissare bis 2014 eigentlich nicht geben. Keine Wirkung, kein Verbot – so rechnen Glühbirnenfans, die immer noch davon träumen, wieder Licht ins Dunkel bringen zu dürfen.

Mittwoch, 14. November 2012

Police live in Leipzig: Hitparade auf dem Polizeirevier


Ich erinnere mich deutlich daran, dass Sting seinerzeit total was dagegen hatte, dass wir Bilder von seinem Auftritt in Leipzig im Internet zeigen. Wir hätten nicht gefragt, meinte sein Management. Auf Sting.com, sagte mir gerade ein Leser, steht meine komplette Besprechung des damaligen Konzerts.

Gefragt haben die natürlich nicht.

Das durchsichtige Negligè muss bei den Dreharbeiten zu ''Dune'' Mitte der 80er liegengeblieben sein. Damals war Gordon Sumner, den alle nur Sting nennen, schon unterwegs zu neuen Ufern, fort von der Drei-Mann-Insel The Police, mit der er in nur fünf Jahren eine Handvoll Hits und ein Kapitel Rockgeschichte geschrieben hatte. Das Hemdchen aber passt ein Vierteljahrhundert später noch wie angegossen. Sting, 57 Jahre alt, trägt zum Comeback der gemeinsamen Combo mit Gitarrist Andy Summers und Drummer Steward Copeland imposante Stahlmuskeln und einen malerischen Dreitagebart.

Grußlos stürzt sich das Trio vor nahezu ausverkauftem Haus in 'Message in the Bottle', vor knapp drei Jahrzehnten ein Welthit, zur Revivalshow geliftet mit neuen Schlagzeugrhythmen. Die Messehalle 1, ein Haus mit dem Charme eines Großtanklagers, tobt. Fingerkuppenklein sind die drei Männer auf der schwarz ausgeschlagenen Bühne, Stings noch immer fast makelloses Falsett aber greift mühelos bis ganz nach hinten, wo die älteren Fans der Wiederkehr der New-Wave-Helden auf Sitztribünen beiwohnen. Wer lange nichts macht, kann eben nicht viel falsch machen.

The Police veröffentlichten zwischen 1979 und 1983 fünf bahnbrechende Alben, die sie für kurze Zeit zur wichtigsten Rockband überhaupt werden ließen. Dann waren die musikalischen Mittel erschöpft, die Akteure voneinander gelangweilt. Sting wandte sich komplizierteren musikalischen Strukturen und tiefgründiger gemeinten Botschaften zu. Neue Musik aus dem Polizeirevier gab es seither nicht mehr. Das erspart den Dreien die Pflichtausflüge zu lästigem neuen Material und beschert dem Publikum einen Abend voller Hits. Das Programm gleicht geradezu verblüffend dem der letzten Tour vor dem Abschied der Polizisten. Von 'Walking On The Moon' geht es zu 'Can't Stand Losing You', von 'Every Little Thing' zu 'Don't Stand So Close To Me'. Evergreens, die jeder kennt.

Die Unterschiede liegen in den Details. Bestand Police-Musik ursprünglich aus einer quasi patentierten Kombination von geraden Reggae-Rhythmen, einer säurescharfen Gitarre und Stings Sirenengesang, gefällt es den drei Briten heute, unterzumischen, was einst verpönt gewesen wäre. Hier ein Gitarrensolo, dort eine Glockenspieleinlage. Die Zehntausend im Saal stört das nicht weiter, so lange der Refrain erkennbar bleibt. Und das ist versprochen. Schwieriger Stoff wie 'Invisible Sun' wird mit bedeutungsschwangeren Kinderbildern auf der Leinwand schnittiger geschliffen, obskure Einlagen wie das quengelnde 'Voices Inside My Head' werden nur angedeutet.

Sting ist der Mittelpunkt der Show. Was er singt, jodelt die Masse nach. Wenn Andy Summers, mit 66 der Senior der Band, Reggae-Riffs aus der schon etwas steifen Hüfte schießt, jubelt das Volk. Mit einer ausufernden Sieben-Minuten-Version der Rotlicht-Moritat 'Roxanne' kommen The Police zum Zugabenteil zurück, es folgen 'King Of Pain' und 'Every Breath You Take'. Dann geht das Licht an und der Saal singt ''ihh-ohh, ihhh-ohh, ijohooo'', bis Sting sich den Bass doch noch einmal umhängt. ''Ich bin stolz, dass wir nochmal zusammengekommen sind'', sagt Sting, ''aber ich bin auch stolz, dass wir es jetzt beenden.'' Gestern Abend spielte die Band im Londoner Hyde-Park ihr letztes Konzert daheim, noch drei Konzerte in Spanien und das war es. Für immer. ''Eine ära endet'', hatte Sting vorher angekündigt. Aber von der Bühne ruft er dann doch ''auf Wiedersehen, Leipzig!''.

Mittwoch, 29. August 2012

Untertassen über Oberhof

Die Herren vom CIA-Außenposten in Athen schauten genau hin an diesem 9. Juli 1952, als die griechische Zeitung "Kathimerini" die Landung von Ufos in der DDR öffentlich machte. Unter der Report-Nummer 00-W-23682 kabelte der Geheimdienst sofort nach Washington: Der aus der sowjetischen Besatzungszone geflüchtete Ex-Bürgermeister des kleinen Örtchens Gleimershausen 50 Kilometer vor Oberhof sei gemeinsam mit seiner Tochter Augenzeuge gewesen, wie ein Flugobjekt unbekannter Herkunft in einem Wald landete.
 Es ist der erste Augenzeuge, der von Vorgängen hinter dem Eisernen Vorhang berichtet, die an die Beobachtungen erinnern, die Amerika seit Jahren im Bann halten. Ausgelöst hatte das Ufo-Fieber der Hobbypilot Kenneth Arnold fünf Jahre zuvor mit einem aufsehenerregenden Bericht von einer angeblichen Begegnung mit untertassenförmigen Flugobjekten in der Nähe des Mount Rainier bei Seattle. Der samt seiner zwölfköpfigen Familie aus Ostdeutschland geflohene Oskar Linke ist der Kenneth Arnold der DDR. Er weiß erstaunliche Einzelheiten zu berichten, wie das jetzt von der CIA veröffentlichte Protokoll aus dem Jahre 1952 belegt.

