Montag, 23. November 2015

Datensicherheit: Ungeschützt auf offener See

Auch wenn die Politik nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes den Eindruck zu erwecken versucht: Nutzerdaten sind auch in Europa keineswegs vor Zugriffen sicher.


Heiko Maas freute sich demonstrativ. „Das Urteil ist ein starkes Signal für den Grundrechtsschutz in Europa“, sagte der Justizminister direkt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der die bisher geltenden Regeln zum Schutz der Daten europäischer Bürger auf Speicherservern in den USA verworfen hatte. Zu unsicher seien die Daten dort, zu leicht könnten Geheimdienste und Regierungsbehörden Zugriff auf Inhalte nehmen, die der Privatsphäre der Nutzer von Diensten wie Facebook, Google oder Twitter zuzuordnen sind. Für Heiko Maas müssen diese Daten einem „fundamentalen“ Schutz unterliegen. „Die Daten europäischer Verbraucher müssten auch in den USA effektiv geschützt werden“, forderte der Minister mit deutlicher Betonung auf dem „auch“.

Datenspeicher an der Hintertür

Das allerdings existiert nur in der Fantasie des SPD-Politikers, der gerade dabei ist, die vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig verworfene Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Nach den bisher vorliegenden Entwürfen ist dabei geplant, dass Ermittler und andere „auf die Gefahrenabwehr spezialisierte Behörden“ - womit wohl Geheimdienste gemeint sind - Verbindungs- und Standortdaten nicht nur abrufen dürfen, wenn sie Terrorismus oder schwere Straftaten verfolgen wollen. Sondern bereits dann, wenn der Verdacht besteht, dass Straftaten „mittels Telekommunikation begangen“ worden sein könnten.

Das ist keine Tür zur Vollüberwachung, sondern ein Scheunentor, das es künftig nahezu unbegrenzt erlauben würde, auf gespeicherte Kommunikationsdaten zuzugreifen. Telekommunikationsfirmen sollen Verbindungsdaten zehn und Standortdaten vier Wochen aufbewahren, bei Mobiltelefonen werden auch alle Angaben gespeichert, „aus denen sich die geografische Lage und die Hauptstrahlrichtungen der die jeweilige Funkzelle versorgenden Funkantennen ergeben“. Rückwirkend lässt sich so feststellen, wer wann wo gewesen ist und mit wem er gesprochen hat - selbst die EU-Kommission meldete dagegen Bedenken an.

Denn schon ohne behördliche Speicherpflicht ist Deutschland nicht eben ein Musterland des Datenschutzes, wie die Transparenzberichte der drei großen Internetfirmen Google, Facebook und Twitter zeigen. Mit 3 114 Anfragen nach Nutzerdaten, die deutsche Behörden in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres an Google stellten, rangiert Deutschland in absoluten Zahlen auf Rang 3 weltweit. Davor liegen nur noch die USA und Großbritannien. Wobei die USA viermal so viele Einwohner zählen. Prozentual gesehen gibt es damit ein Fünftel mehr Anfragen aus Deutschland als aus den USA. Weltweit sind nur die britischen Behörden noch datengieriger.

Die Zahlen bei Facebook sehen nicht viel anders aus: 2 132 Mal wollten Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte zwischen Juli und Dezember 2014 Auskunft über deutsche Facebook-Benutzer haben. Zum Vergleich: Aus den Niederlanden kamen 84 Anfragen, aus Dänemark 33, aus Norwegen 22 und aus Island ganze zwei.

Selbst beim weniger weit verbreiteten Kurznachrichtendienst Twitter forschen deutsche Regierungsstellen emsiger als in den meisten Nachbarländern nach Nutzerdaten. Während Irland, die Schweiz, Dänemark oder Schweden höchstens ein-, zweimal im Jahr nähere Angaben zu Urhebern von bestimmten Tweets zu erfahren wünschen, stieg die Zahl der aus Deutschland abgefragten Nutzerkonten seit 2012 von einem auf immerhin 34 im halben Jahr. Dabei geht es meist nicht um gerichtlich geprüfte und von einem Richter erlassene Verfügungen, Nutzerdaten herauszugeben. Sondern um Anforderungen von Ermittlungsbeamten, die allenfalls von Staatsanwälten bestätigt wurden.

