Samstag, 21. Januar 2023

Josephskreuz im Harz: Der türkise Riese


Es ist nur ein ganz kleiner Berg, auf dem der große Turm steht, von dem aus man weit ins Land blicken kann. Mit einer Höhe von gerade einmal 580 Metern ist die Josephshöhe im Vorharz zwischen Stolberg im Südwesten und Straßberg im Nordosten, offiziell die Südspitze des Großen Auerbergs, nicht einmal der Name, nicht sehr beeindruckend, aber leicht zu besteigen. Vielleicht war das der Grund, warum hier im 17. Jahrhundert ein schlichter Fachwerk-Aussichtsturm mit vier Aussichtsluken errichtet wurde.

Das größte Doppelkreuz der Welt aus Eisen.

Kein Bauwerk, das lange Bestand hatte: 1768 wurde der von Wind und Wetter angegriffene Turm gestürzt, weil er baufällig war und mit Besuchern auf seiner Aussichtsplattform einzustürzen drohte. Interessant, wie es abgerissen wurde: Bergleute, von denen es in der Region viele gibt, haben es untergraben, bis es einfach zusammenbrach. Genau zu der Zeit, als in der Nähe der letzte Wolf des Harzes erschossen wurde.


Damals hat man aus Erfahrung gelernt, dass es etwas Besonderes braucht, um Massen von Menschen anzuziehen. In dieser Zeit wurden vielerorts hölzerne Aussichtstürme errichtet, um Tiuristen anzulocken, aber der Graf Joseph zu Stolberg-Stolberg, ein Mann mit fein entwickeltem Kunstgeschmack, hatte den Plan, in seinem Reich einen Turm von besonderer Schönheit errichten zu lassen.

Die Aussicht von oben ist atemberaubend

Bezüglich Stolberg-Stolberg fragte niemand geringerer als der geniale klassizistische Baumeister Karl-Friedrich Schinkel, ob er eine Idee habe. Schinkel, der die Königswache (Neue Wache), das Schauspielhaus und das Alte Museum in Berlin gebaut hatte, fand die Idee interessant und entwarf einen Turm in Form eines aufrechten vierteiligen rotationssymmetrischen lateinischen Kreuzes, den der Stolberger Zimmermeister Schatz zeichnete aus 365 Eichen waren in den umliegenden Wäldern geschlagen worden.


Aber auch der neue Turm hielt nicht lange. Das Richtfest von Schinkels Holzturm in Form eines Doppelkreuzes wurde am 24. September 1833 gefeiert, aber nicht einmal 50 Jahre später das nach seinem Bauherrn „Josephskreuz“ benannte Gebäude, das keine Treppen hatte und nur stehen konnte kletterte mit Leitern, wurde vom Blitz getroffen. Dann brannte der Turm ab – zum Unmut der Familie zu Stolberg-Stolberg, die nun den Bau eines massiven Turms planten.

1896 wurde es fertiggestellt, diesmal als 38 Meter hohes Bauwerk mit stattlichen 125 Tonnen Gewicht, das von rund 100.000 Nieten zusammengehalten wird. Es dauerte nicht einmal ein halbes Jahr und kostete nur 50.000 Mark, um das unverwechselbare Wahrzeichen auf den Berg zu setzen, das heute das größte aus Eisen gefertigte Doppelkreuz der ganzen weiten Welt ist.


Die mächtige Eisenkonstruktion, die inzwischen zum Anziehungspunkt für hunderttausende Besucher geworden ist, ruht auf einer riesigen Betonplatte, die auch Platz für eine Schutzhalle bietet, die 400 bis 500 Personen Platz bietet. Um zur Aussichtsplattform zu gelangen, müssen Sie 200 Stufen erklimmen, ein schwieriger, aber lohnenswerter Weg. Die Treppen schlängeln sich bergauf, man hört den Atem wie auf einem richtigen Gipfelspaziergang. Der Blick weitet sich immer mehr, man sieht die Nieten und spürt den Wind, der die Konstruktion ein wenig bewegt.



Keine Angst vor einem neuen Zusammenbruch! Zum 100-jährigen Jubiläum 1987 wurde das Wahrzeichen der ganzen Region rekonstruiert, 2003 erfolgte dann eine grundlegende Renovierung. Geblieben ist die einprägsame Farbe des Gebäudes, ein kupfernes Türkis, das einen wunderbaren Kontrast zum Grün der umliegenden Wälder bildet der blaue Himmel über dem Harz. Bei gutem Wetter und klarer Sicht geht der Blick von hoch oben über die Landschaft des Unterharzes bis zum Brocken im Hochharz, der Große Inselsberg ist zu sehen und sogar das 60 Kilometer Luftlinie entfernte Magdeburg, dessen Domtürme deutlich zu sehen sind sichtbar. 