Während die Medien in der DDR die "fliegenden Untertassen" zum Problem der imperialistischen Länder erklären, notiert die CIA genau, was der 48-Jährige erzählt. Nach einer Reifenpanne mitten im Wald habe seine Tochter Gabriella erst eine Bewegung bemerkt. Beim Näherkommen erkannte er selbst dann zwei Männer in glänzenden Metallanzügen. "Ich war nur zehn Meter entfernt", versichert Linke, "und ich sah dann ein großes Objekt mit einem Durchmesser von etwa 15 Metern, das geformt war wie eine Bratpfanne."

Das Fluggerät habe Reihen von Löchern von 30 Zentimetern Größe besessen, auf der Oberseite habe sich "ein schwarzer und ungefähr drei Meter hoher Turm" befunden. Ein Ufo wie aus dem Bilderbuch, und nach Recherchen der US-Geheimdienste das erste, das die Arbeiter- und Bauernrepublik beehrte. Zwar war der Geheimdienst der US Air Force schon 1948 durch einen norwegischen Besucher der Leipziger Messe über Ufo-Flüge in der Nähe von Leipzig informiert worden. Doch die Ufos konnten schnell als Modelle des von Arthur Sack für Hitler entworfenen Nurflügler-Modells AS-6 identifiziert werden, die Anfang der 40er Jahre auf dem Flugplatz Brandis-Waldpolenz getestet worden waren. Linkes Bericht dagegen wird auch von der elfjährigen Tochter Gabrielle bestätigt. 1,20 Meter groß seien die silbernen Männer gewesen, sie hätten glasartige Helme und bläulich blinkende Lichter getragen.

 "Als sich einer plötzlich in unsere Richtung drehte, entfuhr meiner Tochter ein unterdrückter Seufzer", erinnert sich Oskar Linke. Die Fremden seien daraufhin schnell zu ihrem Fahrzeug gelaufen. "Der viereckige Turm verschwand langsam in dem Aufbau", schildert der Zeuge. Das Fluggerät habe sich anschließend vom Boden erhoben und wie ein Kreisel zu rotieren begonnen. "Es stieg 30 Meter hoch und schoss davon." Oskar Linke, nicht nur ein Mensch mit Fantasie, sondern auch ein mutiger Mann, untersucht den Vorfall näher. "Ich ging zu der Stelle und fand eine Bodenvertiefung, die ganz frisch war."

Mehr ist nicht geblieben. Linke und seine Tochter scheinen die Außerirdischen schwer erschreckt zu haben: Weder ergeben Nachforschungen der CIA Hinweise auf weitere Landungen in der DDR, noch finden sich weitere Augenzeugen. Die Welt ist irgendwie zweigeteilt in diesen Tagen. Während aus Schweden, Belgien, Westdeutschland und Brasilien beinahe täglich Berichte über neue Ufo-Sichtungen eingehen, überfliegen die Außerirdischen den Osten nicht einmal. Die CIA ist alarmiert. In einem Memo, das im CIA-Archiv nachgelesen werden kann, wird die USA-Regierung auf die doppelte Gefahr aus dem All hingewiesen.

Einerseits könnten Berichte über Ufos, nehme man sie ernst, die Bevölkerung verunsichern. Andererseits müsse man alle Berichte ernst nehmen, denn wenn Ufos real seien, drohten möglicherweise wirklich Angriffe aus dem Weltall. Eine Zwickmühle, aus der die DDR durch sture Nichtbeachtung entkommt. Erst neun Jahre nach Oskar Linkes Erlebnis kümmert sich die Staatssicherheit das erste Mal um einen Fall von Alien-Entführung. Der damals 18-jährige Norbert Haase wird nach eigenen Angaben zuerst beim Schlittschuhlaufen auf einem See bei Stendal von einem "großen, grellen Licht" erschreckt. Dass die Lichtquelle fünf Meter über den Bäumen schwebt, sieht er gerade noch. Dann wird er besinnungslos.

Als Haase erwacht, liegt er etwa 150 Meter entfernt, er hat starke Kopfschmerzen und seine Armbanduhr zeigt immer noch 18.40 Uhr, obwohl es Mitternacht geworden ist. Die Stasi vernimmt das außerirdische Entführungsopfer mehrmals, kommt aber zu keinem Ergebnis. Öffentlich berichtet wird nicht, dennoch steigt die Zahl der Sichtungen über dem Territorium der DDR nun ständig weiter an. 1976 sind drei Ufos zu Gast, 1983 schon vier. Mit der Mauer fällt auch das letzte Hindernis: 1990, im letzten Jahr der DDR, werden 25 Ufos über Ostdeutschland gesichtet. Habe ich geschrieben. Frei-Denker hats geklaut

Das beste Jahr


12 Uhr. Es ist ein gutes Jahr bis dahin, dieses 1979. Im Oktober steht der HFC Chemie auf Tabellenplatz 3. Es wächst Großes im Kurt-Wabbel-Stadion, in das die Leute strömen wie schon lange nicht mehr. 12.30 Uhr Die Fans aus Halle-Neustadt kommen zu Fuß. Es geht vorbei an dem Punkthochhaus, in dem HFC-Spieler Jürgen Schliebe wohnt. Wie stets steht Hausmeister Werner Lohs auf dem Balkon und ätzt sein "na, geht ihr wieder verlieren" herunter.. Unterwegs wird der Zug länger, Flaschen und Spekulationen machen die Runde. Es geht heute gegen Erzfeind Magdeburg. Wieviel Polizei wird da sein? Im Stadion läuft der Vergleich der Nachwuchs-Teams. Auf dem Schwarzmarkt vor dem Stadion wird mit Programmen und Westzeitungen gehandelt.