Getarnte Wahrheiten

Zugriffe von Geheimdiensten sind in den Transparenzberichten der Internetriesen nur verklausuliert dargestellt, bei Facebook etwa als „Nationale Sicherheitsschreiben“, die nur „in Bandbreiten bis 1 000“ angegeben werden dürfen.

Diese Höchstzahl wird jeweils ausgeschöpft, und darin nicht enthalten sind die im Rahmen der vom Whistleblower Edward Snowden enthüllten Spionage-Programme XKeyscore, Prism und Eikonal direkt an den Glasfaserkabeln der großen Netzknoten abgeschöpften Datenmengen.

Auf die hatte sich der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil gegen das „Safe Harbor“-Abkommen zwischen EU und Vereinigten Staaten bezogen. Weil die US-Internetfirmen zwar versprächen, die Daten europäischer Nutzer zu sichern, die US-Regierung jedoch bei Bedarf nur die nationale Sicherheit als Begründung nennen müsse, um diese Zusicherung auszuhebeln, seien Server in den USA eben kein sicherer Hafen, hieß es.

Sicherer aber sind Daten auch in Deutschland und dem Rest Europas nicht, das haben die Snowden-Dokumente über die Kooperation des deutschen BND und des britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) mit der NSA gezeigt. Aus streng geheimen Dokumenten ging beispielsweise hervor, dass das Innenministerium die NSA um Hilfe bei der Überwachung des Internet-Telefondienstes Skype bat. Später fragten deutsche Stellen die US-Partner, ob sie Informationen, die geheimdienstlichen Absaugaktionen der NSA entstammten, als Beweis in Gerichtsverfahren verwenden dürften.

Durften sie nicht, denn das Ausmaß der Ausspähung sollte natürlich verborgen bleiben. Demselben Zweck dient jetzt der Beifall für das Urteil des EuGH: Je lauter er dröhnt, umso weniger sind die Stimmen vernehmbar, die Zweifel an der Sicherheit des Datenschutzes in der EU anmelden.

Montag, 16. November 2015

Rockhaus: Alte Lieder, große Gefühle


So kommt das, wenn man mal einen Moment weg war. "Es gibt nicht mehr so viele Klubs hier in Leipzig", sagt Mike Kilian, Sänger der Band Rockhaus, "und die, die es gibt, fragen dann auch noch ,Wer seid ihr?'"

Das ist, 25 Jahre nach dem letzten Nummer-Eins-Hit und im Jahre sechs des Neustarts nach einer fast 15 Jahre währenden Pause, nicht so verwunderlich. Und auch nicht so schlimm, denn mit der traditionsreichen Moritzbastei haben die fünf Berliner für ihre laufende Tour zum neuen Album "Therapie" ja doch eine geradezu ideale Konzerthalle gefunden.


Prallvoll ist der Saal wie kürzlich schon in Halle und in Döbeln. Und Rockhaus, in der ewigen DDR-Hitparade für alle Zeiten auf Platz 2 direkt hinter den Puhdys, belassen es nicht dabei, alte Kracher wie "Bleib cool" zu spielen. Der Schwerpunkt liegt erstmal auf neuen Stücken wie "Gegenverkehr", die spielt das Quintett viel muskulöser und kantiger als auf dem Album.

Mittelpunkt der Show ist wie stets Sänger Mike Kilian, der mit seiner Dreieinhalb-Oktaven-Stimme alle Nuancen zwischen samtigem Kuscheldeckensound und straff gespannter Klavierseite abdeckt. Mal ist er Freddie Mercury, dann kurz mal Michael Jackson, mal haucht er zart, dann schreit er, dass die Gewölbewände wackeln.

Das Programm reicht von den aktuellen, eher privaten Songs bis zu politischen Stücken wie "Wir" vom Vorgängeralbum "Treibstoff" und geht dann immer weiter in der Zeit zurück. Reinhardt Repke am Bass, Reinhard Petereit (git), Heinz Haberstroh (dr) und Keyboarder Carsten Mohren spielen jetzt "Mich zu lieben" und "Träume", das Lied von den verlorenen Illusionen, die düstere Ballade "Gefühle" und begleitet von einem euphorischen Chor das nagelneue "Kaleidoskop", das sofort auf Augenhöhe mit den alten Hymnen ist.