Englisch: Hier

Samstag, 26. November 2022

Erinnerung: Das siebte Jahr


Ich bin nicht hier, um zu gewinnen,
ich bin am Leben, um es zu verlieren.
Wo nichts verloren wird, ist nichts zu finden,
wer sich wärmen will, muss erstmal frieren.

Gerhard Gundermann



Beim Fußball hat er immer im Sturm gestanden. Natürlich im Sturm, ganz vorn, wo die Tore gemacht werden. Steffen Drenkelfuß war kein fleißiger Läufer, keiner, der das Spiel lenken wollte. Hier nicht. Hier, auf dem Platz, war er der, der seinen wuchtigen Körper mit ein paar schnellen Schritten in Position brachte und abschloss. Er war zielsicher, er war zur Verwunderung seiner Gegenspieler sogar schnell. Er war genau der, der er sein wollte. Ein Macher, ein Vollender. Ein Mann, der seinen Platz hatte und ihn ausfüllte.


Im Leben hat Steffen Drenkelfuß nach diesem Platz gesucht. Er liebte die lauten Runden, in denen über Gott und die Welt geredet wurde, die Abende am Lagerfeuer, an denen immer noch ein letztes Bier getrunken wurde, ehe es ins Zelt ging. Begann er zu erzählen, von den wilden Zeiten im Café Fusch, von seinen Reisen nach Afghanistan und Russland, von den Geschichten aus der Geschichte, die er liebte wie vielleicht kaum etwas sonst, dann wurden die Runden leise und alle hörten zu. Steffen Drenkelfuß war dann ein Menschenmagnet, ein wortgewandter Welterklärer, der allen einfachen Wahrheiten misstraute, weil er aus der Geschichte, die für ihn immer auch die Lebensgeschichte seiner geliebten Großmutter war, wusste, dass die Dinge nie einfach sind.

Steffen Drenkelfuß hielt es weniger mit den Gewinnern, die die Geschichte schreiben. Sein Herz schlug für die Verlierer, für die, die es versucht hatten und gescheitert waren.

Für sich selbst sah er das nicht vor. Meister seines Lebens zu sein, ein Mann, der seinen Weg geht, das war das Bild, das er von sich selbst hatte. Steffen Drenkelfuß war der Mann auf dem Kapitänsplatz hinten im Paddelboot, wenn es nach Schweden oder Polen ging. Tagsüber fuhr er ganz vorn im ersten Boot und abends war er der, der die Härten des Outdoorlebens bei jedem Wetter in vollen Zügen genoss – am liebsten nur in eine Plane gewickelt, der er seit der Armeezeit die Treue hielt. Er war ein Romantiker, er schlief auf einer Matte, die dreimal geflickt war, denn er hing an Dingen, die gelebt hatten.

Lange suchte er auch nach dem Ort, an dem er seine Fähigkeiten zeigen und verwenden konnte. Zum Glück für alle, die er auf seine Reise von der Universität zur Zeitungsredaktion, zum MDR und in die Stelle als Sprecher eines italienischen Hightech-Unternehmens mitnahm. Legende ist seines raue Imitation eines früheren MDR-Chefs, den er mit blitzenden Augen nachahmte. Auch seine absurden Anekdoten aus dem halleschen Rathaus hätten es verdient gehabt, ein Buch zu füllen. Und nie ließ er einen Zweifel daran, wie sehr er Falschheit und Größenwahn verachtete, wie sehr es ihn traf, wenn Aufschneider und Heuchler das Sagen hatten.

Steffen Drenkelfuß hätte es nie zugegeben, weil er sich für einen Realisten hielt. Doch er träumte von einer Welt, in der Leistungen zählen und nicht Bürokratie, Falschheit und das, was er Geschwätz nannte. Er selbst hat auf sich nie Rücksicht genommen, um seinem eigenen Anspruch an Leistung gerecht zu werden. Er arbeitete, akribisch, ausdauernd. Und wenn Freunde ihn brauchten, als Computerexperten, als Zuhörer, als Freund, war er da. So sehr, dass er oft den Vorwurf hörte, dass er nicht vergessen solle, dass da noch ein anderes Leben im Leben sein müsse.



Aber auch das hatte er, etwa wenn er am Pool bei seinen Eltern auf der Sonnenliege saß und bei einem Bier Gespräche mit seinem Vater  führte. Wenn er in Oebisfelde auf Fotopirsch zur Grenzerbank ging, aus der er mit seinen Bildern ein Kultmotiv machte. Oder wenn er abends zu Hause saß und über Max Höltz, Ernst Ottwalt oder Nestor Machno las. Bücher, die ihn beeindruckten, konnte er kapitelweise auswendig nachsprechen. Mit Gesten und ganzem Körpereinsatz holte er die Vergangenheit dann ins Heute. Er war begeistert und begeisterte andere. Er war lebendig. Er war glücklich.