 13 Uhr. Willkommen auf dem Ersatzschlachtfeld! Stadien wie das Wabbel sind in den 70ern exterritoriales Gebiet. Hier darf gerufen werden, was sonst nicht einmal gedacht werden soll. "Bullen raus", schallt es eine aus der Fankurve, die die Gegengerade ist. Im Block regieren Typen wie Hörle, ein Schläger, eigentlich aber nett. Zwar nehmen sich ältere wie er gern ungefragt eine Zigarette von Jüngeren. Aber im Ernstfall sind sie auch die, die das Schlachtfeld erst verlassen, wenn der letzte rot-weiße Schal zurückerobert ist.

 13.30 Uhr Heute ist Magdeburg ist schwach vertreten unter den 25.000 im Stadion. Schiedsrichter Prokop, dem der Ruf eines Betrügers vorauseilt, pfeift an. "Wir wollen den Heimvorteil nutzen", hat HFC-Trainer Kohl vorher angekündigt. Zwar dominiert der FCM die erste Viertelstunde. Doch nach zwei ausgelassenen Torchancen schlägt der HFC zurück.

 13.45 Uhr. Holger Krostitz bereitet das erste Tor vor, Werner Peter erzielt es. Nun dreht der Gastgeber richtig auf,. Die Fangerade singt den "Chemiewalzer", bei dem die Schals über den Köpfen tanzen. Magdeburg ist müde, Halle steigert sich in einen Rausch.

 14.15 Uhr Der macht die 2. Halbzeit zur vielleicht besten, die jemals eine HFC-Elf gespielt hat. Nach zehn Minuten fällt Pastor im Strafraum. Foul.. Krostitz trifft zum 2:0. Zehn Minuten später macht der „Blitz aus Hohenmölsen“ auch das 3:0. Und nochmal zehn Minuten danach schießt er das 4:0. Magdeburg ist k.o., tot und begraben. Gipfel der Demütigung: Der kleine Peter trifft zum 5:0. Mit dem Kopf.

 14.50 Uhr Achim Streich macht das 5:1, aber das macht nichts, Halle feiert. Die meisten Magdeburger schon abgefahren. Die Schlägereien auf dem Weg zum Bahnhof, den der HFC-Anhang nach jedem Heimspiel absolviert, fallen aus. Alle wissen, sie haben Geschichte. Selbst Hausmeister Lohs, der immer noch auf dem Balkon wartet, hetzt nur leise, "na, doch mal gewonnen".

Abpfiff. In den Wochen danach schlägt der HFC den Hauptstadtklub BFC mit 3:1 und den Angstgegner Jena mit 1.0. Das Ende beginnt dann mit einer Niederlage gegen Dresden. Nun stürzt Chemie noch auf Platz 7. Die Zahl von 237.000 Zuschauern, die in der Saison nach dem 5:1 gegen den FCM ins Kurt-Wabbel-Stadion kamen, hat der Club in den 30 Jahren seitdem nie wieder erreicht.  

Montag, 14. Mai 2012

Lieber ein Verlierer sein

Fußball-Fusion in Halle: Der Kopf sagt ja, die Herzen bluten: Die Fans des HFC mögen nicht über ihren Schatten springen

Vor ein paar Wochen erst haben sie mal wieder den Kürzeren gezogen. Wie eigentlich immer in den letzten Jahren. Bei einem einigermaßen unwichtigen Hallenturnier war das, und es sah ausnahmsweise gar nicht so schlecht aus für die Mannschaft des Halleschen FC. Gegen den Stadtrivalen VfL 96 endlich mal nicht verloren, dazu ein Sieg und eine unglückliche Niederlage. Anschließend hätte es gereicht, wenn die Konkurrenz vom VfL ihr letztes Spiel nur ja recht hoch gewinnt. Beide halleschen Klubs wären ins Halbfinale eingezogen.

 Doch die Seele der HFC-Fans rechnet nicht wie ein Liga-Statistiker. Jede andere Mannschaft hätten die 500, 600 Rot-Weißen auf den Rängen vorwärtsgepeitscht, um die eigene Truppe im Turnier zu halten. Jede andere. Aber nicht den VfL, den der Anhang des Halleschen FC in Anspielung auf dessen "Stadion am Zoo" nur abfällig die "Affen" nennt. Die? Nie! Stattdessen haben sie ein neues Lied gesungen, alle Mann. "Lieber ein Verlierer sein, als ein dummes Affenschwein", ging das. Der VfL gewann nicht. Der HFC schied aus. Und der rot-weiße Block feierte seine Spieler danach wie die neuen Weltmeister.

Michael Schädlich mag das vergessen haben. Doch am Donnerstag in der knackvollen HFC-Kneipe "Bischoff" muss es dem HFC-Vizepräsidenten wieder eingefallen sein. Vier Tage nach der Mitteilung der Präsidien, dass beide Vereine eine Fusion anstreben (die MZ berichtete), war Schädlich gekommen, für den Plan "zu werben, zu kämpfen und Verständnis zu wecken". Eine Mission Impossible.

