Donnerstag, 19. Juli 2018

Berlin 1988: Springsteen bricht die Mauer


Im Juli 1988 spielte Bruce Springsteen in Ostberlin - Das größte Konzert der DDR-Geschichte blieb das letzte. Offiziell waren 160 000 Karten verkauft, mehr als 200 000 Menschen gekommen: Zusammen mit Bruce Springsteen sangen sie am 19. Juli 1988 "Born In The USA" - ein Abgesang auf die DDR.

Nach anderthalb Stunden ging nichts mehr. "Ich musste mich ausklinken", erinnert sich Dirk Götze an den Tag vor 20 Jahren, an dem die trübe DDR zur Deutschen Demokratischen Rockrepublik wurde. Eine Woche zuvor erst hatte die Nachrichtenagentur ADN gemeldet, dass beim "5. Berliner Rocksommer der FDJ der US-Rockstar Bruce Springsteen" auftreten werde. Eine Völkerwanderung zur Radrennbahn in Berlin Weißensee setzte ein, die für den Merseburger Springsteen-Fan Dirk Götze erst irgendwo in Reihe 15 endet, direkt vor der Bühne. "Da war so viel Alarm, dass ich den Rest von der Seite aus ansehen musste."

Es ist kein Konzert wie jedes andere - auch für den US-Musiker nicht. Sechs Jahre zuvor war der Sohn eines Taxifahrers aus New Jersey zum ersten Mal in Ostberlin gewesen. Springsteen hatte sich die Mauer angeschaut - und seinem Manager Jon Landau seitdem in den Ohren gelegen, ihm ein Konzert im Ostblock zu organisieren.

Ein utopisches Vorhaben. Immerhin gilt Bruce Springsteen, obschon Kritiker amerikanischer Zustände, den Genossen als unverbesserlicher US-Patriot. 1984 aber darf plötzlich seine Platte "Born in The USA" in der DDR erscheinen. Und als die Freie Deutsche Jugend (FDJ) 1987 beginnt, die gefürchteten Rockkonzerte im Westteil Berlins mit eigenen Pop-Festivals zu bekämpfen, ist der flugs zum Arbeiterkind umdeklarierte Rocker ein naheliegender Kandidat. Springsteen macht es der FDJ leicht. Eine Million in DDR-Mark will er als Gage, für 340 000 Mark mehr willigt seine Plattenfirma sogar ein, das Konzert in Fernsehen und Radio übertragen zu lassen.

Vom frühen Morgen des denkwürdigen Dienstag an wälzt sich ein endloser Strom von Jugendlichen nach Berlin. Ausnahmsweise gibt es die Karten zum Preis von 19,95 Mark plus fünf Pfennig "Kulturabgabe" nicht nur für ausgewählte FDJler und Bestarbeiter. So sind die Züge überfüllt, aus Trabis hängen selbstgemalte US-Fahnen, aus Kassettenrecordern dröhnen Hits wie "Hungry Heart" und "Glory Days".

Springsteen, begleitet von einem 140-köpfigen Tross, sitzt da schon in einem Zelt im Backstage, nur geschützt von einem Schild an der Tür, auf dem "Please knock and wait" steht. Kurz nach sieben springt er auf die Bühne, lässt die Gitarre zu "Badlands" bellen und badet im Jubel der Massen, die die Wiese bis zum Horizont füllen. US-Fahnen werden geschwenkt, das anwesende Stasi-Kommando beschränkt sich darauf, die Fans zu bitten, sie nicht direkt in die Kameras zu halten. "Ein Eingreifen", vermerkt ein Beamter, "war nicht nötig und nicht möglich."

Nur Springsteen, von seinen Fans "The Boss" genannt, kommandiert hier. Als er bemerkt, dass sein Konzert von der FDJ unter dem Motto "Nikaragua im Herzen" angepriesen wird, grummelt es kurz. Dann werden die Plakate abgehängt. Jetzt aber ist auch dem Musiker klar geworden, dass hier kein normales Konzert läuft. Springsteen bittet seinen Fahrer Georg Kerwinski, ihm einige Sätze auf Deutsch aufzuschreiben: "Ich bin nicht hier für oder gegen eine Regierung", will er sagen, "ich bin hier, um Rock'n'Roll zu spielen - in der Hoffnung, dass eines Tages alle Mauern umgerissen werden."

Springsteen nestelt schon nach dem Zettel, als Jon Landau draußen den Text liest und das Wort "Mauern" sieht. Mauern geht gar nicht, weiß der Ex-Journalist. Während die Band das Intro zum Dylan-Song "Chimes Of Freedom" spielt, schickt er Kerwinski eilig auf die Bühne, um dem Boss stattdessen "Barrieren" ins Ohr zu brüllen.

Diplomatisch, aber nicht diplomatisch genug: DDR-Fernsehen und Radio blenden das Grußwort des amerikanischen Gastes aus. Die Botschaft aber ist längst angekommen. Barrieren, Mauern, Ost und West? Was zählt das, wenn 200 000 ostdeutsche Kehlen "Born To Run" singen und ein Mädchen aus Thüringen bei "Dancing in the Dark" auf der Bühne mit dem Boss tanzen darf.

"Das war das größte Konzert, das wir je gemacht haben", beschreibt Springsteen später. Etwas habe in der Luft gelegen an jenem magischen Juli-Abend des Jahres 1988, glaubt Springsteen, der sich immer noch "gut an einzelne Gesichter in der Menge" erinnert und daran, dass "die Leute US-Flaggen aus Kleidungsstücken zusammengeflickt" hatten. Fahnen der Sehnsucht, Symbole dafür, dass die DDR am Ende war. 16 Monate später fällt die Mauer, alle Barrieren werden umgerissen.

Dirk Götze ist bis heute Springsteen-Fan.

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