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Sonntag, 17. November 2024

Wolf Biermann: Plattdeutsches Sächsisch - eine Weltsprache erklärt


Wolf Biermanns berühmte Oma Meume aus dem Lied "Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg" ist keine Kunstfigur, sondern Biermanns wirkliche Großmutter. Neben dem "Gebet" gibt es ein weiteres Lied namens "Eine Moritat auf Biermann seine Oma Meume in Hamburg", in dem der Liedermacher und Sänger der Frau nachsingt, die als junges Mädchen aus Halle wegmachte nach Hamburg, wie er sagt. "Genauer gesagt, sie ist ihrem Mann hinterhergerannt und hinterhergereist, der abgehauen ist nach Kiel, weil er dort Arbeit finden konnte als Steineträger auf dem Bau." Oma Meume wurde wenig später Hamburgerin - und zweisprachig, wie Biermann sagt.

Neben Sächsisch, wie er den halleschen Dialekt nennt, habe Oma Mäume auch Platt gesprochen. Zuweilen beides sogar gleichzeitig. "Wenn sie vornehm sprechen wollte, sprach sie knüppeldickes, dreckiges Sachsenanhaltinersächsisch, wenn sie aber dreckig sprechen wollte, dann sprach sie Hamburger Platt."

Zwei Sprachen, die auch Enkel Wolf Biermann beherrscht, wie er mit dem Vortrag eines Gedichtes des niederdeutschen Dichters Klaus Groth (auch: Claus Johannes Groth) zeigt. Das hanseatische Platt unterlegt mit dem Anhaltiner Sächsisch der Halloren, das Oma Meume bis an ihr Lebensende sprach. Und wirklich: Bei Wolf Biermann wird daraus die Lingua franca einer längst vergangenen Zeit, als Englisch, Dänisch und Deutsch noch gemeinsam in der Babywiege lagen. 

Sonntag, 3. Februar 2019

Kurt Demmler: Ein Schrei ohne Ton




Er war Staatstexter, DDR-Kritiker, Lieferant unvergesslicher Hits für Renft, Karat, Electra und Puhdys und Nationalpreisträger. Vor zehn Jahren erhängte sich der Liedermacher im Gefängnis - angeklagt wegen Kindesmissbrauchs.


Er wolle nichts mehr hören, nichts mehr sehen, nichts mehr erinnern. "Ich bin damit durch", sagt Kurt Demmler, "es ist lange her, und ich möchte nicht mehr darüber reden." 1968 in der DDR, natürlich, das ist sein Thema, nickt der Mann, der damals begonnen hatte, mit eigenen Liedern und mit dem "Oktoberklub" aufzutreten. "Aber wen interessieren diese alten Geschichten noch?"

Ihn selbst nicht, denn ihn selbst quälten längst andere Gedanken. Demmler, der produktivste und erfolgreichste Popmusik-Texter der DDR, wusste in jenem Frühsommer 2008 schon, dass sich dunkle Wolken über ihm zusammenzogen. Nach einer Anzeige von mehreren jungen Frauen ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Kindesmissbrauchs. Demmler, aus Berlin nach Storkow in Brandenburg gezogen, schaute vom Schreibtisch aus auf den See und dichtete Düsteres. "Mein Wort teilt meine Not / mit bedauernden Zeilen und trockenem Brot", reimte der 65-Jährige im Juli 2008. Eine Woche später klickten die Handschellen. Demmler, DDR-Nationalpreisträger, Tantiemen-Millionär und Autor von Hits wie "König der Welt" und "Du hast den Farbfilm vergessen", saß plötzlich in Untersuchungshaft.

"Mein Wort teilt meine Not / mit bedauernden Zeilen und trockenem Brot." Kurt Demmler Liedermacher

Die Staatsanwaltschaft war überzeugt, dass der Liedermacher und Texter von Gruppen wie den Puhdys, Karat und Renft sich zwischen 1995 und 1999 an sechs minderjährigen Mädchen vergangen habe. Allein die damals 14-jährige Liselotte B. hat er laut Anklage mehr als 180 Mal missbraucht.

Die Opfer, aus denen Demmler die Gruppen "Kussecht" und "Zung'kuss" hatte machen wollen, sagten aus, der Liedermacher habe sich von ihnen befriedigen lassen. Demmler leugnete. Doch eine Vorstrafe aus dem Jahr 2002 sprach gegen ihn.

Die Fans seiner großen Jahre, als keine Hitparade ohne Demmler-Reime auskam, waren entsetzt. Die letzten Freunde, die dem langjährigen Wahl-Leipziger nach seinem freiwilligen Rückzug 1986 geblieben waren, wandten sich ab.

Es ist der tiefe Sturz eines "sensiblen, schrullenhaften und im Privaten schwer zu ertragenden Hochtalents", wie ihn seine Texterkollegin Gisela Steineckert einmal charakterisierte. Demmler, als Kurt Abramowitsch in Posen geboren und in Cottbus aufgewachsen, hatte früh begonnen, Gedichte zu schreiben. Erst das popmusikalische Tauwetter in der DDR Ende der 60er aber gibt dem Medizinstudenten Gelegenheit, Karriere als Dichter zu machen.

Kurt Demmler, Fan von West-Beat und Radio Luxemburg, lernt im Leipziger Jazzclub den gerade mit Spielverbot belegten Klaus Renft kennen. Für dessen Combo liefert er seine ersten Auftragstexte; hier begründete der "Pseudo-Lutheraner und Humanist" (Renft-Sänger Thomas Schoppe) auch seinen Ruf, der einzige Mann, zu sein, der "eine ganze Langspielplatte in zwei Tagen betexten kann" (Renft-Gitarrist Peter Gläser).

Solche Talente sind gesucht in der DDR, wo der Zensor immer das letzte Wort hat. Demmler, nebenbei auch als Liedermacher mit eigenen Songs unterwegs, spricht die poetische Sprache des Systems: Seine Verse lavierten zwischen Wirklichkeit und Wolken, schnell ist er auch bereit, an Formulierungen zu feilen, wenn sie Lieder bedrohen. Und im Prinzip bleibt Demmler immer auch ein bisschen Staatsfeind: Solidarisiert sich mit Wolf Biermann, kritisiert die Enge der Arbeiter-und Bauernrepublik in verschlüsselten Versen und singt Mitte der 80er von Stasi-Überwachung.

Ein Pragmatiker der Poesie, dem geflügelte Worte nur so aus den Schreibmaschinentasten springen. Demmler verteilt, was er hat, an Schlagersänger wie Karel Gott und Rockbands wie die Puhdys, an Bekannte und Unbekannte. Er schreibt Leichtes wie "Liebling, ich verspeise Dich zum Frühstück", Gedankenschweres wie "Ermutigung" für Renft und Todtrauriges wie "Schrei ohne Ton" für den DDR-Popstar Bummi Bursi. Unterwegs auf Tour lebt er dazu ein echtes Rock'n'Roll-Leben: Es gibt Groupies, es gibt Sex, und niemand fragt die Mädchen am Hintereingang nach ihrem Personalausweis.

Damals ist das allenfalls ein Augenzwinkern wert. Der Liederdichter dichtet der Gruppe Dialog den Text "Noch nicht 16" dazu. "Ach, man wird nicht minder / schon durch solche Kinder angemacht", klagt er. Am 3. Februar 2009  um 6.30 Uhr wird Kurt Demmler in seiner Gefängniszelle in Berlin Moabit erhängt aufgefunden. Er hinterlässt keinen Abschiedsbrief, aber eine Frau, zwei Kinder, drei Enkel - und rund zehntausend Liedtexte. Auf seiner Homepage demmlersong.de wirbt heute ein Hersteller von Kaffeeautomaten für sich.




Freitag, 21. September 2018

Dean Reed: Genosse Cowboy und der rätselhafte Tod


Als Dean Reed vor 32 Jahren starb, war er fast vergessen. Sein Tod hat seitdem für Spekulationen gesorgt - obwohl der Sänger, der heute 80 Jahre alt werden würde,  freiwillig aus dem Leben geschieden war. Er hatte die Ranch in Texas gegen ein Seegrundstück nahe Berlin getauscht, den Erfolg in den amerikanischen Billboard-Charts gegen Auftritte in der FDJ-Sendung "rund", den Jubel des Madison-Square-Garden gegen den Applaus der Menschen im Arbeiterklubhaus Bitterfeld.

Dean Reed, dessen Leiche ein aufmerksamer Wasserschutzpolizist am 17. Juni 1986 am Schilfgürtel in der Nähe des Badestrandes südlich des Zeltplatzes Nummer 2 am Zeuthener See entdeckte, ließ Zeit seines Lebens keinen Zweifel daran, auf welcher Seite er stehen wollte. Der Sohn eines Mathelehrers, aufgewachsen auf einer Hühnerfarm in Weath Ridge unweit von Denver/Colorado, sah sich als Sänger des besseren, des moralisch sauberen Amerika. Reed war an der Seite der "fortschrittlichen Menschen" unterwegs, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sein seltsames Schicksal nahm 1971 seinen Anfang, als der attraktive US-Schauspieler Ehrengast beim Dokumentarfilmfest in Leipzig war - und sich dort für die junge Wiebke erwärmt. Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, denn schon ein Jahr später heiratet das Paar.

Für den aus Colorado stammenden Sänger, Schauspieler, Friedenskämpfer, Rebell und Frauenschwarm  ändert sich damit das ganze Leben. Dean Reed lebt ab 1972 "als singender Cowboy der DDR" im Arbeiter- und Bauernstaat. Hier wird er viele Jahre später auch sterben - und sein mutmaßlicher Freitod im Jahr 1986 wird noch viel länger geheimnisvolle Gerüchte nähren, die Staatssicherheit habe den Star ermordet.

Dabei war Dean Cyril Reed, mit zehn Jahren auf Wunsch des Vaters an einer Kadettenakademie eingeschrieben, überhaupt nur zufällig Popstar geworden. Als er nach dem Abschluss an der Highschool quer durch die USA fuhr, vermittelte ihm ein Tramper, den er mitgenommen hatte, den Kontakt zum 

Er hatte die Ranch in Texas gegen ein Seegrundstück nahe Berlin getauscht, den Erfolg in den amerikanischen Billboard-Charts gegen Auftritte in der FDJ-Sendung "rund", den Jubel des Madison-Square-Garden gegen den Applaus der Menschen im Arbeiterklubhaus Bitterfeld. Bei den Weltfestspielen in der DDR fühlt er sich geliebt wie daheim in den USA, als alles begann. 

Reed, dessen Leiche ein aufmerksamer Wasserschutzpolizist am 17. Juni 1986 am Schilfgürtel in der Nähe des Badestrandes südlich des Zeltplatzes Nummer 2 am Zeuthener See entdeckt, ließ Zeit seines Lebens keinen Zweifel daran, auf welcher Seite er stehen wollte. Der Sohn eines Mathelehrers, aufgewachsen auf einer Hühnerfarm in Weath Ridge unweit von Denver im US-Bundestaat Colorado, sah sich als Sänger des besseren, des moralisch sauberen Amerika. Reed war an der Seite der "fortschrittlichen Menschen" unterwegs, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Er war kein Kommunist, aber als Sozialist hätte man ihn in den USA durchaus einordnen können.

Vor allem in Südamerika lieben die Menschen den "Magnificent Gringo", der jedem offen entgegentritt, nicht belehrt, sondern sich lieber belehren lässt. Reed hört zu, er zeigt sich als empathischer Mensch, der an Ungerechtigkeiten leidet, für die sein Heimatland aus seiner Sicht die Verantwortung trägt. Vor aller Augen wird aus dem naiven Country-Sänger ein politisch denkender Künstler, der seinen eigenen Kopf hat. In Peru schreibt Dean Reed seiner Regierung einen Brief, in dem er gegen amerikanische Kernwaffentest protestiert, er freundet sich mit linken Gewerkschaftern an und fährt als Delegierter zum Weltfriedenskongress nach Helsinki.

Der Sänger des anderen Amerika

Danach ist das Leben des jungen Stars
 nicht mehr dasselbe. Er besucht die Sowjetunion und darf dort sogar auf Tournee gehen. Während die Fans in den USA ihn vergessen haben, liegen sie ihm zwischen Moskau und Perm zu Füßen. Reed ist im Osten Ersatz für Beatles und Stones. Schließlich verschlägt es ihn in die DDR, wo er einen Film über Chile vorstellt und sich Hals über Kopf in Wiebke verliebt. 