Zuviel ist geschehen in den langen, dürren Jahren seit dem Abstieg des HFC aus der 2. Bundesliga, dem der Absturz in die fünfte Liga folgte. Und Muckel und Korni, Hans, Micha, Rainer und die anderen haben keine Sekunde vergessen. Nicht die Tage, als alle Spieler fortliefen; Präsidenten vor dem himmelhohen Schuldenberg türmten und Bürgermeister im Angesicht der Katastrophe unparteiisch die Achseln zuckten. Nicht die Saison, als die HFC-Notelf aus 18-jährigen Nachwuchsspielern ganze drei Punkte holte. Und nicht die Tatsache, dass der Überlebenskampf begleitet war von den Ankündigungen des bis dato unterklassigen VfL 96, den größeren Stadtkonkurrenten in die Bedeutungslosigkeit befördern zu wollen. "Wir sind die neue Nummer eins", tönte VfL-Präsident Wilfried Klose triumphierend.

Jedes Wort traf Anhänger wie Jens Schumann, Jürgen Böhm oder Marco Hein mitten ins Herz. Die Wunden bluten noch. Im schwarzen Rolli steht Schädlich vor ihnen, von Zigarettenqualm umgeben wie von Pulverdampf, und führt Vernunftgründe an. "Keine Basis" gebe es für eine weitere sportliche Entwicklung. Das habe man in den letzten Monaten sowohl beim VfL als auch beim HFC feststellen müssen. "Für uns sind keine neuen Finanzquellen mehr erschließbar, und auch der VfL sieht für sich allein keine Perspektiven."

 Hier fehle das Geld, dort das Umfeld. Gehe man jedoch zusammen, "verschwindet der VfL von der Landkarte und Herr Klose bringt die Sponsoren mit zu uns." Eine einfache Lösung. Schädlich, seit 1976 in Halle und Vater eines Sohnes, der in der HFC-A-Jugend spielt, schiebt die Hand in die Tasche. "Wir reden nicht über eine Verschmelzung", sagt er, "hier geht es um einen Anschluss des VfL an den HFC." Wenn sie das doch nur glauben könnten, die Jungs mit den Schals, auf denen "HFC forever" und "Affen in den Zoo" steht.

Aber da ist der Preis, den die beiden Präsidien ausgehandelt haben als Prämie für den Übertritt des VfL. Und der lässt sie Verrat wittern und Unterwanderung durch den Feind, der allein Identität stiftete, als rundum alles in Scherben fiel. Ausgerechnet "Hallescher Fußballklub von 1896" soll der neue Verein heißen. "Dass das der Gründungsname der Affen ist, wissen Sie so gut wie wir", empört sich Rainer Hempel. Sind sie dafür all die Jahre nach Völpke und Borna gefahren? Haben sie dafür gelitten und sich demütigen lassen in Braunsbedra und Wolfen? "Ausgerechnet jetzt, wo wir auf dem Weg nach oben sind und der VfL auseinander bricht, sollen wir mit denen zusammengehen?"

Nein, Jens Schumann begreift es nicht: "Noch ein halbes Jahr, dann sind die sowieso tot." Über kurz oder lang werde jeder Sponsor überlegen, ob er sein Geld nicht lieber zum HFC tragen wolle. Schädlich würde sich wohl wünschen, dass es so wäre. "Auch mein Gefühl sagt nein", ruft er, "ich will diese Scheiß-96 nicht im Namen haben." Nur Klose und seine Drähte brauche man, und die seien nun mal nicht zu haben ohne die beiden Ziffern. "Doch diese Zahl ist das Einzige, was wir aufgeben."

Alle übrigen Punkte auf der Verhandlungsliste sprächen eine deutliche Sprache: "Da wird es eine klare HFC-Dominanz geben", verspricht auch Schädlichs Präsidiumskollege Bodo Sommer. Nur will ihm das kaum einer hier abnehmen. "Was wird mit Leuten, die über Jahre die Knochen hingehalten haben?", will Muckel wissen. Wird aus der unglücklichen Geliebten, die schon in der DDR-Oberliga mehr stolperte als siegte und nach der Wende tiefer stürzte als jeder andere Ost-Klub, ein Retortenverein, in dem nur noch gesichtslose Legionäre spielen wie heute schon bei Kloses VfL?

 Es schüttelt sie bei dem Gedanken, die lauten Kerle, über deren Bierbäuchen die HFC-Dresse spannen. Fan sein hier unten in Liga vier funktioniert anders als bei der Fußball-Operette im Bundesliga-Theater. Da ist Kumpelei zwischen Kurve und Kabine. HFC-Torwart Maik Völkner ist ein Typ zum Anfassen. Abwehrmann Marcel Geidel, den sie liebevoll "Marcello" nennen, kühlt seinen Hitzkopf in denselben Kneipen wie die Fans. Und wenn Nico Steffen auf Rechtsaußen nicht richtig läuft, fordert Trainer Reinhard Häfner schon mal die Hilfe der Fans an. Die rufen dann "Geh, Nico!" Bis er geht.

Fast könnte man glauben, Oberliga sei kein Geschäft. Ist sie aber doch, weiß Bodo Sommer, der die HFC-Finanzen managt. "So wie jetzt können wir auch weitermachen, aber auf niedrigerem Niveau", stellt er klar. Man müsse begreifen, dass auch der HFC dem Leistungsprinzip unterliege, sekundiert Nachwuchskoordinator Harald Kühr: "Wir leben nun mal im kapitalistischen System." So ist das. "Und ohne Fusion krepeln wir doch ewig weiter rum", fürchtet Heinz Marquardt, der vor 50 Jahren sein erstes HFC-Spiel gesehen hat. "Dann fahren wir eben wieder auf die Dörfer", schreit es von hinten, "immer noch besser, als sich an die Affen zu verkaufen!" Michael Schädlich schaut ratlos zu Bodo Sommer. Harald Kühr verstummt. "Lieber ein Verlierer sein", fangen sie zu singen an.

