Freitag, 21. September 2018

Dean Reed: Genosse Cowboy und der rätselhafte Tod


Als Dean Reed vor 32 Jahren starb, war er fast vergessen. Sein Tod hat seitdem für Spekulationen gesorgt - obwohl der Sänger, der heute 80 Jahre alt werden würde,  freiwillig aus dem Leben geschieden war. Er hatte die Ranch in Texas gegen ein Seegrundstück nahe Berlin getauscht, den Erfolg in den amerikanischen Billboard-Charts gegen Auftritte in der FDJ-Sendung "rund", den Jubel des Madison-Square-Garden gegen den Applaus der Menschen im Arbeiterklubhaus Bitterfeld.

Dean Reed, dessen Leiche ein aufmerksamer Wasserschutzpolizist am 17. Juni 1986 am Schilfgürtel in der Nähe des Badestrandes südlich des Zeltplatzes Nummer 2 am Zeuthener See entdeckte, ließ Zeit seines Lebens keinen Zweifel daran, auf welcher Seite er stehen wollte. Der Sohn eines Mathelehrers, aufgewachsen auf einer Hühnerfarm in Weath Ridge unweit von Denver/Colorado, sah sich als Sänger des besseren, des moralisch sauberen Amerika. Reed war an der Seite der "fortschrittlichen Menschen" unterwegs, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sein seltsames Schicksal nahm 1971 seinen Anfang, als der attraktive US-Schauspieler Ehrengast beim Dokumentarfilmfest in Leipzig war - und sich dort für die junge Wiebke erwärmt. Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, denn schon ein Jahr später heiratet das Paar.

Für den aus Colorado stammenden Sänger, Schauspieler, Friedenskämpfer, Rebell und Frauenschwarm  ändert sich damit das ganze Leben. Dean Reed lebt ab 1972 "als singender Cowboy der DDR" im Arbeiter- und Bauernstaat. Hier wird er viele Jahre später auch sterben - und sein mutmaßlicher Freitod im Jahr 1986 wird noch viel länger geheimnisvolle Gerüchte nähren, die Staatssicherheit habe den Star ermordet.

Dabei war Dean Cyril Reed, mit zehn Jahren auf Wunsch des Vaters an einer Kadettenakademie eingeschrieben, überhaupt nur zufällig Popstar geworden. Als er nach dem Abschluss an der Highschool quer durch die USA fuhr, vermittelte ihm ein Tramper, den er mitgenommen hatte, den Kontakt zum 

Er hatte die Ranch in Texas gegen ein Seegrundstück nahe Berlin getauscht, den Erfolg in den amerikanischen Billboard-Charts gegen Auftritte in der FDJ-Sendung "rund", den Jubel des Madison-Square-Garden gegen den Applaus der Menschen im Arbeiterklubhaus Bitterfeld. Bei den Weltfestspielen in der DDR fühlt er sich geliebt wie daheim in den USA, als alles begann. 

Reed, dessen Leiche ein aufmerksamer Wasserschutzpolizist am 17. Juni 1986 am Schilfgürtel in der Nähe des Badestrandes südlich des Zeltplatzes Nummer 2 am Zeuthener See entdeckt, ließ Zeit seines Lebens keinen Zweifel daran, auf welcher Seite er stehen wollte. Der Sohn eines Mathelehrers, aufgewachsen auf einer Hühnerfarm in Weath Ridge unweit von Denver im US-Bundestaat Colorado, sah sich als Sänger des besseren, des moralisch sauberen Amerika. Reed war an der Seite der "fortschrittlichen Menschen" unterwegs, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Er war kein Kommunist, aber als Sozialist hätte man ihn in den USA durchaus einordnen können.

Vor allem in Südamerika lieben die Menschen den "Magnificent Gringo", der jedem offen entgegentritt, nicht belehrt, sondern sich lieber belehren lässt. Reed hört zu, er zeigt sich als empathischer Mensch, der an Ungerechtigkeiten leidet, für die sein Heimatland aus seiner Sicht die Verantwortung trägt. Vor aller Augen wird aus dem naiven Country-Sänger ein politisch denkender Künstler, der seinen eigenen Kopf hat. In Peru schreibt Dean Reed seiner Regierung einen Brief, in dem er gegen amerikanische Kernwaffentest protestiert, er freundet sich mit linken Gewerkschaftern an und fährt als Delegierter zum Weltfriedenskongress nach Helsinki.

Der Sänger des anderen Amerika

Danach ist das Leben des jungen Stars
 nicht mehr dasselbe. Er besucht die Sowjetunion und darf dort sogar auf Tournee gehen. Während die Fans in den USA ihn vergessen haben, liegen sie ihm zwischen Moskau und Perm zu Füßen. Reed ist im Osten Ersatz für Beatles und Stones. Schließlich verschlägt es ihn in die DDR, wo er einen Film über Chile vorstellt und sich Hals über Kopf in Wiebke verliebt. 