Es ist der letzte Wendepunkt im Leben des Genossen Cowboy, der in den 13 Jahren bis zu seinem rätselhaften Freitod für die einen zum roten Elvis und für die anderen zum roten Tuch wird. Den DDR-Mächtigen gilt der Seitenwechsler als Glücksfall. Der Amerikaner ist für die DDR ein Propagandacoup. Er 
wird direkt von der Abteilung Agitation des SED-Zentralkomitees betreut und lebt in der DDR ein Leben, das mit der DDR nicht viel zu tun hat. Reed gehört zu den oberen Zehntausend im Arbeiter- und Bauernstaat. Er genießt zahlreiche Privilegien, er kann reisen, er hat Zugang zu raren Waren, an denen es sonst überall mangelt in der Mangelwirtschaft des Sozialismus, der sich selbst als gerechte, klassenlose Gesellschaft lobt.

Der Paradiesvogel im grauen DDR-Kulturbetrieb dreht Filme und spielt Platten ein, besucht Kubas Revolutionsführer Fidel Castro und Palästinenserchef Jassir Arafat. Er dreht das große Rad im kleinen Staat und avanciert nach Ansicht des "People's Magazine" zum "größten Star der Popmusik von Berliner Mauer bis Sibirien". Der Sunny-Boy sonnt sich in seinem Ruf und prominente Revolutionäre suchen seine Nähe. Er bekundet, dass er "im Chile der Unidad Popular eine zweite Heimat gefunden" habe. "Und dieses wunderschöne Land mit seinen wunderbaren Menschen ist mir auch heute noch Heimat. Denn die Zeit der faschistischen Herrschaft über Chile wird vor der Geschichte nur eine Episode bleiben. Aber jedes Gespräch, das ich dort hatte, jeder Händedruck, den ich getauscht habe, jedes Lächeln, das mir zuteil geworden ist - all das ist mir unvergesslich geblieben", schwärmt er.  

Seitenwechsler als Symbol


Bald ist der Seitenwechsler mit dem chilenischen Präsidenten Salvador Allende und mit Palästinenserführer Jassir Arafat befreundet, er protestierte gegen die US-Regierung, gegen Diktaturen und den Vietnamkrieg, verbindet das aber mit Exotik des Countrymusim singenden Amerikaners im DDR-Fernsehen und Star in Defa-Filmen, in denen er etwa im Indianerfilm "Blustbrüder" einen desillusionierten US-Soldaten spielt, der sich nach einem Massaker der US-Kavallerie an einem unschuldigen indigenen Stamm die Barthaare einzeln herausreißt, um wie sein Freund, ein Stammeshäuptling, Indianer zu werden.

Der junge Amerikaner, erstmals aufgefallen, als es ihm gelingt, ein 110-Meilen-Rennen gegen ein Maultier zu gewinnen, weshalb er Probeaufnahmen machen darf, die ihm auf einen Schlag einen lukrativen Sieben-Jahres-Vertrag einbringen, ist wieder ein Star, aber kein kleiner mehr wie daheim, sondern ein großer.

Das wollte  er von Anfang an und anfangs ließ es sc auch gut an. Mit Songs wie "Summer Romance" entert er die US-Hitparaden, bald hagelt es Filmangebote und Touranfragen aus dem Ausland. Dean Reed, von Fans umschwärmt und von den Frauen vergöttert, schwebt durch die frühen Jahre seiner Karriere: Das Leben ist ein Traum, die Welt viel größer, als es von Wheat Ridge aus den Anschein hatte.

Am Ende großer Tage


Doch dann neigen die großen Tage sich dem Ende zu. Zwar findet Dean Reed nach der Trennung von seiner ersten DDR-Frau in der Schauspielerin Renate Blume schnell eine neue große Liebe. Mit der Sommerkino-Klamotte "Sing, Cowboy, Sing" gelingt ihm sogar ein echter Kassenknaller. Der Exotenbonus aber, den der Kommunist mit US-Pass in den 70ern noch genoss, hat sich verbraucht. In den 80ern ist Reed für viele DDR-Bürger nur ein staatsnaher Stetson-Träger, der keine Ahnung vom wirklichen Leben in seiner Wahlheimat hat. Sein Protest gegen die US-Regierung, gegen Diktaturen und den Vietnamkrieg, das Foto mit der Gitarre in der einen und einer Kalaschnikow in der anderen Hand, sie gelten den normalen DDR-Bürgern als Zeichen nicht für Rebellentum, sondern für Opportunismus.

Privat ist Dean Reed auch nicht immer fein. Er hat Geliebte neben seinen Ehefrauen, beim ihnen genießt er die Reste seines Ruhmes.  So lange es ihm selbst gefällt. Als eine von ihnen ihm lästig wird, wirft er aus dem Haus. Die Frau versteht  die Welt nicht mehr, wie sie im Film "Der rote Elvis" erzählt : "Ich dachte, ich spinne - der große Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit in aller Welt schmeißt eine Frau einfach so aus dem Haus."

Er versteht es doch


Der Amerikaner versteht das alles nicht. Und er versteht es doch.  Denn er merkt zunehmend, dass auch in der DDR einiges im Argen liegt. So faucht er 1982 Volkspolizisten laut Protokoll der Beamten an, als sie ihn wegen einer Geschwindigkeitsübertretung anhalten: "Die Staatslimousinen, die mich gerade mit 160 km/h überholt haben, schreibt ihr nicht auf. Das ist ja wie ein faschistischer Staat hier. Ich habe das langsam wie die meisten der 17 Millionen in diesem Land bis hierher satt!"

Fast klingt er da wieder wie der junge Mann, der, am 1. September 1970 vor dem Konsulat der USA in der chilenischen Hauptstadt Santiago die amerikanishe Flagge wäscht. Eine Symbolhandlung, die Reed so begründet: "Die Flagge der USA ist befleckt mit dem Blut von Tausenden vietnamesischer Frauen und Kinder, die bei lebendigem Leibe von dem Napalm verbrannt worden sind, das von amerikanischen Aggressionsflugzeugen aus dem einzigen Grund abgeworfen worden ist, weil das vietnamesische Volk in Frieden und Freiheit, in Unabhängigkeit und mit dem Recht auf Selbstbestimmung zu leben wünscht." Auch sei die Flagge der USA "befleckt mit dem Blut der Schwarzen Bürger der Vereinigten Staaten, die von einer Polizei des Völkermords aus dem einzigen Grund in ihren Betten ermordet worden sind, weil sie in Würde und mit den vollen Bürgerrechten eines Bürgers der Vereinigten Staaten zu leben wünschen."

Der Flaggenwäscher


Die Flagge der USA, gewaschen vor den "Völkern der Welt", das gefällt Dean Reed , der "Blut und Qual von Millionen Menschen in vielen Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens, die gezwungen sind, in Elend und Ungerechtigkeit zu leben, weil die Regierung der Vereinigten Staaten die Diktaturen unterstützt" als seine eigene Verantwortung wahrnimmt. 

Die Liebe der Menschen in der DDR ist flüchtig, Und als sie fort ist, gewinnt er sie nicht zurück. Reeds Platten liegen wie Blei in den Läden. Neue Filmprojekte werden ihm zwar noch angeboten, aber nicht mehr verwirklicht. Dem Mann, der seiner Umwelt ganz amerikanisch stets beweisen wollte, dass er der Beste ist, tut das weh. Dean Reed beginnt zu trinken. Parallel streckt er seine Fühler zu alten Freunden nach Amerika aus, um vorzufühlen, wie es denn wäre, wenn er zurückkäme.

Anfang Juni 1986 erleidet er einen Herzanfall. Kurze Zeit darauf droht er nach einem Streit mit seiner Frau, sich umbringen zu wollen. An einem Tag im Juni 1986 verschwindet er plötzlich. Seine Witwe erinnert sich: Es ist ein Donnerstag, dieser 11. Juni, als Reed sich abends ins Auto setzt, angeblich um nach Babelsberg zu fahren. "Er packte seine Tasche und sagte, er gehe zu den Menschen, die ihn lieben. Dabei gab er jedoch kein konkretes Reiseziel an", berichtigte seine Frau später.  

Nie irgendwo angekommen


Wohin auch immer, nirgendwo ist Dean Reed je angekommen. Am Ufer des Zeuthener Sees bei Berlin wird Dean Reed wenige Tage später tot gefunden, in seinem Lada findet die Polizei erst vier Tage darauf einen 15-seitigen Abschiedsbrief: "Mein Tod hat nichts mit Politik zu tun", schreibt Reed darin, "aber ich kann keinen Weg finden aus meinen Problemen." Dennoch verschwindet das 15-seitige Schrfeiben bis zum Ende der DDR in den Stasi-Akten. 

Aber der Tod war ein Politikum allerersten Ranges. Honecker persönlich, den Reed im Brief ausdrücklich grüßt, gab die Parole vom Unglücksfall aus. Im Westen tauchte die Vermutung auf, die Stasi könnte den Künstler beseitigt haben, weil er plante, in die USA zurückzukehren. Bis heute halten sich Mutmaßungen, der Abschiedsbrief könne von der Stasi selbst verfasst worden sein. 

Reeds Urne wurde erst 1991 in die USA überführt.

Samstag, 21. April 2018

Bell, Book & Candle: Auf einmal auf Deutsch


Zwei Jahrzehnte nach ihrem internationalen Riesenhit "Rescue me" sind Jana Groß, Andreas Birr und Hendrik Röder mit ganz neuen Tönen zurück. Die Band, die bisher immer englisch sang, hat plötzlich deutsche Texte.

Kommen, gesehen werden und ganz hochschießen an die Spitze, das passierte damals, als Andreas Birr und Hendrik Röder sich aufmachten, mit Sängerin Jana Groß in ihre zweite Karriere zu starten. Zu DDR-Zeiten waren Birr - schon hörbar Sohn von Puhdys-Chef Dieter "Maschine" Birr - und Röder, Sohn von Puhdys-Keyboarder Peter Meyer, als "Rosalili" erfolgreich gewesen. Doch der Ruhm hielt nicht über den Mauerfall, die Band löste sich auf.

Der Neustart gelang erst, als Hendrik Röders Freundin Jana Groß den Wunsch äußerte, ihr musikalisch beschlagener Lebensgefährte könne ihr doch mal eine Band zusammenstellen: Bell, Book & Candle. Zwei Jahre probten beide mit dem alten Rosalili-Kollegen Birr. Dann knallte "Rescue me" in die Hitparaden. Und für einen Moment sah es nicht nur für die Plattenfirma ganz so aus, als habe Deutschland wirklich eine neue Pop-Sensation mit internationalen Marktchancen.

Doch wer Jana Groß und ihre Kollegen damals erlebte, wie sie barfüßig, leicht angeschickert und bester Laune durch ein Bierzelt am Ostseestrand rockten, ahnte, dass die Ambitionen des Trios eher nicht auf die Rockarenen der Welt zielten. Verlässlich lieferte das Trio eingängige Pop-Songs auf der Höhe der Zeit. Doch ein Erfolg wie "Rescue me" gelang nie wieder.

Zusammen mit Ingo Politz, der alle Alben von Bell, Book & Candle produziert hat, haben die drei Berliner sich nun noch einmal neu erfunden. Jana Groß hatte früher schon deutsche Texte für die Band Eisblume geschrieben, die Politz ebenso wie die Kollegen von Silbermond produziert. Für das neue Album "Wie wir sind" lässt die Sängerin nun die verbalen Hüllen fallen: Erstmals verzichtet Groß, die alle BBC-Texte schreibt, auf die sichere Verkleidung und den Schutz der fremden Sprache, wenn sie über ihre Gefühle, ihr Leben und ihren Blick auf die Welt singt.

"Wie wir sind" ist eine Platte, die mit dem folklorisierten Pop-Rock der frühen Tage nichts mehr zu tun hat. Statt akustischer Gitarren gibt es hier elektronische Clubbeats, spitze E-Gitarrenriffs, U2-Bässe wie in "Woran glauben wir" und Melodien, in die sich sogar Helene-Fischer-Fans verlieben werden. "Alles ändert sich, alles ändert mich", singt Jana Groß, die nicht mehr an Dolores O'Riordan von den Cranberries erinnert, sondern eher an Stefanie Kloß von Silbermond oder Anna Loos von Silly. Erwachsen klingt sie, eine Frau, die viel erlebt hat und nun Zeit zum Zurückschauen findet. "Es gibt Menschen, die sind Lieder / und du bis ein Liebeslied / deine Worte sind Musik", reimt sie in "Liebeslied" und bei "Déjà-vu" klingt es fast, als sei das Rap, was sie da zu einem stampfenden Rhythmus vorträgt.

