Im fünften Jahr nach ihrem Debütalbum schlägt die Erfolgsband aus Chemnitz auf „Keine Nacht für Niemand“ neue Töne an.
Links der Neubaublock aus alten Zeiten, daneben der Philosophenkopf, den die Einheimischen kurz „Nüschel“ nennen. Und davor die fünf Herren mit K, in weißen Polo-Shirts wie immer, rote Hosenträger festgeschnallt und auf einer improvisierten Bühne versammelt. „Spring aus dem Fenster für mich“, singt Felix Brunner, der bei der Chemnitzer Rockband Kraftklub am Mikrophon steht und auch beim neuen Hit der fünf Sachsen zeigt, wie Ironie geht.
Natürlich singt die Menge, die zum Spontankonzert der Lokalhelden in die Brückenstraße gekommen ist, begeistert mit. Und natürlich ist es nicht wirklich ein Spontankonzert, das Felix Brunner, sein Bruder Till am Bass, die Gitarristen Karl Schumann und Steffen Israel und Drummer Max Marschk hier aufführen. Nein, Kraftklub feiern mit solchen Auftritten auf Straßen, in Hinterhöfen oder auf einem Lkw ihr neues, inzwischen drittes Album „Keine Nacht für Niemand“.
Raketenstart in Sachsen
Das muss so sein, denn Kraftklub sind fünf Jahre und drei Alben nach ihrem Raketenstart aus Sachsen an die Spitze der Charts ein Top-Thema. Das Quintett spielt in einer Hit-Liga mit den Toten Hosen, Rammstein und dem Rostocker Rapper Marteria, spielt in ausverkauften Arenen und bekommt Einladungen zu den angesagtesten Festivals.
Daran war 2009, als der damals noch als Rapper auftretende Felix Brunner sich der Rockband seines Bruder Till anschloss, nicht zu denken. Die beiden Söhne des Künstlerehepaares Ina und Jan Kummer, das zu DDR-Zeiten mit der Avantgardegruppe AG Geige Furore gemacht hatte, zielten eigentlich auch gar nicht auf den großen Pop-Markt. „Adonis Maximus“, die erste offizielle Veröffentlichung, vermählte Rap und Rock und unwiderstehliche Tanzbeats und ätzte böse gegen rundgelutschte Schlagerstars. Mit der Anti-Metropolenhymne „Ich will nicht nach Berlin“ war es dann eben doch passiert. 20 Jahre nach den Prinzen hatte Sachsen wieder eine Top-Ten-Band.
Die sieht nun rot. War das Debüt „Mit K“ noch ganz weiß gehalten, der Nachfolger „In Schwarz“ dann wie ein Negativbild ganz schwarz, so leuchtet der Streichholzaugen-Titel von „Keine Nacht für Niemand“ blutrot. Ein Zeichen, denn Kraftklub haben ihren musikalischen Horizont im dritten Anlauf entscheidend erweitert. Zu Punk und Hip Hop, Metal, TexMex und Glam-Rock-Riffs kommen diesmal Streicher, Beatles-Harmonien und augenzwinkernde Verneigungen vor Helden der Kraftklub-Musiker. Einer davon ist Sven Regener, Sänger und Kopf der Band Element of Crime, deren fast zehn Jahre alter Song „Am Ende denk’ ich immer nur an dich“ hier nicht nur zitiert, sondern von Regener selbst mitgesungen wird.
Nachtvorstellung der Verrückten
Nicht der einzige Gast in dieser Nachtvorstellung der Verrückten, deren Titel auf das 45 Jahre alte Scherben-Album „Keine Macht für Niemand“ anspielt. Auch Wu-Tang-Clan Rapper Ol’ Dirty Bastard, die Britpopper Blur, Depeche Mode, die Kumpels von Deichkind und Die Ärzte werden zitiert.
Und nachgemacht: In „Dein Lied“, einer Ballade, in der ein enttäuschter Liebender seiner Verflossenen hinterherheult, heißt es provokativ „Du verdammte Hure, das ist dein Lied“. Geht gar nicht, schallte es augenblicklich von den Tugendwächtern der Popkultur, denen der Rollensong eindeutig zu weit ging, künstlerische Freiheit hin oder her. Felix Brunner hat die Vorwürfe ironisch gekontert. „Muss man bei seinen Texten immer eine Gebrauchsanweisung mitliefern?“, fragt er. Für ihn sei der Einsatz des Streichorchesters in einem Punksong mehr Provokation als die Verwendung eines Wortes, das ein betrogener Liebhaber durchaus auch im echten Leben verwenden könnte.
Erledigt. Mit dem Selbstbewusstsein seiner 27 Jahre räumt der gerade so noch in der DDR geborene Kraftklub-Texter die Vorwürfe so beiläufig ab wie seinerzeit die Kritik an der Kraftklub-Uniform aus Baseballjacken und Polo-Shirts. Kraftklub, die anfangs nie politisch sein wollten, sich später aber ganz entschieden gegen die Rock-Kollegen von Frei.Wild positionierten, sind heute die Axt aus dem Osten, die die Einsicht in die Notwendigkeit politischer Korrektheit grinsend in Stücke schlägt.
Rock kann nicht den Konsens suchen, wenn er richtig rocken will. Und ein Liedtext ist nicht immer das Seelenbild des Mannes, der ihn singt.
Kraftklub: Keine Nacht für Niemand, Vertigo Berlin