Die Besteigung des geheimnisvollen Olymp ist erst lockere Wanderung und wird dann zu einem echten Kletterabenteuer: Fast senkrecht geht es hinauf zum Thron der Götter.
Leicht vorstellbar, warum Göttervater Zeus sich ausgerechnet dieses Bergmassiv als Wohnsitz ausgesucht hat. Nicht so besonders hoch, nicht so besonders kalt und auch nicht so weit weg vom Strand des strahlend blauen Mittelmeers. Und doch weit oben, fast ständig umweht von undurchdringlichen Wolkenfahnen. Der Olymp, der eigentlich kein Berg ist, sondern ein ganzes Gebirge, versteckt seine Gipfel Mytikas (2 918 Meter), Skolio (2 911 m), Stefani (2 909 und Skala (2 866 m) vor den Augen der Menschen.
Die aber nun genau das erst recht neugierig macht. Wie einst der Held Odysseus, der sich am Mast festbinden ließ, um die Sirenen selbst zu hören, kommen Trekker und Wanderer heute zu Hunderten, um hinaufzusteigen zum Thron des höchsten Griechengottes, in dessen Nähe auch Poseidon, Hera, Apollon, Athene und etliche andere Götter wohnen sollen.
Es ist eine Wanderung, die mit Anlauf quer durch die Geschichte führt, bevor sie schweißüberströmt in abgelegene Bergregionen steigt, in denen einzigartige Orchideenarten, Panzerkiefern und Hornkräuter wachsen, wie Reiseleiter Archelaos Biehler beschreibt. Und die danach mit einem gemütlichen Spaziergang entlang der aufgegebenen alten Bahnlinie der griechischen Staatsbahn OSE zwischen Thessaloniki und Athen endet. Zehn Meter neben dem zugewucherten Gleis schlagen die Wellen an einen einsamen Strand.
Griechenland ist im Jahr fünf der großen Krise ganz anders als erwartet. Thessaloniki, Ausgangspunkt für alle Wandertouren zum Olymp, ist eine Stadt, die vor Leben vibriert. Kneipen und Bars sind voll, elektronische Musik donnert nächtelang durch eine Innenstadt, die kein Atemholen kennt. Tausende junger Leute schieben sich von Theke zu Theke, es spielen Bands, es locken Ausstellungen und Festivals. 80 000 bis 100 000 Studenten leben hier in einem Ballungsraum, den rund eine Million Menschen bevölkert. "Es gibt niemanden unter 30, der nicht Riesenschulden schleppt", sagt Archelaos Biehler, der Physik studiert und seit drei Jahren für den deutschen Reiseveranstalter Hauser arbeitet. Aber, sagen sie hier, man könne sich ja deswegen nicht das Leben nehmen.
Es muss weitergehen und es geht ja auch immer weiter, trotz Sparpaket und Wahlen und Protesten. Die Griechen, die sich hier oben im Norden des Landes als Erben des großen Makedoniers Alexander des Großen sehen, sind stolz auf ihren neuen und alten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Der habe Europa die Faust gezeigt, auch wenn er sie anschließend doch wieder zum Handschlag ausstrecken musste, beschreibt ein Mann in einem Café in Thessaloniki die Lage aus seiner Sicht. Das sei immerhin gut gewesen für die Würde der Griechen, die vorher "komplett kaputt" gewesen sei. "Der Sommer war hart und die Saison ganz kurz und schlecht", erzählt der Wirt der Cafeteria Caravel im Hafenstädtchen Glifa, "erst die Finanzkrise, dann die Flüchtlinge". Aber jetzt werde bestimmt bald alles besser.
Oben in den Meteora-Klöstern, im Pindos-Gebirge in der Nähe der Stadt Kalambaka, wird schon wieder gebaut, mit EU-Mitteln, wenn auch nicht zur Freude von Klosterexpertin Penoglou Pinelopi, die entschuldigend mit den Achseln zuckt. Ein ganzes Stück Berg haben sie abgetragen am Kloster Metamórphosis, einer vor Jahrhunderten von Mönchen atemberaubend auf eine 600 Meter hohe Felsspitze gesetzten Burg, trotz Unesco-Welterbestatus. "Sie wollen das Klostermuseum vergrößern", erklärt Pinelopi. Das ist allerdings auch bitter nötig, denn auf den Straßen zu den sechs noch bewohnten und besichtigungsbereiten von insgesamt 24 großen und kleinen christlichen Krähennestern stauen sich Touristenbusse vor allem aus den orthodoxen Bruderländern Serbien und Russland.
Wie still ist es dagegen im Enipeas-Canyon, der direkt in den Olympus-Nationalpark führt. Hinter dem Örtchen Litochoro öffnet sich das Bergmassiv zu einer langen Schlucht, die neben einem malerischen Flusslauf gemächlich ansteigt. Vier Stunden dauert die Wanderung durch den Canyon, in dem der mythische Sänger Orpheus einst von rasenden Frauen zerrissen worden sein soll. Mittendrin beginnt es aus Kannen zu gießen. Griechenland im Spätsommer, auch das anders als gedacht.
Das im II. Weltkrieg von deutschen Truppen zerstörte Kloster Agios Dionysios ist heute unerreichbar. Dafür klart es in den Tagen darauf wieder auf. Vom Parkplatz in Prionia auf 1 100 Metern Höhe geht es nun zur Spilios-Agapitos-Hütte, von der aus früh am Morgen der Gipfelsturm beginnt.
800 Höhenmeter durch spärlicher werdende Vegetation. Geröll liegt auf blankem Fels. Der Weg ist schmal und ein streunender Hund schließt sich der Wandergruppe schwanzwedelnd an. Es geht aufwärts, an Steinpyramiden vorbei über abfallende Hänge. Hinter einer Biegung dann die Himmelsleiter, ein Felseinschnitt, der fast senkrecht hinaufführt zu Zeus' Thron. Ohne den bergkundigen Archelaos Biehler wäre die Gruppe vermutlich vorbeigestiefelt. So aber geht es angeseilt und mit Berghelm steil nach oben, auf Händen und Knien, durch Wolkenfetzen in den blauen Himmel hinein. Nur einen Moment bleibt auf dem Gipfel Zeit, den Schweiß abzuwischen und ein Foto zu machen. Dann möchte der Göttervater wieder seine Ruhe haben.
Weitere Informationen:
www.hauser-exkursionen.de
www.griechenland-wanderungen.de
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