Donnerstag, 26. April 2012

Die hat gar keine Krone

 Diese Sache in der Musikschule damals war viel aufregender. "Ein Gedicht aufsagen, vor jeder Menge Leute", beschreibt Frederik Obst ernst, "da ist man echt aufgeregt."

 Diesmal nicht. Der Text ist kurz, das Publikum klein: "Eure Majestät, angenehmen Aufenthalt in unserer Barockstadt Oranienbaum" mussten Frederik und seine Klassenkameradin Tanja Jäger - zur Feier des Tages in historische Kostüme verpackt - zu Ihrer Hoheit Königin Beatrix sagen. Dann noch die orangenen Blümchen überreichen, fertig. So was erledigen die beiden Neunjährigen ganz cool im schneidend kalten Wind auf dem Oranienbaumer Markt. "Kein Problem", sagt Tanja. "Jetzt will ich nur noch meine Jacke haben", klappern die Zähne von Frederik, kaum, dass die Monarchin im Kreise ihres Gefolges weitergewandert ist. "Das olle Kostüm ist nichts für den Winter."

Und es herrscht nicht eben Kaiserwetter an diesem Vormittag im Anhaltischen. Fotografen frieren, Sicherheitsleute hauchen sich die Hände warm, die halbe Stadt reckt die Hälse aus dicken Jacken nach dem Hubschrauberbrummen am Himmel. Als Beatrix endlich da ist, eingeschwebt aus Berlin, ist alles ganz schnell wieder vorbei. Die Königin, in beigem Kostüm, Pelzstola und Hut, winkt und lächelt, ringsum zuckt ein Blitzlichtgewitter durch den Nieselregen, und hinter den Absperrungen klatschen 2 000 Zuschauer zur Begrüßung.

Ein Blick noch auf die Vase mit dem Orangenbäumchen, das an die lange gemeinsame Geschichte von Königshaus und Gemeinde erinnert. "Und zack war sie wieder weg", sagt Sonja Henze. Wie Nachbarin Gisela Machul ist sie begeistert und enttäuscht zugleich. "Wir dachten, dass sie ein paar Worte sagt", sagen die Seniorinnen. Wenn schon mal was los ist in Obaum! "Hätte man sie gebeten, hätte die Beatrix bestimmt auch Zeit gehabt."

So aber huscht die Regentin flott zum Schloss, neben sich Bürgermeister Uwe Zimmermann mit Tulpe am Revers. Sie steht auf der Freitreppe, flankiert von Thomas Weiss, dem Chef der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Schreibt sich ins Goldene Buch ein und bekommt von Bundespräsident Johannes Rau den Schlosspark erklärt. Erhält von Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) die Nachbildung einer Statuette. Und revanchiert sich mit einer Delfter Vase. Im Gesicht hat die 66-Jährige ein Lächeln, in den Augen blitzt Begeisterung für die alten Gemälde, den imposanten Fliesenkeller und den wunderbaren Baumkuchen, der hier serviert wird.

"Den haben wir immer zum Geburtstag meines Mannes Claus gegessen", erinnert sich die Königin in einem der seltenen Augenblicke, in denen sie nicht umlagert ist von Reportern, die um die besten Plätze rangeln.

 Eine ganz nette Frau sei das, mit einem ziemlich schwierigen Job, findet Bodo Beutel. Wochenlang hatte der Haustechniker des Schlosses gewerkelt, um die einstige Heimstatt derer von Oranien für den hohen Besuch fit zu machen. Jetzt stürzen schwer beladene Kamerateams an ihn vorbei. Und die mühsam gereinigten Holzböden, die Beatrix gerade noch studiert hatte, dröhnen unter schnellen Schritten.

Das Programm ist eng, der Zeitplan straff. Im Dessauer Kornhaus an der Elbe wartet das Mittagessen, dann geht es zum Bauhaus, dann schon zum Flieger nach Hause. Als Philipp Buchholz und Patrick Knappe aus der Sekundarschule an dem Schloss vorbeikommen, besteigt die Monarchin gerade ihren Wagen. "Unser Direktor hat uns verboten, gucken zu gehen", schimpft Patrick Buchholz.

Nichts verpasst, trösten Toni Regier und Tim Dreßler. Die beiden Erstklässler waren auf dem Heimweg von der Schule nicht mehr weitergekommen. "Alles war gesperrt", sagt Tim empört. Dann habe jemand erzählt, dass eine Königin zu Besuch ist. Eine Information, die die beiden nach einem Blick auf Beatrix für recht zweifelhaft halten. "Im Grunde genommen", meint der sechsjährige Toni, "hatte die nämlich gar keine Krone".

Dienstag, 24. April 2012

Als Unplugged die Zukunft war

Plan B damals unplugged in Potsdam. Keine Ahnung, woher ich die Aufnahme habe. Lag auf einer alten C60-Kassette rum. Die optische Umsetzung ist improvisiert, aber immerhin läuft das Bandzählwerk impressionistisch etwa dreimal so schnell wie die Musik selbst.

Mittwoch, 11. April 2012

Woodstock in der Saaleaue


Jahrzehntelang war die Peißnitzbühne Halles Madison Square Garden

Die Hintertür stand offen für die, die Bescheid wußten. Der Weg führte über die Schwanenbrücke auf die Peißnitzinsel, dann die Schienen der Pioniereisenbahn entlang, schließlich schnell über den Gehweg ins Unterholz. Und von dort hinein in Halles größte Konzertarena.

