Ist es eine Ehre, wenn eine Schriftstellerin einer Rockband Kritik hinterherwirft? „Das Werk, das sich die jungen Künstler vorgenommen haben, krankt daran, daß der Entwurf „Mensch“ zu klein geraten ist und insgesamt nicht einmal durchschimmert. Die Reflexionswelt dieses jungen Mannes, der mir hier an der Peripherie langgeführt wird, läßt mich kalt. Was wäre denn, wenn er „aus dem Arsch“ käme? Was wäre denn dann, wonach würde er streben, wen denn könnte seine Käsigkeit beglücken? Man muss ja noch froh sein, dass dieser chronische Miesmacher, Nörgler und Muffel nicht aktiver ist, sonst wäre er gänzlich unerträglich“, urteilte Gisela Steineckert Anfang der 80er Jahre über die ersten Stücke der Berliner Band Pankow.
Die ist jetzt wieder da, nach langer Zeit, in alter Besetzung und mit alten und neuen Liedern, Steineckert, die ewige Miesmacherin, wurde überlebt. Zeit für einen Blick zurück auf eine Begegnung mit André Herzberg in Zeiten, von denen heute sicher ist, dass sie nicht die allerbesten waren.
"Aufruhr in den Augen" (Plattentitel) hatte die Gruppe um Sänger André Herzberg und respektlose Sprüche im Mund. "Wenn wir in die Städte kamen, standen die Leute hinter den Gardinen", erinnert er sich. Heute bewegt sich kein Fensterladen, wenn Herzberg einreitet. Spärlich besucht die Klubs, wo er die Gitarre einstöpselt, karg die Gagen und der Applaus dünner als das Klimpern der Gläser in der Spültheke.
Seinerzeit hätten sie alles weggeblasen. Mit einem Gemisch aus rauem Rock und Texten in rüdem Alltagsdeutsch setzten sich die fünf Berliner Musiker hörbar ab von der Ost-Konkurrenz. Pankow
Herzberg, aufgewachsen in einer streng kommunistischen Familie und zum "Urglauben an das System" erzogen, lächelt nur. "Wir glaubten damals wirklich, dass wir gefährlich sind." Und gefährlich hatte er sein wollen, seit er mit 16 anfing zu zweifeln am Sozialismus, auf den zu Hause nichts kommen durfte. "Auf einmal spürst du, der Prinz ist ein stinkendes Monster."
Mitten durch die Familie läuft die Front, die die ganze DDR durchzieht.
Herzberg ist damals, das weiß er heute, "ganz hart drauf". Muff und Mangel und Müdigkeit überall! "Ich habe es gehasst." Die Musik erst stoppt die Terroristenkarriere. "Gitarre statt Knarre", strahlt der 43-Jährige mit samtbraunen Mädchenaugen. Der geplante Umzug in den Westen fällt flach. Auch der Idealist Herzberg ist nur ein Mensch: "Erfolg korrumpiert."
Zumal, wenn man sich im tiefen Einverständnis mit seinem Publikum fühlen darf. "Die Beschränkung gab den nötigen Pfeffer, wir fühlten alle dasselbe und verstanden uns blind." Pankow
"Aber eigentlich haben die uns ja gelobt", zweifelt der Sänger und Komponist aus der Distanz eines Jahrzehnts am Wirkungsgrad der eigenen Widerständigkeit. Von wegen aufgemuckt, von wegen zuviel riskiert. Kopfschüttelnd nur hat Herzberg seine Stasi-Akte lesen können: "Wir glaubten, wir machen Aufruhr, und die lachten sich kaputt." Viel zu harmlos sei er gewesen, viel zu versteckt seine Kritik. "Genau genommen müssten wir uns alle schämen."
Der Mann in der überstrapazierten Jacke ist biestig geworden auf die Welt da draußen vor seinem Prenzelberg-Bau, den er mit Sohn Max (18) bewohnt. Der Beruf des Künstlers sterbe aus, um Erfolg zu haben, müsse man den Idioten spielen oder sein Publikum verachten. "Ich kann beides nicht", erzählt er und rollt sich eine dünne Zigarette zum Tee. Der ist bezahlt, auch den morgen wird er bezahlen können. "Was will ich mehr?"
Seine Ziele stecke er neuerdings in kürzerer Entfernung, das Publikum, das ihn verlassen hat, vermisse er kaum. "Ich mache jetzt viel fürs Theater: ein Musical in Leipzig, ein Volksliederabend in Magdeburg, eine Revue in Saarbrücken." Auch dass sein Freund und Gitarrist Ehle ihn eine ganze Karriere lang als IM Peters an die Stasi verriet, hat der Sänger weggesteckt in ein kleines Kummer-Kästchen, das geschlossen bleibt. Viel schlimmer, lenkt er ab, habe ihn die Tatsache getroffen, dass Ehle nicht von selbst die Kraft fand, darüber zu sprechen. "Doch das passt ja ins Klima."
Alles Lüge, überall Falschheit. "Zuerst belügen dich die Eltern, dann der Lehrer, dann die Regierung, dann deine Frau." Besser lässt er sich nicht beschreiben, der Kosmos des André Herzberg, von dem sein Eigentümer nicht weiß, "wie viele Leute hier drin noch Platz haben". Viele können es nicht sein. Die öffentliche Spur des André Herzberg verliert sich so zwischen Pankow
Schwere Zeiten, in denen der störrische Einzelgänger jeden Tag versucht, den Kopf oben zu behalten. Herzberg hat angefangen, Geschichten zu schreiben. Geschichten zwischen Wohnzimmertherapie und Selbstautopsie, die zu Zeiten spielen, als der Mülleimer runtergebracht sein musste, ehe Mutti kam, und Vati abends noch mal wegging zur Parteiversammlung.
André Herzberg hat sich den Clown aus dem Gesicht geschminkt und den Rebellen in Rente geschickt, der Amiga-Chef Büttner irgendwann nach der Wende noch eine Torte ins Gesicht geballert hatte. Zu den Pankow