Donnerstag, 6. Oktober 2011

Wie eine dunkle Wolke

Die Männer mit den Kameras haben keine Chance. „Verfatzt euch“, ruft es aus einem Fenster der Wolfener Sekundarschule IV, „euch Fernsehfuzzis will hier keiner haben.“ Seit den ersten Nachrichten über eine brutale Schlägerei auf dem Hof der Plattenbau-Schule am Rande des Wolfener Neubaugebietes Nord, bei der ein 18-Jähriger einen 16-Jährigen zu Tode prügelte, hängt die Frage nach dem Warum wie eine dunkle Wolke über den 270 Schülern und ihren Lehrern.
Vor allem aber hängt sie über Gerhard Funke, seit 13 Jahren Direktor in der „Seku IV“, wie die Schule hier genannt wird. „Ich bin tief erschüttert“, sagt der 64-Jährige mit belegter Stimme, „keiner kann sich erklären, wie es dazu kommen konnte.
“ Es habe, versichert der grauhaarige Mann mit den von Sorge schweren Lidern, keine Anzeichen gegeben. Keine Hinweise und keine Warnungen. „Wir sind eine Schule wie jede andere auch“, beschreibt er, „da gibt es mal Rangeleien, aber so etwas gibt es nicht.“
Bis zum Mittwoch, 11 Uhr 30. Es ist große Pause an der Schule, um die herum halb leere Wohnblocks mit toten Fensteröffnungen auf den Abrissbagger warten. Die Sonne scheint, und der 16-jährige René E. steht mit Freunden zusammen. Matthias B., 18 Jahre alt und bis zum Frühjahr Schüler an der „Seku IV“, kommt dazu. Und beginnt, auf den Jüngeren einzuprügeln. Alles sei „sehr, sehr schnell“ gegangen", berichten Augenzeugen später.

Selbst als René E. schon am Boden lag, habe B. nicht abgelassen. „Der war wie im Rausch“, sagt ein Mädchen, das vor Entsetzen starr zuschaute, wie Matthias B. trat und trampelte. „Wir konnten gar nichts tun.“ Schüler rufen per Handy Hilfe. Einer läuft zum Direktor. Andere alarmieren die Hofaufsicht. „Als die Kollegen zu der Stelle kamen“, schildert Gerhard Funke, „konnten sie nur noch erste Hilfe leisten.“ Matthias B. flüchtete. Später stellt er sich.
Seine früheren Mitschüler tun sich schwer mit Erklärungen. René E. habe B., der nach der Schule keine Lehrstelle fand und derzeit ein berufsvorbereitendes Jahr absolviert, beleidigt, behauptet ein Junge. Das könne zwar sein, räumt ein Mädchen ein, doch Ursache der Auseinandersetzung sei der Streit um eine Freundin gewesen, die erst zu B. gehörte, dann aber zu E. ging.

„Mit unserer Schule hatte das aber garantiert nichts zu tun“, versichert sie. Auch wenn die Stimmung derzeit „ein bisschen aggressiv“ sei, weil sich viele von den Kamerateams verfolgt fühlten, sei die „IV“ eine friedliche Penne: „Bei uns kloppen sie sich nicht und es schleppt auch keiner Waffen rum.“ Bis vor kurzem, sagt Gerhard Funke, gab es sogar ein Projekt, das die Schüler lehrte, Schulstreits miteinander zu schlichten. „Da haben wir gute Erfahrungen gemacht.“ Maria Schneider kann das nur bestätigen. Seit 1995 wohnt die 77-Jährige direkt neben der „Seku IV“ und „hatte nie Probleme mit den Kindern“, sagt sie. Natürlich, viele Scheiben sind zerschlagen. Natürlich, das Viertel scheint dem Leben ferner als dem Tod zu sein, und ein Hauch von Endzeit weht durch die zugewucherten Vorgärten: Die Spielplätze sind voll Unkraut, die Türen der Wohnblocks verschweißt, auch Gerhard Funkes Schule wird im Frühjahr geschlossen. „Trotzdem kann man hier abends auf die Straße“, sagt Maria Schneider, „da muss man keine Angst haben.“ „Aber am Ende erzählen sie die Geschichte ja doch wie immer“, vermutet ein Mädchen, das vor den TV-Teams auf die Bank hinter einem Block geflüchtet ist. Und immer geht die Geschichte so in Wolfen-Nord, glaubt sie: „Die Eltern arbeitslos und besoffen, die Kinder ständig verprügelt, und dann schlagen sie sich gegenseitig tot, das klingt ja auch logisch.“ Auch wenn es nicht wahr ist.