In der waren sie zu DDR-Zeiten sozusagen alle kostenlos zu erleben, die Stars des Ost-Rock, aber auch ausländische Bands, sogar aus England und Amerika. Auf der Bühne, die so etwas wie Halles Madison Square Garden war, standen City und Silly, Karussell und die Puhdys, dazu Lokalhelden wie The Next oder Rengering. Das Publikum strömte vor allem bei internationalen Größen: Einmal stieg der Geist von Woodstock an der Saale hernieder, als Keyboard-Zauberer Czeslaw Niemen seine Orgel-Gebirge aufbaute. Vor ihm auf der Wiese lagerten Tausende aus der ganzen DDR, die Tage vorher angereist waren und die Wartezeit campierend im Unterholz verbracht hatten.

Lärm, Müll und Menschenmassen waren kein Problem. Schließlich ging es bei den vom VEB Naherholung ab 1972 organisierten „Jugendkonzerten“ darum, „der jungen Generation Unterhaltung auf höchstem Niveau“ zu bieten. Für drei Mark Eintritt gab es anfangs Blasmusik und Schlager mit Frank Schöbel. Später dann auch Rockbands wie Fonograf, Magdeburg und Modern Soul.

Die Begeisterung war riesig. Häufig konnten die Konzerte nur beendet werden, indem die Kulturaufseher die Scheinwerfer auf dem Dach des Versorgungsgebäudes gnadenlos anschalteten. Tamara Danz von Silly sang trotzdem weiter, auch der Engländer Geff Harrison ließ sich nicht beirren. Im Regen auf der dachlosen Bühne rockte er, als sehe er weder Stromschlag-Gefahr noch Licht.

Nach dem Mauerfall ging das Rathaus daran, die Konzertarena auszubauen. Ein eine Million Euro teures Dach überspannte nun die Bühne. Und machte Probleme. „Das Dach ist zu niedrig“, klagten Bob Dylans Techniker. Auch Heinz Rudolf Kunze hatte Mühe, seine Lautsprecher unterzubringen.

Dennoch – in den 90ern erlebte die Inselbühne eine Renaissance. Die Stars standen Schlange: David Bowie und Iggy Pop, Caught in the Act, Die Ärzte, Chris de Burgh, Tracy Chapman, Ich + Ich, Deep Purple, Pur und die Prinzen begeisterten Zehntausende. Festivals wie die Turntable Days begrüßten Gäste wie das Supermodel Eva Padberg.

Allerdings mit abnehmender Tendenz. 1991 hatten Stadt und Umweltgruppen vereinbart, dass es nur drei Rockkonzerte pro Jahr auf der Peißnitz geben darf. Damit sollten „Lärmschäden bei Pflanzen und Tieren“ vermieden werden, die laut Auenwaldschützern drohten, wenn „mehr Großereignisse der geschützten Landschaft zugemutet werden“.

Der Anfang vom Ende. Spielten zu DDR-Zeiten im Sommer jede Woche Bands auf der Peißnitz, ist der Konzertkalender spätestens mit dem Aus für den von Rockkonzerten begleiteten „Kinosommer“ auf ein, zwei Gastspiele zusammengeschnurrt. Das Woodstock in der Saaleaue hat ausgedient, der „Madison Saale Garten“ geschlossen.

Mittwoch, 29. Februar 2012

Renft-Remix selbstgemacht



Man kann da was ganz Hübsches machen, weil die Kollegen das in derselben Tonart spielen - einmal unplugged, einmal elektrisch. Einfach beide Video zusammen starten, möglichst so, dass sie synchron laufen. Ist ganz einfach - unteres Video starten, oberes bei Sekunde neun dazuschalten. Ein völlig neues Renft-Gefühl macht sich breit!

Montag, 6. Februar 2012

Lieder wie ein Hurrikan


Wer die Augen schließt, würde wohl wetten, dass da vorn auf der Bühne der Mann aus Kanada steht, der seit 45 Jahren Rockgeschichte schreibt. Die Gitarre klingt genauso. Der Gesang ist gleich. Und wer an diesem Samstagabend ganz hinten steht im ausverkauften Objekt 5 in der Seebener Straße, für den sieht der Sänger auf der kleinen Bühne sogar aus wie der echte Neil Young: Eine Armeejacke trägt er, rote Jeans und lauter Klimperketten um den Hals.

Doch der da „Ohio“ und „Hey, hey, My, my“ singt als sei ein Rockgott in die Provinz herabgestiegen, ist natürlich nicht wirklich Neil Young. Auch wenn er so klingt. Auch wenn er so Gitarre spielt. Und so aussieht. Tino Standhaft stammt aus Leipzig, gründete dort 1978 seine erste Band und war später mit Größen wie Pankow-Sänger André Herzberg unterwegs. Seit einiger Zeit hat sich der Sachse des Erbes des großen Kanadiers angenommen: Kein schales Nummernprogramm, bei dem Oldies zu Tode geritten werden, sondern eine respektvolle Annäherung an das berühmte Original, das den fünf Musikern auf der Bühne jede Menge Platz lässt, ihre eigenen Stärken auszuspielen.

Die Basis bilden natürlich die großen Hits des 66-jährigen Songschreibers, der mit Folkmusik begann und später zum Urvater der wilden, wütenden Grungemusik wurde. Standhaft hat sie alle drauf, die Klassiker. Er spielt „Tonights the night“, das ganz ohne Instrumente beginnt, aber auch „Powderfinger“, eine Rocknummer, die das Publikum im brechend vollen Saal mit dem ersten Akkord feiert.

