Der Staatssicherheit waren sie schon von Berufs wegen verdächtig - kaum irgendwo sonst wurde angestrengter überwacht und spioniert als im Milieu der Rock- und Popmusik des Arbeiter- und Bauernstaates. Ostrocker wurden so zu Opfern, aber auch zu Tätern.
Zumindest Kurt Hager war die Situation nicht geheuer. "Wie ich Dir schon sagte", schrieb der Kulturverantwortliche des SED-Politbüros Anfang April 1984 an Stasichef Erich Mielke, "haben sich durch die Ablehnung der Reisefähigkeit einiger auch international einsetzbarer Gruppen Probleme auf dem Gebiet der Rockmusik ergeben". Hager forderte Konsequenzen. "Wir müssen in dieser Frage großzügiger sein", mahnte er Mielke. Die "unterschiedliche Behandlung der Rockgruppen" führe zu einer Situation, "in der wir mit diesen Gruppen schwierige Auseinandersetzungen bekommen".
Schlechte Stimmung nach BAP
Die Stimmung in der DDR-Rockszene Mitte der 80er Jahre war so schon schlecht genug. Eine geplante DDR-Tour der BRD-Gruppe BAP, von der die DDR-Szene sich insgeheim eine weitere Öffnung erhofft hatte, war nach einem Streit um einen kritischen Liedtext abgesagt worden. Das erste Gastspiel des Hamburger Sängers Udo Lindenberg hatte nahezu ausschließlich vor handverlesenem Publikum stattgefunden, eine bereits angekündigte Tour ließen die DDR-Verantwortlichen anschließend still sterben. Der Bluesmusiker Hansi Biebl reiste in den Westen aus. Ausreiseanträge hatten auch Hans-Joachim Neumann, Chef von "Neumis Rock-Circus", die Sängerin Angelika Mann und der Gitarrist Udo Weidenmüller gestellt. Und die Wunden, die der Weggang einer ganzen Künstlergeneration mit Leuten wie Veronika Fischer, Manfred Krug oder Nina Hagen gerissen hatten, brannten immer noch. Kurz:
Die Situation war mal wieder ernst. Im Politbüro, wo man sich seit Anfang der 60er Jahre immer wieder auch mit dem ungeliebten Phänomen Popmusik auseinandergesetzt hatte, verteilte Erich Mielke am 24. April höchstpersönlich die neueste "Information über die Ergebnisse der Überprüfung der Reisefähigkeit von Rock-Musikformationen der DDR in das nichtsozialistische Ausland". Schlechte Nachrichten. Von 500 Amateurgruppen und 85 professionell arbeitenden Rockbands attestierte die Staatssicherheit ganzen sechs die uneingeschränkte Reisefähigkeit. Namhafte Gruppen wie City, Silly, Prinzip und Wir mussten daheim bleiben, obwohl sich, wie Kurt Hager zuvor noch an seinen Politbüro-Kollegen Mielke geschrieben hatte, "die leitenden Genossen des Ministeriums für Kultur für die Gruppen einsetzen und Gastspielangebote aus dem NSW vorliegen".
"Politisch negative Haltung"
Doch das hatte die besseren Argumente: Silly-Sängerin Tamara Danz unterhalte Verbindungen zu Personen, die die DDR illegal verlassen hätten, sie habe im übrigen eine politisch unzuverlässige Gesamthaltung und stelle ihre Wohnung für Treffen von Westberliner Bürgern mit politisch-negativen DDR-Bürgern zur Verfügung, teilte das Organ mit. Citys Toni Krahl habe ebenso wie Bassist Manfred Henning "eine politisch-negative Haltung zur DDR", er sei außerdem wegen staatsfeindlicher Hetze vorbestraft. Der City-Lichttechniker Rolf J. sei "1991 Nichtwähler" gewesen und pflege Beziehungen zu einem im Westen gebliebenen Techniker der Gruppe Kreis. Von Wir-Sänger Wolfgang Ziegler wußte man, dass er gegen die Zollbestimmungen verstoßen hatte, über Silly-Techniker Alfons D. lag der Hinweis vor, "wonach er nach Möglichkeiten sucht, die DDR ungesetzlich zu verlassen". "Die hatten immer Informationen abrufbar", ist sich City-Chef Toni Krahl heute sicher, "da konnten sie jeweils das hernehmen, was sie für einen Dämpfer politisch für nötig hielten."
Dann konnte auch Hager nichts mehr machen. Der Kessel blieb zu. Und der Druck stieg. Die Staatssicherheit aber war auf der Hut. Und Rockmusiker waren Mielkes Männern schon von Berufs wegen verdächtig. Langhaarig, erfahrungsgemäß häufig einer "feindlich-negativen Haltung" verdächtig und zu keiner Institution richtig dazugehörig - das passte nicht in den ordentlichen kleinen Sozialismus der DDR. Also durften Künstler wie Karat-Sänger Herbert Dreilich und Renft-Chef Klaus Jentzsch, Karussell-Bassist Claus Winter oder City-Sänger Toni Krahl zwar einerseits zu "gesellschaftlichen Höhepunkten" wie den Weltfestspielen und "Rock für den Frieden" in die Saiten greifen, andererseits aber wurden sie wie Feinde des System unter Beobachtung gehalten. Ein "zweiter Fall Biermann, ein zweiter Fall Renft-Combo", lautete die Devise, müsse unter allen Umständen verhindert werden.