Auch in der Musik. Er war dann melancholisch, romantisch, still. Gerhard Gundermann, Christian Haase, Natalie Merchant waren seine Säulenheiligen, immer wieder fand er aber auch zurück zum Punk seiner Jugendjahre. Den zornigen jungen Mann, der er damals gewesen war, trug Steffen auch jenseits der 40 noch irgendwo in sich. Milde können andere sein, sagte er. Steffen urteilte präzise und schnell, sein moralischer Kompass schlug sicher aus, und wenn er eine Position gefunden hatte, dann verteidigte er sie vehement. Bis das letzte Bier ausgetrunken und das Feuer zu kalter Asche heruntergebrannt war.

Steffen Drenkelfuß ist am 11. November 2015 gestorben.
Er ist nur 45 Jahre alt geworden.




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Samstag, 19. Februar 2022

Gegen alle Naturgesetze: Wo das Wasser aufwärts fließt


Es ist sehr schwer zu beschreiben, was man sieht, wenn man in Dulan, Donghe Township, an der Ostküste Taiwans ist. Es gibt einen Parkplatz und danach geht es eine Straße hinauf, auf eine Art und Weise, die man in den Beinen spüren kann. Es geht wirklich nach oben, nur ein paar Meter von der Autobahn entfernt - und der Rest ist ein wahres Wunder. Was uns verblüfft, ist nicht viel mehr als ein schmaler Kanal in der Oberfläche, 40 Zentimeter breit und halb voll mit Wasser.

Aber was für ein Wasser! Wenn man zurückblickt, woher man kommt, sieht man den Parkplatz und den kleinen Hügel - und den Kanal, der nach oben geht. Und das Wasser fließt mit. Wirklich!  

In scheinbarer Missachtung der Gesetze der Schwerkraft scheint das Wasser im 1,8 km langen Bewässerungskanal von Dulan nach oben zu fließen.  Den Hügel hinauf, in einen kleinen Garten auf dem Gipfel. Wer oben angekommen ist, kann auf sein Auto hinunterschauen. Kein Zweifel: Das ist unten. Wir sind oben.

Aber das Wasser ist mit uns den Berg hinaufgestiegen. Neben dem Kanal ist eine Steintafel mit der Aufschrift "Miracle" aufgestellt worden, wegen dieses geheimnisvollen Phänomens, das man für echt hält, wenn man davor steht. Sie können den ganzen Weg entlang des Kanals weiter nach oben gehen, jeder Schritt fühlt sich an wie eine Stufe auf einer Treppe. Aber die Schwerkraft, die Sie spüren, scheint nicht die gleiche zu sein, der das Wasser ausgesetzt ist.

Das Sprichwort "Der Mensch steigt auf, während das Wasser abwärts fließt" gilt überall sonst, nur nicht an diesem Ort der Wunder.


Macht Gott einen Scherz? Oder sind die Naturgesetze außer Kontrolle geraten? Nein, sind sie nicht. Es ist nur eine perfekte optische Täuschung, die Mutter Natur selbst ohne Grund geschaffen hat: Durch die Form des Hügels und die Wege rund um die Szenerie wurde der Schauplatz "Wasser läuft nach oben" geschaffen. Wenn Sie Ihr Smartphone nehmen und den Fall mit Hilfe von Google Maps wie ein Detektiv von CSI untersuchen, werden Sie feststellen, dass die reale Welt Sie und Ihre schlauen Augen fürchterlich täuscht. Das Aufwärts-Wasser geht in Wirklichkeit abwärts, so wie es sein muss.  Nur optisch stimmt das nicht: Der Mensch, daran gewöhnt, sich auf seine Sinne zu verlassen, wird hier von ihnen verlassen.

Es ist eine Sensation. Viele Touristen und Gläubige sind begeistert vom "Qiguan", auf chinesisch "spektakulärer Ausblick". Tatsächlich ist der Neigungswinkel des Straßenrandes, der größer ist als der der Straßenoberfläche, das Geheimnis hinter dieser Illusion in der Nähe des Taitung Coast Highway.