Begleitet von einer tollen Band um den Gitarristen Norbert Daßler bringt Standhaft bekannte Stücke wie das zornige „Alabama“, das seine Kollegen von der Band Lynyrd Skynyrd zu ihrem Welthit „Sweet Home Alabama“ inspirierte. Aber auch unbekanntere Song wie „Slowpoke“ und „The Loner“. Viele Worte macht er nicht, er lässt die Musik für sich sprechen, zuletzt orkanisch mit einer ausufernden Version der Überhymne „Like a hurricane“. Wie dem Original liegen die Fans auch der genialen Kopie zu Füßen. Drei Zugaben erklatschen sie. Dann tut Standhaft, was Young seit 40 Jahren nicht mehr gemacht hat: Er hilft abbauen.

"Harvest Moon" live im Objekt
Standhafts Homepage

Hier zum Vergleich das Original

Freitag, 3. Februar 2012

"Er hat gewußt, daß es so enden muß"

Der Totenschein ist ausgestellt auf den 25. Dezember 1992, 6.50 Uhr morgens. Und der Mann mit freiem Oberkörper, nach vorn gerutscht auf einer Bank, unter der neben seiner Jacke eine einzelne zerdrückte Bierbüchse liegt, ist schon eine ganze Weile tot. Ein ganz gewöhnlicher Feiertag bricht an. Die Sonne wird erst um 8.17 Uhr aufgehen; da liegt Volker Lampe (Name geändert), ein hagerer, tätowierter Kerl mit mittellangem, strähnigem Haar, schon seit mindestens drei Stunden tot. Todesursache: "Unterkühlung nach übermäßigem Alkoholgenuß."

"Er hat ja nie hören wollen", sagt die Mutter von ihrem Sohn. Auch diesmal nicht. "Bei zunehmendem Hochdruckeinfluß gelangt Sachsen-Anhalt in den Zustrom von Festlandsluft aus Osten", hat der Wetterbericht am Abend zuvor vernehmlich gewarnt, "die Temperaturen gehen auf Werte zwischen minus drei und minus acht Grad zurück." Kein Wetter, einen Rausch draußen auszuschlafen.

Für die Mutter, eine kleine, weißhaarige Dame, der das Leben auch mit 70 noch blitzende Funken aus den Augen sprühen läßt, ist Volker allerdings lange vorher gestorben. "1975", erzählt sie, "ist er von einem Tag auf den anderen ausgezogen." Der Sohn, das schwarze Schaf der Familie, ging ohne Gruß und ohne eine Adresse zu hinterlassen. Spurensuche. Dumm sei er nicht gewesen, ganz im Gegenteil.

Volker Lampe, geboren im Krisenjahr 1953 als Sohn des Montagearbeiters Werner und dessen Frau Heide, gilt in der Thalamtschule als "durchaus intelligent." Aber auch als faul. "Wenn er da war", erinnern sich seine Klassenlehrer, "dann war er gut." Aber allzu oft war er nicht da. "Aber was haben wir uns deshalb um den Jungen bemüht", schüttelt Frau Heide den Kopf, "es hat alles nichts genützt." Volker machte Ärger, wo immer er konnte. Schwänzte die Schule, trieb sich herum, ging später nicht zur Arbeit, trank, und geriet in Konflikt mit den strengen Asozialen-Paragraphen der DDR-Gesetze. "Er ist abgerutscht", gesteht seine Mutter mit feuchten Augen, "und wir haben es nicht geschafft, ihn vom Abgrund wegzuziehen."

"Aber Lampe wollte sich ja auch nicht helfen lassen", versichert Ilona, eine Freundin Volkers, "der war glücklich in seinem Elend." Es sei doch sein Leben, habe er auf Vorwürfe geantwortet, und mit "meinem Leben kann ich schließlich machen, was ich will." Ilona, die das erzählt, ist eine nette, rundliche junge Frau, die eine hübsche sechsjährige Tochter hat. Bei ihr und ihrem Mann Thomas hat Volker bis August letzten Jahres gewohnt. Immerhin vier Jahre lang - länger hat der gelernte Hilfsmaurer es nirgendwo ausgehalten.


Das sei wie eine "Krankheit" gewesen, beschreibt die Mutter mit fahrigen Handbewegungen. "Die ist immer wieder über ihn gekommen, man konnte da gar nichts machen." Zwanghaft entzog sich Volker allem, was ihm zu nahe kam. Fürsorge, Wärme, Vertrauen - all das machte ihm Angst. "Als er noch ein kleiner Junge war", denkt die Mutter zurück, "da hat er gern gestreichelt und geschmust - aber später nicht mehr." Unstet wurde Volker Lampe; unfähig, Bindungen einzugehen, flüchtete er in den Alkohol. "Drei Flaschen Schnaps täglich", gibt Ilona Schäfer als seine normale Tagesdosis an: "Wenn er die nicht hatte, konnte es schon sein, daß er blau anlief und stocksteif umfiel."

Trotz wiederholter ärztlicher Warnungen, daß "ohne eine Kur bald Schluß mit ihm sein wird" (Thomas Schäfer), soff Volker Lampe unbeeindruckt weiter. Eine Aufforderung, sich zwecks Untersuchung in der Psychatrie vorzustellen, beachtete er nicht, "weil er Angst hatte, daß sie ihn gleich dabehalten." Röntgenbilder, mit deren Hilfe die Spätfolgen eines Unfalls behandelt werden sollten, zerriß er ebenso wie seinen Personalausweis. Einen neuen beantragte er erst gar nicht mehr. Volker Lampe bezog weder Arbeitslosengeld hoch Sozialhilfe, er erhielt kein Wohngeld und war nicht sozialversichert. Unwillig, sich in geltende gesellschaftliche Normen einzupassen, wurde er am Ende sogar unfähig dazu, sich ins soziale Netz fallen zu lassen.