Biermann und Renft verhindern
Ein zunehmend schwieriger werdendes Vorhaben. "Vorliegenden Hinweisen zufolge", meldete die Stasi ihrem Minister im Jahr 1983, "steigt die Anzahl der Rockformationen ständig an. Das erschwert eine sorgfältige Auswahl und Überprüfung der Personen erheblich." Außerdem läge, empört sich der zuständige Offizier, bei zentralen staatlichen Stellen keine "zentrale personelle Übersicht" über die Mitglieder der Gruppen vor. Es fehlten insgesamt Kader- und andere Unterlagen, aus denen die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung der einzelnen Gruppenmitglieder ersichtlich sei. "Daraus resultiert eine nicht ausreichende einheitliche staatliche und gesellschaftliche Einflussnahme, Erziehung und Kontrolle der Gruppenmitglieder".
Zumal, wie der Potsdamer Musikwissenschaftler Peter Wicke bestätigt, "kein homogener Apparat über dieser Art Kultur thronte". Ganz im Gegenteil vertrat meist ein "ganzes Geflecht von Leitungsinstanzen und Kommissionen sehr unterschiedliche Ansichten". So konnte es durchaus vorkommen, daß das Ministerium für Kultur die Produktion einer Platte genehmigte, deren Sendung im Rundfunk von der Kulturabteilung des SED-Zentralkomitees verboten wurde, noch ehe die Platte fertig war. Auch kam es vor, daß Gruppen in bestimmten Städten oder Bezirken Auftrittsverbot hatten, sie gleichzeitig aber im staatlichen Fernsehen spielen durften.
Auftrittsverbot, aber Fernsehauftritte
"Einheitliche politische Orientierungen werden bisher nicht genügend erarbeitet", hieß das dann bei den Männern des MfS. Eine Klage, die die Stasi von Anfang an führte. Seit den frühen 60er Jahren hatten junge Leute, die inspiriert von den Beatles und den Rolling Stones irgendwo Rock'n`Roll oder Beat spielten, immer wieder für Ärger gesorgt. Beatmusik galt als Werkzeug des Klassenfeindes, ja, als "Splitter des Pfahles im Fleisch des Sozialismus" , wie es in einer Akte geheimnisvoll heißt.
Kulturdarbietungen wie die der "Diana-Show-Band", die in Tigerfelle gekleidet "wildes Remmidemmi" (Junge Welt) zu machen pflegte, passten nicht in die Landschaft. Nach einer kurzen Phase der Öffnung für die neue Mode aus dem Westen, in der eine Beatles-Platte bei Amiga erscheinen und die FDJ eine "Gitarrenmusikbewegung" initiieren durfte, übernahmen bald wieder die Hardliner das Kommando.
Wie Dokumente aus dem SED-Parteiarchiv belegen, war der Kurswechsel langfristig vorbereitet worden. Schon 1964 ließ sich der damalige SED-Sicherheitschef Erich Honecker regelmäßig eine Aufstellung der "sicherheitsrelevanten Vorfälle bei Beat-Veranstaltungen" erarbeiten, in der jedes zu Bruch gegangene Bierglas und jeder wegen zu langer Haare "aufgegriffene" Jugendliche penibel aufgelistet wurde.
Harte Rhythmen staatsgefährdend
Nach dem berüchtigten 11. Plenum des ZK der SED im Dezember "gaben wieder die Sicherheitsorgane die ästhetischen Maßstäbe vor", meint Rockforscher Peter Wicke, "und nach deren Meinung waren harte Rhythmen nun mal eine staatsgefährdende Übung". Doch was man anfangs noch verbieten oder mit Polizeigewalt niederknüppeln konnte, ließ sich nie völlig vernichten. "Jede verbotene Band kehrte unter anderem Namen zurück", beschreibt Wicke, "und auch die Fans entwickelten immer neue Selbstbehauptungsstrategien." Rückzugsgefechte um Haarlängen, Bekleidungsmode und Sprachregelungen kündigten die Kapitulation des Systems an. "Da offensichtlich Beat-Formationen differenzierten Bedürfnissen unserer Jugend entsprechen", vermerkt ein Papier des Kulturministeriums, könne man mit Verboten nicht mehr arbeiten.
