Donnerstag, 10. April 2014

Mit dem Clown kommen die Tränen

Auch wer nichts zu sagen hat, darf das inzwischen ja alles aufschreiben. So gesehen ist die Autobiografie des früheren Trio-Trommlers Peter Behrens nur folgerichtig: Ein Mann, der von den höchsten Höhen des Popruhms hinunter in die tiefen Leidenstäler von Sozialhilfe und Hartz IV gestürzt ist, hat immerhin seine eigene Lebenstragödie zu erzählen.

Behrens, bei Trio neben Sänger Stephan Remmler und dem kürzlich verstorbenen Gitarristen Kralle Krawinkel der Komiker mit den roten Hosenträgern, der mit unbewegtem Gesicht an einem Spielzeugschlagzeug stand, enttäuscht allerdings alle, die erwarten, dass er in „Der Clown mit der Trommel“ mehr anzubieten hat als ein geschwätziges Nichts. Denn die 274 Seiten, zusammen mit dem hauptberuflich als Lehrer tätigen Klaus Marschall ausgearbeitet, ähneln dem musikalischen Schaffen seiner Ex-Band in hohem Maße: Minimalistisch ist der Inhalt, trocken die Form und schlau wird meist auch niemand daraus.

Ist es Behrens norddeutscher Humor? Ist es das - wie er selbst mehrfach eingesteht - eigene Desinteresse an jeder weitergehenden Reflexion des Erlebten? Hier schreibt, das wird sehr schnell klar, niemand, den es an die Bühnenkante drängt, und hier steht auch keiner auf, weil er in sich etwas hat, was schon lange mal raus gemusst hätte.

So wie Peter Behrens in den guten Jahren von „Dadada - ich lieb Dich nicht, Du liebst mich nicht“ und „Sabine, Sabine, Sabine“ die Trommelstöcke rührte, das Gesicht zur Faust geballt, so beichtet er hier ein Leben im Schatten von bestimmenden Figuren wie Remmler und Krawinkel. Das Problem dabei: Der Clown mit der Trommel war zwar immer da, wo etwas geschah, aber richtig zugegen war er nie. Und wenn doch mal, dann waren es die anderen, die Entscheidungen trafen, Lieder schrieben oder auf den Putz hauten.

Nur im Musikalischen hat der Rhythmuslibero der Minimal-Kapelle seine Rolle je über das hinaus verinnerlicht, was er auf der Bühne vorspielte. Ja, Peter Behrens prägte den Trio-Stil mit seinem im ersten Moment so monoton wirkenden Stil, er schuf die Basis für Remmlers Exaltiertheit, für Krawinkels akzentuiertes Spiel. Der Lohn aber, und daran scheint der inzwischen 68-jährige Peter Behrens bis heute zu leiden, war das kürzeste Streichholz, dessen Licht nicht zum Leben reichte. Eine Tragödie, verpackt als Farce. Mit dem Clown kommen die Tränen.

Montag, 31. März 2014

Seth Lakeman: Wanderer in Klangwelten


Er fängt programmatisch an: „The Wanderer“ heißt das erste Stück auf „Word of Mouth“, dem eben erschienenen siebten Solo-Album des Briten Seth Lakeman, der hier in zwölf Liedern das Kunststück schafft, immer anders zu klingen - und immer wiedererkennbar.

Lakeman, daheim in Großbritannien seit einer Nominierung für den Mercury Prize als Retter des Folkrock gehandelt, hat lange auf Anerkennung gewartet. Schon vor 20 Jahren veröffentlichte der damals gerade 17-Jährige zusammen mit seinen Brüdern ein Album, danach arbeitete er beharrlich weiter an seiner musikalischen Vision.

Die wird auf „Word of Mouth“ noch deutlicher als auf dem Vorgänger „Tales From The Barrel House“, der auch schon Anklänge an mittelalterliche Weisen mit Jethro Tull- Sound und amerikanischem Folk mischte.

Lakemans Vorteil: Er spielt nicht nur Gitarre, sondern auch Geige, Bratsche und Banjo, so dass er neue Stücke wie das balladeske „Another Long Night“ oder das hoppelnde „Last Rider“ ebenso zurückhaltend wie abwechslungsreich instrumentieren kann.