Dabei: Vier-, fünfmal nach seinem hastigen Auszug zu Hause schien Volker Lampe "auf die rechte Bahn" zu finden. Da war Marlies, die er Ende der Siebziger kennenlernte. "Ein ganz nettes Mädel", lobt die Mutter. Mit Marlies blieb Volker ein halbes Jahr zusammen - bis er wieder über Nacht verschwand. Plötzlich, "wie von einer großen inneren Unruhe getrieben", seufzt die Mutter, die behauptet, nicht geweint zu haben, als die Polizei am ersten Weihnachtsfeiertag mit der Nachricht vom Tod des Sohnes vor der Tür stand.

Die "große innere Unruhe" treibt Volker derweil weiter und weiter. Er lernt Jenny kennen, "verliebt sich in sie" (Heide Lampe) und türmt erneut, als er Verantwortung übernehmen soll. Lampe übernachtet bei wechselnden Saufkumpanen, flüchtet in die Alkohol-Sucht. Irgendwann muß ihn die Erkenntnis überfallen haben, daß er inzwischen 35 Jahre alt ist, aber immer noch nichts erreicht hat. "Der hatte keine Selbstachtung mehr, nur noch Selbstverachtung", analysiert Thomas Schäfer. Die Sucht drückt den Mann, der mit leuchtenden Augen Roy Orbison hören konnte und selber "ganz passabel Gitarre spielte", in die Kriminalität.

Die bringt ihn in den Knast. Fünfmal sitzt er ein: Mal wegen Einbruchs, mal wegen Körperverletzung. Zum letzten Mal verbringt Volker nach einem am 8. März 1990 begangenen dilettantischen Einbruchsversuch ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. "Aber Knast", vermutet Ilona, "war ja für Volker keine Strafe - dort hatte er ja die richtig harten Leute erst kennengelernt."

Diese "Kumpels", die sich im "Grünen Winkel" neben dem halleschen Boulevard und an diversen Kiosken zu treffen pflegen, sind es nach Meinung von Ilonas Mann Thomas gewesen, "die den Volker immer wieder in die Gosse gezogen haben." "Er hatte Wochen, da lief es gut", meint Thomas, "aber dann hat er wieder einen von denen getroffen und sofort ging das Theater von vorn los."


Kaum verwunderlich, daß Schäfers aufatmen, als Volker im August letzten Jahres geht. "Der ist mit einem Mal aufgestanden", erzählt Thomas, "und hat nicht mal seine Jacke mitgenommen." Sie haben ihn nicht gesucht.


Die letzten Monate im Leben des Volker L. lassen sich nur sehr grob rekonstruieren. Die letzte Brücke ins normale Leben ist abgebrochen - bekleidet mit einem Hemd, einer Hose und einem Paar ausgetretener Schuhe vegetiert der 40jährige, der immer öfter an krankhaften Schweißausbrüchen, Sprachstörungen und Schwächeanfällen gelitten haben muß, im und am Hauptbahnhof. Er, der längst in ein geschlossenes Sanatorium gehört hätte, schläft anfangs noch bei Kumpels aus dem Milieu, doch als deren Wohnung in der Merseburger Straße ausbrennt und einer der beiden Wohnungsbesitzer inhaftiert wird, bezieht Lampe die letzte Adresse seiner Reise ins Nichts.

Das Bahnhofsklo. Er lebt jetzt von kleinen Einbrüchen. Bei einem Ladendiebstahl wird er Mitte Oktober erwischt, anschließend aber gleich wieder laufengelassen. Eine Bekannte von Ilona Schäfer sieht den Mann, der mehr und mehr einem in Lumpen gehüllten menschlichen Wrack gleicht, im November noch einmal zitternd im Fußgängertunnel zwischen Riebeckplatz und Bahnhof stehen und betteln. Im Dezember gerät er anscheinend in eine schwere Prügelei, bei der er sich ein schweres Schädeltrauma zuzieht. Die Polizei findet später Krankenhaus-Entlassungspapiere bei der Leiche, datiert auf den 24.12. 1992.

Den ersten Abend nach seiner Entlassung, den letzten seines verpfuschten Lebens, verbringt Lampe wahrscheinlich auf dem Bahnhof. Aber gesehen will ihn dort niemand haben. Die Männer, die Tag für Tag wie festgeschweißt am Bahnhofskiosk stehen, geben vor, einen Volker Lampe nie gekannt zu haben. Auf einem Foto erkennen sie ihn nicht.

Ilona und Thomas Schäfer verwischen die Schuldgefühle, die Volker nebst zweier Koffer mit schmutziger Wäsche in der Mansardenwohnung am Steintor hinterließ. "Der hat immer gewußt, daß es mal so enden wird - und nun hat er halt seinen Willen", kommentiert die 27jährige Ilona trocken, "das war wahrscheinlich das Beste, was dem noch passieren konnte."

Heide Lampe hat inzwischen die Beerdigungsformalitäten erledigt. Volker wird ohne Grabstein beerdigt. Über Tote nichts Schlechtes, sagt sie, eine Trauerrede wird es nicht geben. "Was", schluckt die alte Dame, "hätte ein Trauerredner denn sagen sollen?"

Montag, 23. Januar 2012

Renft: Eine gelungene Premiere

Die beiden Gitarren sind fast noch jungfräulich vor dem ersten Ton. "Die haben wir uns extra für diesen Auftritt angeschafft", sagt Thomas Schoppe, den alle nur "Monster" nennen. Zwei-, dreimal haben sie dann auf den neuen Instrumenten zusammen geprobt. Dieser erste Auftritt ist so gesehen kein ganz normaler. Ganz im Gegenteil: Zum ersten Mal in den mehr als 50 Jahren seit ihrer Gründung tritt die DDR-Kultkapelle Renft unplugged auf, also nur mit akustischen Instrumenten.

Die Premiere gelang, den ganzen Text gibt es hier.