Die 49-Jährige, eine imponierende Sängerin sowieso, entpuppt sich hier als originelle Dichterin, die es schafft, klischeefrei über die ewigen Popmusik-Themen zu schreiben. "Wir waren ein Kartenhaus / das kriegt man wieder aufgebaut", heißt es in "Ich bin wie keine", einem Abschiedsschmerzstück, in dem die Betrogene sich "farblos" findet und den Verflossenen warnt, es sich noch einmal zu überlegen: "Sieh mich an / dann wirst du sehen, was ich meine / ich bin wie keine".

Zwei Jahre haben Groß, Röder und Birr an den dreizehn Songs geschraubt, die nun eine Art Neuerfindung ihrer Band nach fast einem Vierteljahrhundert sind. Damals, als alles losging, sei die Entscheidung für englische Texte eine ganz selbstverständliche gewesen, hat Jana Groß erklärt. Musik wie die von Bell, Book & Candle schien ihren Machern selbst unmöglich mit deutschsprachigen Texten.

Als sich dann Jahre später Gruppen wie Juli, Silbermond und Wir sind Helden auf Deutsch vorwagten, schien es dem Berliner Trio nicht angeraten, auf den Zug aufzuspringen. "Aber jetzt war es einfach an der Zeit zu gucken, ob uns was einfällt." Eine richtige Entscheidung, das glaubt Jana Groß jetzt schon. Nie zuvor seien so viele Menschen auf sie zugekommen und hätten sie auf ihre Texte angesprochen. "Die Leute sagen, ich hab das genau so erlebt, wie du das gerade gesungen hast", erzählt die BBC-Sängerin über ihre ersten Erfahrungen mit einem Publikum, das sie versteht. "Da haben wir danach schon gedacht, was wir haben die ganzen Jahre verpasst?

Es war Produzent Ingo Politz, der die drei, die ihre Band einst nach einem Hitchcock-Film benannten, sanft auf die neue Sprachspur schob. Dort sucht Jana Groß nun erfolgreich nach einer gereiften Version der Leichtigkeit des Anfangs, nach Texten ohne Tabus, und Liedern, die vom Leben erzählen, wie es ist: Mit Liebe, Lachen, Tod und Leiden, Kindern und Kerlen und der Hoffnung, dass es Grund zur Hoffnung gibt.

Samstag, 24. Februar 2018

Goitzsche Front: Der Bitterfelder Weg


Zum ersten Mal seit Tokio Hotel vor knapp zehn Jahren hat es wieder eine Band aus Sachsen-Anhalt an die Spitze der deutschen Albumcharts geschafft. Diesmal steht kein Masterplan und kein Großkonzern hinter dem Phänomen.

Erstmals seit 2009 steht wieder eine Band aus Sachsen-Anhalt auf dem Spitzenplatz der deutschen Albumcharts. Goitzsche Front aus Bitterfeld, vor zwei Jahren mit ihrem Album "Mon(u)ment" schon wie aus Nichts auf Platz 6 gelandet, sitzen mit ihrem neuen Werk "Deines Glückes Schmied" auf dem Hitparadenthron. Vor knapp zehn Jahren war es die Magdeburger Teenie-Gruppe Tokio Hotel, die mit einem solchen Erfolg Furore machte für ein Bundesland, dessen Rockmusikszene kaum je für überregionales Aufsehen sorgt. Und nun jetzt sind es vier junge Männer aus Bitterfeld: Christian Schulze, Maxi Beuster, Pascal Bock und Tom Neubauer, die ihre Band vor zehn Jahren eigentlich nur als Spaßkapelle gegründet hatten, dann aber immer deutlicher merkten, dass da mehr geht.

Der Unterschied zu Tokio Hotel könnte nicht größer sein. Kamen die schon mit ihrer Debütsingle überall ins Fernsehen, weil ein großes Teenie-Magazin den Hype gezielt anheizte, sind es bei ihren Nachfolgern die sozialen Netzwerke, die den Erfolg tragen. Videos wie „Der Osten rockt“, „Menschlich“ oder „Männer aus Stahl“ kommen auf Millionen Abrufe und lassen damit etablierte Ostbands der alten Garde wie Silly, Karat und die Puhdys um Längen hinter sich. Inzwischen spielen die vier Musiker regelmäßig vor ausverkauftem Haus, jedes Konzert wird angegangen wie ein Endlauf bei Olympia, höchste Konzentration, dann alles geben, was da ist.

Das sei alles nicht geplant gewesen, beschreibt Gitarrist Maxi Beuster, der als letzter zur Band stieß, die der heute seine Familie nennt. Irgendwie aber funktionierte es, irgendwann bemerkten die vier Bitterfelder, dass sie zusammen etwas zustandebringen können, was in vielen Menschen eine Saite zum Schwingen bringt. Niemand hier hatte die Absicht, Größen wie Ed Sheeran, Justin Timberlake, Helene Fischer oder Peter Maffay in den Charts hinter sich zu lassen. Aber nun ist es passiert: „Deines Glückes Schmied“, ein handfestes, gefühlsseliges und erdigen Album, angefüllt mit 16 Hymnen an das Leben, die Liebe und das Leid, katapultiert Beuster, Schulze, Bock und Neubauer in Sphären, von denen sie nicht einmal geträumt haben.

Aber darauf hingearbeitet, das haben sie, ohne Kompromisse zu machen. Echt sein, sich nicht anpassen und machen, was man selbst für richtig hält - seit der 29-jährige Bock und seine Kindergartenkumpel Schulze und Neubauer ihre Band vor neun Jahren mit wenig Können und viel Euphorie gründeten, sind die Musiker aus Bitterfeld diesem Grundsatz treu geblieben. Es ging nie um Image, Stromlinienform und Mode. „Sondern darum, zu machen, was man glaubt, tun zu müssen“, wie Bock sagt. Maximilian Beuster, mit 23 der Jüngste der Band, bestätigt das. „Wir sind wirklich nicht nur Bandkollegen, sondern die allerbesten Freunde.“

Immer noch müssen die Bandmitglieder Urlaub nehmen, um auf Tour gehen zu können. Demnächst geht es los - erst solo, dann als Anheizer für die Kollegen von Frei.Wild. Eine neue Herausforderung. "Vor so vielen Leuten haben wir noch nie gespielt", sagt Maximilian Beuster und es klingt nach Respekt und Vorfreude. Der legendäre Bitterfelder Weg, er  führt weiter, immer weiter. Mal sehen, bis wohin, sagen sie selbst.



Konzerttrermine in diesem Jahr

Montag, 18. Dezember 2017

Flake Lorenz von Rammstein: Auf der Rückseite des Ruhms

Er ist der ewig Unbeholfene in der Besetzung von Deutschlands erfolgreichster Rockband, ein schmaler, linkischer Riese mit schiefem Lächeln, der immer den Eindruck macht, als habe er bis heute nicht verstanden, was ausgerechnet ihn zu einem Weltstar machen konnte.

Aber Christian Lorenz, genannt Flake, ist einer, das zeigt schon die Völkerwanderung, die der kleine, recht abgelegene Ort Brachwitz erlebt, nur weil der 51-jährige Rammstein-Keyboarder dort aus seinem zweiten Buch „Heute hat die Welt Geburtstag“ liest. Aus Zwickau, Berlin und Magdeburg sind die Fans gekommen, mehr als 300 füllen den Saal des Restaurants „Saalekiez“, dessen Betreiber Christian Hager seit Jahren mit dem Namensvetter aus dem Prenzlauer Berg befreundet ist.

Auf der Bühne, anfangs stehend und später zurückgelehnt in einen riesigen Sessel, ist das Gegenmodell eines Rockstars. In seinen schwarzhumorigen Erzählungen von der Rückseite des großen Rockruhmes bleibt von Glamour und Glitzer des Showbusiness nichts übrig. „Auf Tournee sein heißt vor allem Warten“, beschreibt Flake, der seine Lesung nur gelegentlich mit vorgelesenen Buchkapiteln bestreitet. Die restliche Zeit erzählt er aus dem einsamen und aberwitzigen Leben in der Blase der Berühmtheit. Es geht um stinkende Bühnenklamotten, abenteuerliche Missgeschicke in Konzerten und um all die Erlebnisse, die nur der macht, der im innersten Kreis einer der größten Rockbands aller Zeiten lebt.

Und sich bis heute fragt, wie es soweit kommen konnte. Lorenz’ Grundhaltung ist die des Clowns, der alles hinterfragt. Die Antworten schießt er zugespitzt auf sein Publikum ab, die Gesichtszüge wie vereist. Die Fans, die dichtgedrängt bis hinter zum Tresen sitzen, kommen minutenlang nicht mehr aus dem Lachen heraus, während Flake ungerührt von seiner Verhaftung in den USA erzählt oder schildert, wie seine Band 46 000 Mark für Getränke aus der Minibar bezahlen sollte. So sieht es also aus, wenn die Scheinwerfer verloschen sind und die Band zum Bus stiefelt! Und so, wenn einer von Rammstein im kleinen Kreis Autogramme gibt!

Die Schlange im „Saalekiez“ reicht bis zur Eingangstür.


Sonntag, 26. November 2017

Ostrock und die Stasi: Der Feind mit der Klampfe


Der Staatssicherheit waren sie schon von Berufs wegen verdächtig - kaum irgendwo sonst wurde angestrengter überwacht und spioniert als im Milieu der Rock- und Popmusik des Arbeiter- und Bauernstaates. Ostrocker wurden so zu Opfern, aber auch zu Tätern.


Zumindest Kurt Hager war die Situation nicht geheuer. "Wie ich Dir schon sagte", schrieb der Kulturverantwortliche des SED-Politbüros Anfang April 1984 an Stasichef Erich Mielke, "haben sich durch die Ablehnung der Reisefähigkeit einiger auch international einsetzbarer Gruppen Probleme auf dem Gebiet der Rockmusik ergeben". Hager forderte Konsequenzen. "Wir müssen in dieser Frage großzügiger sein", mahnte er Mielke. Die "unterschiedliche Behandlung der Rockgruppen" führe zu einer Situation, "in der wir mit diesen Gruppen schwierige Auseinandersetzungen bekommen".

Schlechte Stimmung nach BAP


Die Stimmung in der DDR-Rockszene Mitte der 80er Jahre war so schon schlecht genug. Eine geplante DDR-Tour der BRD-Gruppe BAP, von der die DDR-Szene sich insgeheim eine weitere Öffnung erhofft hatte, war nach einem Streit um einen kritischen Liedtext abgesagt worden. Das erste Gastspiel des Hamburger Sängers Udo Lindenberg hatte nahezu ausschließlich vor handverlesenem Publikum stattgefunden, eine bereits angekündigte Tour ließen die DDR-Verantwortlichen anschließend still sterben. Der Bluesmusiker Hansi Biebl reiste in den Westen aus. Ausreiseanträge hatten auch Hans-Joachim Neumann, Chef von "Neumis Rock-Circus", die Sängerin Angelika Mann und der Gitarrist Udo Weidenmüller gestellt. Und die Wunden, die der Weggang einer ganzen Künstlergeneration mit Leuten wie Veronika Fischer, Manfred Krug oder Nina Hagen gerissen hatten, brannten immer noch. Kurz:

Die Situation war mal wieder ernst. Im Politbüro, wo man sich seit Anfang der 60er Jahre immer wieder auch mit dem ungeliebten Phänomen Popmusik auseinandergesetzt hatte, verteilte Erich Mielke am 24. April höchstpersönlich die neueste "Information über die Ergebnisse der Überprüfung der Reisefähigkeit von Rock-Musikformationen der DDR in das nichtsozialistische Ausland". Schlechte Nachrichten. Von 500 Amateurgruppen und 85 professionell arbeitenden Rockbands attestierte die Staatssicherheit ganzen sechs die uneingeschränkte Reisefähigkeit. Namhafte Gruppen wie City, Silly, Prinzip und Wir mussten daheim bleiben, obwohl sich, wie Kurt Hager zuvor noch an seinen Politbüro-Kollegen Mielke geschrieben hatte, "die leitenden Genossen des Ministeriums für Kultur für die Gruppen einsetzen und Gastspielangebote aus dem NSW vorliegen".