Seth Lakeman setzt damit auf seine Weise fort, was schon seine großen englischen Kollegen von Mumford & Sons weltweit erfolgreich gemacht hat. Seine Lyrics sind meist dunkel, der Akzent ist Dartmoor nicht Pennsylvania, die Melodien haben hymnische Momente, ohne durchweg zum Mitsingen aufzufordern.

Ein Konzeptalbum, das seine Spannung vom ersten Ton an hält und über zahllose weitere Höhepunkte wie „The Saddest Crowd“ und „Bal Maiden“ zum finalen „Portrait of my wife“ findet. Alles in allem: Große Musik, die sich auch live zu entdecken lohnt.Am 3. April ist Seth Lakeman live im Objekt 5 in Halle zu erleben
Kartenvorbestellungen:
Objekt 5

Donnerstag, 27. März 2014

Das große Fressen in der Internetwelt

Palmer Luckey war 18 Jahre alt, als er die Idee hatte, eine speziell für Computerspiele geeignete 3D-Brille zu bauen. Mit 19 hatte er den Prototyp fertig, mit 20 sammelte seine Firma Oculus VR im Internet mehr als 2,5 Millionen Dollar für die Weiterentwicklung ein. Inzwischen ist Luckey 21 und Milliardär: Gestern verkündete der Social-Media-Konzern Facebook, dass er die Entwicklerfirma hinter der „Oculus Rift“ genannten Computerbrille für 2,3 Milliarden Dollar (1,7 Milliarden Euro) übernehmen werde.

Es ist die jüngste Drehung einer Übernahmespirale in der virtuellen Welt, die sich vom Tiefpunkt der Finanzkrise vor fünf Jahren an unablässig beschleunigt hat. Vor einem Monat erst legte Facebook-Gründer Marc Zuckerberg für die mobile Kommunikations-App „WhatsApp“ 19 Milliarden Dollar hin. Schon vor dem Börsengang, der dem größten Sozial-Netzwerk der Welt neue Finanzierungsmöglichkeiten erschloss, wurde für eine Milliarde Dollar der Fotodienst Instagram übernommen.

Aber auch die Konkurrenz schläft nicht. Der Suchmaschinengigant Google brachte es zuletzt auf Firmenkäufe im Wert von mehr als 17 Milliarden Dollar. Neben kleineren Akquisitionen wie dem Kauf von DeepMind, einem Spezialisten für künstliche Intelligenz, machten vor allem die Übernahmen des Thermostatherstellers Nest für 3,2 Milliarden Dollar und der Roboter-Schmiede Boston Dynamics für 1,2 Milliarden Schlagzeilen. Apple stand dem kaum nach, der Mega-Konzern aus Cupertino kaufte 15 Firmen, darunter kleine Startup-Firmen, aber auch etablierte 3D-Sensor-Entwickler wie die israelische Firma „PrimeSense“. Und auch Amazon, Yahoo und Ebay, die anderen Netzgiganten, kauften Empfehlungsseiten, Foto-Apps, App-Entwickler, Forschungs-Start-Ups und mit PhiSix Fashion Labs legte sich Ebay sogar einen Anbieter von virtueller Mode zu.

Es ist ein Wettlauf um die aussichtsreichsten Ideen, der Männer wie Palmer Luckey, der noch keine einzige seiner Spiele-Brillen wirklich verkauft hat, oder WhatsApp-Mitgründer Jan Koum, dessen Firma bis heute keinen einzigen Dollar verdient hat, über Nacht unfassbar reich macht. Doch so obszön die Summen scheinen, mit denen die zumeist noch keine 20 Jahre alten Riesen dank sprudelnder Einnahmen in ihren Kerngeschäften um sich werfen, so klar ist das Kalkül, mit dem sie Hightech shoppen gehen. Besser heute unverschämt teuer kaufen, als morgen noch viel mehr bezahlen. Oder gar - noch schlimmer - zuschauen müssen, wie ein Wettbewerber mit einer App, einer neuen Smartphone-Uhr oder einer intelligenten Brille einen Verkaufshit landet.

