Donnerstag, 26. April 2012

Die hat gar keine Krone

 Diese Sache in der Musikschule damals war viel aufregender. "Ein Gedicht aufsagen, vor jeder Menge Leute", beschreibt Frederik Obst ernst, "da ist man echt aufgeregt."

 Diesmal nicht. Der Text ist kurz, das Publikum klein: "Eure Majestät, angenehmen Aufenthalt in unserer Barockstadt Oranienbaum" mussten Frederik und seine Klassenkameradin Tanja Jäger - zur Feier des Tages in historische Kostüme verpackt - zu Ihrer Hoheit Königin Beatrix sagen. Dann noch die orangenen Blümchen überreichen, fertig. So was erledigen die beiden Neunjährigen ganz cool im schneidend kalten Wind auf dem Oranienbaumer Markt. "Kein Problem", sagt Tanja. "Jetzt will ich nur noch meine Jacke haben", klappern die Zähne von Frederik, kaum, dass die Monarchin im Kreise ihres Gefolges weitergewandert ist. "Das olle Kostüm ist nichts für den Winter."

Und es herrscht nicht eben Kaiserwetter an diesem Vormittag im Anhaltischen. Fotografen frieren, Sicherheitsleute hauchen sich die Hände warm, die halbe Stadt reckt die Hälse aus dicken Jacken nach dem Hubschrauberbrummen am Himmel. Als Beatrix endlich da ist, eingeschwebt aus Berlin, ist alles ganz schnell wieder vorbei. Die Königin, in beigem Kostüm, Pelzstola und Hut, winkt und lächelt, ringsum zuckt ein Blitzlichtgewitter durch den Nieselregen, und hinter den Absperrungen klatschen 2 000 Zuschauer zur Begrüßung.

Ein Blick noch auf die Vase mit dem Orangenbäumchen, das an die lange gemeinsame Geschichte von Königshaus und Gemeinde erinnert. "Und zack war sie wieder weg", sagt Sonja Henze. Wie Nachbarin Gisela Machul ist sie begeistert und enttäuscht zugleich. "Wir dachten, dass sie ein paar Worte sagt", sagen die Seniorinnen. Wenn schon mal was los ist in Obaum! "Hätte man sie gebeten, hätte die Beatrix bestimmt auch Zeit gehabt."

So aber huscht die Regentin flott zum Schloss, neben sich Bürgermeister Uwe Zimmermann mit Tulpe am Revers. Sie steht auf der Freitreppe, flankiert von Thomas Weiss, dem Chef der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Schreibt sich ins Goldene Buch ein und bekommt von Bundespräsident Johannes Rau den Schlosspark erklärt. Erhält von Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) die Nachbildung einer Statuette. Und revanchiert sich mit einer Delfter Vase. Im Gesicht hat die 66-Jährige ein Lächeln, in den Augen blitzt Begeisterung für die alten Gemälde, den imposanten Fliesenkeller und den wunderbaren Baumkuchen, der hier serviert wird.

"Den haben wir immer zum Geburtstag meines Mannes Claus gegessen", erinnert sich die Königin in einem der seltenen Augenblicke, in denen sie nicht umlagert ist von Reportern, die um die besten Plätze rangeln.

 Eine ganz nette Frau sei das, mit einem ziemlich schwierigen Job, findet Bodo Beutel. Wochenlang hatte der Haustechniker des Schlosses gewerkelt, um die einstige Heimstatt derer von Oranien für den hohen Besuch fit zu machen. Jetzt stürzen schwer beladene Kamerateams an ihn vorbei. Und die mühsam gereinigten Holzböden, die Beatrix gerade noch studiert hatte, dröhnen unter schnellen Schritten.

Das Programm ist eng, der Zeitplan straff. Im Dessauer Kornhaus an der Elbe wartet das Mittagessen, dann geht es zum Bauhaus, dann schon zum Flieger nach Hause. Als Philipp Buchholz und Patrick Knappe aus der Sekundarschule an dem Schloss vorbeikommen, besteigt die Monarchin gerade ihren Wagen. "Unser Direktor hat uns verboten, gucken zu gehen", schimpft Patrick Buchholz.