"Politisch negative Haltung"


Doch das hatte die besseren Argumente: Silly-Sängerin Tamara Danz unterhalte Verbindungen zu Personen, die die DDR illegal verlassen hätten, sie habe im übrigen eine politisch unzuverlässige Gesamthaltung und stelle ihre Wohnung für Treffen von Westberliner Bürgern mit politisch-negativen DDR-Bürgern zur Verfügung, teilte das Organ mit. Citys Toni Krahl habe ebenso wie Bassist Manfred Henning "eine politisch-negative Haltung zur DDR", er sei außerdem wegen staatsfeindlicher Hetze vorbestraft. Der City-Lichttechniker Rolf J. sei "1991 Nichtwähler" gewesen und pflege Beziehungen zu einem im Westen gebliebenen Techniker der Gruppe Kreis. Von Wir-Sänger Wolfgang Ziegler wußte man, dass er gegen die Zollbestimmungen verstoßen hatte, über Silly-Techniker Alfons D. lag der Hinweis vor, "wonach er nach Möglichkeiten sucht, die DDR ungesetzlich zu verlassen". "Die hatten immer Informationen abrufbar", ist sich City-Chef Toni Krahl heute sicher, "da konnten sie jeweils das hernehmen, was sie für einen Dämpfer politisch für nötig hielten."

Dann konnte auch Hager nichts mehr machen. Der Kessel blieb zu. Und der Druck stieg. Die Staatssicherheit aber war auf der Hut. Und Rockmusiker waren Mielkes Männern schon von Berufs wegen verdächtig. Langhaarig, erfahrungsgemäß häufig einer "feindlich-negativen Haltung" verdächtig und zu keiner Institution richtig dazugehörig - das passte nicht in den ordentlichen kleinen Sozialismus der DDR. Also durften Künstler wie Karat-Sänger Herbert Dreilich und Renft-Chef Klaus Jentzsch, Karussell-Bassist Claus Winter oder City-Sänger Toni Krahl zwar einerseits zu "gesellschaftlichen Höhepunkten" wie den Weltfestspielen und "Rock für den Frieden" in die Saiten greifen, andererseits aber wurden sie wie Feinde des System unter Beobachtung gehalten. Ein "zweiter Fall Biermann, ein zweiter Fall Renft-Combo", lautete die Devise, müsse unter allen Umständen verhindert werden.

Biermann und Renft verhindern


Ein zunehmend schwieriger werdendes Vorhaben. "Vorliegenden Hinweisen zufolge", meldete die Stasi ihrem Minister im Jahr 1983, "steigt die Anzahl der Rockformationen ständig an. Das erschwert eine sorgfältige Auswahl und Überprüfung der Personen erheblich." Außerdem läge, empört sich der zuständige Offizier, bei zentralen staatlichen Stellen keine "zentrale personelle Übersicht" über die Mitglieder der Gruppen vor. Es fehlten insgesamt Kader- und andere Unterlagen, aus denen die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung der einzelnen Gruppenmitglieder ersichtlich sei. "Daraus resultiert eine nicht ausreichende einheitliche staatliche und gesellschaftliche Einflussnahme, Erziehung und Kontrolle der Gruppenmitglieder".

Zumal, wie der Potsdamer Musikwissenschaftler Peter Wicke bestätigt, "kein homogener Apparat über dieser Art Kultur thronte". Ganz im Gegenteil vertrat meist ein "ganzes Geflecht von Leitungsinstanzen und Kommissionen sehr unterschiedliche Ansichten". So konnte es durchaus vorkommen, daß das Ministerium für Kultur die Produktion einer Platte genehmigte, deren Sendung im Rundfunk von der Kulturabteilung des SED-Zentralkomitees verboten wurde, noch ehe die Platte fertig war. Auch kam es vor, daß Gruppen in bestimmten Städten oder Bezirken Auftrittsverbot hatten, sie gleichzeitig aber im staatlichen Fernsehen spielen durften.

Auftrittsverbot, aber Fernsehauftritte


"Einheitliche politische Orientierungen werden bisher nicht genügend erarbeitet", hieß das dann bei den Männern des MfS. Eine Klage, die die Stasi von Anfang an führte. Seit den frühen 60er Jahren hatten junge Leute, die inspiriert von den Beatles und den Rolling Stones irgendwo Rock'n`Roll oder Beat spielten, immer wieder für Ärger gesorgt. Beatmusik galt als Werkzeug des Klassenfeindes, ja, als "Splitter des Pfahles im Fleisch des Sozialismus" , wie es in einer Akte geheimnisvoll heißt.

Kulturdarbietungen wie die der "Diana-Show-Band", die in Tigerfelle gekleidet "wildes Remmidemmi" (Junge Welt) zu machen pflegte, passten nicht in die Landschaft. Nach einer kurzen Phase der Öffnung für die neue Mode aus dem Westen, in der eine Beatles-Platte bei Amiga erscheinen und die FDJ eine "Gitarrenmusikbewegung" initiieren durfte, übernahmen bald wieder die Hardliner das Kommando.

Wie Dokumente aus dem SED-Parteiarchiv belegen, war der Kurswechsel langfristig vorbereitet worden. Schon 1964 ließ sich der damalige SED-Sicherheitschef Erich Honecker regelmäßig eine Aufstellung der "sicherheitsrelevanten Vorfälle bei Beat-Veranstaltungen" erarbeiten, in der jedes zu Bruch gegangene Bierglas und jeder wegen zu langer Haare "aufgegriffene" Jugendliche penibel aufgelistet wurde.

Harte Rhythmen staatsgefährdend


Nach dem berüchtigten 11. Plenum des ZK der SED im Dezember "gaben wieder die Sicherheitsorgane die ästhetischen Maßstäbe vor", meint Rockforscher Peter Wicke, "und nach deren Meinung waren harte Rhythmen nun mal eine staatsgefährdende Übung". Doch was man anfangs noch verbieten oder mit Polizeigewalt niederknüppeln konnte, ließ sich nie völlig vernichten. "Jede verbotene Band kehrte unter anderem Namen zurück", beschreibt Wicke, "und auch die Fans entwickelten immer neue Selbstbehauptungsstrategien." Rückzugsgefechte um Haarlängen, Bekleidungsmode und Sprachregelungen kündigten die Kapitulation des Systems an. "Da offensichtlich Beat-Formationen differenzierten Bedürfnissen unserer Jugend entsprechen", vermerkt ein Papier des Kulturministeriums, könne man mit Verboten nicht mehr arbeiten.

"Es kommt vielmehr darauf an, die jugendgemäße Tanzmusik weiterzuentwickeln". Angesichts der Gefahr, die man in den "zumeist unkontrollierten Aktivitäten zahlreicher Gruppen" und einer "Wirksamkeit, die sich nicht in Übereinstimmung mit unserer Kulturpolitik befindet" sah, setzte die DDR-Führung verstärkt auf Eingliederung. Jugendliche Musik ja, aber gepflegt muss sie sein. "Niemand hat etwas gegen eine gepflegte Bittmusik", verkündete nun auch Staats-und Parteichef Walter Ulbricht, der kurz zuvor zum Schrecken aller Rockfans noch öffentlich gefragt hatte: "Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen? Muss man denn dieses Yeah, Yeah, Yeah nachmachen?".

Immer dieses yeah, yeah und yeah


Erst, als es nicht mehr anders ging, taute das Eis, Rock durfte hoffähig werden. Die Staatssicherheit allerdings redete immer ein Wörtchen mit. In kaum einem anderen Lebensbereich der DDR wurde angestrengter überwacht und ausgiebiger spioniert als in der DDR-Rock- und -Liedermacherszene. "Je ausgeprägter die ästhetischen Ressentiments gegen eine bestimmte Art Musik", sieht Wicke einen direkten Zusammenhang, "umso größer wurde die staatsgefährdende Wirkung eingeschätzt." Überall witterte das MfS Gefahr, überall hatte es seine Männer sitzen: In Singeclubs und hinter den Schlagzeugen, in Bandbüros und bei den Konzert- und Gastspieldirektionen, bei der Plattenfirma Amiga und in den Radiosendern.

"Schlüsselpositions-IM Rose" und GMS "Erika", IMS Peters, IM Höhne und unzählige andere besorgten Textabschriften, ehe die Lieder eingespielt wurden, Männer wie der spätere ORB-Moderator Lutz Bertram, der Liedermacher Gerhard Gundermann oder auch die "Firma"-Sängerin Tatjana meldeten diffuse Stimmungsschwankungen in den Gruppen weiter und informierten über illegal aus dem Westen eingeschmuggelte Verstärkertechnik.

"Biet" statt Beat


Und überall kamen die Männer von der Sicherheit, die noch 1974 gelegentlich "Biet" statt "Beat" schrieben und die Wirkung der gleichnamigen Musik einem "aufreizenden Rhythmus, der unter Nutzung modernster elektronischer Mittel in Überlautstärke dargeboten wird" zuschrieben, zu spät. Phänomene wie das des Fans, der seiner Lieblingsband zu jedem Auftritt nachreist, bemerkte man erst, als die Fans als schon als "sogenannter Anhang" von 100 bis 150 Personen "überregional in Erscheinung" traten.

Und auch da versteht das Ministerium noch nichts: "Regelrechte Anführer oder Organisationen sind bislang nicht bekannt", heißt es in einem Bericht über das "rowdyhafte, negative, asoziale und dekadente Verhalten" der DDR-Rockfans anno 1974 verwundert. Die Rockmusiker in der DDR waren sich durchaus über ihre seltsame Lage im Klaren. Zwischen Verbot und Vereinnahmung, Fallenlassen und Fördern, Kriminalisierung und Kooperation, so Peter Wicke, "vollführten sie eine komplizierte und risikoreiche Gratwanderung".

Rocker auf Gratwanderung


Einerseits die Ansprüche des Publikums, das sich an westlichen Rockbands orientierte, andererseits eng beschränkte Möglichkeiten, an Bühnentechnik, Plattenverträge und Medien Auftritte zu kommen. Dazu die Auflagen, Erwartungen und Instrumentalisierungsabsichten des SED-Apparates, der nie verstand, worum es bei Rockmusik eigentlich ging - Rockmusiker in der DDR war auch ein Diplomatenjob. Einer der "Diplomaten" war Puhdys-Keyboarder Peter Meyer. Unter dem Decknamen "Peter" lieferte er ab 1973 "Informationen zu Personen und Sachverhalten", wie es im Abschlussbericht der Hauptabteilung XX heißt. Mit zunehmenden Erfolgen und der damit verbundenen häufigen Gastspieltätigkeit seiner Rockgruppe im NSW sei dann allerdings eine kontinuierliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich gewesen.

Meyer, der nach der Wende bekundete, nur im Auftrag seiner Kollegen mit dem MfS gesprochen zu haben, wollte wohl auch nicht mehr. Die Puhdys hatten alles erreicht. Das MfS konnte ihnen nicht mehr helfen. "In den Mittelpunkt seiner Ausführungen bei Treffs rückten persönliche Probleme, vor allem zur Reisefähigkeit von Gruppenmitgliedern", klagt Meyers Führungsoffizier. Dadurch habe der IM nur noch "wenig operativen Wert". Achtzehn Tage nach dem Mauerfall wird Meyer "abgelegt". Der Großteil seiner Akte wurde vernichtet. Die Empfehlung der Staatssicherheit, daß "gesellschaftlich und künstlerisch nicht genügend geeignete Rockmusikformationen" einer "anderen gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit zugeführt" werden sollten, konnte nicht mehr in die Praxis umgesetzt werden.



Samstag, 24. Juni 2017

Kraftklub: Die Axt aus dem Osten


Im fünften Jahr nach ihrem Debütalbum schlägt die Erfolgsband aus Chemnitz auf „Keine Nacht für Niemand“ neue Töne an.

Links der Neubaublock aus alten Zeiten, daneben der Philosophenkopf, den die Einheimischen kurz „Nüschel“ nennen. Und davor die fünf Herren mit K, in weißen Polo-Shirts wie immer,  rote Hosenträger festgeschnallt und auf einer improvisierten Bühne versammelt. „Spring aus dem Fenster für mich“, singt Felix Brunner, der bei der Chemnitzer Rockband Kraftklub am Mikrophon steht und auch beim neuen Hit der fünf Sachsen zeigt, wie Ironie geht.

Natürlich singt die Menge, die zum Spontankonzert der Lokalhelden in die Brückenstraße gekommen ist, begeistert mit. Und natürlich ist es nicht wirklich ein Spontankonzert, das Felix Brunner, sein Bruder Till am Bass, die Gitarristen Karl Schumann und Steffen Israel und Drummer Max Marschk hier aufführen. Nein, Kraftklub feiern mit solchen Auftritten auf Straßen, in Hinterhöfen oder auf einem Lkw ihr neues, inzwischen drittes Album „Keine Nacht für Niemand“.