Die Geschichte gibt denen im Silicon Valley recht, die lieber einmal mehr zuschlagen, auch wenn die meisten übernommenen Firmen die in sie gesetzten Erwartungen nicht rechtfertigen. Als Google vor acht Jahren 1,6 Milliarden Dollar für die vom ehemaligen Merseburger Jawed Karim mitentwickelte Videoplattform Youtube zahlte, waren die Zweifel am Sinn der Transaktion groß. Inzwischen spielt Youtube Google rund zwei Milliarden Werbedollar ein - pro Jahr.

Wer solch sprudelnde Geldquellen hat wie sie auch Apple mit seinem iPhone und Facebook mit seinen zuletzt explodierten Werbeeinnahmen besitzen, kann sich Experimente aller Art und zu fast jedem Preis leisten. Apples Einkaufszettel etwa umfasste im letzten Jahr Chiphersteller und Adressdatenhändler, Routenplaner und einen Auswertedienst für Twitter-Einträge. Google, in den vergangenen zwölf Monaten größter Firmenkäufer der Welt, ist gerade dabei, eine Datenbrille namens Google Glass für den Alltagsgebrauch und selbstfahrende Autos zu entwickeln. Facebook wiederum leistete sich zuletzt unter anderem Firmen, die Online-Gespräche über Sport analysieren, an Gesichtserkennung forschen oder automatische Übersetzungsdienste anbieten.

Das alles folgt keinem anderen großen Plan außer dem, vorn dabei zu bleiben, wo aus den Ideen junger Tüftler wie Palmer Luckey eine Zukunft gebaut wird, von der niemand weiß, wie sie aussehen wird.

Er habe Facebooks Angebot anfangs skeptisch gesehen, schreibt Luckey bei Facebook, dann aber sei ihm klargeworden, dass eine Partnerschaft nicht nur sinnvoll sei, sondern „der beste Weg, virtuelle Realität für jeden möglich zu machen“. Dass die Überriesen aus der Netzwelt mit jeder Mahlzeit mächtiger und ihren Nutzern damit immer unsympathischer werden, können Google, Facebook und Co. offenbar verkraften: WhatsApp zum Beispiel ist nach der Übernahme durch Facebook, die von Protesten begleitet war, im selben Tempo weitergewachsen wie zuvor.

Montag, 24. März 2014

Twix heißt wieder Raider - alles geht immer weiter

Er gehörte zum Ersten, was sich Ostdeutsche nach dem Mauerfall an westdeutscher Konsumkultur gönnten - und er gehörte auch zum Ersten, was ihnen wieder weggenommen wurde. "Raider - der Pausensnack", jedem DDR-Bürger aus dem Reklameblock im Westfernsehen bekannt, war kurz nach dem ersten Kauf plötzlich verschwunden. Raider heiße jetzt Twix, sonst aber ändere sich nix, versprach der Hersteller Mars.

Kein Marketing-Gag, sondern Vorbote der nach dem Ende des Kalten Krieges rasant an Geschwindigkeit gewinnenden Globalisierung. In Großbritannien, wo der Riegel aus Keks, Karamell und Milchschokolade bereits 1967 eingeführt worden war, trug er - inspiriert von der Bauart mit zwei Keksen - auf Englisch "twin bisquits" - von Anfang an den Namen Twix, auch in den USA blieb Mars zur Einführung 1979 bei diesem Namen. "Raider", ins Deutsche übersetzt so viel wie "Plünderer", kam nur in Deutschland und Österreich zum Zuge.

Nach der Harmonisierung des deutschen Namens blieb die Erinnerung an die frühere Benennung als geflügeltes Wort. Raider war nun zwar Twix, aber auch nach zwei Jahrzehnten weiß jeder, dass Twix früher Raider hieß. Ein Umstand, den sich die deutsche Tochter der Mars Inc. aus dem US-Bundesstaat Virginia jetzt zunutze macht: Auf einmal liegen im Süßwarenregal wieder richtige Raider-Riegel. Rote Schrift auf goldenem Papier, ein Stück 1990, das in sozialen Netzwerken für einen begeisterten Aufschrei sorgt. Raider ist zurück, feierten tausende Tweets und Facebook-Postings das vermeintliche Comeback eines Teils ihrer Kindheit und Jugend. Das nur ein Marketing-Ggag war, sonst nix: Schon wenige Tage danach wird aus Raider wieder Twix. Sonst nix.