Es ist der letzte Wendepunkt im Leben des Genossen Cowboy, der in den 13 Jahren bis zu seinem rätselhaften Freitod für die einen zum roten Elvis und für die anderen zum roten Tuch wird. Den DDR-Mächtigen gilt der Seitenwechsler als Glücksfall. Der Amerikaner ist für die DDR ein Propagandacoup. Er 
wird direkt von der Abteilung Agitation des SED-Zentralkomitees betreut und lebt in der DDR ein Leben, das mit der DDR nicht viel zu tun hat. Reed gehört zu den oberen Zehntausend im Arbeiter- und Bauernstaat. Er genießt zahlreiche Privilegien, er kann reisen, er hat Zugang zu raren Waren, an denen es sonst überall mangelt in der Mangelwirtschaft des Sozialismus, der sich selbst als gerechte, klassenlose Gesellschaft lobt.

Der Paradiesvogel im grauen DDR-Kulturbetrieb dreht Filme und spielt Platten ein, besucht Kubas Revolutionsführer Fidel Castro und Palästinenserchef Jassir Arafat. Er dreht das große Rad im kleinen Staat und avanciert nach Ansicht des "People's Magazine" zum "größten Star der Popmusik von Berliner Mauer bis Sibirien". Der Sunny-Boy sonnt sich in seinem Ruf und prominente Revolutionäre suchen seine Nähe. Er bekundet, dass er "im Chile der Unidad Popular eine zweite Heimat gefunden" habe. "Und dieses wunderschöne Land mit seinen wunderbaren Menschen ist mir auch heute noch Heimat. Denn die Zeit der faschistischen Herrschaft über Chile wird vor der Geschichte nur eine Episode bleiben. Aber jedes Gespräch, das ich dort hatte, jeder Händedruck, den ich getauscht habe, jedes Lächeln, das mir zuteil geworden ist - all das ist mir unvergesslich geblieben", schwärmt er.  

Seitenwechsler als Symbol


Bald ist der Seitenwechsler mit dem chilenischen Präsidenten Salvador Allende und mit Palästinenserführer Jassir Arafat befreundet, er protestierte gegen die US-Regierung, gegen Diktaturen und den Vietnamkrieg, verbindet das aber mit Exotik des Countrymusim singenden Amerikaners im DDR-Fernsehen und Star in Defa-Filmen, in denen er etwa im Indianerfilm "Blustbrüder" einen desillusionierten US-Soldaten spielt, der sich nach einem Massaker der US-Kavallerie an einem unschuldigen indigenen Stamm die Barthaare einzeln herausreißt, um wie sein Freund, ein Stammeshäuptling, Indianer zu werden.

Der junge Amerikaner, erstmals aufgefallen, als es ihm gelingt, ein 110-Meilen-Rennen gegen ein Maultier zu gewinnen, weshalb er Probeaufnahmen machen darf, die ihm auf einen Schlag einen lukrativen Sieben-Jahres-Vertrag einbringen, ist wieder ein Star, aber kein kleiner mehr wie daheim, sondern ein großer.

Das wollte  er von Anfang an und anfangs ließ es sc auch gut an. Mit Songs wie "Summer Romance" entert er die US-Hitparaden, bald hagelt es Filmangebote und Touranfragen aus dem Ausland. Dean Reed, von Fans umschwärmt und von den Frauen vergöttert, schwebt durch die frühen Jahre seiner Karriere: Das Leben ist ein Traum, die Welt viel größer, als es von Wheat Ridge aus den Anschein hatte.

Am Ende großer Tage


Doch dann neigen die großen Tage sich dem Ende zu. Zwar findet Dean Reed nach der Trennung von seiner ersten DDR-Frau in der Schauspielerin Renate Blume schnell eine neue große Liebe. Mit der Sommerkino-Klamotte "Sing, Cowboy, Sing" gelingt ihm sogar ein echter Kassenknaller. Der Exotenbonus aber, den der Kommunist mit US-Pass in den 70ern noch genoss, hat sich verbraucht. In den 80ern ist Reed für viele DDR-Bürger nur ein staatsnaher Stetson-Träger, der keine Ahnung vom wirklichen Leben in seiner Wahlheimat hat. Sein Protest gegen die US-Regierung, gegen Diktaturen und den Vietnamkrieg, das Foto mit der Gitarre in der einen und einer Kalaschnikow in der anderen Hand, sie gelten den normalen DDR-Bürgern als Zeichen nicht für Rebellentum, sondern für Opportunismus.