Raketenstart in Sachsen


Das muss so sein, denn Kraftklub sind fünf Jahre und drei Alben nach  ihrem Raketenstart aus Sachsen an die Spitze der Charts ein Top-Thema. Das Quintett spielt in einer Hit-Liga mit den Toten Hosen, Rammstein und dem Rostocker Rapper Marteria, spielt in ausverkauften Arenen und bekommt Einladungen zu den angesagtesten Festivals.

Daran war 2009, als der damals noch als Rapper auftretende Felix Brunner sich der Rockband seines Bruder Till anschloss, nicht zu denken. Die beiden Söhne des Künstlerehepaares Ina und Jan Kummer, das zu DDR-Zeiten mit der Avantgardegruppe AG Geige Furore gemacht hatte, zielten  eigentlich auch gar nicht auf den großen Pop-Markt. „Adonis Maximus“, die erste offizielle Veröffentlichung, vermählte Rap und Rock und unwiderstehliche Tanzbeats und ätzte böse gegen rundgelutschte Schlagerstars.  Mit der Anti-Metropolenhymne „Ich will nicht nach Berlin“ war es dann eben doch passiert. 20 Jahre nach den Prinzen hatte Sachsen wieder eine Top-Ten-Band.

Die sieht nun rot.  War das Debüt „Mit K“ noch ganz weiß gehalten, der Nachfolger „In Schwarz“ dann wie ein Negativbild ganz schwarz, so leuchtet der Streichholzaugen-Titel von „Keine Nacht für Niemand“ blutrot. Ein Zeichen, denn Kraftklub haben ihren musikalischen Horizont im dritten Anlauf entscheidend erweitert. Zu Punk und Hip Hop, Metal, TexMex und Glam-Rock-Riffs kommen diesmal Streicher, Beatles-Harmonien und  augenzwinkernde Verneigungen vor  Helden der Kraftklub-Musiker. Einer davon ist Sven Regener, Sänger und  Kopf der Band Element of Crime, deren fast zehn Jahre alter Song „Am Ende denk’  ich immer nur an dich“ hier nicht nur zitiert, sondern von Regener selbst mitgesungen wird.


Nachtvorstellung der Verrückten


Nicht der einzige Gast in dieser Nachtvorstellung der Verrückten, deren Titel auf das 45 Jahre alte Scherben-Album „Keine Macht für Niemand“ anspielt. Auch Wu-Tang-Clan Rapper Ol’ Dirty Bastard, die Britpopper Blur, Depeche Mode, die  Kumpels von Deichkind und Die Ärzte werden zitiert.

Und nachgemacht:  In „Dein Lied“, einer Ballade, in der ein enttäuschter Liebender seiner  Verflossenen hinterherheult,  heißt es provokativ „Du verdammte Hure, das ist dein Lied“. Geht gar nicht, schallte es augenblicklich von den Tugendwächtern der Popkultur, denen der Rollensong eindeutig zu weit ging, künstlerische Freiheit hin oder her. Felix Brunner hat die Vorwürfe ironisch gekontert. „Muss man bei seinen Texten immer eine Gebrauchsanweisung mitliefern?“, fragt er. Für ihn sei der Einsatz des Streichorchesters in einem Punksong mehr Provokation als die Verwendung eines Wortes, das ein betrogener Liebhaber durchaus auch im echten Leben verwenden könnte.

Erledigt. Mit dem Selbstbewusstsein seiner 27 Jahre räumt der gerade so noch in der DDR geborene Kraftklub-Texter die Vorwürfe so beiläufig ab wie seinerzeit die Kritik an der Kraftklub-Uniform aus Baseballjacken und Polo-Shirts. Kraftklub, die anfangs nie politisch sein wollten, sich später aber ganz entschieden gegen die Rock-Kollegen von Frei.Wild positionierten, sind heute die Axt aus dem Osten, die die Einsicht in die Notwendigkeit politischer Korrektheit grinsend in Stücke schlägt.

Rock kann nicht den Konsens suchen, wenn er richtig rocken will. Und ein Liedtext ist nicht immer das Seelenbild des Mannes, der ihn singt.

Kraftklub: Keine Nacht für Niemand, Vertigo Berlin

Freitag, 16. Dezember 2016

Stuart Adamson: In Feldern aus Feuer

Kurz vor Schluss war er noch einmal richtig glücklich. Stuart Adamson und seine Bandkollegen lagen sich in den Armen, das Publikum feierte sie begeistert, und immer wieder mussten sie die Gitarren umlegen und weiterspielen. Stuart Adamson, Kopf der schottischen Rockband Big Country, sang wie in besten Tagen: "Peace in our time", "Look away" und "Fields of fire". Die Fans im Leipziger "Anker" tobten, Adamson fand kaum Worte. "Als ob ich nach Hause komme", sagte er, etwas fülliger um die Hüften als früher, aber topfit, "und kein Platz auf der Welt ist wie zu Hause".


Gestorben aber ist der Mann aus Dunfermline eine halbe Welt weit weg von daheim. Sechs Wochen schon suchte die Polizei den 43-Jährigen, der sein Haus in Nashville am 7. November 2001 verlassen hatte, um "Sonntagmittag wieder da" zu sein, wie er seinem Sohn schrieb. Doch seit dem 15. November, an dem er in Atlanta gesehen wurde, fehlte dann jede Spur von dem charismatischen Gitarristen. Bis zum Sonntag: Da fanden die Ermittler den Kultstar, der mit seiner Band über zehn Millionen Platten verkaufte, im Plaza-Hotel auf Hawaii. Adamson, seit vielen Jahren alkoholabhängig und zuletzt im Oktober angetrunken im Auto erwischt, hatte sich erhängt.

Ein stiller Schlussakkord im Leben eines Künstlers, der in den 80ern mit Rockhymnen wie "The Storm" und seinem typischen Dudelsack-Gitarrensound Triumphe feierte. Big Country, dank sozial engagierter Alben wie "Steeltown" zur moralischen Rock-Fraktion gerechnet, waren die erste West-Rockband, die ein Konzert in Moskau gab. Sie kämpften gegen den Nato-Doppelbeschluss, traten bei Live-Aid auf und spendeten für Greenpeace.

Wenig später lud dann auch die DDR-Jugendorganisation FDJ die Schottenrocker ein. Ihr Konzert in Weißensee, zu dem rund 180 000 Menschen pilgerten, sollte das größte Rockereignis bleiben, das der Arbeiter- und Bauernstaat erlebte. Den Osten Deutschlands hat Adamson aber nicht nur deshalb besonders geliebt. "Hier erinnert mich vieles an Schottland", beschrieb er beim letzten Konzert der BC-Abschiedstour in Leipzig. Adamson war da schon Pub-Besitzer im Country-Mekka Nashville geworden, wo er Songs mit Kumpel Ray Davis (Kinks) schreiben und nebenher in der Spaßcombo The Raphaels spielen wollte. Er lebte jetzt den Traum, den das letzte Big-Country-Album im Titel beschrieb: "Driving To Damaskus", fort vom falschen Glitzer der Popwelt, von Ruhm und Versuchung.

Big Country sollte es nur noch einmal geben, auf einem Live-Album, das die Band auch in Leipzig mitgeschnitten hatte. Die CD endet mit der Bitte "Stay alive!" (Bleibt am Leben), mit der sich Stuart Adamson jedes Mal von seinem Publikum verabschiedet hat.

Big Country gibt es immer noch. Oder besser wieder. nach Mike Peters von The Alarm, der damals in Leipzig im Vorprogramm spielte, singt heute Simon Hough.

Er klingt wie Adamson. Ist es aber leider nicht. Das Original fehlt.



Dienstag, 15. November 2016

Wolf Biermann: Das Glück des preu­ßischen ​Ika­rus

Wolf und Pamela Biermann. Foto: Thorsten Jander
Wallraff dreht das Autoradio lauter. Biermann schiebt den Kopf nach vorn. Lauscht. Die Stimme des Nachrichtensprechers verkündet gerade das Todesurteil, mitten auf der Autobahn Köln - Bochum: Die Regierung der DDR habe beschlossen, dem Sänger Wolf Biermann die Wiedereinreise nicht zu gestatten. "Mir war", das Erschrecken ist dem Liedermacher eingebrannt ins Hirn, "als würde ich meiner eigenen Hinrichtung zuhören." Gewundert habe ihn nur, "dass mein Kopf weiter dachte."

Wolf Biermann hat nichts vergessen seitdem. Entspannt sitzt er auf der Ledercouch im großen, hellen Wohnzimmer seines Hamburger Hauses, rezitiert plattdeutsche Verse vom kleinen Johann und der großen Welt im halleschen Dialekt seiner Oma Meume. Und rekapituliert nebenher Geschichte in winzigen Details.

Das Auto damals war zum Beispiel der 200er Mercedes irgendeines Gewerkschaftsmannes, die Reifen runderneuert. Die Besatzung unterwegs vom Kölner Konzert des DDR-Dissidenten zum zweiten Tour-Termin in Bochum. Und Biermann, Sohn einer Maschinenstrickerin und eines in Auschwitz ermordeten Hafenarbeiters, trug Steine in der Tasche, die er mit Günther Wallraff gesammelt hatte, um sie Freunden daheim in Ost-Berlin zu schenken. "Wunderbare Kiesel, schöner als jeder Diamant", sagt er, "denn es waren Steine vom Rheinufer - von einem Ort, an den ich nie zu gelangen hoffen durfte."

Und doch hatte die DDR ihren Staatsfeind Nummer eins ziehen lassen. Nach zwölf Jahren Hausarrest. Nach zwölf Jahren, in denen Biermann Auftritte nur in den eigenen vier Wänden absolvieren und Schallplatten nur im Westen veröffentlichen konnte. Biermann war glücklich. "Es waren die schönsten Tage meines Lebens", sagt er über jene Novemberwoche des Jahres 1976 nach seinem Kölner Konzert. "Schließlich hatte ich diese unglaubliche Balanciernummer wohlbehalten überstanden." Das Publikum gut unterhalten, die Freunde daheim nicht enttäuscht und die SED-Bonzen kritisiert, ohne sie zu sehr zu schmähen. "Ich war wirklich der Meinung, ich käme gut wieder nach Hause."

Vaters Vermächtnis

Welch ein Irrtum. Mit der Ausweisung ist Wolf Biermann "verwirrt, eingeschüchtert, voller Lebensangst." Die blassen Augen schauen blicklos auf den abgewetzten braunen Ledersessel in der Ecke, auf dem früher Robert Havemann und Margot Honecker saßen, wenn sie zu Besuch waren. Das T-Shirt spannt über muskulösen Oberarmen. Biermann, Sohn des von den Nazis ermordeten Dagobert Biermann, als Feind vertrieben aus dem gelobten Land des Kommunismus! In das er doch im Sommer 1953 gezogen war, um mitzuhelfen, eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Es streicht kein Lächeln um die Mundwinkel, schwingt kein verspätetes Klugsein mit. "Ich glühte ja nicht einmal für die Weltrevolution, nein, sie war für mich eine Aufgabe wie Luftholen." Ein Vermächtnis des Vaters, den er ein einziges Mal gesehen hat bei einem Besuch im Lager. Ein Auftrag der Mutter, die in der Pause in der Fabrik Marx las und in der DDR die Erfüllung eines Traums sah.

Kurz nach Stalins Tod geht Biermann in die DDR. "Zum Glück schickten sie mich dort aufs Internat in die Ackerbauernstadt Gadebusch, so dass ich von den Arbeiteraufständen nichts mitbekam." Ein Glück, denn, jetzt senkt der Sänger die Stimme, "hätte ich gesehen, wie sie in Berlin streikende Arbeiter niederwalzen, hätte ich mich damals schon auf die Seite der Ermordeten gestellt, nicht auf die Seite der Mörder."

So aber hockt er am Ende der Welt, der Heimleiter allein stellt das Radio ein, und der 17-Jährige "ist so schön dumm, dass er nicht dumm bleiben muss". Ein bloßer Zufall, aber einer, ohne den aus dem kleinen Wolf nicht der böse Biermann geworden wäre, der Sänger, Dissident und Nationalpreisträger, ganz sicher. "Ungebildet, schlecht ausgerüstet wäre ich gewesen." Darüber lässt sich lange sinnen. Wie über all die Momente, in denen Weichen gestellt und Wege beschritten wurden, an deren Ende der Mann mit dem ergrauenden Seehundsbart steht: 1,67 Meter Formulierungslust in schwarzen Jeans, mit schmalen Hüften und kurzen, festen Fingern.