Nach zwei Stunden krönt das Finale dann natürlich der größte Rockhaus-Hit "I.L.D.", diesmal mit einem Keyboardsolo im Hammondstil. Falls jemand fragt: Rockhaus, das sind die, die auch wie Dylan klingen können.


Samstag, 14. November 2015

Apparat: Elektroden in Ekstase

Ein Boxset zeigt Sachsen-Anhalts unbekannten Star Sascha Ring, der aus Quedlingburg stammt, sich Apparat nennt und derzeit der erfolgreichste Künstler des Landes ist.

Weit weg von normaler Diskomusik, ja, von Musik überhaupt ist das, was Sascha Ring als junger Mann gemacht hat. Knapp über 20 war der gebürtige Quedlinburger, als er unter dem Namen Apparat sein Debütalbum „Multifunktionsebene“ einspielte, eine Sammlung introvertierter Geräuschkollagen, die ohne Gesang und Melodie auskommen.

Es scheppert hier zärtlich, es knirscht, rauscht und Töne wallen vorüber, die Lieder heißen „Nato“ und „Fuckedup“ und sie lassen kaum erahnen, dass hier ein kommender Superstar der elektronischen Musik seine ersten, vorsichtig tastenden Schritte geht.

In einem Boxset gebündelt mit der EP „Tttrial and Eror“ und dem zweiten Album „Duplex“ hat das Berliner Label Shitkatapult die frühen Werke des heutigen Dance-Gurus, der auch mit dem DJ-Duo Modeselektor zusammen als Band Moderat Hitparadenerfolge sogar in Großbritannien feierte.
Hier aber ist noch der pure Apparat zu hören, ein Frickler und Soundbastler, der nach einer ganz eigenen Methode Musik macht. Apparat lässt selbstprogrammierte Algorithmen Tonsignale per Zufallsgenerator verändern, daraus entsteht eine Art dahinfließender Soundstrom, der an La Düsseldorf und Roedelius erinnert.

Sascha Ring, der mittlerweile ein großes Stück Richtung Mitte der Popwelt gerückt ist, nennt diese Arbeitsweise „de-beautified“, also „entschönern“. Doch das Ergebnis ist keineswegs unschön. Zwar fehlen vor allem am Anfang, bei den ganz frühen Soundbasteleien, die heute so prägnanten Beats ebenso wie die echten Instrumente, mit denen Sascha Ring etwa bei den MTV-Live-Sessions auftrat - als erster Künstler aus Sachsen-Anhalt.

Doch der repetitive Grundton ist bereits zu hören, auch die Einbeziehung von nicht-elektronischen Klangerzeugern nimmt spätestens mit dem rhythmisch orientierten Album „Duplex“ zu. Dass Ring als „Apparat“ eine ideale Besetzung für die Herstellung von Film- und Theatermusiken wäre, ist hier schon zu hören.

 Als würde er unsichtbare Landschaftsaufnahmen untermalen, kombiniert der Musikapparat aus dem Harz Geräusche aller Art mit überwiegend elektronisch erzeugter Musik. Es gibt gelegentlich Gesang wie in „Wooden“ und hin und wieder scheinen die Soundschichten auch komplett jeden Zusammenhalt zu verlieren wie etwa im fast fünfminütigen „Schallstrom“, das den Eindruck macht, als sei es eigentlich aus vier verschiedenen Kompositionen zusammengesetzt.

130 Minuten Musik enthält die Box insgesamt, der größte Teil davon ist mehr Ambient als Techno, mehr Traum- als Tanzmusik. Wo Apparat später gediegene Unterhaltungsmusik für Erwachsene gemacht hat und es mit Moderat sogar schaffte, aus den gemeinsamen Techno-Wurzeln verstörend eingängige Pop-Songs zu züchten, sind die 29 Kompositionen hier noch Rohstoff, Ideenhalde und ungeordnetes Klangchaos. Den anderen Apparat, den Apparat von Schönklang und Harmonie, gibt es derzeit auf Live-Tournee.

Termine hier:
www.apparat.net