Privat ist Dean Reed auch nicht immer fein. Er hat Geliebte neben seinen Ehefrauen, beim ihnen genießt er die Reste seines Ruhmes.  So lange es ihm selbst gefällt. Als eine von ihnen ihm lästig wird, wirft er aus dem Haus. Die Frau versteht  die Welt nicht mehr, wie sie im Film "Der rote Elvis" erzählt : "Ich dachte, ich spinne - der große Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit in aller Welt schmeißt eine Frau einfach so aus dem Haus."

Er versteht es doch


Der Amerikaner versteht das alles nicht. Und er versteht es doch.  Denn er merkt zunehmend, dass auch in der DDR einiges im Argen liegt. So faucht er 1982 Volkspolizisten laut Protokoll der Beamten an, als sie ihn wegen einer Geschwindigkeitsübertretung anhalten: "Die Staatslimousinen, die mich gerade mit 160 km/h überholt haben, schreibt ihr nicht auf. Das ist ja wie ein faschistischer Staat hier. Ich habe das langsam wie die meisten der 17 Millionen in diesem Land bis hierher satt!"

Fast klingt er da wieder wie der junge Mann, der, am 1. September 1970 vor dem Konsulat der USA in der chilenischen Hauptstadt Santiago die amerikanishe Flagge wäscht. Eine Symbolhandlung, die Reed so begründet: "Die Flagge der USA ist befleckt mit dem Blut von Tausenden vietnamesischer Frauen und Kinder, die bei lebendigem Leibe von dem Napalm verbrannt worden sind, das von amerikanischen Aggressionsflugzeugen aus dem einzigen Grund abgeworfen worden ist, weil das vietnamesische Volk in Frieden und Freiheit, in Unabhängigkeit und mit dem Recht auf Selbstbestimmung zu leben wünscht." Auch sei die Flagge der USA "befleckt mit dem Blut der Schwarzen Bürger der Vereinigten Staaten, die von einer Polizei des Völkermords aus dem einzigen Grund in ihren Betten ermordet worden sind, weil sie in Würde und mit den vollen Bürgerrechten eines Bürgers der Vereinigten Staaten zu leben wünschen."

Der Flaggenwäscher


Die Flagge der USA, gewaschen vor den "Völkern der Welt", das gefällt Dean Reed , der "Blut und Qual von Millionen Menschen in vielen Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens, die gezwungen sind, in Elend und Ungerechtigkeit zu leben, weil die Regierung der Vereinigten Staaten die Diktaturen unterstützt" als seine eigene Verantwortung wahrnimmt. 

Die Liebe der Menschen in der DDR ist flüchtig, Und als sie fort ist, gewinnt er sie nicht zurück. Reeds Platten liegen wie Blei in den Läden. Neue Filmprojekte werden ihm zwar noch angeboten, aber nicht mehr verwirklicht. Dem Mann, der seiner Umwelt ganz amerikanisch stets beweisen wollte, dass er der Beste ist, tut das weh. Dean Reed beginnt zu trinken. Parallel streckt er seine Fühler zu alten Freunden nach Amerika aus, um vorzufühlen, wie es denn wäre, wenn er zurückkäme.

Anfang Juni 1986 erleidet er einen Herzanfall. Kurze Zeit darauf droht er nach einem Streit mit seiner Frau, sich umbringen zu wollen. An einem Tag im Juni 1986 verschwindet er plötzlich. Seine Witwe erinnert sich: Es ist ein Donnerstag, dieser 11. Juni, als Reed sich abends ins Auto setzt, angeblich um nach Babelsberg zu fahren. "Er packte seine Tasche und sagte, er gehe zu den Menschen, die ihn lieben. Dabei gab er jedoch kein konkretes Reiseziel an", berichtigte seine Frau später.  

Nie irgendwo angekommen


Wohin auch immer, nirgendwo ist Dean Reed je angekommen. Am Ufer des Zeuthener Sees bei Berlin wird Dean Reed wenige Tage später tot gefunden, in seinem Lada findet die Polizei erst vier Tage darauf einen 15-seitigen Abschiedsbrief: "Mein Tod hat nichts mit Politik zu tun", schreibt Reed darin, "aber ich kann keinen Weg finden aus meinen Problemen." Dennoch verschwindet das 15-seitige Schrfeiben bis zum Ende der DDR in den Stasi-Akten. 

Aber der Tod war ein Politikum allerersten Ranges. Honecker persönlich, den Reed im Brief ausdrücklich grüßt, gab die Parole vom Unglücksfall aus. Im Westen tauchte die Vermutung auf, die Stasi könnte den Künstler beseitigt haben, weil er plante, in die USA zurückzukehren. Bis heute halten sich Mutmaßungen, der Abschiedsbrief könne von der Stasi selbst verfasst worden sein. 

Reeds Urne wurde erst 1991 in die USA überführt.

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