Halb sechs morgens sei seine Mutter in die Fabrik gegangen. "Da saß ich kleiner Kerl allein in der Wohnung, bis meine Tante Lotte mich um sieben abholte." Der kleine Wolf sitzt nicht nur, er singt sich die Seele aus dem Leib: "Ich weiß heute nicht mehr, ob aus Angst oder Freude." Die Begabung ist entdeckt, den "kleinen Sänger" nennt ihn bald die ganze Nachbarschaft. Dass er aber später lernt, Klavier zu spielen, sagt Biermann, hatte nur mit diesen Lucky Strikes zu tun. Die Stimme, mit der Biermann seinen Geschichten zuweilen freudig krähend Pointen aufsetzt, wird dunkel und schwer, als er die Geschichte vom Onkel erzählt, der im Freihafen einen ganzen Sack Zigaretten dieser Marke stiehlt, um seinem Neffen ein Klavier kaufen zu können. "Und das in der größten Elendszeit - ich bekomme noch heute einen Glücksstich ins Herz, wenn ich irgendwo eine Packung Lucky Strikes liegen sehe."

So ist es immer gewesen, in diesem Leben "nah an der Rampe der Weltgeschichte", wie er es nennt. Eine winzige Wendung, eine andere Zeit, ein anderer Ort. Biermann, als polternder Querkopf gefürchtet, ist ein nachdenklicher Mensch, der sich über eines sehr sicher ist: Es hätte gut auch alles ganz anders kommen können. Etwa damals, als ihn die Stasi in Gadebusch als Spitzel werben will. Und er dem Führungsoffizier an die Kehle geht, weil "der mich einen Agenten genannt und mich damit schwer in meiner bolschewistischen Ritterehre gekränkt hatte." Agent! Er! Dagoberts Sohn! "Wenn der mir erzählt hätte, Genosse Wolf, die Revolution braucht dich, Mensch, da hätte ich sofort unterschrieben."

Berlin sei Dank

Biermann, der gern Stalin und Churchill zitiert, ist sich im Klaren, dass er häufig Glück gehabt hat. Etwa als er beginnt, Wirtschaftswissenschaften zu studieren und nicht auf die Hochschule nach Magdeburg, sondern nach Berlin geschickt wird. "Nur dort konnte ich in den Sog des Brecht-Theaters geraten." Oder als er - längst mit einem Bann belegt - immer wieder "lebende Freunde und tote Götter" findet, die ihm Kraft geben, "wenn nicht mehr ich die Angst hatte, sondern die Angst mich".

Das Bild vom harten preußischen Ikarus, der Stasi-Spitzeln ausdauernd zürnt und unbeirrt von Zweifeln einen eigensinnigen Weg geht, es klirrt auseinander vor der Realität in der freundlichen Stube ohne Gardinen, nur ein paar Straßen entfernt von dem Kanal, durch den seine Mutter ihn kurz vor Kriegsende schwimmend vor den Bomben rettete. Es komme ihm mehr denn je darauf an, lebendige Widersprüche darzustellen, "einfach das Wenige, was ich wirklich rausgekriegt habe, weiterzusagen." Die kleinen "eindimensionalen Piesel", das Parteiengezänk, die meisten schnellschäumenden Diskussionen dieser Tage, sie bewegen ihn kaum. Ebenso wenig die Typen, die ihm seine eigene Geschichte erzählen wollen, samt Affäre mit Margot und Mauscheln mit der SED.

Biermann, ein begeisterter Tischtennisspieler mit starker Rückhand, ist im Alter milder geworden, aber nicht viel. Der vermeintlich ewig polternde Gerechtigkeitsfanatiker entpuppt sich als milder Denker, der ganz ohne Zorn zurückschaut, gelehnt ins abgeschabte Ledersofa. Wie es war, war es gut. Alles andere zu sagen, hieße "klüger sein zu wollen als ich bin". Oder, Biermann kann auch poltrig-proletarisch: "Ich kann nicht höher springen als der Arsch kommt."

Der Gedanke amüsiert ihn nun doch. Er lässt ein kockerndes Lachen hören. "Wenn sie mich damals nach Magdeburg geschickt hätten", bläst er die Backen auf. Keine Bekanntschaft mit Brecht, mit Helene Weigel, mit dem Berliner Ensemble und Havemann. Keine Liedermacherei. Keine Chauseestraße 65. Kein Hausarrest. 


"Vielleicht wäre ich ein Kombinatsdirektor geworden!" Oder ein mittlerer Wirtschaftsfunktionär mit wutgeballter Faust in der Tasche. "Ich würde heute ein bisschen Gitarre für den Hausgebrauch spielen, das war's." Mit drei Akkorden durchs ganze Leben, das Lied vom kleinen Johann und der großen Welt auf den Lippen, plattdeutsch, ein bisschen hallesch eingefärbt. Jeder Mensch ist ein Roman, an dessen Seiten viele schreiben. 

Wolf Biermann sächselt fröhlich: "Fehlte nicht viel", sagt er.



Freitag, 14. Oktober 2016

Bob Dylan in der DDR: Muffliger Gott mit Gießkannenstimme

Ein warmer Tag. Und die ganze Republik ist auf den Beinen. Keiner, der nicht gut drauf zu sein scheint. Wochenlang war das Ereignis ausgiebig diskutiert und minutiös vorbereitet worden. Abfahrt dann, dort und dort, Fahrt, Halt zum Bierholen an dieser und jener Stelle, Weiterfahrt und Treff mit den anderen, wer immer das im Einzelfall war. Irgendwie bedeutete Dylan ja plötzlich selbst denen was, die sonst nur Van Halen und Genesis hörten.

Hätte es, was damals nicht der Fall war, die verunglückten Spätwerke des Meisters in den "Plattenläden" genannten staatlichen Verteilstationen gegeben und wären, was bis zuallerletzt nicht erlaubt wurde, außerdem richtige Hitparaden zugelassen gewesen, niemand hätte dem altgewordenen zornigen jungen Zimmermann die Nummer eins streitig machen können. Dylan war, wenigstens, bevor er dann wirklich auf die Bühne kam und grußlos ein Lied namens "When The Night Comes Falling Down" zu nölen begann, mehr als irgendein Sänger sonst in irgendeinem Konzert. Mit ihm zog die neue Zeit, er kündete unübersehbar vom Ende der ostdeutschen Popprovinz.

* * *

So wenigstens hatten es sich die Hunderttausend auf der Wiese vor der Parkbühne in Treptow ausgedacht, die ihm wie auf einer verfrühten Republiksgeburtstags-Kundgebung seltsame Losungen wie "Fürstenwalde grüßt Bob Dylan" entgegenreckten. Ein bißchen Anbiederung, ein paar warme Worte und ein klein wenig "Sing-with-me" und Dylan hätte als Erlöser enden können. Das wurde dann allerdings doch nichts.

* * *

Nachmittags hatten noch alle Nachwuchs-Bobs der Republik an allen Straßenecken Berlins ein "Like A Rolling Stone" genäselt. Abends dann war Gott nur ein fusselbärtiger Mann im Bauernhemd, der mit Gieskannenstimme uninspiriert vor sich hinmummelte. Dazu konnte man weder besonders gut tanzen noch im Takt klatschen. Das zweifellos Bemerkenswerteste an seinem Konzert war die ratlose Begeisterung der Massen, das grußlose Ende nach kaum mehr als neunzig Minuten und der anschließende Versuch der Heimfahrt, bei dem sich zehntausend Menschen in die sieben Waggons des einzigen Reichsbahn-Nachtzuges Richtung Süden zu zwängen versuchten. Es klappte nicht. Das war die DDR.

* * *

So groß die Enttäuschung am Tag danach - geträumt wurde weiter unverdrossen. Was hat er wohl sagen wollen, indem er gar nichts sagte? Geübt im Lesen zwischen den Zeilen, versuchten sich Stammtischrunden an der Dechiffrierung der Dylan`schen Botschaft. Es gab Bier, 56 Pfennige das Glas, und es gab "Goldbrand" dazu und die Kneipen machten Schluß, wenn es am Schönsten war. Das war mitten in der Nacht und die Lösung von "how does it feel" stand in den trüben Sternen über Halle-Neustadt.

Montag, 16. November 2015

Rockhaus: Alte Lieder, große Gefühle


So kommt das, wenn man mal einen Moment weg war. "Es gibt nicht mehr so viele Klubs hier in Leipzig", sagt Mike Kilian, Sänger der Band Rockhaus, "und die, die es gibt, fragen dann auch noch ,Wer seid ihr?'"

Das ist, 25 Jahre nach dem letzten Nummer-Eins-Hit und im Jahre sechs des Neustarts nach einer fast 15 Jahre währenden Pause, nicht so verwunderlich. Und auch nicht so schlimm, denn mit der traditionsreichen Moritzbastei haben die fünf Berliner für ihre laufende Tour zum neuen Album "Therapie" ja doch eine geradezu ideale Konzerthalle gefunden.


Prallvoll ist der Saal wie kürzlich schon in Halle und in Döbeln. Und Rockhaus, in der ewigen DDR-Hitparade für alle Zeiten auf Platz 2 direkt hinter den Puhdys, belassen es nicht dabei, alte Kracher wie "Bleib cool" zu spielen. Der Schwerpunkt liegt erstmal auf neuen Stücken wie "Gegenverkehr", die spielt das Quintett viel muskulöser und kantiger als auf dem Album.

Mittelpunkt der Show ist wie stets Sänger Mike Kilian, der mit seiner Dreieinhalb-Oktaven-Stimme alle Nuancen zwischen samtigem Kuscheldeckensound und straff gespannter Klavierseite abdeckt. Mal ist er Freddie Mercury, dann kurz mal Michael Jackson, mal haucht er zart, dann schreit er, dass die Gewölbewände wackeln.

Das Programm reicht von den aktuellen, eher privaten Songs bis zu politischen Stücken wie "Wir" vom Vorgängeralbum "Treibstoff" und geht dann immer weiter in der Zeit zurück. Reinhardt Repke am Bass, Reinhard Petereit (git), Heinz Haberstroh (dr) und Keyboarder Carsten Mohren spielen jetzt "Mich zu lieben" und "Träume", das Lied von den verlorenen Illusionen, die düstere Ballade "Gefühle" und begleitet von einem euphorischen Chor das nagelneue "Kaleidoskop", das sofort auf Augenhöhe mit den alten Hymnen ist.


Nach zwei Stunden krönt das Finale dann natürlich der größte Rockhaus-Hit "I.L.D.", diesmal mit einem Keyboardsolo im Hammondstil. Falls jemand fragt: Rockhaus, das sind die, die auch wie Dylan klingen können.


Samstag, 14. November 2015

Apparat: Elektroden in Ekstase

Ein Boxset zeigt Sachsen-Anhalts unbekannten Star Sascha Ring, der aus Quedlingburg stammt, sich Apparat nennt und derzeit der erfolgreichste Künstler des Landes ist.

Weit weg von normaler Diskomusik, ja, von Musik überhaupt ist das, was Sascha Ring als junger Mann gemacht hat. Knapp über 20 war der gebürtige Quedlinburger, als er unter dem Namen Apparat sein Debütalbum „Multifunktionsebene“ einspielte, eine Sammlung introvertierter Geräuschkollagen, die ohne Gesang und Melodie auskommen.

Es scheppert hier zärtlich, es knirscht, rauscht und Töne wallen vorüber, die Lieder heißen „Nato“ und „Fuckedup“ und sie lassen kaum erahnen, dass hier ein kommender Superstar der elektronischen Musik seine ersten, vorsichtig tastenden Schritte geht.

In einem Boxset gebündelt mit der EP „Tttrial and Eror“ und dem zweiten Album „Duplex“ hat das Berliner Label Shitkatapult die frühen Werke des heutigen Dance-Gurus, der auch mit dem DJ-Duo Modeselektor zusammen als Band Moderat Hitparadenerfolge sogar in Großbritannien feierte.
Hier aber ist noch der pure Apparat zu hören, ein Frickler und Soundbastler, der nach einer ganz eigenen Methode Musik macht. Apparat lässt selbstprogrammierte Algorithmen Tonsignale per Zufallsgenerator verändern, daraus entsteht eine Art dahinfließender Soundstrom, der an La Düsseldorf und Roedelius erinnert.

Sascha Ring, der mittlerweile ein großes Stück Richtung Mitte der Popwelt gerückt ist, nennt diese Arbeitsweise „de-beautified“, also „entschönern“. Doch das Ergebnis ist keineswegs unschön. Zwar fehlen vor allem am Anfang, bei den ganz frühen Soundbasteleien, die heute so prägnanten Beats ebenso wie die echten Instrumente, mit denen Sascha Ring etwa bei den MTV-Live-Sessions auftrat - als erster Künstler aus Sachsen-Anhalt.