Mit einer Trauerfeier haben die Lehrer am Montag ihres Schülers gedacht. Schulleiter Funke sagte, „wir trauern tief bewegt“. Das Gedenken fand ohne Schüler statt. „Die Kinder sind nicht gewillt, öffentlich vor den Medien trauern“, sagte Funke. Zuvor hatten Schüler allerdings Blumen für das 16-jährige Opfer nieder gelegt. Tiefe Stille herrscht um das Schulhaus herum. Nur selten lassen sich Schüler oder Lehrer vor dem Gebäude blicken, wo noch immer die Kameras von Fernsehteams auf sie warten.

Eine lückenlose Aufklärung der Ereignisse verlangt Wolfens Oberbürgermeisterin Petra Wust (parteilos). An Wolfen solle nicht der Makel hängen bleiben, eine Gewalthochburg zu sein. „Das wäre völliger Quatsch. Die soziale Situation hier ist wie an anderen Städten Ostdeutschlands auch“, sagt Wust. Sie räumt allerdings ein, dass die Zahl der Einwohner von ehemals 45000 auf 26000 geschrumpft sei. „Wir haben den höchsten Leerstand in ganz Deutschland.“

Fundstück aus dem Tagesspiegel

Der König ist tot


Es war schon viel zu spät, es sich anders zu überlegen. Aber dann erwachte Steve Jobs, Chef des Computerkonzerns Apple, eines Morgens und er wusste, dass das iPhone ganz anders aussehen würde. Jobs, gesundheitlich nach der Entfernung eines Tumors schon lange angeschlagen, aber immer noch einer der härtesten Arbeiter in der Hightech-Brance, fuhr in die Firma. Und veranlasste, dass die iPhone-Designer noch einmal von vorn anfingen. 


Ohne diesen Morgen, der aus dem schmucken Handy einen Kultgegenstand machte, wäre die Geschichte vielleicht anders gelaufen. Vielleicht würde die Welt nicht für einen Moment den Atem anhalten, vielleicht würden nicht Börsenkurse rutschen, nicht Apple-Nutzer sorgenvoll die Stirn krausen. Nur weil Steve Jobs, der Apple vor 35 Jahren gründete, verkündet, dass er seinen Chefposten räumen wird.

 Doch Jobs, als Sohn eines Studentenpärchens in San Francisco geboren und kurze Zeit später von Paul und Clara Jobs aus dem nahen Mountain View adoptiert, verkörpert seine Firma wie kein anderer Unternehmenslenker. Jobs, ein schmaler, zuletzt sogar dürrer 56-Jähriger, der nur Turtleneck-Pullis, Jeans und eine Porsche-Armbanduhr für 2000 Dollar trägt, ist Apple. Und Apple ist Steve Jobs.

Dabei war der Mann, der nie studiert hat, Mitte der 80er in hohem Bogen bei Apple rausgeflogen. Jobs gründete daraufhin den Computerhersteller Next. Apple aber wurde im Zweikampf mit Microsoft zum Sanierungsfall: Gut, aber zu teuer, gefragt, aber nur bei wenigen.

In letzter Not kaufte Apple dem Ex-Chef seine neue Firma ab und Jobs damit wieder als Führungsfigur ein. Und Jobs, nie ein großer Computerfitzler, sondern eher der Experte für das große Ganze, war immer noch fest entschlossen, eine "Delle im Universum" zu hinterlassen, wie er einmal ankündigte. Mit dem iMac ließ der selbsternannte "Chef-Produkterfinder" seine Ingenieure erstmals einen Computer bauen, der nicht nur gut war, sondern auch gut aussah. Plötzlich war Apple zurück auf der Landkarte, plötzlich verlor der Gigant Microsoft Marktanteile.