"Es kommt vielmehr darauf an, die jugendgemäße Tanzmusik weiterzuentwickeln". Angesichts der Gefahr, die man in den "zumeist unkontrollierten Aktivitäten zahlreicher Gruppen" und einer "Wirksamkeit, die sich nicht in Übereinstimmung mit unserer Kulturpolitik befindet" sah, setzte die DDR-Führung verstärkt auf Eingliederung. Jugendliche Musik ja, aber gepflegt muss sie sein. "Niemand hat etwas gegen eine gepflegte Bittmusik", verkündete nun auch Staats-und Parteichef Walter Ulbricht, der kurz zuvor zum Schrecken aller Rockfans noch öffentlich gefragt hatte: "Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen? Muss man denn dieses Yeah, Yeah, Yeah nachmachen?".
Immer dieses yeah, yeah und yeah
Erst, als es nicht mehr anders ging, taute das Eis, Rock durfte hoffähig werden. Die Staatssicherheit allerdings redete immer ein Wörtchen mit. In kaum einem anderen Lebensbereich der DDR wurde angestrengter überwacht und ausgiebiger spioniert als in der DDR-Rock- und -Liedermacherszene. "Je ausgeprägter die ästhetischen Ressentiments gegen eine bestimmte Art Musik", sieht Wicke einen direkten Zusammenhang, "umso größer wurde die staatsgefährdende Wirkung eingeschätzt." Überall witterte das MfS Gefahr, überall hatte es seine Männer sitzen: In Singeclubs und hinter den Schlagzeugen, in Bandbüros und bei den Konzert- und Gastspieldirektionen, bei der Plattenfirma Amiga und in den Radiosendern.
"Schlüsselpositions-IM Rose" und GMS "Erika", IMS Peters, IM Höhne und unzählige andere besorgten Textabschriften, ehe die Lieder eingespielt wurden, Männer wie der spätere ORB-Moderator Lutz Bertram, der Liedermacher Gerhard Gundermann oder auch die "Firma"-Sängerin Tatjana meldeten diffuse Stimmungsschwankungen in den Gruppen weiter und informierten über illegal aus dem Westen eingeschmuggelte Verstärkertechnik.
"Biet" statt Beat
Und überall kamen die Männer von der Sicherheit, die noch 1974 gelegentlich "Biet" statt "Beat" schrieben und die Wirkung der gleichnamigen Musik einem "aufreizenden Rhythmus, der unter Nutzung modernster elektronischer Mittel in Überlautstärke dargeboten wird" zuschrieben, zu spät. Phänomene wie das des Fans, der seiner Lieblingsband zu jedem Auftritt nachreist, bemerkte man erst, als die Fans als schon als "sogenannter Anhang" von 100 bis 150 Personen "überregional in Erscheinung" traten.
Und auch da versteht das Ministerium noch nichts: "Regelrechte Anführer oder Organisationen sind bislang nicht bekannt", heißt es in einem Bericht über das "rowdyhafte, negative, asoziale und dekadente Verhalten" der DDR-Rockfans anno 1974 verwundert. Die Rockmusiker in der DDR waren sich durchaus über ihre seltsame Lage im Klaren. Zwischen Verbot und Vereinnahmung, Fallenlassen und Fördern, Kriminalisierung und Kooperation, so Peter Wicke, "vollführten sie eine komplizierte und risikoreiche Gratwanderung".
Rocker auf Gratwanderung
Einerseits die Ansprüche des Publikums, das sich an westlichen Rockbands orientierte, andererseits eng beschränkte Möglichkeiten, an Bühnentechnik, Plattenverträge und Medien Auftritte zu kommen. Dazu die Auflagen, Erwartungen und Instrumentalisierungsabsichten des SED-Apparates, der nie verstand, worum es bei Rockmusik eigentlich ging - Rockmusiker in der DDR war auch ein Diplomatenjob. Einer der "Diplomaten" war Puhdys-Keyboarder Peter Meyer. Unter dem Decknamen "Peter" lieferte er ab 1973 "Informationen zu Personen und Sachverhalten", wie es im Abschlussbericht der Hauptabteilung XX heißt. Mit zunehmenden Erfolgen und der damit verbundenen häufigen Gastspieltätigkeit seiner Rockgruppe im NSW sei dann allerdings eine kontinuierliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich gewesen.
Meyer, der nach der Wende bekundete, nur im Auftrag seiner Kollegen mit dem MfS gesprochen zu haben, wollte wohl auch nicht mehr. Die Puhdys hatten alles erreicht. Das MfS konnte ihnen nicht mehr helfen. "In den Mittelpunkt seiner Ausführungen bei Treffs rückten persönliche Probleme, vor allem zur Reisefähigkeit von Gruppenmitgliedern", klagt Meyers Führungsoffizier. Dadurch habe der IM nur noch "wenig operativen Wert". Achtzehn Tage nach dem Mauerfall wird Meyer "abgelegt". Der Großteil seiner Akte wurde vernichtet. Die Empfehlung der Staatssicherheit, daß "gesellschaftlich und künstlerisch nicht genügend geeignete Rockmusikformationen" einer "anderen gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit zugeführt" werden sollten, konnte nicht mehr in die Praxis umgesetzt werden.