Doch der repetitive Grundton ist bereits zu hören, auch die Einbeziehung von nicht-elektronischen Klangerzeugern nimmt spätestens mit dem rhythmisch orientierten Album „Duplex“ zu. Dass Ring als „Apparat“ eine ideale Besetzung für die Herstellung von Film- und Theatermusiken wäre, ist hier schon zu hören.

 Als würde er unsichtbare Landschaftsaufnahmen untermalen, kombiniert der Musikapparat aus dem Harz Geräusche aller Art mit überwiegend elektronisch erzeugter Musik. Es gibt gelegentlich Gesang wie in „Wooden“ und hin und wieder scheinen die Soundschichten auch komplett jeden Zusammenhalt zu verlieren wie etwa im fast fünfminütigen „Schallstrom“, das den Eindruck macht, als sei es eigentlich aus vier verschiedenen Kompositionen zusammengesetzt.

130 Minuten Musik enthält die Box insgesamt, der größte Teil davon ist mehr Ambient als Techno, mehr Traum- als Tanzmusik. Wo Apparat später gediegene Unterhaltungsmusik für Erwachsene gemacht hat und es mit Moderat sogar schaffte, aus den gemeinsamen Techno-Wurzeln verstörend eingängige Pop-Songs zu züchten, sind die 29 Kompositionen hier noch Rohstoff, Ideenhalde und ungeordnetes Klangchaos. Den anderen Apparat, den Apparat von Schönklang und Harmonie, gibt es derzeit auf Live-Tournee.

Termine hier:
www.apparat.net

Dienstag, 22. September 2015

Renft: Warum werden die nicht liquidiert

Thomas "Monster" Schoppe ist der Sänger der Renft-Combo - immer noch.

Heute vor 40 Jahren wurde seine Band verboten. Thomas Schoppe, genannt "Monster", wurde arbeitslos, musste schließlich in die Bundesrepublik ausreisen. Eine offene Wunde immer noch, aber auch eine Geschichte, die zeigt, wie sich mit Würde die eigene Würde behaupten lässt.  

Ein Interview, das auch schon wieder historisch ist, denn es stammt von 1995. Aber an der Geschichte hat sich ja nichts geändert.

Thomas Schoppe - Warum nehmen Sie den Puhdys nichts übel?

Schoppe: Nun - wir als Renft sind halt damals verboten worden und die Puhdys haben nicht dagegen protestiert, sondern in der DDR groß abgesahnt. Wir haben uns im Westen irgendwie durchgeschlagen, die haben sich hier eingerichtet. Das ist vielleicht nicht gerecht, aber so laufen die Dinge in der Welt. Da kannst du nicht gegen machen. Ich habe im Leben genug durch, um zu wissen, daß es keinen Sinn hat, sich darüber aufzuregen. Aus unserer Sicht war es damals logisch, sich verbieten zu lassen und ich bedauere das auch heute noch nicht. Andere sehen das sicher anders.

Man sagt, Renft hätten damals direkt auf ein Verbot hingearbeitet?

Schoppe: Ach, hingearbeitet. Wir lebten doch in einer Traumlandschaft, in der wir uns gegenseitig Mut gemacht, ja, uns auch gehuldigt haben. Nicht alle aus der Band, aber der kritische Kern um Pannach, Kuno und mich. Wir haben ja damals allesamt nicht schlecht gelebt hier. Was heißt nicht schlecht, gut, sehr gut haben wir gelebt. Aber Kuno und Pannach kippten die Band. Plötzlich haben wir andere Prioritäten gesetzt. Alle anderen waren zu der zeit raus aus der Diskussion. Wir haben Marcuse gelesen und über solche Sachen wie den Prager Frühling sind wir ja nie fertig geworden, rot wie wir waren. Wir wollten dann also bestimmte Sachen, die uns nicht passten, provokant vorbringen.

Hat Euch überrascht, daß man darauf so hart reagierte?

Schoppe: Gedacht haben wir das nicht. Aber es war uns eigentlich auch egal. Was heute keiner mehr wissen will: Renft waren ja damals schon am Ende. Klaus hatten wir als Bandchef abgewählt, Kuno wollte aussteigen, Jochen mochte auch nicht mehr. Für mich war das Kapitel DDR eh´ schon abgeschlossen. Ich habe ja die Unmöglichkeit gesehen, bestimmte Dinge in der DDR öffentlich zu machen. Deshalb haben wir ja auch alle Warnungen von Havemann nicht beachtet.

Wovor hat der Euch denn gewarnt?

Schoppe: Havemann meinte, daß die Stasi bestimmte Sachen mitmacht, so wegen des lieben Friedens. Aber bei anderen haut sie drauf. Wir haben früh um zehn in der Leipziger Kneipe „Cockpit" gesessen, total benebelt natürlich, und aus dieser Sicht war es ganz normal, daß man völlig frech und respektlos da rangeht. Wir waren ja so unverfroren! Manchmal haben wir die Leute auf der Straße angebrüllt: Geht nicht mehr arbeiten für diesen Scheiß-Staat und so. Mein Gott, waren wir daneben.

Man hat ja dann noch eine Art Wiedereingliederung an Euch erprobt.

Schoppe: Kann man so sagen. Erst kriegten wir noch eine Polen-Tournee hinterher geschmissen, sozusagen zur Beruhigung, dann versuchten sie, Kuno und mich zur NVA-Reserve einzuziehen. Ein Witz. ich bin da gleich hin und hab´ rum geschrien: Scheiß-Laden, kommt nicht in die Tüte, daß ich hier bleibe. Wir sind dann wieder gegangen, und die haben uns gehen lassen.

Die Stasi hat Euch aber auch nach eurer Ausreise in den Westen immer im Auge behalten?

Schoppe: Ja, klar. Da ging das erst richtig los. In Leipzig hatten die Stasileute noch einen Rüffel von Mielke selber bekommen: „Warum kann man diesen Typen nicht habhaft werden? warum werden die nicht liquidiert?" hat er gebrüllt. Da haben sie dann aufgepaßt. Bei mir war ständig die ganze Heinstraße voller Spitzel. Ich wollte bloß noch raus.

Im Westen kam dann die Ernüchterung?

Schoppe: So war das. Kuno und Pannach hatten ja da schon Auftritte mit Biermann und so gehabt und blöde Interviews im „Spiegel". Das war so die Nummer „Märtyrer im Vorprogramm". Aber als ich rüber kam, bin ich auch erstmal da hin. Das war so diese Szene Alternative und Spartakisten und K-Gruppen. Die standen im Foyer wie die Jesuiten. Ich dachte nur: Oh Gott, wo bist du hier? Ich konnte das nicht lange machen, dieses „huch wir armen DDR-Liedermacher" Eigentlich bin ich doch ein Rocker.

Aber als Rocker warst Du nicht gefragt?

Schoppe: Im Nachhinein betrachtet hätte es klappen müssen. Wären wir nicht so blöd gewesen, hätten wir das Ding ganz politisch aufgezogen und voll kontra DDR gemacht. Das hätten uns alle abgekauft. Allerhöchstens hätte es was gekostet, einen tödlichen Unfall auf der Transitstrecke oder so. Aber wir haben es falsch angefaßt. Windminister war unsere West-Renft-Band. Aber zum ersten Auftritt im Quartier Latin hatte die Stasi so viele Westkommunisten gekarrt, die mit Parteiauftrag Buh! geschrien haben, noch ehe wir eine Note gespielt hatten. Weil sie dachten, wir würden genau das machen - politisch und gefährlich sein. Dabei waren wir das gar nicht. Wir waren so theologisch, philosophisch. keine Protesttexte so nach dem Motto „Auf ihn mit Gebrüll!" Nach der Pleite sind alle weggelaufen. Zuerst der Gitarrist, dann die Trommlerin. Und das wars dann.

Wovon hast gelebt?

Schoppe: Meine Frau war ja noch in der DDR aus der Partei ausgetreten, nachdem die sie gebeten hatten, auf mich „einzuwirken". Die ist dann mit mir in den Westen, als Zahnärztin hat sie da gut verdient. Die hat mich so mit durchgeschleppt, anfangs wenigstens. Später hat sie mich verlassen. Auch meinen Sohn habe ich dadurch verloren. Scheiße. Ich habe dann in einem Kinderheim gearbeitet. Mich so durchgeschlagen.

Zu Kinderheimen hast Du ja eine besondere Beziehung?

Schoppe: Kann man so sagen. Nach dem Tod meiner Mutter bin ich Anfang der Sechziger selbst in ein Heim gekommen. Als ich dann kurz nach dem Mauerbau mit einem Kumpel versucht habe, Ecke Baumschulenweg über die Grenzbefestigung zu klettern, um rüber zu meiner Tante in Lübeck zu kommen, haben sie mich in ein Heim für etwas härtere Jungs gesteckt. Sitten wie im Strafvollzug. Dort bin ich auch zur Musik gekommen, über diese Merseybeat-Sachen.

Und wie ging es weiter?

Schoppe: Na ja, mit unserem Axel-Kien-Quartett sind wir so über die Dörfer getourt. Borna - Delitzsch und zurück. Eines Tages kam Klaus (Renft), in Gaschwitz war das, und hörte zu. Ich war total aufgeregt. Klaus war ja schon eine relative Berühmtheit. Ich bin dann nachher zu ihm hin, und habe mich entschuldigt, daß ich soviel Scheiße gespielt habe. Da sagt der: „Weißte, wie oft mir das passiert?" Ich wußte damals noch nicht, was das für ein wahrhaftiger Satz ist.

Ist er so schlecht?


Schoppe: Hör dir doch mal diese alten Sachen an. Das ist doch schauderhaft. Der Klaus nuschelt doch nur da unten rum, brumm, brumm. Das ist teilweise fürchterlich. Da sind solche Gurken drin! Aber das will ja keiner hören. Es hat ja vielleicht noch einen gewissen Charme, wenn man die Umstände betrachtet, unter denen das gemacht wurde. Aber das kannst du doch heute nicht mehr anbringen. Heute werden doch andere Maßstäbe gesetzt.

Ist das der Grund, warum man von Renft seit der Wiedervereinigung der Band nichts Neues gehört hat?

Schoppe: Es kommt ja nichts aus der Band. Früher hatten wir mit Cäsar und Kuno und mir drei gleichwertige Sänger, mit Cäsar und Kuno zwei erstklassiger Arrangeure. Das ist natürlich nicht mehr da. Wir sind uns auch nicht einig. Ich will nicht mehr diese olle Gitarrenmucke machen. Gitarren sind so langweilig. Aber da sind wir uns nicht einig. Und es ist ja auch schwer. Klaus hat natürlich Angst und ich auch - alles, was wir machen, wird an dem gemessen werden, was Renft vor zwanzig Jahren war. Da wird das Urteil logischerweise härter. Ich fände es auch blöd, wenn wir etwas vorlegen, zu dem die Leute sagen, huchja, kann man machen. Ich will ein Bild für die Zukunft, etwas. wo der eine oder andere stutzt und denkt „Mensch, tolles Ding hier, wer ist denn das?" Doch das musst du erstmal schaffen.




Donnerstag, 3. September 2015

Gerhard Gundermann: Wie ich IM Grigori wurde



Im Sommer vor 20 Jahren hatten dann alle seine Akte. Der Stern recherchierte, die ARD bat andauernd um Rückruf. Die Gauck-Behörde hatte, nachdem auf einen Antrag hin eine IM-Akte zum ostdeutschen Liedermacher Gerhard Gundermann aufgetaucht war, nicht nur eine Kopie der zweibändigen Sammlung von Protokollen und Treffberichten herausgegeben, sondern ein Dutzend.

Die Luft für Gerhard Gundermann wurde dünn. Doch Conny Gundermann, seine Frau, war „irgendwie erleichtert, als es endlich raus war: der Gerhard war ja in den letzten Monaten gar kein Mensch mehr", beschreibt sie. Nur noch „rumgegrübelt" habe er, und überlegt, wie er es den Leuten sagt. „Sagen musste er es, das ist er seinem Publikum schuldig", war für Conny Gundermann schon lange klar. Gerhard Gundermann, der drei Jahre  später mit nur 43 Jahren völlig überraschend sterben sollte, über seine Zeit als „IM Grigori", die ihn 1995 einen großen Plattenvertrag, die Einladung einer großen Managementfirma und die Anerkennung der Westmedien kostete.