Steve Jobs Rezept ist denkbar einfach. "Er ahnt die Benutzer-Erfahrung voraus", glaubt Jay Elliott, der lange für Jobs arbeitete. Alles soll einfach sein und auch von Laien zu verstehen. Im Streit um eine Gebrauchsanleitung, an dem der Multi-Milliardär ebenso teilnahm wie an jeder Diskussion um jedes Detail an jedem Apple-Produkt, plädierten andere dafür, die Bedienungsanleitung so zu schreiben, dass ein Zwölftklässler sie kapiere. Jobs, der seit seiner Rückkehr zu Apple einen symbolischen Dollar im Jahr als Gehalt erhält, widersprach: Nein, Erstklässler.


Bei iPod, iPad und iPhone braucht es nicht einmal mehr die. Zweijährige schaffen es, Märchen auf dem iPod zu hören und Trickfilme auf dem iPad anzuschauen. Männer loben, dass hier endlich mal alles funktioniere, Frauen sehen nicht Hightech, sondern elektrische Accessoires.
Aus dem Anbieter für die Hightech-Elite wurde mit iPod, mit iPhone, iPad und iTunes-Store eine Lifestyle-Marke. Und dabei tat der "iGott", wie ihn die Fans nennen, nicht viel mehr, als vorhandene Technologien mit Gespür für die Wünsche eines großen Publikums zu neuen Produkten zu kombinieren. Sexy müsse ein Apple-Produkt sein, beschwor er immer wieder.

Als Jobs vor vier Jahren das erste iPhone ankündigte, nannte er das Handy mit dem Touch-Bildschirm unbescheiden eine "Revolution" - und selbst die, die damals lächelten, geben nun zu, dass er Recht behalten hat. Inzwischen sehen alle Handys aus wie iPhones, alle Firmen haben App-Stores, alle Hersteller bauen Laptops ohne Tastatur.

Steve Jobs, Vater von vier Kindern und seit 20 Jahren mit derselben Frau verheiratet, hat sie geschaffen, die Delle im Universum. Am Donnerstag verabschiedete er sich von seiner Gemeinde, zu schwer krank, um noch weiterzumachen: "Ich habe immer gesagt, ich bin der erste, der Bescheid sagt, wenn der Tag kommt, an dem ich meine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann. Leider ist dieser Tag nun da." 

Dienstag, 4. Oktober 2011

Tief in der Vergangenheit

Zeit, die nie vergeht, weil sie tief unter der Erde konserviert ist. Nahezu naturbelassen warten in Biesenthal und Freudenberg nahe Berlin zwei Bauwerke aus dem kalten Krieg, die auch und gerade für viele Menschen im Süden Sachsen-Anhalts ein Stück eigener Lebensgeschichte sind: Die Führungsbunker der Staatssicherheit und des Innenministers mussten zu DDR-Zeiten von zahlreichen Wehrpflichtigen aus dem Bezirk Halle erbaut und bewacht werden. Sprechen durften die Soldaten nicht über die Geheimobjekte, abgesehen davon war die Geheimhaltung so groß, dass kein Grundwehrdienstler je in den inneren Kreis oder gar in das unter einer tarnenden Halle versteckteBunkerbauwerk gelangte. Auch nach dem Mauerfall blieben die „5005“ und „7001“ genannten Schutzbauwerke unzugänglich. Die weiträumige Anlage in Freudenberg wurde zugemauert, die für MfS-Chef Erich Mielke gedachte Nummer 5005 verschwand hinter einer Kompostieranlage. „Dabei ist die Bunkeranlage des MfS einzigartig“, beschreibt Paul Bergner, Autor des Standardwerkes „Atombunker“. Die 5005 bestehe aus zwei Etagen, die 7001 dagegen umfasse gleich vier Bunker, die durch ein über 200 Meter langes Tunnelsystem verbunden seien. Sehenswert - und Grund genug für Bergner, immer wieder sogenannte Kontrollbegehungen durch beide Bauwerke anzubieten. Interessenten haben dann Gelegenheit, die Bunker in Biesenthal und Freudenberg zu besichtigen. Angeraten seien festes Schuhwerk, warme Kleidung und eine Taschenlampe, empfiehlt Paul Bergner. Mehr Informationen: www.ddr-bunker.de