Nichts verpasst, trösten Toni Regier und Tim Dreßler. Die beiden Erstklässler waren auf dem Heimweg von der Schule nicht mehr weitergekommen. "Alles war gesperrt", sagt Tim empört. Dann habe jemand erzählt, dass eine Königin zu Besuch ist. Eine Information, die die beiden nach einem Blick auf Beatrix für recht zweifelhaft halten. "Im Grunde genommen", meint der sechsjährige Toni, "hatte die nämlich gar keine Krone".

Dienstag, 24. April 2012

Als Unplugged die Zukunft war

Plan B damals unplugged in Potsdam. Keine Ahnung, woher ich die Aufnahme habe. Lag auf einer alten C60-Kassette rum. Die optische Umsetzung ist improvisiert, aber immerhin läuft das Bandzählwerk impressionistisch etwa dreimal so schnell wie die Musik selbst.

Mittwoch, 11. April 2012

Woodstock in der Saaleaue


Jahrzehntelang war die Peißnitzbühne Halles Madison Square Garden

Die Hintertür stand offen für die, die Bescheid wußten. Der Weg führte über die Schwanenbrücke auf die Peißnitzinsel, dann die Schienen der Pioniereisenbahn entlang, schließlich schnell über den Gehweg ins Unterholz. Und von dort hinein in Halles größte Konzertarena.

In der waren sie zu DDR-Zeiten sozusagen alle kostenlos zu erleben, die Stars des Ost-Rock, aber auch ausländische Bands, sogar aus England und Amerika. Auf der Bühne, die so etwas wie Halles Madison Square Garden war, standen City und Silly, Karussell und die Puhdys, dazu Lokalhelden wie The Next oder Rengering. Das Publikum strömte vor allem bei internationalen Größen: Einmal stieg der Geist von Woodstock an der Saale hernieder, als Keyboard-Zauberer Czeslaw Niemen seine Orgel-Gebirge aufbaute. Vor ihm auf der Wiese lagerten Tausende aus der ganzen DDR, die Tage vorher angereist waren und die Wartezeit campierend im Unterholz verbracht hatten.

Lärm, Müll und Menschenmassen waren kein Problem. Schließlich ging es bei den vom VEB Naherholung ab 1972 organisierten „Jugendkonzerten“ darum, „der jungen Generation Unterhaltung auf höchstem Niveau“ zu bieten. Für drei Mark Eintritt gab es anfangs Blasmusik und Schlager mit Frank Schöbel. Später dann auch Rockbands wie Fonograf, Magdeburg und Modern Soul.

Die Begeisterung war riesig. Häufig konnten die Konzerte nur beendet werden, indem die Kulturaufseher die Scheinwerfer auf dem Dach des Versorgungsgebäudes gnadenlos anschalteten. Tamara Danz von Silly sang trotzdem weiter, auch der Engländer Geff Harrison ließ sich nicht beirren. Im Regen auf der dachlosen Bühne rockte er, als sehe er weder Stromschlag-Gefahr noch Licht.

Nach dem Mauerfall ging das Rathaus daran, die Konzertarena auszubauen. Ein eine Million Euro teures Dach überspannte nun die Bühne. Und machte Probleme. „Das Dach ist zu niedrig“, klagten Bob Dylans Techniker. Auch Heinz Rudolf Kunze hatte Mühe, seine Lautsprecher unterzubringen.

Dennoch – in den 90ern erlebte die Inselbühne eine Renaissance. Die Stars standen Schlange: David Bowie und Iggy Pop, Caught in the Act, Die Ärzte, Chris de Burgh, Tracy Chapman, Ich + Ich, Deep Purple, Pur und die Prinzen begeisterten Zehntausende. Festivals wie die Turntable Days begrüßten Gäste wie das Supermodel Eva Padberg.

Allerdings mit abnehmender Tendenz. 1991 hatten Stadt und Umweltgruppen vereinbart, dass es nur drei Rockkonzerte pro Jahr auf der Peißnitz geben darf. Damit sollten „Lärmschäden bei Pflanzen und Tieren“ vermieden werden, die laut Auenwaldschützern drohten, wenn „mehr Großereignisse der geschützten Landschaft zugemutet werden“.

Der Anfang vom Ende. Spielten zu DDR-Zeiten im Sommer jede Woche Bands auf der Peißnitz, ist der Konzertkalender spätestens mit dem Aus für den von Rockkonzerten begleiteten „Kinosommer“ auf ein, zwei Gastspiele zusammengeschnurrt. Das Woodstock in der Saaleaue hat ausgedient, der „Madison Saale Garten“ geschlossen.