Hast Du damit gerechnet, dass irgendwann jemand kommt und dich auf die Zeit zwischen 1976 und 82 anspricht?

Gundermann: Es sind doch schon mehrere gekommen. Und dann habe ich immer gesagt, ja, so war das. Aber viele sind es nicht gewesen. Und ich hatte diese ganze Geschichte, nein, nicht vergessen, auch nicht abgehakt, aber irgendwie beiseite geschoben. Ich habe darüber nachgedacht und bin irgendwie darauf gekommen: man kann mit dem ganzen nur im Raum DDR umgehen. Aber der Raum DDR ist ja weg. Also habe ich für mich gesagt, das ist erledigt. Ich habe mich weder um meine Opfer-, noch um meine Täterakte gekümmert.

Hast du damals gewusst, dass du an OV und OPK beteiligt bist?

Gundermann: Nein, dass hat mir jetzt erstmal jemand übersetzen müssen, was das überhaupt ist. Die haben damals immer gesagt, „Schätze mal den und den ein". Eine ganze Reihe von denen sind dann später IM geworden, als ich nicht mehr dabei war. Ich habe sie empfohlen, und dann hatte ich sie auf dem Hals. So ist das.

Was willst Du nun tun?

Gundermann: Ich versuche, auf die Leute zuzugehen. Nachdem ich meine Akte gesehen hatte, habe ich versucht, rauszukriegen, wer denn nun hinter den Ovs und OPKs steckt. Das muss man ja erstmal entschlüsseln. Einen habe ich angerufen, der hat mich dann zu sich bestellt. Ich bin hingefahren - und der hat mich abtropfen lassen. Er wollte nicht mit mir drüber reden, er hat einfach gesagt, er hätte die Unterlagen jetzt nicht da. Ist ja sein gutes Recht. der ist ja jetzt am Zug. Vielleicht verarscht der mich auch bloß.

Was hast du denn über den berichtet?

Gundermann: Arroganten Mist. Der Gag war der: Der wollte immer in den Westen und die Stasi wollte ihn weghaben. Hätten die sich ausgesprochen miteinander, hätten die sich viel Mühe und Stress sparen können. Die andere OPK, an der ich beteiligt war, ist dagegen ziemlich harmlos. Ich habe jetzt auch mit dem gesprochen, und es stellte sich raus - der hatte die ganze Zeit Angst, dass ich seinen Namen in meiner Opferakte finde. Der hatte nämlich da angefangen, als ich aufgehört habe. (unter Video geht es weiter)




Welche Einschätzung hast du selbst von deiner Tätigkeit?

Gundermann: Meine Definition ist inzwischen so: Ich habe mich schuldig gemacht vor mir selbst, vor der Idee des Sozialismus. Ob ich mich an anderen Menschen schuldig gemacht habe, muß ich erst noch rauskriegen. Mit dem, was ich bisher weiß, kann ich leben, ohne daß ich mich aufhängen muß.

Aber solche Sachen wie die Funkgeräte-Nummer, wo du zwei Bekannte verraten hast, die Funkgeräte aus Italien eingeschmuggelt hatten - das ist doch Petzerei, das ist doch hochgradig unanständig.

Gundermann: Ja, klar. Das ist eklig. Aber es war doch so: Ich habe doch mit denen über alles mögliche geredet, und nie ist was passiert. Der Typ mit den Funkgeräten hat nie Ärger bekommen. Dabei hatte der eine unheimliche kriminelle Energie. Der klaute, auch wenn er Geld in der Tasche hatte. Der benutzte den Singeklub, um Privatgeschäfte zu machen. Ich dachte damals, in dem Moment, wo die mir vertrauen, daß ich alles weiß, trauen sie mir auch zu, daß ich alles im Griff habe. DaSS die also nicht eingreifen. Mir war ja die Gruppe wichtiger als der eine Typ. Das zumindest hat ja auch geklappt.

Wofür hast Du das Geld bekommen, über das die Stasi zwei lange Quittungslisten geführt hat?

Gundermann: Die kleinen Summen sind Kaffee und Kuchen. Was so im Februar ist, müssen Geburtstagsgeschenke sein. Und einmal die 161 Mark sind für den Fotoapparat, den sie mir gekauft haben, damit ich im Westen für sie fotografieren kann. Und die Filme. Beim ersten Treffen hat mir der Leutnant Stasch 50 Mark gegeben. Das sei so üblich. Aber ich habe mir das dann überlegt, und beim nächsten Mal gesagt, daß ich kein Geld haben will. Da hieß es dann: Das gibt's nicht, denn mit allen, die kein Geld haben wollen, stimmt irgendwas nicht. Ich hab´s trotzdem nicht genommen.

Dafür gab´s dann später eine ganze Reihe von Auszeichnungen?

Gundermann: Und jedesmal ein blödsinniges Theater. Die Artur-Becker Medaille haben sie mir gezeigt, und dann wieder mitgenommen. Die 250 Mark, die da dranhingen, konnte ich behalten. Für den Einsatz in Ungarn gab's eine Obstschale aus Blech. Die habe ich weggeschmissen.

Wie hast Du die Treffs mit denen getarnt?

Gundermann: Gar nicht. Ich war doch solo, mich hat doch keiner gefragt, wo ich hingehe.

Welches Verhältnis hattest Du zu dem Leutnant Stasch, der ja über Jahre dein Ansprechpartner war?

Gundermann: Wie soll ich das jetzt sagen. Ich habe doch in jedem Verein erstmal gedacht, jetzt bin ich bei den Schlauen gelandet. Und wenn ich bei den Guten bin, sind automatisch alle Sachen, die wir machen, gut. Mein eigener Maßstab hat sich erst später wieder eingeschaltet. Ich habe erst später gemerkt, dass die mich nicht als Partner behandeln. Ich hoffte, die warnen mich, wenn auf der Parteischiene wieder was gegen mich läuft. Haben sie aber nicht gemacht.

Also kein besonderes Verhältnis zu Stasch?

Gundermann: Das war nur der Nimbus. Die Leute selber habe ich mir bloß kluggeredet. Der Voigt zum Beispiel, der zweite, der ab und zu kam, der war immer unglücklich, weil er nicht verstanden hat, was ich ihm erklärt habe.


Warst Du ein guter Spion?

Gundermann: Nein. Glaube ich nicht. Die haben mich zwar in den Akten immer als ergiebig und gut eingeschätzt, aber das war doch auch bloß, damit die nach oben gut aussahen. Zum Beispiel nach der Ungarn-Kiste, wo ich zwei Fluchthelfer in die DDR locken sollte. Da habe ich mich so geschämt, weil da alles schief ging. Die haben alle gewusst, was ich für ´ne Larve bin. Aber die haben das als gute Operation eingeschätzt. Ich dachte, ich krieg' nur ´ne Obstschale, weil ich schlecht war. Aber da habe ich mich geirrt. Die fanden mich Klasse. Ich weiß auch nicht, warum.

Wenn du heute die Akte liest, was denkst du dabei?

Gundermann: Die ganzen Dinger mit Planschwindel aufdecken, melden, wenn die Chefs im Betrieb klauen, die Forderungen nach mehr Geld für die Basiskultur in Hoywoy, das ist alles okay. Wo ich für die Brigade Feuerstein gegensteuern wollte, wo was über FDJ und Partei schief lief, war zumindest gutgemeint. Aber was Scheiße ist, sind die persönlichen Sachen. Die Petzberichte, diese widerlichen Arien. Das ist ganz dolle Scheiße.

Aus welcher Motivation hast Du denn das gemacht?

Gundermann: Ich weiß es nicht.

Irgendwann kam der Punkt, an dem du nicht mehr hingegangen bist. Weiß Du, warum?

Gundermann: Ich war sauer geworden. Ein riesengroßer Apparat war mit einem Riesenaufwand damit beschäftigt, Kinderkacke zu produzieren. Diese blöde Sicherheitsdoktrin: wenn ein Mensch ein Problem hat, schafft man nicht das Problem ab, sondern den Menschen. Das ist mir aufgefallen, auch wenn ich ein langsamer Denker bin. Das ganze Land kochte, und die hatten nur Scheiße im Kopf. Zum Schluss bin ich nur noch hingegangen, um denen das begreiflich zu machen, Aber die wollten das nicht hören.

Aber du hast es versucht. War das naiv?

Gundermann: Ja, wahrscheinlich. Ich wollte immer meine Kraft zur Verfügung stellen, und merkte dann immer, daß ich Leuten diene, die überhaupt nüscht auf der Lampe haben. Ich bin dahintergekommen, dass ich die Verantwortung für mein Handeln selber übernehmen muss. Das ist die Lektion, die ich gelernt habe. Leider zu spät.

Wie hast du dann erlebt, dass du ein Thema für die wurdest?

Gundermann: Naja, eigentlich erstmal gar nicht. Ich habe mich ja nicht unbedingt mit der Stasi angelegt. Ich habe mich doch mit Werner Walde, dem SED-Chef von Cottbus, in den Haaren gehabt. Für den war ich ein rotes Tuch. Das ging soweit, dass wir 1988 überlegt haben, ob wir uns pro forma scheiden lassen, damit ich nach Berlin umziehen kann, und aus dem Herrschaftsbereich von dem Walde rauskomme. In Cottbus sind ja Filme und Lieder verboten worden, die überall anders liefen. Also bei SED und FDJ war ich für viele der Spezialfeind. Die hatten Leute auf mich angesetzt, haben Journalisten verboten, über mich zu schreiben. Darüber waren die Stasileute auch ziemlich unglücklich. Die arbeiteten ja mit mir, und dann wurde immer gesagt, dass ich der Böse bin. Von der Partei wurde alles, was ich machen wollte, torpediert: private Kulturinitiativen, Veranstaltungsreihen. Bloß ein Telefon haben wir sofort bekommen, als wir eins haben wollten. (lacht)

Ist das auch ein Grund, warum du nie den Sprung zum vollprofessionellen Künstler gemacht hast? Dass Du Angst hattest, von der Gnade irgendwelcher Kulturfürsten abhängig zu werden?

Gundermann: Ja, ich hatte keine Lust, mich prostituieren zu müssen, um die Band bezahlen zu können. Mir ist lieber, daß ich wie jetzt Konzertanfragen absage, weil ich Schicht habe, als dass ich rumrenne, und um Engagements bettele. Ich wollte mir damals immer die Freiheit bewahren, eine Mugge, die mir nicht passt, absagen zu können, auch wenn ich viel verdienen könnte, und dafür eine Sache zu machen, die mir gar nichts einbringt. Heute ist das im Grunde genommen noch viel schlimmer. Du musst dich schnell verbiegen, um zu überleben. Das will ich nicht. Aber schon durch die Band bin ich da nicht mehr ganz frei, denn die Jungs müssen ja verdienen.

Wie sind die Reaktionen auf die MfS-Sache? Mußt Du Angst haben, die Band und deine Familie bald nicht mehr ernähren zu können?

Gundermann: Der Chef meiner Plattenfirma, wusste es schon länger. Er verstand es. Vivi Eickelberg, die Managerin von Heinz Rudolf Kunze und Herman Van Veen, der ich das auch schon früher erzählt habe, hat es auch ziemlich unaufgeregt genommen. Auch die Silly-Leute, Tamara, andere Kollegen, denen ich es erzählt habe, und die Musiker meiner Band. Alle Leute, die im Osten mal Verantwortung getragen haben, wissen ja, dass ohne die oder gar gegen die nichts ging. Damals musste man die doch als Verbündete in Betracht ziehen, auch wenn das ein Risiko war. Die Alternative war totale Verweigerung - und scheinbar haben die Verweigerer recht behalten. Die können heute sagen: Wir haben eine weiße Weste, wir haben es schon immer gewusst, so wie wir gelebt haben, war es okay, alle anderen sind Schweine. Ich kann damit nichts anfangen. Ich muss immer was tun. Schade ist bloß, dass genau das Gegenteil von dem rausgekommen ist, was ich wollte: das Prinzip Sozialismus wurde auf allen Ebenen verheizt, nicht nur ganz oben, und ich habe mitgemacht. Ich habe Demokratie verhindert, ich habe dafür gesorgt, dass am Ende die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Idee war. Das ist meine Schuld, damit muss ich klarkommen. Was das Publikum jetzt zu der Sache sagt, weiß ich noch nicht. Wenn mich jetzt keiner mehr sehen will, kann ich das verstehen. Das ist ihr gutes Recht. Dann mache ich erstmal zwei Jahre Pause. Vielleicht haben sie mir ja danach verziehen.