Sonntag, 14. November 2021

Reise nach Sundevit: Stolpern durch die Sturmflut


Es ist das 30. Jahr nach der Wiedervereinigung, als uns ein bizarrer Plan einfällt: Seit Jahren hatten wir vor, auf dem Kolonnenweg an der ehemaligen Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten entlangzuwandern. Dieser sogenannte Kolonnenweg ist insgesamt 1.400 Kilometer lang, eine zweispurige Linie längs durchs Land. Dort suchen wir nach dem, was übriggeblieben ist nach drei Jahrzehnten Einheit, danach, was die Natur uns aus der Vergangenheit erzählt und was die Menschen über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft sagen.

Die Ostsee im Sonnenschein ist immer ein schöner Anblick, noch schöner aber ist er, wenn man weiß, dass man seinen elend schweren Rucksack bald zum letzten Mal abwerfen kann. Und dann erstmal nicht mehr aufbuckeln muss.   Bis dahin sind es noch ein paar Schritte, immer am Ufer entlang, denn auch am letzten Abend wollen wir am Strand zelten. Dafür ist diese Gegend ideal, denn außer Sand und Meer und Wind und ein paar wenigen Spaziergängern und Strandbesuchern, gibt es hier ja nichts. 


Oder doch, Überraschung: Auf einmal taucht ein Kiosk auf, der auf keiner Karte eingezeichnet ist! Das ist für uns wie ein Zeichen, dass wir hier in der Nähe der "Strandnixe" bleiben sollen. Einige andere haben sich das auch gedacht und einen naheliegenden Parkplatz zum halblegalen Campingplatz für ihre Wohnmobile umfunktioniert.  

Wir essen ein Fischbrötchen, packen ein paar Bier ein und gehen zum Strand hinunter, um einen Platz für unser Zelt zu suchen. Der Sandstreifen ist hier nicht sehr breit, die Steilküste dahinter dafür aber sicher fünfzehn Meter hoch. Es gibt nur einen einzigen Weg hinunter - der Grund dafür, das ahnen wir aber noch nicht, dass unsere ganze Wandertour in der nächsten Nacht beinahe noch in einer Katastrophe endet.   Aber das passiert erst ein paar Stunden später, erstmal freuen wir uns über die schönste Zeltnische aller Zeiten, versteckt hinter ein paar alten Bäumen und sogar mit Sitzmöglichkeiten und einem alten Baumstamm, der wie ein Tisch aussieht.


Verwundert merken wir am Nachmittag, dass die Ostsee wohl doch so etwas wie Flut kennt: Der Strand, auf dem wir eine Decke ausgebreitet haben, wird immer schmaler, das Wasser rückt uns immer näher. Doch bis zum Zelt sind es noch mindestens fünf Meter und obwohl der Wind immer mehr auffrischt und die Wellen höher werden, wird der Zeltplatz sicherlich trocken bleiben, da bin ich sehr sicher. Nur gegen den Wind wollen wir etwas tun, weil der erfahrungsgemäß im Zelt immer klingt wie ein Orkan, der gleich alles wegfegen wird. Wir spannen also eine Plane als Windschutz auf. Sofort wird es still. 

 Bis es mitten in der Nacht mächtig kracht. Die Plane hat sich losgerissen - und während ich versuche, sie festzubinden, stelle ich fest, dass vom Strand fast nichts mehr übrig ist. Drei Meter unterhalb der Zeltleine steht das Meer, kurze Zeit später ist es schon auf zwei Meter herangerückt. Nach hinten können wir nicht, das ist die Steilküste. Und zur Seite geht nur noch vielleicht, denn auf den 600 Metern bis zum Aufgang ist der Strand an den meisten Stellen nicht halb so breit wie hier. 


Es ist drei Uhr früh, als wir hastig alles zusammenpacken, Stirnlampen aufschnallen und flüchten. Nur die ersten paar Meter trockenen Fußes. Dann erwischt uns die erste Welle dessen, was der Wetterbericht am nächsten Tag eine Sturmflut nennen wird.   Es ist stockdunkel, man sieht die vielen gefallenen Bäume nicht und der steinige Untergrund macht das Gehen zu einer gefährlichen Sache. Dann endlich haben wir es geschafft. 


Nass, aber glücklich kommen wir an der Treppe nach oben an, die - das bemerken wir erst jetzt - auf ein Stück Weg führt, dessen Musterung uns sehr bekannt vorkommt. Es ist das letzte Stückchen Kolonnenweg aus Betonkeksen aus dem kalten Krieg.  

Dahinter liegt eine kleine Wiese, auf die wir unser Zelt stellen. Am nächsten Morgen weckt uns die Sonne, die auch dringend gebraucht wird, um all die nassen Sachen zu trocknen. Unsere Wanderstiefel schafft sie nicht, die bleiben noch eine ganze Woche nass - wie als Erinnerung an eine unvergessliche Wandertour.

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